Offener Brief der Armenier an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier

Notbremse, Foto: Stefan Groß

Sehr geehrter Herr Dr. Steinmeier,

in wenigen Wochen werden Sie das Amt des Bundespräsidenten antreten. Als Vertreter der in Deutschland lebenden Armenier möchten wir Ihnen zu Ihrer Wahl gratulieren und Ihnen eine glückliche Hand und eine erfolgreiche Arbeit für unser schönes Land wünschen. Sie treten dieses Amt in schwierigen Zeiten an: Mut machen – das wird, so haben wir Ihre ersten Äußerungen verstanden, vielleicht der Schlüsselbegriff, der Topos sein, mit dem Sie Ihre neue Rolle in der deutschen Politik beschreiben. Wir können nur hoffen, dass Sie gehört werden, dass Sie die Macht des Wortes wirklich für dieses Ziel nutzen. Unser Land hat es nötig. Und einen zweiten Begriff haben Sie schon am Tag Ihrer Wahl geprägt – nämlich den vom Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält.

Sie werden verstehen, warum uns dieser Punkt so besonders wichtig ist. Jeden Tag sind wir Armenier mit Fragen der Integration konfrontiert, jeden Tag müssen wir uns fragen, welche Position wir in der deutschen Gesellschaft wahrnehmen und wie uns dieses Land annimmt, das unsere zweite Heimat geworden ist. Es gibt Konflikte, die aus unserer historischen Erfahrung erwachsen sind und die in der Reibung mit anderen Migrantengruppen wirksam werden, die sich aber auch in der Haltung der deutschen Mehrheitsgesellschaft spiegeln. Der Deutsche Bundestag hat den Völkermord an den Armeniern anerkannt, die verantwortlichen Politiker in der Bundesregierung haben diesen Mut nicht gehabt. Und haben damit nicht nur das Bekenntnis zu unserer armenischen Geschichte, sondern genauso zu unserer deutschen Geschichte verweigert.

Mut machen setzt Mut haben voraus. Wir sind sehr froh darüber, dass Sie gerade diesen Begriff gewählt haben, um einen neuen Anfang zu setzen. Und wir sind sehr zuversichtlich, dass es Ihnen gelingen kann, auch unseren Türkei-stämmigen Nachbarn Mut zu machen, ihre Geschichte anzunehmen und damit die Voraussetzungen für die Aussöhnung der unterschiedlichsten Gruppierungen zu schaffen. Das wäre in der Tat ein großer Schritt Richtung Integration. Das wäre wirklich ein wirksamer Kitt, die komplexen und komplizierten Beziehungen unserer Einwanderungsgesellschaft zumindest in diesem Punkt zu normalisieren.

Wir hoffen auf Ihren Erfolg und wünschen alles Gute
mit freundlichem Gruß

Dr. Schawarsch Owassapian
Vorstandsvorsitzender

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