Symptome einer Leistungsgesellschaft: Sozialer Rassismus in Deutschland

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Lassen Sie mich hier kurz auf meine Analyse zurückkommen, zu der ich in dem Essay über die Neuausrichtung der SPD gefunden hatte. Die Arbeitsbedingungen, Arbeitsstress, Ungewissheit, Mobbing oder Bossing, Überstunden, erzeugen die Wut, die Arbeitnehmer nach Rechts treibt. Und dies alles laden sie dann bei den Geflüchteten, Ausländern, Farbigen und Sozialhilfeempfängern ab. Dies ist kurz gesagt die Ursache der Verbreiterung des Rassismus in Deutschland.

Ein uralter psychischer Dynamismus, die Wut, die Leute, die mächtiger sind, als man selbst, bei einem erzeugen, an Schwächeren abzureagieren. Weil man in einer hierarchischen Klassengesellschaft an die eigentlichen Verursacher nicht herankommt, nämlich die Bedingungen nicht ändern kann.

Im Gefolge der Krise 2008 stieg die Rate psychischer Erkrankungen unter Arbeitnehmern um 7,9% (DAK). Dies muss noch vor dem Hintergrund gesehen werden, dass sich viele Arbeitnehmer, aus Angst ihren Arbeitsplatz zu verlieren, nicht krank schreiben lassen. Ein drittel aller Arbeitnehmer gab an, dass sich ihre Arbeitsbedingungen im Gefolge der Krise verschlechtert hätten. Fast jeder zweite Deutsche empfand seinen Arbeitsplatz als stressig und psychisch belastend. Die Arbeitsbelastung ist zu hoch. Es müssen zu viele Dinge gleichzeitig getan werden. Aber eine Wertschätzung der Arbeit findet nur selten statt. Es sind etwa 1,4 Milliarden Überstunden, die sich jedes Jahr in Deutschland anhäufen (IGM, 2011). Fazit: Arbeit in Deutschland macht krank! Und an diesem Bild hat sich auch in neueren Studien nicht viel geändert.

1. Sozialer Rassismus in Deutschland

Jedenfalls ist es bei real 3,5 Millionen Arbeitslosen viel einfacher, seine Aggression gegen Schwächere zu richten, als durch mühselige Gewerkschaftsarbeit bessere Arbeitsbedingungen zu erkämpfen. Zumal man ja an dem System und seinen Protagonisten nichts ändern kann.

Und dies hat fatale Folgen. Obdachlose können durch Rechtsradikale ermordet werden, ohne dass ein Aufschrei durch die Gesellschaft geht. Der Journalist Christian Ungerer hält in seinem Artikel „Woher kommt die zunehmende Gewalt gegen Obdachlose?“ in der Berliner Morgenpost (online) vom 28.8.2018 folgendes fest:

„Gewalt aufgrund von Vorurteilen gegen Menschen, die auf der Straße leben, sieht die Bundesregierung vor allem durch rechtsextreme Täter. Das zeige ein Lagebild des BKA. Nur in wenigen Einzelfällen sei ein politischer Hintergrund einer Attacke auf einen Wohnungslosen nicht zu erkennen. Dass sich Motive der Angreifer oder gar die Tätergruppe ändern, erkennt die Bundesregierung nicht. Den Aufbau eines speziellen polizeilichen Registers von Übergriffen gegen Obdachlose hält das Bundesinnenministerium nicht für notwendig.“

Für acht Mordfälle an Obdachlosen zwischen den Jahren 2011 bis 2017 geht das Bundeskriminalamt laut Ungerer davon aus, dass die Täter Rechtsextremisten gewesen sind. Doch die Dunkelziffer ist hoch. Als ich 1991 hier in Konstanz obdachlos war, war auch gerade ein Obdachloser im Wald ermordet worden. Niemand wusste, warum oder von wem.

Die geistigen Brandstifter dieses sozialen Rassismus findet man direkt in den Reihen der Christlichen Union, dem Koalitionspartner der SPD. So bezeichnete Herr Stracke, damals MdB der CSU, am 11.9.2014 in einer Rede vor dem Bundestag Arbeitslose als „faule Grüppel“. Im Rheinischen Wörterbuch (online) findet man dazu die Erläuterung, dass damit Hautpickel oder Pustel gemeint sind. Hier werden Arbeitslose also mit körperlichen Fehlbildungen verglichen. Und Fehlbildungen müssen oft entfernt werden oder können auch bösartig werden.

Und die SPD hat schon lange auf einen solchen Kurs eingeschwenkt. Die Journalistin Ulrike Winkelmann kommentierte aus Anlass der Debatte zum sogenannten Hartz-IV Optimierungsgesetz in ihrem Artikel vom 11.5.2006 in der Taz (taz archiv – online) die Haltung des damaligen Arbeitsministers Franz Müntefering:

„Der Abgeordnete Ottmar Schreiner, SPD-Kritiker der Hartz-Gesetze schon 2003 und 2004, erklärte, dass die geplante Überwachung Arbeitsloser völlig unverhältnismäßig sei, verglichen etwa mit der Kontrolle von Steuerhinterziehern. […]

Auf besonderen Zorn stieß bei Schreiner wie seinen wenigen Unterstützern, dass Arbeitsminister Franz Müntefering das Gesetz mit einem Zitat des Ursozialdemokraten August Bebel begründete: ‚Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.‘ “

Bebel hatte dies jedoch daran geknüpft, dass alle Arbeitsmittel sich im Besitz der Gesellschaft befinden. Nun, einige Rechtsextremisten haben Herrn Müntefering inzwischen scheinbar wörtlich genommen und dafür gesorgt, dass acht Personen, die nicht gearbeitet haben, jedenfalls auch nicht mehr essen.

