Annullierung des Menschen aufgrund der bundesdeutschen Sozial-Bürokratie – Oder: Wie die Kritische Theorie bereits etwas beschreiben konnte, was momentan wieder zu den Erscheinungsweisen des politischen, sozialen und rechtlichen Systems gehört.

»Dem Bewusstsein ist es unangemessen, den Tod als absolutes Nichts zu denken, das absolute Nichts denkt sich nicht. Und wenn dann die Last des Lebens sich wieder auf den Hinterbliebenen legt, erscheint die Lage des Toten ihm leicht als der bessere Zustand.« (1)
Beraubung, damals wie heute: Theodor Adorno und Max Horkheimer schrieben die meisten der an dieser Stelle verwendeten Gedanken bis zum Mai 1944 in Los Angeles auf. Es besteht heutzutage Veranlassung, an der Aktualität der vor über 70 Jahren verfassten kleinen Schrift (Dialektik der Aufklärung) nicht zu zweifeln: die bundesdeutsche Demokratie untergräbt zusehends ihre selbst-verkündeten Grundrechte, der sogenannte Sozialstaat als soziales System wird fortschreitend in ein System der Sanktionen umgebaut, der auf bürokratischem Niveau vollzogene Verlust der Grundrechte, für sich Beraubung an Rechten, findet seine praktische Entsprechung in dem Verlust sozialer Absicherung und anderer, fürsorglich genannter, sozialer wie individueller Ansprüche, auch dieser Wegfall als Formen der Beraubung. Es handelt sich bei diesen Beraubungen (Deprivation, Privation) um andere, um eine andere Form, als bei der metaphorischen sogenannter Exploiteure menschlicher Arbeitskraft. Es ist nicht nur eine weitere, andere, den Reigen an Beraubungen auf einer Ebene ergänzende, sondern eine qualitativ andere, denn sie beschädigt das Individuum nicht nur infolge ökonomischer Zwänge, wirkt nicht nur auf die Freiheit der Verträge und die soziale Wahlfreiheit ein, sondern beschädigt die menschliche, individuelle Autonomie auch da, wo sie (heteronome) Strukturen (Öffentlichkeit, Normen) schon längst akzeptiert hatte. Gerade jene Differenz der Form der Beraubung, wie sie von der derzeitigen Sozialbürokratie ausgeht, scheint im politischen Diskurs weder ausreichend begriffen, noch hinreichend rezipiert zu sein: die Grundwerte stehen auf dem Spiel. Der Grundsatz der Gleichheit ist nicht nur in einer sozialen Dimension betroffen (etwa was Fragen der gerechten Verteilung oder Teilhabe angeht), sondern in (völlig) substantieller Weise. Damals, als Adorno und Horkheimer ihre Zeilen aufschrieben, war die Erscheinungsweise jenes substantiellen Eingriffs der Rassismus und der politische Chauvinismus, der formal die staatliche Gleichschaltung wurde. Heute können die Erscheinungsweisen variieren, was jedoch damals bereits absehbar war. In die Dialektik der Aufklärung werden Beobachtungen von Demokratie und Exil ebenso Zugang gefunden haben. Bürokratismus ist und war eine Erscheinungsweise der substantiellen Beraubung. Wenn folgend von den Massen die Rede ist, dann sind das nicht nur Unterworfene von Herrschaft, die Bürokratie selbst absorbierte Teile der sogenannten Massen. Sozialbürokratie mutiert aber erneut zum Herrschaftsapparat.

»Es war der Sinn der Menschenrechte, Glück auch dort zu versprechen, wo keine Macht ist. Weil die betrogenen Massen ahnen, dass dies Versprechen, als allgemeines, Lüge bleibt, solange es Klassen gibt, erregt es ihre Wut; sie fühlen sich verhöhnt. Noch als Möglichkeit, als Idee müssen sie den Gedanken an jenes Glück immer aufs neue verdrängen, sie verleugnen ihn um so wilder, je mehr er an der Zeit ist. Wo immer er inmitten der prinzipiellen Versagung als verwirklicht erscheint, müssen sie die Unterdrückung wiederholen, die der eigenen Sehnsucht galt.« (2)

