Reisetipp der Redaktion: Die Magie historischer Gärten: Ein zeitloses Erlebnis – Der Landschaftsgarten in Wörlitz und Weimar

Der Dessauer Park, Foto: SGL

Seit Jahrtausenden existieren sie: Gärten, die eine besondere Wirkung auf den Menschen ausüben. Sie sind weit mehr als gestaltete Natur; sie sind Ausdruck kultureller Ideen und Lebensentwürfe. Ihre Magie entspringt dem Zusammenspiel von Geist und Körper, dem Bedürfnis nach Harmonie, Vollkommenheit und spiritueller Verbundenheit mit dem Schöpferischen. Gärten wurden von jeher als Orte der Inspiration, der Kontemplation und der inneren Einkehr geschätzt. Als Paradiese für Geist und Leib sind sie aus der abendländischen Zivilisation nicht mehr wegzudenken. In ihnen vereinen sich ästhetischer Anspruch, philosophische Tiefe und kulturelle Sinnstiftung.

Die Entwicklung der Gartenkunst von der Antike bis zur Moderne

Bereits in den Hochkulturen Ägyptens und Griechenlands wurden Gärten als Ausdrucksmittel genutzt, nicht nur zur Erholung, sondern auch als religiös-kosmologische Orte. Sie fungierten als Abbild einer idealisierten Weltordnung. In den vergangenen 400 Jahren entwickelten sich insbesondere barocke und englische Gartenanlagen zu den herausragenden Gestaltungstypen europäischer Gartenkunst. Der barocke Garten zeichnete sich durch strenge Geometrie und symmetrische Strukturen aus, war Ausdruck einer theologisch fundierten Weltanschauung und manifestierte die weltliche Macht monarchischer Herrscher. Im Kontrast dazu stand der englische Landschaftsgarten, der ein neues, liberaleres Weltbild propagierte, in dem das Natürliche und Unregelmäßige im Vordergrund stand.

Die Wende zur Aufklärung im Gartenbild

Die Epoche der Aufklärung markierte einen tiefgreifenden Wandel in der Gartengestaltung. Der Mensch wurde als autonomes, vernunftbegabtes Wesen verstanden, das durch Bildung und moralische Erziehung zur Freiheit befähigt werden sollte. In diesem neuen Kontext verlor der repräsentative Barockgarten seine Gültigkeit. Die Gärten der Aufklärung spiegelten eine natürlichere, dem Menschen zugewandte Ordnung wider. Die Natur wurde nicht mehr dominiert, sondern als Partnerin betrachtet, deren innere Harmonie zur moralischen Verbesserung des Menschen beitragen konnte. Philosophische Konzepte wie der „moral sense“ Shaftesburys, der die Vernunftfähigkeit der Natur betonte, beeinflussten das Gartenideal nachhaltig.

Die Gärten in Weimar und Dessau: Spiegel der Aufklärung

Rousseau-Insel im Wörlitzer Park
Rousseau-Insel im Wörlitzer Park, SGL

In Deutschland fanden diese Ideen besonders in Weimar und Dessau Widerhall. In Weimar prägten Dichter und Philosophen wie Goethe, Schiller, Wieland und Herder das kulturelle Leben und gaben der Aufklärung eine poetische Dimension. In Dessau hingegen war es insbesondere Fürst Leopold III. Friedrich Franz, der als aufgeklärter Monarch das Gartenreich Wörlitz als Ausdruck einer idealen, moralisch fundierten Weltordnung gestaltete. Unterstützt von Architekten wie Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff und Denkern wie Johann Caspar Lavater und Christian Fürchtegott Gellert entstand ein Garten, der sowohl ästhetisches wie auch didaktisches Ziel hatte.

Der Garten als moralischer Bildungsort

Die Gärten von Wörlitz waren mehr als Orte der Erholung. Sie sollten dem Besucher als Schule des Lebens dienen. Durch das sinnliche Erleben von Natur und Kunst wurde eine moralische Transformation angestrebt. Die Anlage war durchzogen von symbolischen Architekturen, Inschriften, Plastiken und literarischen Zitaten. Ziel war es, die Betrachter durch ästhetische Erfahrung zur Reflexion über das Gute, Schöne und Wahre anzuregen. Das in Wörlitz gegründete Philanthropium war Ausdruck dieses Erziehungsideals. Es folgte der Philosophie Kants, die Mündigkeit des Menschen durch Bildung zu fördern, ohne jedoch die Souveränität des Fürsten infrage zu stellen.