Dabei will ich auf keinen Fall sozialen Rassismus gegen ethnischen Rassismus ausspielen. Ich wende mich bloß dagegen, dass der soziale Rassismus von dieser Gesellschaft vornehm unter den Teppich gekehrt wird, indem man sich nur auf den rechten Hass auf andere Ethnien bezieht.

Vielmehr ist meine These, dass diese beiden Formen des Rassismus eng miteinander verzahnt sind. Für mein Buch schrieb ich dazu im April 2018:

„Bei dem neuen Faschismus, der sich heute aus der neoliberalen Ideologie in Deutschland zu entwickeln beginnt, ist das Kriterium dieses inneren Feindbildes vor allem sozialer Natur. Die minder Produktiven werden von den den Produktiven, den Profit-trächtigen getrennt. Flüchtlinge werden weniger als rassisch minderwertige Ausländer, denn als Einwanderer in und Belastung für das Sozialsystem gesehen, also wiederum als ‚Nettostaatsprofiteure‘. […]

Der neue, wie der alte Faschismus bauen auf Nationalismus auf. Aber während letzterer rassistische Ressentiments in erster Linie bediente, schließt ersterer direkt an die Ressentiments des Sozialneids und die Elemente der sozialen Ausgrenzung an, die durch den Neoliberalismus entwickelt wurden (z.B Wohnraumverdrängung durch Gentrifizierung der Städte).“ ([1], p. 22/23)

Begründet habe ich diese Aussagen unter anderem damit, dass der ehemalige Sprecher der AfD, Konrad Adam in der Welt (online) im Oktober 2006 seiner Ansicht Ausdruck gegeben hatte, dass „Nettostaatsprofiteuren“ das Wahlrecht entzogen werden sollte. Also geht es gegen sozial Schwache, nicht in erster Linie gegen Ausländer oder Menschen anderer Ethnien. Die dazugehörigen Zitate finden sich, wenn die geneigten Leser(-innen) diese nicht schon aus der Öffentlichkeitsarbeit der Partei Die Linke kennen, in meinem Buch: ([1], p. 19/20).

Und all diese Protagonisten des sozialen Rassismus, diese Politiker, die sich jederzeit Gehör verschaffen können und selbst gute Einkommen beziehen, aber gegen die Underdogs der Gesellschaft hetzen, dürfen ihrer Markierung als geistige Brandstifter und Mit-Verantwortliche für die rechten Morde an Obdachlosen und anderen sozial Schwachen nicht mehr entgehen.

2. Gegendarstellung zur dem sozialen Rassismus zugrundeliegenden Ideologie

Lassen Sie mich, um den Kontext der Erörterung zu eröffnen, hier kurz ein besonderes Tötungsdelikt darstellen, das damals 1976 im Siepesteig in Dahlem in Berlin stattfand, als meine Mutter nach dem Unfalltod meines Vaters mit uns beiden Kindern dort gewohnt hat. In der Straße wohnte ein körperbehinderter Junge, Christoph, der an den Rollstuhl gebunden war. Eines Tages hieß es, der Vater habe seine Familie mit dem Beil erschlagen und das Haus angezündet, weil der Junge nicht arbeiten konnte.

Hier zeigt sich jene Überbewertung der Erwerbsarbeit, die in der Leistungsgesellschaft üblich ist. Wenn der Wert eines Menschen sich allein an der Leistung bestimmt und insbesondere daran, ob jemand Arbeit hat oder nicht, dann werden solche extremen Handlungen möglich.

Und im Sinne eines konstruktiven Journalismus braucht es Argumente, um die Menschen davon abzuhalten, die Entwertung des Menschen, der nichts (im üblichen Sinne) leisten, aber viel sein kann, in solche Taten umzusetzen.

Ich möchte dazu erst einmal zu dem: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“, wie Franz Müntefering es angewendet hat, ein Gegenzitat aufbringen, nämlich von Rosa Luxemburg. In ihrem Essay: „Tolstoi als sozialer Denker“ zitiert sie diesen mit den Worten:

„Der Stolz der Ameise auf ihre Arbeit macht nicht nur die Ameise grausam, sondern auch den Menschen.“

Das möchte ich einmal ganz klar diesen rechten Hetzern und ihren Helfershelfern aus der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft ins Stammbuch schreiben. Eine Gesellschaft, die den Wert des Menschen nur nach seiner Leistung bemisst, wird letztlich zu einer unmenschlichen Gesellschaft. Und niemand braucht sich das gefallen zu lassen, auch der Vater von Christoph hätte es sich nicht gefallen lassen sollen.

Es war – wie mir mein ehemaliger Religionslehrer, Herr Rudolf Wein, in seinem Unterricht vermittelt hat – eine der wichtigsten Aussagen des Nazareners, dass der Wert eines Menschen nicht von seiner Leistung abhängt. Ich formuliere dies heute für meine West-Afrikanische Freundin etwas vollständiger so:

„Ich liebe Dich nicht wegen Deiner Fähigkeiten, aber ich liebe auch Deine Fähigkeiten.“ (auf englisch)

Also im deutschen sage ich: „Ich liebe Dich nicht wegen Deiner Leistung, aber ich liebe auch, was Du kannst.“ Und wie toll („fähig“) sie sich ihre eigene Ausbildung von meiner Unterstützung organisiert hat. Ich sage auf englisch nicht „Leistung“ sondern englisch „capacities“, weil die Konnotation des deutschen Wortes nicht direkt in das englische übersetzt werden kann („power“ stimmt hier nicht).