Der Sozialstaat mutiert zum Strafstaat: Strafstaat ist Sanktionsstaat, Sanktionssystem. Das Motiv der Strafe ist natürlich kein neues (Staat und Strafhoheit), neu oder wiederkehrend ist jedoch das Ausufern des Strafmotivs auf Vorgänge, die einerseits zum Bereich des Sozialen gehören, die andererseits durch staatsbürgerliche Freiheiten gedeckt sind. Es ist nur ein Anschein, den das neue Strafsystem der Sozialbürokratie entwirft, dass eine Ursprungsquelle im Vertragsrecht liegt, im Sinn von Vertragsstrafen. Spätestens, wenn die Verträge abgegolten sind, das Strafen aber fortgesetzt, sogar ausgeweitet wird, entlarvt sich die Lüge direkt. Analog wäre ein umfassendes System von Gebühren, die man relativ beliebig für alles Erdenkliche erhöbe. Die Denkart der Sanktion im Sozialen: man solle etwas tun, und wenn man es nicht tut, wird die Regelleistung quasi als Gebühr mehrmonatig eingezogen. Es mag dafür einige Begründungen, Erklärungen geben, etwa, dass man auch die Steuer nicht freiwillig zahlte, oder dass Strafen dazugehören wie der Zins des Zinses, gerade bei Überziehung. Noch problematischer ist das Sollen, welches als Strafgrund gesetzt wird. Das System Sanktion offenbart jedoch weniger kausale und rationale Motive, es handelt sich offenbar eher um Formen der Strafgeilheit, dann auch der behördlichen Kumpanei, die sozial akzeptiert wird, wenn auch nicht von den Betroffenen, aber teilweise selbst dort, was das Irre noch unterstreicht. Warum die Perversion von der Bevölkerung und anderen Instanzen gedeckt wird, ist noch nicht abschließend zu klären. An dieser Stelle ist psychologische Aufklärung der Akteure des Systems Sanktion nicht zu leisten, so wenig wie von der Beziehung politischer Akteure zu ihrem Klientel, ihren Versprechen an Machterfahrung und Konzeptionen angeblicher sozialer Gerechtigkeit. Ernst Bloch bringt es, wenn man nun abstrakter schaut, auf einen nicht abwegigen Punkt: (3) »so wird verhindert, wie Carl Schmitt in betäubendem Zynismus sagt, dass «mittels des positiven Gesetzes Rechtsmissbrauch getrieben werde».« Womit relativ hinreichend auch das Motiv der sozial erzeugten und virulenten Hysterie gegenüber Motiven des Missbrauchs sozialer Systeme (auch heute) angesprochen ist, ergänzt durch die Feststellung neuer Entscheidungsgewalt, die sich in der Lage sähe, das eine Motiv zu nutzen, wie das andere (neusprachlich) zu sanktionieren: »Der «Dezisionismus», das heißt die nackte Befehlsgewalt …, nimmt hier also eine Berichtigung von gesetztem Recht vor …«. Sozialbürokratie kanalisiert (und das merken Klienten relativ direkt) den psychologischen Volkshaushalt der Hysterie, indem sich Sachbearbeiter/innen einerseits als Mitglieder und Abgeordnete einer sog. Volksgemeinschaft aufspielen, von daher als Beauftragte (einer Gemeinschaft der Arbeit), andererseits sich in der Rolle von Vollstreckern der (sozialen) Gerechtigkeit nicht nur selbst wiedererkennen, sondern normativ so behandelt werden. Das ist euphemistisch das Geschäft der Vermittlung. In Zeiten, auf die Bloch ebenfalls zurückschaut, in denen der Vertrag wie das natürliche Grundrecht noch als gute Ideen der Gesellschaft wahrgenommen wurden, die Zeit sich etablierender bürgerlicher Gesellschaft (ca. ab 1800), war Vermittlung (dem Begriff nach) subjektive (Akteure) wie objektive (Institutionen) Entsprechung von Freiheit (Hegel). Diese ideale Konzeption war sicherlich auf breiter sozialer Basis immer auch durch Notwendigkeiten (Marx) ergänzt, die eine Einschränkung der Idee der Freiheit bedeuteten, bzw. diese erst zur Idee hypostasierten. Der nackte Markt der Arbeit und des Überlebens war aber durch soziale Planungen ergänzt, aus der sich historisch gewisse Formen der Verwaltung ableiteten, die soziale Funktionen übernahmen. Die Geschichte der Sozialbürokratie ist an dieser Stelle nicht nachzuzeichnen: wenn überhaupt nicht nur als System der Regulierung von Verwendung von Menschen (Gesinde), dann zumindest rudimentär zum Zwecke, Menschen aus Not, Tod und Sklaventum herauszulösen, um gewisse Standards menschlichen Lebens zu befestigen. Ob es dabei um Wehrkraft, Steueraufkommen, nationale Gesundheit oder andere humane Ideen ging, kann an dieser Stelle egal sein. Mit jedem sozialen Standard, der über sterben, vegetieren, siechen (lassen) hinausginge, hätten sich Aspekte der Freiheit gegen die Not (der Notwendigkeit) durchgesetzt, wenn auch nicht in der Idealform der rechtlich absoluten, möglichen oder verkündeten. Bürgerlich und rechtlich ist der Mensch aber bereits im Vollsinn der Bedeutung frei, d. h. man ist von Anfang an frei, nicht erst im Sinne eines Lebenslohnes. Existenz unfreier Schichten oder niederer Klassen von Gesellschaft, historisch in Deutschland als anderer Stand, bedeutete aus dieser Perspektive (nur), dass nicht alle in den bürgerlichen Stand (damit Standard) gehoben sind, dass noch nicht alle von der bürgerlichen Gesellschaft und ihren Möglichkeiten ergriffen sind. Dieses Ergreifen ist das zentrale Motiv der historischen Entwicklung von Gesellschaft. In einer grundrechtlichen Demokratie geht es nicht anders als dass das Individuum sich und seine Möglichkeiten selbst ergreift und sich demnach auch ergreifen lässt. Weil im Ergreifen das Ergriffensein bestünde. Das ist noch mehrdeutig. Der Kapitalismus als ökonomischer Hintergrund kennt historisch ganz verschiedene Formen des Ergreifens, die bis in die Sklaverei hinabreichen (z.B. Plantagenwirtschaft) und bis zur autarken Persönlichkeit oder Körperschaft (freie Subsistenz auf Grundlage freier Verträge und natürlich freier Ressourcen) oder bis zur Neuschöpfung gegenseitiger Gewährungen (Geschäft, System unterschiedlicher Unternehmungen) sich entfalten. Dienstleistungen, das Arbeiten für jemanden oder Gemeinschaft waren eine Konzession. Das Unternehmen, die Behörde (demokratisch und kapitalistisch) ergreifen nicht einfach nur, sie rekrutieren: die damit verbundene Eignung, bzw. Prüfung der Eignung, findet vor einem sozialen Hintergrund statt, in dem jedenfalls die Idee des Sich selbst Ergreifens noch enthalten wäre, andererseits keine vollwertige Gleichheit beinhalten kann, die dann auch etwas wie Beliebigkeit bedeuten würde. Eine Konzession war demnach die Akzeptanz, letztlich die Förderung, sozialer Differenzierung, auf der Grundlage einer rechtlich prinzipiellen Gleichheit, in der die Vollwertigkeit der Gleichheit einerseits abgedrängt wurde, aus der sie andererseits der Konzeption zufolge stammt. Nicht jeder kann alles tun, weder was die Fähigkeiten angeht, noch was die Verwendung von Lebenszeit und Möglichkeiten betrifft. Damit sind keine rechtlichen Einschränkungen verbunden, jedenfalls nicht Rechte primärer Natur, denn man erwirbt sich sein Recht nicht mittels Tätigkeit. Das ist der Umstand, und ein Grund, warum Bloch (das unterstelle ich mitwissend) im Titel seiner Untersuchung das Wort Naturrecht mit dem der Würde in Relation