Ikonographie und Didaktik in der Gartenkunst

Der didaktische Charakter der Wörlitzer Anlagen zeigt sich besonders in den zahlreichen Staffagen, Kleinarchitekturen und symbolischen Elementen. So verweist das Labyrinth im „Neumarkschen Garten“ auf die Wahl zwischen Tugend und Ausschweifung. Inschriften an Portalen, Bänken und Statuen sollten zum Nachdenken anregen und zentrale moralische Botschaften vermitteln. Die Gärtner und Künstler bedienten sich dabei einer ausgefeilten Ikonographie, um philosophische und theologische Konzepte sinnlich erfahrbar zu machen.

Die Philosophie hinter der Gartengestaltung

Der Gartentheoretiker Christian Cay Lorenz Hirschfeld hob die Bedeutung der Einbildungskraft hervor und sah in der Verbindung von ästhetischer Erfahrung und moralischer Bildung das Ziel der Gartenkunst. Spätere Kritiker wie Grohmann oder Boettiger bemängelten jedoch die Überfrachtung der Gärten mit symbolischen Bedeutungen. Sie forderten eine ästhetisch offenere Gestaltung, die dem Betrachter mehr Interpretationsspielraum ließ.

Der Übergang zum klassischen Landschaftsgarten

Die Kritik am „sentimentalischen Garten“ führte zur Ausbildung des klassischen Landschaftsgartens. In England setzte Lancelot „Capability“ Brown neue Maßstäbe, indem er natürliche Geländeformen in die Gestaltung integrierte und auf künstliche Inszenierungen verzichtete. Browns Einfluss war auch in Wörlitz spürbar. Die später entstandenen Gartenbereiche wie „Weidenheger“ und „Neue Anlagen“ griffen sein Konzept der harmonischen Verbindung von Nützlichkeit und Schönheit auf.

Ein Garten für alle: Der öffentliche Anspruch

Im Unterschied zu vielen englischen Parks war Wörlitz von Anfang an für alle Bürger zugänglich. Der Garten wurde als Instrument gesellschaftlicher Bildung begriffen. Durch die Begegnung mit Kunst und Natur sollten Menschen aller Stände zur Reflexion und Tugend angeregt werden. Dabei wurde Wert auf individuelle Freiheit gelegt: Der Besucher sollte frei interpretieren dürfen. Gartenführer wie der von Rode boten Orientierung, ließen aber Raum für eigene Assoziationen.

Die ästhetische Einheit des Landschaftsgartens Anhalt-Dessau

Fürst Franz verfolgte mit seinen Gartenanlagen in und um Dessau eine umfassende landschaftsästhetische Vision. Der gesamte Landstrich sollte als zusammenhängendes Kunstwerk erscheinen, das die Einheit von Mensch, Natur und Gesellschaft symbolisierte. Die Gärten sollten dabei nicht isolierte Ästhetikinseln bilden, sondern in ihrer Vielfalt eine harmonische Einheit darstellen. Shaftesburys Lehre von Ordnung und Kosmologie bildete das theoretische Fundament dieses Gesamtkunstwerks.

Die Magie historischer Gärten: Ein zeitloses Erlebnis

Kunst und Erinnerung: Allegorien als Brücken zwischen Zeit und Ewigkeit

Im Wörlitzer Park wurde nicht nur das Ideal einer moralischen Bildung in Szene gesetzt, sondern auch die Thematik von Vergänglichkeit und Transzendenz fand vielfältigen Ausdruck. Urnen, Grabmäler und symbolische Skulpturen, wie etwa die „Dietrichsurne“ im Schlosspark, dienten als Allegorien für Leben und Tod. Diese Denkmäler bildeten eine Brücke zwischen dem Irdischen und dem Geistigen, sie erinnerten an das Verhältnis von Endlichkeit und Unendlichkeit, an Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Die Philosophenstatuen im Park verwiesen auf stoische Ideale wie Gelassenheit, Selbstbeherrschung und vernunftgeleitetes Leben. Doch sie waren mehr als nur Denkzeichen moralischer Orientierung – sie zeigten zugleich die Bedeutung der Philosophie in einer aufgeklärten Gesellschaft, wie sie in der antiken griechischen Polis vorbildlich verkörpert war.

