Mordaufrufe gegen Zuwander_innen aus Südosteuropa oder Die Würde des Menschen ist unantastbar

„Die Entrüstung über begangene Grausamkeiten wird um so geringer, je unähnlicher die Betroffenen den normalen Lesern sind, je brunetter, „schmutziger“, dagohafter. Das besagt über die Greuel selbst nicht weniger als über die Betrachter. Vielleicht ist der gesellschaftliche Schematismus der Wahrnehmung bei den Antisemiten so geartet, daß sie die Juden überhaupt nicht als Menschen sehen. Die stets wieder begegnende Aussage, Wilde, Schwarze, Japaner gleichen Tieren, etwa Affen, enthält bereits den Schlüssel zum Pogrom.“ (Theodor W. Adorno, Minima Moralia, 1985, S. 133f)
Nach dem Ende des Nationalsozialismus fand in der Bundesrepublik niemals eine wirkliche Aufarbeitung des Mordes an ca. einer halben Million Sinti und Roma statt. Ressentiments und Hass gegen Sinti und Roma waren und sind in weiten Teilen der Bevölkerung vorhanden und jederzeit abrufbar. Vorurteile wie Nomadentum, Kriminalität, Primitivität, Arbeitsscheu usw. entstanden in den vergangenen Jahrhunderten und werden seitdem wie ein „kultureller Code“ in der Gesellschaft von Generation zu Generation weiter tradiert. Aus einer 2011 durchgeführten Studie zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit geht hervor, dass über 40 Prozent der Bevölkerung antiziganistisch eingestellt ist.[1] Eine methodisch anders durchgeführte Umfrage aus dem Jahre 1994 belegte zwischen 64 und 68 Prozent antiziganistisch eingestellte Personen in der BRD.[2] Diese Einstellungsmuster sind für eine demokratische Republik, die die Unantastbarkeit der Würde des Menschen und die Gleichheit vor dem Gesetz im Grundgesetz festgeschrieben hat, mehr als beschämend. Die Pogrome Anfang der 1990er Jahre in Rostock-Lichtenhagen oder in Mannheim-Schönau gegen Roma oder als solche von den rassistischen Angreifer_innen identifizierte sind da nur die Spitze des Eisberges.
Jetzt drohen neue Anschläge: In bürgerlichen Stadtteil Duisburg-Bergheim wohnen Zuwander_innen aus Südosteuropa, darunter auch Roma,in einem Hochhaus, was in der Presse in abwertender Weise „Problemhaus“ oder „Roma-Haus“ genannt wird. Dieses Haus wurde durch intensive Medienberichterstattung zum bundesweiten Symbol für die „Armutsmigration“ aus Südosteuropa. Ihre (deutschen) Nachbar_innen beschwerten sich über vermehrtes Müllaufkommen, Ruhestörungen usw., was aus der Überbelegung der Wohnungen resultierte, aber der angeblichen kulturellen Andersartigkeit der Bewohner_innen angelastet wurde. „Abbrennen soll mann die bude“, „Eine Bombe auf das haus und dann is endlich ruhe da“, „Niederbrennen das Dreckspack“, „Wir müssen die Ratten loswerden“, „Alles schreit abbrennen aber warum macht es denn keiner?“: Diese menschenverachtenden und rassistischen Mordaufrufe von Nutzer_innen der Facebook-„Diskussionsgruppe“ „In den Peschen 3-5“ um den 10.8.2013, die wahrscheinlich sogar unter ihrem wirklichen Namen die Kommentare schrieben, sind ein weiterer Höhepunkt in der Hetze gegen Zuwander_innen aus Südosteuropa. Schon im April 2013 wurden Roma in Facebookgruppen als „Menschenmüll“ bezeichnet.