setzt. Recht ist nicht dadurch natürlich, weil es aus der Natur stammt, weil an ihm die Spuren natürlicher Freiheit und positiver Aktivität abzulesen sind, sondern weil es grundsätzlich eine Erwerbung vor der Zweiten Natur bedeutet, d. h. es ist nicht nur etwas, wozu die Gesellschaft das Individuum macht. Gesellschaft wirkt natürlich darauf ein, aber, und genau das bedeutet der Begriff des Grundrechts, nicht auf die Erwerbung als solches. Was sich einfach darstellen lässt, ist juristisch oder rechtsphilosophisch nicht immer einfach (z.B. Geburt in fremden Ländern wäre Problem, auch Asyl), und setzte einen Jahrhunderte langen Prozess der Ausbildung von Werten und Rechten voraus. Menschenrecht, Naturrecht und Grundrecht, das sind quasi drei als analog zu behandelnde Rechtsfelder, denen Grundwerte sozial abgeleitet werden können, z.B. Leben ohne Angst vor politischer oder weltanschaulicher Verfolgung, ohne Angst vor Staats- oder Terror gewisser Gruppen, Zugang auf Versorgung primärer Grundstoffe (Wasser, Luft, Nahrung, auch Wohnraum, medizinische Versorgung etc). Heute machen es sich Staaten einfacher, wenn sie die Geltung aller drei Rechtsfelder schlicht bejahen, was nicht überall so ist. In Deutschland gelten derzeit nicht nur die Grundrechte der Bundesrepublik, sondern auch des Unionsvertrages Europas, und zwar ebenfalls als positives Recht, das muss vor dem Hintergrund des Hinweises auf Dezisionismus erwähnt werden. Einschränkung kann Wildwuchs treiben. Im europäischen Unionsvertrag sind Grundrechte nochmals in gewandelter Form aufgelistet und teilweise anders sortiert, sowie anders hervorgehoben, so kennt der Unionsvertrag ausdrücklich das Verbot der Sklaverei. Letztgenanntes ist für das Thema der neuen Sozialbürokratie von Interesse, denn das System Sanktion bedeutet eine Hinführung zum wieder virulenten Motiv der Sklaverei auf dem Boden der Alten Welt. Wenn Adorno und Horkheimer im Zitat von Unterdrückung schreiben, dann meinen sie damit (geistige, unbewusste, auf Willensprozesse bezogene, dann sozial-praktische) Unterdrückung, und zwar als selbst geleistete, nicht nur äußerlich verordnete, die Verdrängung genau dieser Tatsache vom Bestehen der Rechte. Wenn sie daraufhin von Sehnsucht schreiben, dann wird damit auf die Tatsache hingewiesen, dass die natürlichen Rechte, das Recht quasi der Ersten Natur nicht identisch, getreu, sondern nur verwandelt in der Zweiten Natur, der von Staat / Gesellschaft, zum Vorschein kommt. Staat / Gesellschaft quittieren bzw. attestieren dieses Recht ja quasi auch erst rückwirkend, pro Geburt, pro Neuzugang, allerdings (demokratisch) frei, d. h. unbedingt, was sich auch nicht durch Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Reichtum änderte, von der Erklärung her pauschal und mit Vorgriff, d. h. für Geltung des Rechtsraumes (Ewige Garantie). Sehnsucht betrifft eine natürliche Gelassenheit, die durch Zwänge des sozialen Apparats nicht mehr möglich erscheint, wobei sie bei relativer Absicherung gesellschaftlicher und menschlicher Bedürfnisse doch möglich wäre. Heute bestehen keine guten Gründe, um von der Geltung und Bedingungslosigkeit abzurücken, am allerwenigsten aus sozialen, ökonomischen Gründen, denn diese bilden eine Basis der Entfaltung ökonomischer Kräfte und des Sozialen. Das SGB ist auch nicht als Notstandsverordnung (außerhalb des Notstands) zu begreifen, derart wird es durch die Sozialbürokratie allerdings (teilweise) gehandhabt.