Und diese erweiterte christliche Philosophie sollte der Leitgedanke sowohl für die Entwicklungszusammenarbeit, als auch für die Umwelt- und Sozialpolitik sein.

Um der Liebe willen, die unabhängig von der Leistung des Menschen ist, wird den Menschen die Realisierung ihrer sozialen Menschenrechte zuerkannt, nämlich der Freiheiten von: Sauberem Wasser, gesunder Nahrung, Kleidung, Unterkunft, Gesundheitsversorgung, Mobilität, Kommunikation, Information, Kultur, Lebensprojekten, Bildung und Altersversorgung, sowie Unterhalt und Fürsorge während der Kindheit. Alles in allem Freiheiten, die in Deutschland mit einem Wert von 1250 Euro monatlich (plus Krankenversorgung und Monatskarte für den Nahverkehr) ungefähr realisiert werden können.

Und um der Liebe zu ihren Fähigkeiten willen – um ihr Glück durch diese verfolgen zu können – wird den Menschen die Teilhabe an der Arbeitswelt ermöglicht und angeboten, dass heißt für sinnvolle Ziele, für akzeptablen Lohn, zu akzeptablen Arbeitszeiten und unter akzeptablen Bedingungen zu arbeiten.

Und dazu zählt auch die globale Realisierbarkeit dieser Konditionen, denn sonst würde die Welt immer in einer Eiszeit rechter Diktaturen oder (schein-demokratischer) Semi-Diktaturen erstarren. Deshalb müssen das Bevölkerungswachstum gestoppt werden und besser das Bevölkerungsniveau global gesenkt werden, das ökonomische Wachstum und der Konsum auch nach oben begrenzt werden, nicht nur nach unten, deshalb sollten grüne Technologien eingeführt werden, aber auf eine rohstoffsparende Weise, und deshalb sollte die Landwirtschaft reformiert und transformiert werden (optimiert für die CO2-Absorption durch Humusaufbau im Boden und unter Vermeidung und Reduktion der Nutztierhaltung).

Dies ist die globale Realisierung von Frieden, Liebe, Glück, Harmonie und (sozialen) Menschenrechten, die in unserer Zeit noch möglich ist. Dies ist auch die kürzeste Fassung meines Projektes einer globalen politischen Strategie. Diese erscheint hier als die Rationalität der Liebe.

Wie ich schon in dem Essay zur Neuausrichtung der SPD geschrieben habe, werden Arbeitnehmer im Hochkapitalismus nicht durch ihre Faulheit arbeitslos, sondern durch die Hyperrationalisierung in dem System, also durch die Automatisierung der Produktionsprozesse. Und dann dienen sie immer noch als Reservearmee von Arbeitskräften. Damit ist aber dem Sozialneid der Boden entzogen, denn nun könnten ja Arbeit und Einkommen durch Arbeitszeitverkürzung auch auf alle Arbeitskräfte gleichmäßig verteilt werden. Jedoch die Deutschen wollen ja SUV’s kaufen können. Aber das ist nicht die Sache, für die die Arbeitslosen verantwortlich sind. Dies nur zur Ergänzung dessen, was ich dazu schon in dem vorgenannten Essay gesagt habe.

Altbundeskanzler Gerhardt Schröder: „Es gibt kein Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft.“ Selbstverständlich gibt es ein Recht auf Faulheit! Faulheit ist positiv ausgedrückt Freizeit. Die Arbeitnehmer haben selbstverständlich das Recht, Produktivitätssteigerungen in mehr Freizeit oder mehr Konsum für sich umzusetzen, die beiden Verheißungen der industriellen Revolution.

Die Sängerin des portugiesischen Fado, Lula Pena, sagte kürzlich im Deutschlandfunk: „Zeit enthüllt die Wahrheit.“ [2] Es ist eine alte Weisheit, dass Menschen, die in ihrem eigenen Rhythmus arbeiten, letztlich mehr Inspiration, mehr Wahrheit realisieren können. Und Wahrheit hat diese Gesellschaft im Moment bitter nötig.

