Ausbrüche aus eingemauertem Denken

Der Leipziger Thomas „Knorri“ Renker gab ein Buch heraus, in dem sich Jazz-, Blues- und Rockmusiker, aber auch Liedermacher und Schriftsteller an Jahre und Episoden in der DDR erinnern. Er wirft für unsere Nachfahren die Fragen auf: „Wie lebt man als Künstler in einer Diktatur? Welche Wege geht der Mensch unter den Zwängen einer vereinheitlichten Meinung? Blieben Freiräume zum Durchatmen und zur Ehrlichkeit?“
Renker macht in dieser Auswahl deutlich, dass die Freiheitsbemühungen mitteldeutscher Künstler immer ein täglicher Kampf um Meinungsfreiheit und Zivilrechte der Bevölkerung war.
Die 17 Zeitzeugen, geboren zwischen 1938 und 1992, decken die DDR-Zeit in verschiedenen Phasen ab. Stets musste die SED-Diktatur gegen westliche Einflüsse kämpfen, sei es gegen die amerikanische Unkultur der Niethosen, des Jazz', des Rock 'n' Rolls, der Kreppsohlen oder gegen die westliche Dekadenz solcher Rhythmen wie Beat, Twist oder Punk.
Diktator Ulbricht versuchte in den 60er Jahren eine sozialistische Jugendkultur zu schaffen. Ein Leipziger Tanzlehrer-Ehepaar erhielt den Parteiauftrag, einen neuen Tanz zu kreieren. Auf den erhofften Erfolg hin wurde der Tanz „Lipsi“ weltweit zum Patent angemeldet. Wie fast alles, was in der Planwirtschaft erfunden wurde, geriet auch dieses Kunstprodukt zum Fiasko. In Sprechchören riefen Jugendliche: „Wir tanzen keinen Lipsi und nicht nach Alo Koll, wir sind für Bill Haleyund tanzen Rock 'n' Roll!“
Beat geriet zum Welterfolg, doch Ulbrichtblamierte sich mit seiner auf das „Yeah, Yeah, Yeah“ der Beatles anspielenden Aussage: „Ist es denn wirklich so, dass wir jeden Dreck, der vom Westen kommt, nun kopieren müssen? Ich denke, Genossen, mit der Monotonie des Je-Je-Je, und wie das alles heißt, ja, sollte man doch Schluss machen.“
Wilfried Woigk, Thüringens erster Beatgitarrist, erinnert sich, wie nach dieser Schelte nicht mehr englisch gesungen werden durfte. Vor Funktionären konnten sie jedoch den Namen ihrer Band „The Polars“ damit rechtfertigen, dass der englische Artikel THE für THÜRINGER HEIMAT ENSEMBLE stünde.
Weniger lustig ging es 1965 in Leipzig zu. Nachdem die Partei eine kulturpolitische Wende beschlossen hatte, bekamen Beatgruppen wie die Butlersoder Klaus Renftund 54 weitere Bands Auftrittsverbot. Über 800 Jugendliche versammelten sich am 31. Oktober 1965 auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz. Es ging gewaltlos, ruhig und friedlich zu. Doch schnell wurde die Demo mit massivem Polizeiaufgebot unter Einsatz von Gummiknüppeln, Hunden und Wasserwerfern aufgelöst. 264 Demonstranten wurden verhaftet, 97 von ihnen mussten anschließend ohne Gerichtsurteil Zwangsarbeit im Braunkohletagebau leisten. Dazu wurde der Begriff des „Rowdytums“ als Straftatbestand ins StGB eingebracht. Der einzige Schriftsteller, der den Beat-Aufstand würdigte, war Erich Loest. In seinem Roman „Es geht seinen Gang“ integrierte er ihn in die Biografie seines Helden. Später schrieb er: „Was 1965 auf dem Leuschnerplatz begann, endete 1989.“
Als Student und Kandidat der SED musste ich mich an diesem Abend in einem Hörsaal einfinden, der schon voller Genossen war. Der Parteisekretär hielt eine feurige Ansprache gegen die Bonner Ultras. Wir bekamen den Parteiauftrag, zu dritt – möglichst ein Dozent, zwei Studenten – die Nacht hindurch jede Ansammlung von mehr als drei Menschen und jeden Bartträger und Langhaarigen aufzuhalten, bis der Streifenwagen der Volkspolizei käme. Als er ausrief: „Genossen, unser Einsatzgebiet ist der Nahe Osten“, ging seine Rede in lautem Gelächter unter. Zum Glück trafen wir auf menschenleeren Straßen im nahen Osten Leipzigs nur unsere Dreiergruppen an, so dass wir mit unserem Kunstgeschichtsdozenten Dr. Günter Meißnerin einer Kneipe verschwanden und uns über den Blödsinn amüsierten.