»Jeder Entsagende gibt mehr von seinem Leben als ihm zurückgegeben wird, mehr als das Leben, das er verteidigt. Das entfaltet sich im Zusammenhang der falschen Gesellschaft. In ihr ist jeder zu viel und wird betrogen. Aber es ist die gesellschaftliche Not, dass der, welcher dem universalen, ungleichen und ungerechten Tausch sich entziehen, nicht entsagen, sogleich das ungeschmälerte Ganze ergreifen würde, eben damit alles verlöre, noch den kargen Rest, den Selbsterhaltung ihm gewährt.« (4)

Sozialbürokratie als Spiegel falscher Gesellschaft: Sozialbürokratie pervertierte den Gedanken der Freiheit, nicht nur den des Rechts allgemein, zur Anmaßung verfügender Normierung. Die Idee der Rationalisierung wird abstrakt als Straffung des sozialen Rechtskörpers medial referiert, wie auch durch Normierung abgedeckt: dadurch tritt das zuvor erwähnte dezisionistische Motiv in einen Hintergrund, ohne dabei zu verschwinden, da es bereits im Akte der (juridischen) Nivellierung aufgegriffen wird, jedoch voll in die Verfügungsgewalt der Ämter einwirkt: soziale Bürokratie wird dem Wesen nach asozial. Intentional betrifft das einen Vorgang der Spiegelung der Eigenschaft der als asozial diffamierten Klienten. Dies gehörte wieder zur erwähnten Hysterie, und den (das könnte man dem Gefühl nach nachzeichnen) wiedererstarkenden Bereitschaften, Meinung nicht zurückzuhalten, und auch von Amts wegen oder auf anderen Posten durchaus bevormundend auszuleben: dem Anschein nach eine Unterwanderung staatlicher Institutionen durch gewisse Weltanschauungen. Dagegen, das lehrt Geschichte, hilft wenig, jedenfalls ab gewissen Punkten nicht mehr die diskrete, formale Teilung in Instanzen des Widerspruchs. Daneben das Motiv des Dezisionismus schlägt also ebenfalls, unabhängig einer offiziell verkündeten Weltanschauung, behördlich so weit durch, dass es zur Beschädigung von Biographien führen kann, gerade weil eine Entscheidung in einem System von Entscheidungen bestünde, formal ist das dann am Ende die Bestandskraft von Entscheidungen, d. h. also: das zur demokratischen Rückendeckung von Ansprüchen entworfene System der gegenseitigen Kontrolle erfüllt seine Funktion nicht nur nicht, sondern wird zur Steigerung von Vorgängen bürokratisch missbraucht, die alles in allem auf die Annullierung menschlicher Rechte hinauslaufen. Es geht pro forma um Pflicht-Begriffe, welche (bzw. deren Inhalt) von einer Seite (bei anhaltender Sanktionierung) abgefordert werden, während sich andere Seiten nicht gebunden sehen, außer zur abermaligen Verkündung. Der Hinweis auf Pflicht nimmt von daher groteske Züge an. Selbsterhaltung, irgendwo auch Pflicht, ist Wortlaut der Subsistenz, die das Soziale sichern sollte.

