Vom Unbehagen in der Freiheit – Daniela Dahn und der Unrechtsstaat DDR

DDR, Foto: Stefan Groß

Die Journalistin Daniela Dahn, geboren in Ostberlin 1949 zwei Tage nach DDR-Gründung am 7. Oktober, ist eine der intelligenteren Apologeten des 1989/90 untergegangenen SED-Staats. In einer Reihe von Aufsätzen zur DDR-Geschichte und zur Wiedervereinigung hat sie, nachdem sie die unerwartete Veränderung ihrer Lebenswirklichkeit durch den Mauerfall verarbeitet hatte, versucht, der westdeutschen Abwertung und Verwerfung sozialistischer Verhältnisse ihre positive Sicht gegenüber zu stellen, was freilich oft zu Verzerrungen führte, wie der Verharmlosung der „Waldheimer Prozesse“ von 1950. Wer von Kindesbeinen an nur diesen einen Staat kannte und kaum Vergleichsmöglichkeiten hatte, zumal nicht mit demokratisch verfassten Gesellschaften, der neigt leicht dazu, das, was er kennt, für unvergleichbar gut zu halten. Nachlesen kann man das alles in sechs Sammelbänden, angefangen von „Westwärts und nicht vergessen. Vom Unbehagen in der Einheit“ (1996) bis zu „Wehe dem Sieger. Ohne Osten kein Westen“ (2009), der in diesen Tagen erscheint.

Jetzt hat sich die Vordenkerin der Linkspartei in die anschwellende Auseinandersetzung um den „Unrechtsstaat DDR“ eingeschaltet und in der Samstagsausgabe des „Neuen Deutschland“ vom 25. April eine ganze Seite veröffentlicht zum Thema „Das Urteil von den zwei deutschen Diktaturen“. Hier vergleicht sie die zwölf NS-Jahre mit den 40 DDR-Jahren und stellt fest, dass die 1933/45 begangenen Verbrechen ungleich milder geahndet wurden als die 1949/89 verübten, die hier freilich nur „Vergehen“ genannt werden. Immerhin findet sie erstaunlich ehrliche Worte für die politische Verfolgung von Menschen, die in demokratischen Staaten für die Wahrnehmung selbstverständlicher Bürgerrechte nie belangt worden wären: „Nicht minder düster die politische Strafjustiz… Erschreckend viele Menschen sind, hauptsächlich  in den ersten fünfzehn Jahren der DDR, unter unsäglichen Beschuldigungen zu unsäglich hohen Strafen unter unsäglichen Haftbedingungen verurteilt worden. Was den juristischen Umgang mit Andersdenkenden betrifft, so ist der Begriff Unrechtsregime allemal gerechtfertigt.“

Um das aufgeschönte DDR-Bild von der „kommoden Diktatur“ (Günter Grass) zu retten, arbeitet sie mit Weglassungen und Umdeutungen. Ein authentisches Bild von der 1945/49 in Mitteldeutschland errichteten Diktatur kann man aber nur dann gewinnen, wenn man die Geschichte der Sowjetunion im Hochstalinismus einbezieht, deren später Ausläufer der SED-Staat war. Dass unter Walter Ulbricht (1893-1973) politische Verfolgung 1945/71 gegen ganze Bevölkerungsgruppen etwas weniger drastisch umgesetzt wurde als beispielsweise in der Tschechoslowakei oder in Ungarn, das hatte Gründe, die nicht in der vermeintlich „humanen“ Gesinnung der SED-Clique lagen als vielmehr in der politischen Situation des geteilten Deutschlands: Die Fluchtbewegung bis 1961 ließ alle Wirtschaftspläne scheitern, und die bloße Existenz einer westdeutschen Demokratie hielt den Terror in Grenzen!

Wenn Daniela Dahn einleitend die „Nürnberger Prozesse“ 1946/49 mit der Ahndung von SED-Verbrechen vergleicht, so kommt sie zum gewünschten Ergebnis, dass DDR-Unrecht „mit ganz anderer Gründlichkeit verfolgt“ wurde. Den Beweis dafür bleibt sie freilich schuldig! In Nürnberg, so schreibt sie, wären nur 24 Angeklagte verurteilt worden und in den Nachfolgeprozessen noch einmal 185. Nach 1989/90 wären aber 75 000 Ermittlungsverfahren geführt und 100 000 Beschuldigte überprüft worden. Dabei habe es 267 Gewaltakte an der innerdeutschen Grenze (264 Tote) und 42 Fälle von Gefangenenmisshandlungen gegeben. Allerdings wären dann nur 46 Straftäter zu Gefängnishaft verurteilt worden.

Diese Argumentation liest man mit Kopfschütteln! In Nürnberg sind also  209 Verbrecher verurteilt worden und für politisch motivierte Straftaten im SED-Staat nur 46. Eine strafrechtliche Aufarbeitung von SED-Verbrechen fand somit nicht statt! Darüber hinaus erwies sich die bundesdeutsche Justiz als unfähig, um zwei prominente DDR-Kriminelle zu nennen, Minister Erich Mielke (1907-2000) und Generaloberst Markus Wolf (1923-2006) zu verurteilen und ihre Verbrechen abbüßen zu lassen. Erich Mielke wurde, so lächerlich das klingt, nur wegen der beiden Berliner Polizistenmorde von 1931 belangt, dafür 1993 zu lediglich sechs Jahren (wegen Mord!) verurteilt und 1995 zur Bewährung entlassen. Verbrechen, die er als Minister für Staatssicherheit 1957/89 begangen hatte, blieben ungesühnt! Auch Markus Wolf, 1993 wegen „Landesverrats“ und 1997 wegen „Freiheitsberaubung“ verurteilt, wurde rasch begnadigt. Wo, bitteschön, wurden hier DDR-Verbrechen „gründlich verfolgt“?  Selbst Egon Krenz (1937), der nach knapp vier Jahren  aus Berlin-Plötzensee entlassen wurde, hatte als „Freigänger“ ein leichtes Gefängnisleben, mit DDR-Verhältnissen in Waldheim und Bautzen kaum zu vergleichen. Dennoch bejammert er in seinem Gefängnistagebuch von 2009 die unwürdigen Haftbedingungen!

Gegen Ende ihrer Ausführungen, und das ist das Erschreckende, warnt Daniela Dahn vor der „Verharmlosung des Nationalsozialismus“, wenn man ihn mit DDR-Verbrechen gleichsetzt: „Eines hellsichtigen Tages könnte dieses Geschichtsbild als Volksverhetzung verklagt werden.“  Freilich nur dann, wenn es der Linkspartei gelingen sollte, im Bunde mit westdeutschen Dummköpfen eine neue Diktatur nach DDR-Muster zu errichten.

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Über Jörg Bernhard Bilke 251 Artikel
Dr. Jörg Bernhard Bilke, geboren 1937, studierte u.a. Klassische Philologie, Gemanistik und Geschichte in Berlin und wurde über das Frühwerk von Anna Seghers promoviert. Er war Kulturredakteur der Tageszeitung "Die Welt" und später Chefredakteur der Kulturpolitischen Korrespondenz in der Stiftung ostdeutscher Kulturrat.