3. Autoritäre Erziehung als Ursache der Unfähigkeit, Freiheit zu denken

Bernhard Buebs Ansichten, dass die Jungend zu wenig Respekt habe, möchte ich hier meine Analyse autoritärer Erziehung entgegensetzen. Der Rektor aus Salem war ja mal im Deutschlandfunk, um seine Ansichten vorzustellen. Als Beispiel für den Mangel an Disziplin oder Respekt sprach er von einem Schüler, der ein Stück Kreide aus einem anderen Klassenzimmer holt und sich nicht dafür bedankt. Nun mir ist zunächst mal dazu eingefallen zu fragen, warum der Schüler sich denn überhaupt dafür bedanken soll, dass nun ein Stück Kreide da ist und der Unterricht weiter gehen kann. Ein gesunder Schüler, der nicht schon durch die kapitalistische Konkurrenz verdorben ist, empfindet den Unterricht als Freiheitsberaubung, als Ärgernis, das ihn am Spielen hindert. Warum sollte er sich für etwas bedanken, was ihm in seinen Augen nichts nützt? Und vielleicht ist er auch zu schüchtern, etwas zu sagen. Vielleicht hat es ihn auch geärgert, dass gerade er die Kreide holen muss. Jeder Mensch hat denke ich die Freiheit sich zu bedanken oder auch nicht. Die Konsequenz, dass er, wenn er sich nicht bedankt, vielleicht nichts mehr geschenkt bekommt, ist dann seine Sache oder die der Dummheit der anderen, die ihm nichts mehr schenken. Der Erwachsene muss lernen, das „Nein“ des Kindes zur respektieren, so wie das Kind sich fühlt. Ich habe vor vierzig Jahren bei den Maltesern den langen erste Hilfe Kurs gemacht (obwohl ich dann keinen Führerschein gemacht habe). Es ging da die Geschichte herum von einem verunglückten Motorradfahrer, dem niemand geholfen hatte, obwohl ein halbes Dutzend Leute an der Unfallstelle drum herum standen. Ich habe lange gebraucht, um mir das zu erklären. Ich komme dazu auf den Schüler zurück, der sich für die Kreide nicht bedankt. Er wurde dann also von Herrn Bueb gezwungen, sich zu bedanken. Das wurde nicht nur einmal mit ihm gemacht, sondern hundert mal, bei verschiedensten Gelegenheiten. „Sag danke!“, „Sag auf wiedersehen!“, „Sag guten Tag!“, „Wasch Dich!“, „Räume Dein Zimmer auf!“, „Halt den Mund!“, „Hör auf frech zu sein!“, von früh bis spät, von hinten bis vorne, von den Eltern, vom Rektor, von jedem der stärker ist und dem es deshalb einfällt irgend etwas zu verlangen. Und der im Falle eines „Nein“ sofort losgepisst hat oder irgendwelche anderen Repressalien angewendet hat. Und nun ist dieser Junge erwachsen und steht vor dem Motorradfahrer, der da verletzt mit dem Kopf im Sand steckt, hilflos ist, ihn nicht anpissen kann, wenn er ihm nicht hilft. Und er tut ….. nichts! Das hat viele Gründe. Jetzt kann er mal „Nein“ sagen, ohne angepisst zu werden. Jetzt kann er sich stellvertretend für die Rache am Rektor an dem Motorradfahrer rächen. Und: er fühlt nichts. Der Rektor, die Eltern, alle haben ihn trainiert, gegen sein Gefühl reflexhaft „Ja“ zu sagen: „Bitte schön“, „danke schön“, „Heil Hitler“, egal was eigentlich, denn es dient immer der gleichen Unterwerfung. Jetzt in diesem Moment, wo es darauf ankäme, dass ihm sein Gefühl etwas sagt, hat er keines mehr. Er fühlt nichts mehr, denn sein Gefühl wurde zu oft vergewaltigt. Er weiß nicht, was er selbst will, denn sein eigener Wille wurde systematisch gebrochen. Mit den anderen hat er dabei kein Problem, in denen geht gerade was ähnliches vor oder was anderes, egal. Keiner hilft oder brüllt ihn an zu helfen. So und das ist die deutsche Erziehung dieses Herrn Bueb und ihre Wirkung. Daraus werden entweder knallharte Macker oder gebrochene Psychotiker. Nicht umsonst tritt diese autoritäre Renaissance gerade in einem Moment auf, in dem die Gesellschaft eigentlich umgekehrt, statt etwas zu verlangen, allen Grund hat den Jugendlichen mal zu erklären, warum die Welt eigentlich so beschissen ist (heute morgen habe ich gerade im Deutschlandfunk gehört, 20% Jugendarbeitslosigkeit in der EU – dieser Text von mir ist aus dem Jahre 2011). Und damit die Jugendlichen diese Erklärung, die für die Erwachsenen unbequem ist, auch ja nicht einfordern können, bekommt Bueb soviel Zustimmung, denn er hat das Mittel erfunden oder besser wieder ausgegraben, mit dem jede Frage im Keim erstickt werden kann: den Vorwurf der Respektlosigkeit, das moralische Stigma überhaupt. Bueb scheint auch den perfekten Erwachsenen vorauszusetzen, der durch die Zustände der kapitalistischen Ellenbogenwelt überhaupt nicht in Mitleidenschaft gezogen wurde, in seinem persönlichen Verhalten dem Kind gegenüber. Ich habe einmal beobachtet wie eine Mutter ihren drei-vierjährigen Sohn im Sandkasten anschrie: „Mach Dir nicht die Hosen schmutzig!“ Ja wie soll der Kleine sich denn nicht die Hosen schmutzig machen, wenn er im Sandkasten sitzt? So etwas ist pervers. Es kann die Persönlichkeit zerrütten, wenn es dauernd gemacht wird oder schon bei einem einzigen Mal ein kleines Trauma bedeuten. Und dann wundert sich Bueb über Respektlosigkeit und die Feministinnen beklagen, dass so viele Männer Machos sind. Die Erwachsenen müssten erst mal selbst Vorbild sein, was den Respekt vor dem Kind betrifft, den Respekt vor dessen Menschenwürde und Rechten. Die Eltern sehen sich aber zumeist in der Rolle, das Kind schon frühzeitig an die kapitalistische Hühnerleiter anpassen zu wollen, damit es später dem Chef gegenüber auch „gute Manieren“ zeigt. Dieser vorauseilende Gehorsam findet statt, damit das Kind sich besser im späteren Arbeitsleben bewähren soll. Das erklärt viele dieser Perversitäten und Zumutungen, ändert aber nichts daran, dass der Jugendliche sich ganz instinktiv wehrt. Genau da setzt Buebs Entwaffnungsschlag an und liefert der Perversion die Rechtfertigung, zementiert die Zumutungen der Erwachsenenwelt. Der Erwachsene, der ständig fast unerträgliche Kompromisse im Arbeitsleben macht, wird durch den Widerstand des Kindes gegen die Reproduktion dieser Verhältnisse in den eigenen vier Wänden (oft in der Person des Vaters) mit sich selbst konfrontiert. Bueb bietet die Erlösung, das Kind ist ja nur respektlos. Die Deutschen sind immer noch große Verdränger. Das ist der Kern des Generationenkonfliktes. Als Gandhi Anhänger bin ich gegen Respektlosigkeiten oder Beleidigungen ziemlich unempfindlich. Damit muss ich klarkommen, wenn ich gewaltfrei sein will. Es passiert mir dann aber auch nicht, dass ich aufgrund der verbalen Form einer Äußerung vom Inhalt, von der Kritik ablenke. Meine Schüler sind manchmal auf eine sehr nette Weise frech zu mir. Ein junger Russe kürzlich zu mir in der Jazz Bar: „Geh arbeiten!“ Ich hatte ihm gerade erklärt, was ich arbeite, dass ich Flugblätter und Essays schreibe, dass ich internationale Kontakte pflege, dass ich an einem Buch schreibe. Er meinte Erwerbsarbeit. Was zählt ist das Argument und nur das Argument: „Möchtest Du mich als Sozialist in diesem kapitalistischen Arbeitslager arbeiten schicken?“ Und Maxim: „Du stinkst vor Weisheit“ (hat er anerkennend gemeint). Oder: „Ich hab jetzt keinen Bock auf Deine Erklärungen, Du hast sowieso wenig Plan von Evolutionsbiologie“ Ja so was halt. Und warum? Die jungen Erwachsenen wollen mir vertrauen können. Sie merken, ich merke, ich bin manchmal ein Vorbild für sie. Und da testen sie mich, wie ich reagiere, ob ich dann autoritär auftrete, wie die anderen oder ob sie mir vertrauen können, indem ich cool bleibe, beim Argument bleibe. Die lateinische Sprache kennt da eine gute Unterscheidung. Ich „führe“ nicht durch potestas – Amtsgewalt – sondern durch auctoritats – Ideen, Argumente, Charisma, Empathie.