Von offizieller Seite wird die Situation verharmlost. Duisburgs Polizeisprecher Ramon van der Maat spricht zwar von einer „zunehmende Feindseligkeit im Viertel“.[3] Er will jedoch „die Eskalation im Internet nicht so hoch bewerten“ und sieht keine „unmittelbare Gefahr für das Leben der etwa 1400 Rumänen und Bulgaren in dem Hochhaus.“ Die Realität sieht anders aus. Militante Neonazis könnten sich bei der rassistischen Hetze als Vollstrecker eines „Volkswillens“ fühlen. Am 13.8.2013 schmierten Unbekannte Schriftzüge mit rassistischen Parolen rund um den Wohnblock „In den Peschen“ an die Wände.[4] Jetzt sollen nach Auftrag des Vermieters brandsichere Türen in den Kellern installiert werden. In den Nächten auf Freitag (16.8) und Samstag (17.8) tauchten heimische und auswärtige Neonazis in größeren Gruppen vor dem Hochhaus „In den Peschen“ auf und bedrohten Bewohner mit Knüppeln und Messer. Die Polizei fühlt sich nicht zuständig und schickt nur zwei- bis dreimal pro Tag Streifenwagen vorbei; deshalb übernahmen Anwohner_innen, Mitglieder von Kirchengemeinden und antirassistische Gruppen in Eigeninitiative durch Nachtwachen den Schutz der dort lebenden Menschen. Die Initiator_innen hoffen wegen des andauernden Gefahrenpotentials auf eine ständige Präsenz der Polizei. Ein Beifahrer eines PKW’s, der am Abend des 19.8 vor dem Hochhaus den Hitlergruß zeigte und rassistische Parolen rief, wurde verhaftet.[5] Nach der Hetze im Internet und den Provokationen vor Ort herrscht nun bei vielen Bewohner_innen Angst und Schrecken.Die Männer vieler Familien haben sich daraufhin zusammen getan, um auf mögliche Angriffe vorbereitet zu sein.[6]
Extrem rechte Parteien versuchen die Pogromstimmung für ihre eigenen Zwecke im Hinblick auf die Bundestagswahl im September auszuschlachten. Plakate der NPD für den Bundestagswahlkampf mit der Aufschrift „Lieber Geld für Oma statt für Sinti und Roma“ sind in einigen Städten des Ruhrgebietes zu sehen. Die rechte Organisation „Pro Deutschland“ hat für den 29.8. eine Demonstration vor dem Hochhaus „In den Peschen“ angekündigt. Der neonazistische „Nationale Widerstand Duisburg“ heizt die Stimmung noch weiter an und macht – wenig überraschend – Täter_innen zu Opfern: „Polizeieinsätze am von Zigeunern bewohnten Problemhaus, sowie kriminelle Handlungen durch Zigeuner, die etwa alten Frauen beim Bankautomaten auflauern oder Kindern ihr Fahrrad stehlen, reißen nicht ab. Da diesen Zuständen weder durch Stadt noch Polizei Einhalt geboten wird, sind die zwingenden Konsequenzen Bürger, die ihren Zorn über besagte Zustände Luft machen.Um eine feindschaftliche Stimmung gegen die in Duisburg herrschenden Zustände zu entwickeln, bedarf es keiner demagogischen Maßnahmen seitens politischer Gruppen. Die angeheizte Stimmung ist Resultat verachtenswerter und untragbarer Zustände. Eine Abneigung gegen diese ist verständlich und natürlich. (…) Kriminellen und Fremden, die weder in unserer Stadt, noch in irgendeiner anderen Ecke Deutschlands etwas zu suchen haben.“[7]
Die Hetze gegen Zuwander_innen aus Südosteuropa hat seinen Ursprung nicht am „rechtsextremen“ Rand, sondern in der sich demokratisch bezeichnenden „Mitte der Gesellschaft“. Lokale und überregionale Medien waren und sind für ein Bedrohungsszenario verantwortlich, das Zuwanderung in der Semantik der Gefahren präsentiert und altbekannte Stereotype über Roma transportiert. Eine Untersuchung von Artikeln des Medienportals „derWesten.de“ über die Zuwanderung aus Südosteuropa von Ende April 2008 bis Dezember 2012 kam zu dem Ergebnis, dass der überwiegende Teil der Berichterstattung die Zuwander_innen als eine ethnisch homogene Gruppe von kriminellen Armutsflüchtlingen darstellt, deren Bräuche und Verhaltensweisen von denen der Mehrheitsgesellschaft abweichen. Die Bild-Zeitung mit dem Schwerpunkt Ruhrgebiet bemerkte: „Politiker befürchten: Zehntausende kommen und kosten Millionen.“ Oder „Die Befürchtung: Zehntausende kommen nur wegen den Sozialleistungen.[8] In einem Artikel mit der selbst gestellten Frage „Wie leben Roma in Deutschland?