Gerhard J. Rakel: Monsieur Orient-Express

Lausbergs Buchtipp: Wie es Georges Nagelmackers gelang, Welten zu verbinden

Gerhard J. Rakel: Monsieur Orient-Express. Wie es Georges Nagelmackers gelang, Welten zu verbinden, Kremayr & Scherlau, Wien 2022, ISBN: 978-3-218-01305-6, 25 EURO (D)

Der Orient-Express gilt als berühmtester Zug der Welt. Um 1880 stehen die Zeichen in Europa auf Nationalismus, viele europäische Länder streben eine Großmachtstellung an und schotten sich ab. In dieser Zeit taucht ein Mann auf, der die europäischen Staaten miteinander verbinden will: der Belgier Georges Nagelmackers (1845–1905). Trotz Vorurteilen, Fremdenhass und bürokratischer Hindernisse gelingt es dem Eisenbahn-Pionier, ab 1883 Paris mit Konstantinopel zu verbinden und ein Netzwerk von über 180 europäischen Nachtzugverbindungen aufzubauen.

Georges Nagelmackers’ Lebensgeschichte, hier in Szene gesetzt und mit  zeitgenössischen Illustrationen versehen von Gerhard Rekel, dessen Terra-X-Film „Orient-Express- ein Zug schreibt Geschichte, mehr als sechs Millionen Zuschauer erreichte,  ist ein Plädoyer für die hartnäckige Verfolgung einer Vision.

Es ging Nagelmackers nicht um den Orient-Express allein, ihm schwebte ein ganzes Netz von Nachtzügen vor, das Europa verbindet. An jedem Knotenpunkt sollte ein Anschlusszug bereitstehen. „Ein perfekt ineinander greifendes Räderwerk. Ein über viele Brücken miteinander verbundenes Europa.“ (S. 185)

Am Anfang hielten viele seine Idee für verrückt und nicht realisierbar. Er wurde von Politikern, Finanziers und Teilen der Öffentlichkeit angefeindet. „Nicht einmal sein Vater, Besitzer der größten belgischen Privatbank, wollte ihm ausreichend Geld leihen.“ (S. 9)

Inspiriert durch einen Aufenthalt in Nordamerika und gefördert durch den belgischen König Leopold II. erhielt Nagelmackers 1872 Konzessionen für die Betreibung von Waggons auf den Strecken Ostende-Brindisi und Paris-Wien. Daraufhin gründete Nagelmackers im Oktober desselben Jahres eine Aktiengesellschaft, die Compagnie Internationale des Wagons-Lits (CIWL).

Die CIWL beschäftigte sich zunächst vor allem damit, Schlafwagen zu erwerben und zu betreiben. Sie schloss dazu Verträge mit europäischen Bahngesellschaften ab, die diese Wagen in ihre Züge einstellten. Ab 1880 kamen auch Speisewagen hinzu.

Nachdem der Einsatz von Schlaf- und Speisewagen erfolgreich war, entwickelte Nagelmackers Pläne für eigene, vollständig aus CIWL-Wagen bestehende internationale Luxuszüge, die über das Streckennetz verschiedener europäischer Bahngesellschaften laufen sollte.

Rakel resümiert: „Sein Leben ist eine leidenschaftliche, europäische Liebesgeschichte, die zwischen Paris und Konstantinopel ihre Erfüllung fand. Vielleicht ist Georges Nagelmackers einer der letzten großen Romantiker, der seinen Traum von einer friedlich verbundenen Welt mit voller Kraft zu verwirklichen versuchte.“ (S. 255)

In der vorderen Umschlagseite wird ein Plan der Linien der internationalen Eisenbahn-Schlafwagen-Gesellschaft gezeigt. In der hinteren findet man die verschiedenen Linien des Orient-Expresses.

Im Anhang gibt es eine Zeittafel der wichtigsten Ereignisse, ein Literaturverzeichnis und die Anmerkungen.

Diese von Rakel formulierte über viele Brücken miteinander verbundenes Europa per Eisenbahn war jedoch nur für die Oberschicht interessant und auch finanzierbar, vor allem für den Luxuszug Orient-Express. Dennoch wird die erfolgreiche Vision eines unterschätzten und wenig beachteten Europäers hier umfassend gewürdigt und mit passenden historischen Abbildungen versehen.

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Dr. phil. Michael Lausberg, studierte Philosophie, Mittlere und Neuere Geschichte an den Universitäten Köln, Aachen und Amsterdam. Derzeit promoviert er sich mit dem Thema „Rechtsextremismus in Nordrhein-Westfalen 1946-1971“. Er schrieb u. a. Monographien zu Kurt Hahn, zu den Hugenotten, zu Bakunin und zu Kant. Zuletzt erschien „DDR 1946-1961“ im tecum-Verlag.