»Die Steigerung der wirtschaftlichen Produktivität, die einerseits die Bedingungen für eine gerechtere Welt herstellt, verleiht andererseits dem technischen Apparat und den sozialen Gruppen, die über ihn verfügen, eine unmäßige Überlegenheit über den Rest der Bevölkerung. Der Einzelne wird gegenüber den ökonomischen Mächten vollends annulliert.« (5)

Sozialbürokratie ist normativ überregulierter rechtsleerer Raum: Die Idee des Rechts scheitert vielfach an der Illegitimität, die durch Normen stabilisiert scheint. Damit tritt niederes Recht (wenn nicht personales Unrecht) über höheres Recht, und liquidiert den grundsätzlichen Rechtsanspruch vor Erfüllung: Sanktionen werden durch soziale Ziele gerechtfertigt, die ökonomischen Weltbildern entsprechen sollen, dabei gehen sie bis zur Grenze des Todes / Annullierung von Hilfesuchenden. Obdach war Bestandteil des Minimalkonsenses. Tod ist kaum Übertreibung: wer im Geldsystem bedürftig alle Ansprüche gestrichen bekommt, dem wird der Tod zugemutet, selbst wenn man außerhalb der Sozialbürokratie ein Almosen erflehen könnte. Täten dies alle sanktionierten Fälle, ergäbe sich ein Bettelwesen, für das schnell vermutlich abermals soziale bürokratische Anstalten auf den Plan gerufen wären. Die normative wie arbiträre Verfügung über Arbeitskraft, als das Quäntchen Leben im sanktionierten Körper, der die Person ist, wäre unter Bedingungen eines funktionierenden, entfalteten ökonomischen Systems, das ja vorliegt, kaum mit Sachverstand denkbar. Das markiert die Illegitimität in einer ganz rationalen, praktischen, wenig idealistischen Weise. Etwa das Wort Vollbeschäftigung verleitet dazu, politische Probleme in eine bestimmte Richtung zu konstruieren, und Sozialbürokratie legt den Verdacht nahe, in Abhängigkeit solcher Konstruktionen zu stehen. Das bleibt ein weltanschaulicher Rest, teilweise ist es ja nicht mehr. Politisch ergab sich, gerade was aktuelle Sozialpolitik angeht, eine Neigung, Variablen (Freiräume, die sich aus zuvor skizzierter Konzeption der Grundwerte ergaben) durch produktive Normierung abzulösen. Der derzeit angeschlagene Sozialplan beläuft sich, eventuell nur infolge intellektuellen Mangels, auf das Austilgen von Vernunft und Willensfreiheit, oder wenigstens auf Installation einer Vernunft ohne viel Freiheit, was immer das auch sein sollte. Der Mensch als maschinelles Wesen oder als dem Instinkt verpflichtetes Wesen ist noch kein toter: also lebt das Volk (hochgerechnet vom Konzept Mensch) noch (theoretisch). Das wird heute vollmundig als Prinzip des Förderns und Forderns verkauft. Entscheidung und Verweigerung verdichten und steigern sich zum System des Strafens. Über einige Stufen hinweg werden die Antragsteller im Öffentlichen Dienst der Arbeits- und Sozialämter zu Hinterbliebenen ihrer selbst. Hilfe, die Sozialbürokratie dem Menschen, dem je einzelnen Fall, verwehrt, entzieht, vorenthält, ist seitenverkehrt oder erscheint gespiegelt als die Hilfe, die das Volk sich selbst nicht leistet, sozusagen erspart. Das ist eine trügerische Rechnung des Sparens, wie aber allgemein beim Mangel an Investition: der Mensch soll sein Quäntchen in Gemeinschaft investieren, aber diese beraubt sich selbst der Bereitschaft, in den Menschen zu investieren. Das muss einerseits sogar einer sog. Volksgemeinschaft als sündig erscheinen, als Verstoß gegen das Gemeinschaftsprinzip, andererseits ist das Volk ja der trügerische Begriff. Es geht im Problemfeld nicht nur um die konstruierte Situation der Konkurrenz diverser Arbeitskräfte, sondern es geht um ein zu Tode Sanktionieren. Damit löst sich natürlich die Frage der Konkurrenz um Gelder auch (statistisch) irgendwie. Peinlich wird die Konkurrenz als eine zwischen Amt und Bürger/in interpretiert und inszeniert, als ginge es darum, wer von beiden Seiten sich mehr oder weniger legitim durchsetzte. Legitimität hat diese Form von sozialer Bürokratie hingegen längst verloren. Von der anderen Seite sind Modelle der Besitzstandswahrung für diesen Problemzirkel kaum als adäquat zu bezeichnen: wird die Besitzstandswahrung durch die gezielte Verarmung gewisser Menschengruppen inszeniert, verliert sie den inneren Halt an eigener Logik, zumal das Modell des Sanktionierens genau das Gegenteil bedeutet. Wo Bürokraten sich über Leben und Tod anderer aufspielen, herrscht definitives Unrecht. Demokratie geht in Meritokratie über, d. h. Herrschaft nach Verdienst, wobei normativ und arbiträr (im System Sanktion) auf relativ niederer Verwaltungsebene darüber entschieden werden kann, wer es überhaupt verdient, zu leben. Den Klienten als Hinterbliebene ihrer selbst bleibt übrig, die näheren Umstände ihrer Annullierung zu untersuchen. Der inzwischen als Fall-Manager titulierte Sachbearbeiter der Arbeitsämter macht, wenn nicht einfach als Gesinnungstäter, mit dem Mittel der Sanktion analog Unternehmenspolitik wie der wirtschaftliche Manager im Konzern mit dem Mittel der Kürzung oder Entlassung von Arbeitskräften: nur, Freigesetzte lebten noch, vor allem, weil es eine soziale Absicherung geben sollte, die im Zuge früherer Reformierung (sinnvoll und gerecht: da auf Lebensrecht bezogen) kaum nach Historie bedingte. Ein Fundamental-Fehler besteht darin, dass ebenjene Bürokraten ihre Klienten wie Sklaven behandeln, wohingegen Konzerne ihre Freigesetzten sachlich befreien, (nur) wegschicken. Das System Sanktion, für sich demokratischer Skandal schon wegen Gewalt, bürokratischem Chauvinismus und der unterlassenen Hilfeleistung, zieht aufgrund der Tatsache, zu der Ersten Natur keine zweite Erste Natur schaffen zu können, sozusagen als Stauraum für all die weg-sanktionierten Menschen, völlig falsch die Schlussfolgerung: diese müssten dem System wie Sklaven zufallen, mindestens der Verfügungsgewalt der Sozialbürokratie (als Verpflichtung) ausgeliefert sein. Gleichzeitig hämmert man den Massen ein, allein das Strafen sei Pflicht. Die geläufige Erklärung, jener Stauraum sei für sich der Arbeitsmarkt selbst, beweist abermals, wie depraviert und depravierend Sozialbürokratie an ihr Aufgabengebiet herantritt. Sanktionierung negativ soll der in Ökonomie etablierten Rationalisierung entsprechen, kann es aber nicht.