Landschaftsgarten Wörlitz, Foto: SGL

Die Rolle von Inschriften: Zwischen Erklärung und Bevormundung

Viele der im Park platzierten Inschriften hatten eine erklärende und pädagogische Funktion. Sie sollten das Denken der Besucher lenken, ihre Aufmerksamkeit auf bestimmte Bedeutungen und moralische Lehren richten. Der Gartentheoretiker Hirschfeld sah in diesen Texten eine wertvolle Ergänzung zur Gartenarchitektur. Doch auch hier regte sich Kritik: Der Philosoph Grohmann argumentierte, dass zu konkrete Inschriften die ästhetische Freiheit einschränken und die Einbildungskraft behindern könnten. Eine Allegorie, die ihrer Wirkung wegen auf eine erklärende Inschrift angewiesen sei, sei ihrer künstlerischen Kraft beraubt.

Kritik an der Überfrachtung: Der Streit um den „sentimentalischen Garten“

Goethe selbst kritisierte in seinem Werk „Der Triumph der Empfindsamkeit“ die übermäßige Verwendung symbolischer Elemente und allegorischer Staffagen, die das unmittelbare Naturerlebnis überlagerten. Solche mit Bedeutungsüberladung versehenen Gärten erschienen ihm zu artifiziell und konstruiert. Diese Kritik leitete die zweite „Gartenrevolution“ ein – den Übergang vom sentimentalischen zum klassisch inspirierten Landschaftsgarten. Ziel war eine Rückbesinnung auf die naturhafte Gestaltung, frei von didaktischer Überformung.

Der Einfluss von Lancelot Brown und die zweite Gartenreform

Lancelot „Capability“ Brown, der bedeutendste englische Landschaftsgärtner seiner Zeit, formulierte diese neue Richtung. Er schuf Gärten, die sich harmonisch in die natürliche Umgebung einfügten und zugleich praktische Nutzung ermöglichten. Keine künstlichen Seen oder aufgeschütteten Hügel mehr – stattdessen wurde mit dem gearbeitet, was die Natur bot. Auch in Wörlitz wurde dieses Prinzip aufgenommen: Die „Neuen Anlagen“ und der „Weidenheger“ atmen den Geist Browns und verbinden Ästhetik mit Funktionalität.

Die Synthese von Ethik, Ästhetik und Kosmologie

Das Gartenkonzept in Wörlitz ist Ausdruck einer umfassenden Vision. Es vereint Ethik, Ästhetik und Kosmologie zu einem harmonischen Ganzen. Diese Einheit verweist auf ein tief verwurzeltes metaphysisches Ordnungsprinzip, wie es auch Shaftesbury formulierte. Die Welt als durch Vernunft und Schönheit geordnete Ganzheit – das ist die Grundlage dieses Gesamtkunstwerks.

Ein Garten, so zeigt Wörlitz in beeindruckender Weise, kann mehr sein als ein Ort der Muße: Er wird zu einem Raum der Reflexion, der ästhetischen Erfahrung, der sozialen Begegnung und der moralischen Schulung. Und diese Synthese macht ihn bis heute zu einem der bedeutendsten Kulturgüter der Aufklärung in Europa.

Der Wörlitzer Park in der Gegenwart

Noch immer zieht der Wörlitzer Park Besucher aus aller Welt an. Seine Wege, Brücken, Skulpturen und Ausblicke erzählen nicht nur von der Geschichte eines aufgeklärten Fürsten, sondern auch von der dauerhaften Gültigkeit jener Fragen, die sich der Mensch stellt: Was ist ein gutes Leben? Wie kann Natur uns zu besseren Menschen machen? Und auf welche Weise lassen sich Freiheit, Schönheit und Bildung miteinander vereinen? In der Landschaft von Wörlitz – so scheint es – findet man darauf mehr als nur eine Antwort.

Über Stefan Groß-Lobkowicz 2263 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".