Ergänzung: Dasselbe Verhalten kann oft sehr verschiedene Gründe haben. So ist es insbesondere mit der Frechheit. Menschen können sich mit den Ellenbogen der Frechheit gegen andere durchsetzen. Frechheit kann ein Aufschrei gegen eklatantes Unrecht sein. Aber beim Kind hat Frechheit oft einen entscheidenden Grund: Sie hilft die Frage zu beantworten, ob ich mit meinen Besonderheiten und meinem Anderssein in dieser Umwelt geliebt werde oder jedenfalls am Leben bleibe?

4. Innere und äußere Unfreiheit: Auswirkungen und Zusammenhänge

Einige Textbausteine von mir aus dem Jahre 2013: „Arbeit macht frei!“, das ist eigentlich eine Lüge. Für 12 Millionen Menschen in Deutschland ist es so, dass sie arm durch Arbeit sind. Erwerbsarbeit heißt ausgebeutet werden mit allen Mitteln. Es macht niemals wirklich frei. Was frei macht, ist Geld. Einkommen über dem Existenzminimum bringt Freiheiten. Nur die Reichen können das Arbeitslager temporär oder dauerhaft verlassen. Nur die Reichen können sich Zahnimplantate leisten, die beste Art der Behandlung für Zahnlücken. Es gibt immer noch eine geschätzte Zahl von 800 000 Menschen in Deutschland, die überhaupt keine Krankenversicherung haben (Deutschlandfunk, 1.11.2013). Nur die Reichen können eine ausländische Frau heiraten, mir bleibt es versagt, meine afrikanische Freundin zu heiraten. Nur die Reichen haben das wirkliche Recht auf Privatbesitz, auf selbst genutztes Eigentum. Das Zimmer, in das sie mich jetzt gesteckt haben ist so klein, dass ich einen wertvollen Teil meines Eigentums dort nicht unterbringen konnte (viele Bücher etc.). Diese Affenkäfige, in die die Armen eingepfercht werden, sind eine indirekte Form der Enteignung: Kalte Enteignung, sage ich. Durch den Wohnungsmangel findet man ja auch keine Wohnung, die die zugestandenen 30 m² gerade realisiert. Meistens muss man sich deshalb mit einer viel niedrigeren Fläche abfinden. Deshalb müsste die zugestandene Quadratmeterzahl viel höher sein, um das persönliche Eigentum eines 50jährigen Philosophen unter zu bringen. Nur die Reichen werden wirklich gut, unabhängig und nach ihrem eigenen Willen, rechtlich vertreten. Nur die Reichen können sich dagegen schützen, von irgendeinem Kapo der Vermieter denunziert zu werden, wenn mal etwas geringfügige Unordnung im Zimmer ist. Nur Geld kann einen davor bewahren erniedrigt zu werden, zum Beispiel indem man aus dem Internetkaffee geworfen wird, weil die billigen Tastaturen dem Unternehmer zu laut klappern. Nur die Reichen werden in Deutschland wirklich respektiert. Freiheit, das sind konkrete Möglichkeiten, nicht hypothetische Rechtseventualitäten. Das Existenzminimum wird schon für die Aufrechterhaltung der Zwangsdisziplin in dem Arbeitslager nötig gemacht. Es soll ja schließlich keine Unruhen oder gar eine Revolution geben. Freiheit und Menschenwürde beginnen jedoch erst oberhalb des Existenzminimums.

Es gibt nur eine Hinsicht, in der Erwerbsarbeit frei macht und das ist die Befreiung von dem System der Zwangsmaßnahmen und Repressionen, die sie bewirkt, wenn man sie nicht hat. Aber das hängt nicht mit der Erwerbsarbeit selbst zusammen, sondern ist eine sich selbst erfüllende Prophezeiung dieses Systems.