Wir dachten schon damals aus der Situation heraus so, wie es Karsten Jägerin seinemText auf den Punkt brachte: „Da waren ein paar hundert junge Menschen, die einfach nur Musik machten, und die SED-Genossen beschäftigen ein riesiges Heer von hauptamtlichen und ehrenamtlichen Spitzeln. So ein Schwachsinn.“
Meißnerwar SED-Genosse, aber er saß in den Versammlungen stets in der letzten Reihe, in der ich mich ebenfalls einfand. Von dort aus ließ sich wunderbar über den vorn referierenden Parteisekretär des Instituts lästern. Meine Dissidenz begann zwar schon innerhalb der SED-Kandidatur, zum Widerständler wurde ich erst später im Zuchthaus Cottbus, das „Knorri“ ebenfalls noch absolvierte.
Auch der Bluesmusiker Axel Hümbert – nach seinem Amerika-Aufenthalt als Dr. Slideberühmt – durfte noch Stasi-Methoden im Potsdamer „Lindenhotel“ kennenlernen, und der Gitarrist Locke O'Nashneben der JVA Dessau, dem Militärgefängnis Schwedt noch die NVA-“Klapsmühle“ in Bad Saarow. Auch Bürgerrechtler Stephan Krawczyk, der 1985 aus der SED austrat, erlitt Berufsverbot und Inhaftierung. Sogar einen Mordversuch der Stasi überlebte er mit Freya Klier.
Der Älteste im Buch ist der Sänger, Schauspieler und Autor Heinz-Martin Benecke. Er wurde schon 1961 als Mitglied des Leipziger Uni-Kabaretts „Rat der Spötter“ wegen „konterrevolutionärer Hetze“ eingesperrt.
Was alle Lebensläufe der Musiker durchzieht, ist die Rolle der Stasi, die in weltrekordmäßiger Stärke die „sozialistische Menschengemeinschaft“ drangsalierte, insbesondere jene, die von der Bühne aus Jugendliche beeindruckten, sei es durch Frisuren, Bärte, Klamotten, kritische Liedtexte, ungewöhnliche Klänge oder aufreizende Rhythmen. Der Herausgeber dazu: „Die Stasi hat die Gewalt (…) die Wahrheit zählt nichts hinter den ostdeutschen SED-Mauern, die das kleine Land durchsetzen wie ein tödlicher Pilz, wie eine giftige Krake. “
Selbst der Diplommusiker Mathias Marschner, der sich ohne Gefängnis in den Nischen des DDR-Beziehungsgeflechts zurechtfand, ließ sich dennoch nicht korrumpieren: „Wenn ich die Jahre bis 1989 betrachte, dann denke ich mit Empörung an die staatlichen Repressionen, an die uniformierte Gesellschaft und das Fehlen jeder individuellen Freiheit.“
Bei Dr. Slideheißt es rückblickend: „Das ist eigentlich das schlimmste Verbrechen, das dieser Staat DDR beging: das Säen von Misstrauen. Bis heute fällt es mir schwer, wirklich Vertrauen zu einem Menschen aufzubauen.“
Trotz aller Widerstände standen alle zu ihrer Berufung, verteidigten sie und lebten sie erfolgreich aus. Sie haben tausende junge Menschen von den Gefühlen und Ideen dessen infiziert, was sich unter dem großen Wort Freiheit zusammenfassen lässt. Das hat die DDR nicht überlebt.

„Eingemauerter Twist. Biographische Stationen“
Hrsg: Thomas Renker,
Broschiert und viele Fotos, 184 Seiten,14,50 €, Passage-Verlag, Leipzig 2015

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Über Siegmar Faust 46 Artikel
Siegmar Faust, geboren 1944, studierte Kunsterziehung und Geschichte in Leipzig. Seit Ende der 1980er Jahre ist Faust Mitglied der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM), heute als Kuratoriums-Mitglied. Von 1987 bis 1990 war er Chefredakteur der von der IGFM herausgegebenen Zeitschrift „DDR heute“ sowie Mitherausgeber der Zeitschrift des Brüsewitz-Zentrums, „Christen drüben“. Faust war zeitweise Geschäftsführer des Menschenrechtszentrums Cottbus e. V. und arbeitete dort auch als Besucherreferent, ebenso in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Er ist aus dem Vorstand des Menschenrechtszentrums ausgetreten und gehört nur noch der Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik und der Wolfgang-Hilbig-Gesellschaft an.

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