»Wie jedes Buch suspekt ist, das nicht kürzlich erschien, wie der Gedanke an Geschichte, außerhalb des Branchenbetriebs der historischen Wissenschaft, die zeitgemäßen Typen nervös macht, so bringt sie das Vergangene am Menschen in Wut. Was einer früher war und erfahren hat, wird annulliert gegenüber dem, was er jetzt ist, hat, wozu er allenfalls gebraucht werden kann.« (6)

Tarieren des Menschenwertes: Es gibt Erfolgsgeschichten der Vermittlung, das darf man ahnen, Hilfesuchende, die umgeschult, fortgebildet werden, denen Biographie und Horizont sozusagen geweitet werden, weil sie die Bereitschaft dazu aufbrachten, weil harmonisch die behördliche Zielvereinbarung sich zum Leben fügen konnte. Aber, das setzt in gewisser Weise die Akzeptanz des Nichts, das man ist, war, woher man kommt, voraus: die Figur des Bittstellers. Damit erhält sich etwas wie Wertsteigerung. Bedürftigkeit führt zur Nivellierung, bisweilen Novellierung von Qualifikation: irgendeine Erfahrung sei besser als irgendeine Bildung und irgendein Status von Rechten, nicht der Mensch wird finanziert, sondern (wenn überhaupt) der Einsatz in Empirie. Die Demontage und Dekonstruktion von Persönlichkeit, Qualifikation und Biographie bezeugen nicht immer juristischen, ökonomischen Verstand. Je wertloser, desto beliebiger verwertbar: auch so kann der taxierte Wert enden. Dieses widerliche Geschäft ist von Anfang an wohlfeil, nicht erst nach Zurichtung der potentiellen Arbeitskraft durch Sanktion.

Schluss: Der Mangel des Rechtsstaats wird als Bedingung sozialen Fortschritts verkauft.

Berlin 2016 © RA
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(1) Theodor W. Adorno, Gesammelte Schriften Band 3, Dialektik der Aufklärung: Zur Theorie der Gespenster, S. 1490 (vgl. GS 3, S. 243).
(2) Adorno, ebd., II., S. 1408 f. (vgl. GS 3, S. 196).
(3) Ernst Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, Suhrkamp Frankfurt a. M. 1961, S. 173.
(4) Adorno, ebd., Exkurs I: Odysseus oder Mythos und Aufklärung, S. 1191 f. (vgl. GS 3, S. 73).
(5) Adorno, ebd., Vorrede, S. 1099 (vgl. GS 3, S. 14-15).
(6) Adorno, ebd., Zur Theorie der Gespenster, S. 1491 (vgl. GS 3, S. 244).

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Über Rösike Axel 13 Artikel
Vita Axel Rösike, Studium an der Freien Universität Berlin. Magister Artium. Einige Schwerpunkte: Ästhetische Theorie, Kritische Theorie, Konstruktivismus, Systemtheorie, Interpretation klassischer Texte der Philosophie, Philosophie Asiens: Buddhismus, Konfuzianismus. Wertethik, Kulturanthropologie. Entwicklungspsychologie, Selbstkonzept. Tätigkeit als Freier Journalist bzw. Autor.

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