Eine weitere Analyse führt mich auf folgendes. Die Wiederkehr des Faschismus würde in der gegebenen gesellschaftlichen und politischen Situation (nach dem ersten Faschismus) gewiss in Stufen erfolgen. Welche Stufen sind das? Diese Taktik, vergleichbar der „Kriegführung niedriger Intensität“ („low intensity warfare“), die die Gerichte und der Betreuer bei mir anwenden, ist nur die erste Stufe. Dabei wird die Rechtslage unterhalb der Wahrnehmungsschwelle der Öffentlichkeit gebeugt, verdreht und gegen die Underdog-Minderheiten angewendet, um sie an das System anzupassen. Die zweite Stufe wäre dann die Verrechtlichung der ersten. Und in der dritten Stufe ist die Rechtslage dann wieder ziemlich egal, denn dann werden alle unangepassten Elemente einfach wieder abtransportiert (wohin wohl diesmal?). Ich sage nicht, dass das schon bald soweit wäre, noch dass die beiden anderen Stufen überhaupt eintreten müssen. Aber in der kommenden, rohstoffknappen Zeit sind diese Stufen sehr wahrscheinlich. Deshalb und weil keine dieser Stufen erstrebenswert ist, sage ich wie alle Antifaschisten: „Wehret den Anfängen!“

Wissen Sie, mir ist da vieles seit langem klar und ich bin einer der seltenen Vögel, die immer schon vor allem und in erster Linie für die Menschheit gearbeitet haben, also ganz unabhängig von dem, was ich davon habe, genau an den Problemen dieser Leute. Mit 16 Jahren habe ich da ganz ausgefallene Ideen entwickelt, wie man das Welternährungsproblem und das Friedensproblem (oder besser Unfriedensproblem) lösen könnte. Man kann diese abweichende Mentalität auch ganz gut begründen, indem man so etwa sagt: „Wenn es allen gut geht, dann geht es auch mir gut, denn ich bin ja auch einer von „allen“ und dann gibt es auch niemanden mehr, der dafür sorgen will, dass es mir schlecht geht, weil er mich beneidet.“

In 50 Jahren ist das Öl spätestens zu ende. Mit denen da draußen schwant mir dann gar nichts Gutes – Rohstoffkriege, Malthussche Falle u.s.w. und wieder wird einer es auf den anderen schieben. Spekulationen auf den Märkten für Währungen, Öl und Lebensmittel und eine weltweite Differenz zwischen Nachfrage und möglicher Produktion werden die Triebfedern der Konflikte sein. Rohstofferschöpfung, Klimawandel, hohe Bevölkerungsdichte, Staatsverschuldung und Umweltverschmutzung werden sich zu einer bedrohlichen Situation überlagern. Wenn es (wieder?) nicht für alle reicht, wird sich der von Medien wie der Bildzeitung gelenkte Mob schnell einig werden, dass man dieses faule Gesindel (s.o.) nun nicht mehr durchfüttern wird. Im Kraftfeld der Evolution wird eine Züchtung nach Leistung + Anpassung stattfinden (Haare schneiden, Wäsche waschen, Zimmer aufräumen, nicht frech sein, zu den Tätern schön „bitte“ und „danke“ sagen – mein Betreuer hat mit seinen Unterwerfungsaktionen bei mir das Werk schon begonnen – Friss Vogel oder verrecke – darf wörtlich genommen werden. Er ist wirklich nicht einmal der schlimmste aber ein raffinierter Fall). Über diese Sache kann man nachdenken? Das ist auch für mich anstrengend das zu schreiben, aber es ist viel besser, es jetzt gleich aus zu sprechen, als viel zu lange zu warten, bis es dann unumkehrbar ist. Und an diesem Problem arbeite ich mit meiner Traumkultur- und Humanökologieidee. Ich war im Tränengashagel bei den großen Demonstrationen um 2000 in Prag, Nizza und Genua und habe für eine bessere Welt gekämpft. Für Afrika und Asien habe ich 1500 Euro Entwicklungshilfe (Bildung, Lebensbedarf) von meiner Erbschaft gespart (von den 800 Euro „Taschengeld“, die ich im Monat erhalten habe, d.h. 1200 Euro monatlich minus der Miete von 400). Nebenbei auch so eine Sache, dass in diesem christlichen Land dem Arbeitslosen bevor er Hartz IV bekommt das Recht auf Nächstenliebe vorenthalten wird, ich eigentlich nichts von meiner Erbschaft verschenken durfte. Es ist eben Entwicklungshilfe, das ist eine Investition, kein Geschenk.

Nun stellt sich aber die Frage, ob nicht mehr Mittel und Aufmerksamkeit auf die Veränderung der Strukturen investiert werden sollten, statt lediglich in konsumptive Entwicklungshilfe oder Kleinprojekte der Selbsthilfe, die nur Tropfen auf dem heißen Stein sind. Als Philosoph, der auch politischer Aktivist ist, habe ich deshalb außerdem an einem vollständigen politischen Konzept gearbeitet, um die Probleme der Gesunden in einem Ansatz ganzheitlichen und vernetzten Denkens zu lösen.

Die humane Situation. Das Layout dieses Textes ist einem Ritual aus meiner ersten Schizophrenie nachempfunden: „Dive deep down into the earth and flung up to the new sky like a beam of light“. Motivation nach der Einsicht in den kollektiven Schatten. Anders hält es niemand aus. Das ist genau die Bewegung, die die Menschheit jetzt vollziehen sollte, vollziehen muss, um menschenwürdig zu leben, nicht nur zu überleben.