“ heißt es in der Antwort: „Beispiel Berlin: kaputte Möbel, zertretene Türen, beißender Urin-Gestank“.[9]Das Nachrichtenmagazin Focus titelte „Die Armut kommt“ und stellte undifferenziert alle Zuwander_innen als Kriminelle dar: „Ein Flüchtlingstreck hat sich gen Westen aufgemacht. (…) Aus Notquartieren in Köln oder Duisburg starten Kinderbanden ihre Raubzüge durch das Land. Die Eltern der jungen Diebe leben häufig in Abhängigkeit von Clan-Chefs, die in Rumänien und Bulgarien das Geschäft aus ihren gut gesicherten Villen steuern. (…) Das Elend wird exportiert.“[10] Die „Welt“ entwirft das Schreckensszenario von einer „Masseneinwanderung“[11] ab 2014, wenn Arbeitnehmer_innen aus Bulgarien und Rumänien überall in der EU und somit auch in der BRD leben und arbeiten dürfen. Dort heißt es: „Dass Zigeuner (sic) aus Südosteuropa ihre Geburtsländer immer weniger als Heimat begreifen, sondern als Wartesaal für eine Reise von Peripherie in die Zentren der Europäischen Union, war seit 2010 nicht mehr zu übersehen.“[12]
Bundesdeutsche Politiker wie Innenminister Friedrich (CSU) heizen die Stimmung noch mit populistischen Statements an. Friedrich bringt die Zuwander_innen in Verbindung mit einer „Einwanderung in die Sozialsysteme“ (Friedrich Merz). Er antwortete auf einen Vorstoß des Duisburger Oberbürgermeisters Sören Link (SPD) nach pekuniärer Unterstützung des Bundes mit folgenden Worten: „Wenn der Duisburger OB sagt, er will Geld haben, damit er alle auf deutschem Sozialhilfeniveau in Duisburg verköstigen kann, dann kommen wir eben irgendwann mal an Grenzen.“[13] Friedrich hatte bei einem Treffen der EU-Innenminister einen härteren Kurs gegen „betrügerische Armutseinwanderer“ angekündigt: „Wer Sozialleistungen missbraucht, soll ausgewiesen werden.“ Zudem wolle er Ausgewiesenen, obwohl sie EU-Bürger sind, „eine Einreisesperre für eine bestimmte Zeit auferlegen, damit sie am nächsten Tag nicht wiederkommen können.“[14] CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach fordert die EU auf, die Frage zu klären, „ob es auf Dauer dabei bleiben soll, dass unter Berufung auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit“, auch der freie Zugang, „in die sozialen Sicherungssysteme anderer Staaten ermöglicht werden soll“.[15] Der Berliner SPD- Politiker Heinz Buschkowsky sieht die Einwander_innen gar als primitive „Müllmenschen“: „Wer auf Müllhalden aufwächst, und das tun viele dort tatsächlich, hat zur Mülltrennung vielleicht nicht so ein inniges Verhältnis.“[16] Martin Korol, Bürgerschaftsabgeordneter der Bremer SPD, hetzte in rassistischer Weise: „Sie kommen aus einer archaischen Welt. Väter haben keine Hemmungen, ihre Kinder zum Anschaffen oder Stehlen statt zur Schule zu schicken. Sie schlagen ihren Frauen die Zähne aus, gönnen sich selbst nur Stahlzähne. Viele jungen Roma-Männer schmelzen sich mit Klebstoffdünsten das Gehirn weg.“[17]
Rassistische Anwohner_innen in Bergheim hetzen seit geraumer Zeit gegen die Zuwander_innen und versuchen dies als legitimen Protest gegen die „Zustände“ im bürgerlich geprägten Stadtteil darzustellen. Ihre Strategie besteht darin, in der Öffentlichkeit als Vertreter_innen der politischen „Mitte“ wahrgenommen zu werden und sich von jeglicher rechten und rassistischen Gesinnung offiziell zu distanzieren. Dass dies nicht der Realität entspricht, lässt sich an einigen Beispielen verdeutlichen. 300 Anwohner_innen unterschrieben eine Petition zur „Umsiedlung“ der Zuwander_innen. Diese „Umsiedlung“ sollte erfolgen, „da unsere Wohn- und Umfeldqualität, welche in Jahrzehnten gewachsen ist, durch diese Zuwanderer zerstört wird und wir das als Bürger nicht hinnehmen werden“.[18] Die Zuwander_innen seien aufgrund ihrer Mentalität und Lebensart nicht integrierbar. Damit wurden alle Zuwander_innen ohne Ansehen des Individuums homogenisiert und ihren unveränderliche deviante Merkmale zugeschrieben, die nicht mit einer wie auch immer gearteten bürgerlichen „deutschen Kultur“ vereinbar wäre und eine Separierung von der Mehrheitsbevölkerung notwendig machen würde. Rassismus pur!
Bei einem politischen Abendgebet, das der lokale Pfarrer Heiner Augustin organisierte und mit dem Thema Zuwanderung verknüpft hatte, äußerte ein Anwohner: „Das sind keine Menschen, das sind Untermenschen“[19]. Einige Anwohner_innen verteilten vor dem Duisburger Rathaus rassistische Flugblätter mit der Überschrift „Raus mit den Zigeunern!“[20]. Einer der Hauptinitiatoren, Hans-Wilhelm Halle, bemerkte in einem Zeitungsinterview: „Ich fühle mich wie ein Fremder im eigenen Land.“[21] Symptomatisch für die fehlende Diskussionsbereitschaft ist folgende Aussage eines Anwohners: „Wir wollen die da weghaben, alles andere interessiert uns nicht mehr“.[22] Um „Taschen- und Trickdiebstahl einzudämmen“, beantragten Händler_innen aus dem Viertel beim Einzelhandelsverband Plakatierungen in rumänischer und bulgarischer Sprache, die das Betreten der Läden mit mehreren Personen verbieten wollte. Somit wurden ohne Ansehen der Einzelperson pauschal allen Zuwander_innen aus diesen Ländern Diebstahl vorgeworfen.
Die Hetze von lokalen und überregionalen Medien, bundesdeutschen Politikern und rassistischen Anwohner_innen gegen südosteuropäische Migrant_innen wurde von der extremen Rechten schon vor dieser neuen Eskalationsstufe begierig aufgegriffen. Das Hochhaus „In den Peschen“ wurde Ende 2012 mit einem Hakenkreuz und NPD-Aufklebern beschmiert. Die NPD verteilte in der Folgezeit mehrmals Flugblätter und Aufkleber in Bergheim und hielt dort am 18.5.2013 eine Kundgebung ab. Die extrem rechte Gruppierung Pro NRW veranstaltete am 12.3.2013 im Stadtteil eine Demonstration und hetzte auf ihrer Internetseite gegen „Zigeuner“.


[1]Heitmeyer, W.: Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (GMF) in einem entsicherten Jahrzehnt, in: Ders. (Hg.): Deutsche Zustände. Folge 10, Frankfurt/Main 2012, S. 15-41, hier S. 38f
[2]Winckel, A.: Antiziganismus. Rassismus gegen Roma und Sinti im vereinigten Deutschland, Münster 2002, S. 17
[3] www.rp-online.de/niederrhein-nord/duisburg/nachrichten/stimmung-am-problemhaus-spitzt-sich-zu-1.3604678
[4] www.presseportal.de/polizeipresse/pm/50510/2535100/pol-du-rheinhausen-farbschmierereien-in-den-peschen
[5] www.presseportal.de/polizeipresse/pm/50510/926/pol-du-rheinhausen-fremdenfeindliche-rufe-taeter-gefasst
[6] http://www.derwesten.de/staedte/duisburg/duisburger-organisieren-nach-hetze-gegen-auslaender-nachtwache-id8338177.html
[7] http://nw-duisburg.info/2013/08/14/problemhaus-stimmung-erhitzt-sich-weiter/
[8]Bild vom 4.3.2013
[9]Ebd.
[10] Focus 10/2013, S. 46ff
[11]www.zeit.de/2013/12/Duisburg-Roma-Zuwanderung/komplettansicht
[12]www.welt.de/kultur/article114753394/Wer-ist-schuld-am-Elend-der-Zigeuner.html
[13]Zitiert aus www.derwesten.de/staedte/duisburg/streit-ueber-zuwanderung-was-minister-friedrich-auf-links-kritik-antwortet_id8051194.html?cluac=true
[14]Ebd.
[15] Focus 10/2013, S. 47
[16] www.derwesten.de/staedte/duisburg/duisburger-fuehlen-sich-mit-armutsfluechtlingen-alleingelassen-id7674028.html
[17] Ebd.
[18]www.duisburgweb.de/2012/Bilder/Politik/2012.09/Protest_OB.pdf
[19] http://taz.de/Osteuropaeische-Roma-im-Ruhrgebiet/!105347/
[20]www.derwesten.de/staedte/duisburg/duisburger-fuehlen-sich-in-der-einwanderungsdebatte-von-der-politik-allein-gelassen-id7158128.html
[21] www.welt.de/politik/deutschland/article113882481/Mit-Zuzug-der-Roma-prallen-Welten-aufeinander.html
[22]www.rp-online.de/niederrhein-nord/duisburg/nachrichten/kein-zweites-lichtenhagen-1.3032768

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Über Michael Lausberg 543 Artikel
Dr. phil. Michael Lausberg, studierte Philosophie, Mittlere und Neuere Geschichte an den Universitäten Köln, Aachen und Amsterdam. Derzeit promoviert er sich mit dem Thema „Rechtsextremismus in Nordrhein-Westfalen 1946-1971“. Er schrieb u. a. Monographien zu Kurt Hahn, zu den Hugenotten, zu Bakunin und zu Kant. Zuletzt erschien „DDR 1946-1961“ im tecum-Verlag.

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