In Afrika, als der Betreuer einen Schub bei mir ausgelöst hatte, habe ich dies gleich zum Anlass einiger theoretischer Betrachtungen genommen. Der vollständige Satz: „Die Schizophrenie entwickelt das Leben, aber die Schizophrenie ist nicht das Leben.“ Die nicht entwickelte Schizophrenie kann der unverhältnismäßige, der ungerechte, der nicht richtig verstandene Tod sein oder ein tiefer Blick in den Abgrund, den historischen Schatten. Dieser Zustand dauert mindestens so lange, bis die humanökologische Stabilisierung gelingt.

Aber die tiefere Einsicht ist: Die Schizophrenie entwickelt nicht nur das Leben, sie ist das Leben, mit der Schizophrenie beginnt erst das wahre Leben: Schlangen, Fische, Vögel, Hase (als Kulturbringer auf häuslicher Ebene), Sonnenpenis. Und zwischen diesen beiden Polen gibt es einen Cross-Over. Denn der gefährliche Pol schützt ja auch das Leben (durch seine paranoiden Warnkomplexe) und der Wunder-Pol ändert ja nicht die Härte dieser Welt per se. Wie entwickelt die Schizophrenie eines Fisches (des Kulturbringers auf historischer Ebene) heute das Leben? Auf dem Banjul-Highway im Taxi, frei, gefährlich aber frei, kam es mir, als ich den Rauch aus dem Auspuff des viel zu starken Motors des Taxis vor mir sah: Wir verfahren hier jetzt schon viel zu viel Benzin. Die Agrarkrise wird vor der Rohstoffkrise durch ein „Umkippen“ der globalen Landwirtschaft in Folge des Klimawandels kommen. Und die Erdöl- und Erdgasreserven wurden zu hoch geschätzt, beide Krisen werden dicht aufeinander folgen. „Transcendent Truth“ (Jan Brouwer), die mich ernüchternd trifft. Das ist die Wahrheit, die mir der seltsame gambianische Winterwind auf dem Banjul-Highway zugetragen hat. Ob es wahr ist? Es ist ernst genug, dass es wahr sein könnte. Es ist das, was das Selbst eben jetzt sagt (2011 in Afrika). Es weiß etwas, es weiß nicht alles, die Wahrheit (westlich: als Fakten) entsteht erst im Prozess des geglaubt Werdens seiner „Wahrheit“ (östlich: als Orientierung). Das ist die erste Regel des symbolischen „Spiels“ (Wittgenstein) des Geistes, der Schizophrenie in meiner Psychologie.

5. Ausblick: Warum eine neue globale Finanzarchitektur?

Es geht mir dabei um das übergeordnete Projekt der globalen politischen Strategie. Meiner Ansicht nach ist es damit so, wie mit dem Flügelschlag eines Schmetterlings auf dem Mond, der einen Hurrikan auf der Erde auslöst (eine bekannte anschauliche Beschreibung der physikalischen Chaostheorie).

Wenn die SPD jetzt nicht auf dieses Basiselement einer neuen globalen Finanzarchitektur eingeht, dann ist der richtige Moment vorbei, dann wird die Welt am Ende langfristig in der Eiszeit rechter Diktaturen und Semi-Diktaturen erstarren.

Lassen Sie mich hier noch einmal auf die entscheidende Analyse in meinem Buch zurückkommen:

„Diese neuartige Organisation des globalen Finanzsystems hätte viele Vorteile. Sie würde zu einem ökologischeren Kapitalismus führen, sie würde die Fluchtursachen in den Heimatländern lösen helfen (und Länder, die Flüchtlinge aufnehmen könnten dafür belohnt werden), damit können weltweit Armut und Hunger bekämpft werden und es gäbe keinen Widerspruch mehr zwischen Austeritätspolitik und Investitionspolitik. Alles in allem wäre mein Projekt die notwendige Korrektur der ökonomischen Ursachen des Rechtspopulismus.“ ([1], p. 226)

Dabei geht es also ganz entscheidend auch um die Bekämpfung des Rechtstrends auf globaler Ebene, die unerlässlich für den Weltfrieden ist und auch um ein Abebben der Migration. Und letzteres ist entscheidend, um den Rechtsruck in der deutschen Gesellschaft zu vermeiden oder umzukehren.

Nein, der Teil der Weltbevölkerung, der sich in ungünstigen ökonomischen Umständen befindet und sich aber die Schlepper leisten kann, kann sich nicht hier in Deutschland konzentrieren! Das ist völlig unrealistisch und auch unvernünftig. Warum sollen die Menschen denn nicht in ihren Heimatländern leben und dort ein gutes Auskommen haben? – Wofür mein System eine entscheidende Voraussetzung wäre.

Und was die kriegsbedingte Migration betrifft, so ist es geeignet zu verhindern, dass junge Männer aus sozialen Gründen zu Kombattanten werden müssen, und als Transfer in die Entwicklungsländer kann es das bisherige Bevölkerungswachstum auffangen.

Diese historische Verzweigung (Hurrikan oder nicht, keine neue globale Finanzarchitektur oder Initiative in der SPD zu ihrer Implementierung) wird etwas unterhalb der vorgehend zitierten Stelle in meinem Buch deutlich:

„Diese neue globale Finanzarchitektur ist somit sicherlich eines der wichtigsten Projekte für die Menschheit in unserer Zeit. Dieses Projekt würde für die Jetztzeit der Menschheit bereits viel bringen. Gleichzeitig würde die Menschheit dadurch an Kooperation gewöhnt, so dass zu hoffen wäre, dass sie auch in der rohstoffarmen Zeit dann kooperiert. Dagegen gewöhnt der Neoliberalismus die Menschheit an ein Gegeneinander, so dass zu befürchten ist, dass sich während der kommenden rohstoffarmen Zeit ein Kampf aller gegen alle entwickeln würde. Damit steht die Menschheit heute an einem historischen Scheideweg.“ ([1]. p. 227)

Aber wie sollen die Einkommen für die Erfüllung der sozialen Menschenrechte aller erzeugt werden? Unter Rot-Grün wurde über 5 Jahre hinweg in mehreren Stufen bis zum Jahre 2005 der Spitzensteuersatz schließlich im Umfang von 31 Mrd. Euro jährlich gesenkt, um vorgeblich Arbeitsplätze zu schaffen, nicht um den Reichen Geschenke zu machen. Nach der Prognose des renommierten Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung sollten durch die Investitionen und den Konsum, die dadurch angeregt würden, 50 000 neue Arbeitsplätze entstehen. Aber hätte der Staat dieses Geld direkt in Arbeitsplätze, zum Beispiel im öffentlichen Dienst investiert, kann man leicht ausrechnen, dass mit dieser Summe fast eine Million Arbeitsplätze mit einem Bruttoeinkommen von 3000 Euro monatlich hätten finanziert werden können. Dennoch lassen sich die Interessen der Reichen stets mit dem stereotypen Verweis auf gefährdete oder zu schaffende Arbeitsplätze durchsetzen.

Warum ist diese Angebotspolitik so ineffizient (nur 50 000 neue Arbeitsplätze)? Vergleicht man die Sparguthaben der Deutschen von 4,71 Billionen Euro im Jahre 2011 mit dem monetären Wert der Realökonomie, also dem Wert aller Produktionsmittel und Immobilien, so macht dieses Investitionsvolumen tatsächlich 2/3 der Realökonomie aus. Der Wert der Produktionsmittel und Immobilien betrug im Jahre 2011 ganze 6,14 Billionen Euro. Also war damals schon eine Geldblase vorhanden, die für rentable Investitionen in die Realökonomie überdimensioniert war. Zwei drittel der Realökonomie bestand aus investierten Krediten (der Banken, wo die Sparer ihr Geld geparkt hatten). Dennoch wollen die Reichen immer mehr Geld. Heute ist das Geld der Sparer längst durch billiges EZB-Geld ersetzt worden, weswegen die Zinsen in den Keller gegangen sind. Na also, es geht doch, Investitionskapital bereit zu stellen, auch ohne Steuergeschenke an die Reichen zu machen.

Tatsächlich erzeugt heute immer mehr Export immer weniger Lohnvolumen für Grundbedürfnisse, da die Schere zwischen Löhnen und Unternehmensgewinnen sich weit geöffnet hat. Der Investitionsgüterkreislauf der Realwirtschaft, dort wo die Löhne und Gehälter der Wohlhabenden herkommen, wird immer weiter aufgebläht gegenüber dem Bedarfsgüterkreislauf für Grundbedürfnisse. Und hierin liegt die Misere eines unökologischen und unsozialen Kapitalismus der Gegenwart. Der „heterogene Arbeitsmarkt“, von dem ich in dem Essay über die Neuausrichtung der SPD sprach, ist dadurch entstanden, dass die Exportwirtschaft Arbeitskräfte und Ausbildung bindet, die dann von anderen Bereichen des Arbeitsmarktes abgezogen werden, so dass die Arbeitnehmer in diesen Mangelberufen, insbesondere Pflege und Hotelgewerbe, sich die niedrige Bezahlung, den Arbeitsstress, allgemein die schlechten Arbeitsbedingungen in diesen Branchen nicht mehr gefallen lassen. Ja Moment, dies sind die Kräfte des Marktes!

Und hiermit kommt man in manchen Berufen meinem im zweiten Unterkapitel formulierten Ideal der Arbeit schon ziemlich nahe. Es geht doch darum, dass die Industrielle Revolution nicht immer mehr Überstunden und Arbeitsstress hervorbringt, je weiter sie fortschreitet. Also dass die Menschen mehr arbeiten müssen, obwohl mit weniger Arbeitsstunden für ihre Bedürfnisse immer mehr produziert werden kann?! Wir müssen die Verheißungen der Industriellen Revolution von unseren Politikern einfordern lernen. Und die Jugend macht es vor.

Aber immer noch wird ein großer Sektor an prekärer Arbeit von den höheren Einkommensgruppen für ihren Konsum ausgebeutet. Ein entscheidender Grund, meine neue globale Finanzarchitektur einzuführen, die einen unteren Lohnstandard deutlich oberhalb des Existenzminimums setzen würde.

Nur so kann die Menschheit ihre Geschichte überholen, indem sie die Herausbildung rechter Diktaturen durch die Globalisierung sozialer Menschenrechte verhindert. Die strukturelle Ursachen des Rechtsradikalismus müssen angegangen werden, es ist zu wenig, nur über die ideologischen Symptomen zu diskutieren. Es sollte spätestens für den Anfang des 22sten Jahrhunderts ein stabiler Fixpunkt angestrebt werden, zu dem sich Senkung des Bevölkerungsniveaus, Null-Wachstumskapitalismus und Umschichtung des bestehenden ökonomischen Niveaus treffen, so dass die Erfüllung ökologischer und sozialer Belange zugleich in egalitären, friedlichen und kosmopolitischen Gesellschaften zusammentrifft.

Referenzen:

[1] Alexander Sigismund Gruber: „Elemente einer globalen politischen Strategie – Wie die Menschheit besser kooperieren kann“, Verlagshaus Schlosser, 2019,

ISBN 978-3-96200-276-3

[2] Deutschlandfunk, Lied- und Folkgeschichte(n), Anke Behlert: „Fado: Zwischen Tradition und Moderne“, 6.3.2020