Konservativ plakatieren und links regieren

Schafe auf der Weide, Foto: Stefan Groß

Man hört immer wieder von der sogenannten asymmetrischen Demobilisierung als Strategie, mit der die Kanzlerin im Amt bleibt und die gegnerischen Parteien unter Kontrolle zu halten versucht.

Vor ungefähr 10 Jahren kam das Wort vom bildungsfernen Prekariat auf. Gemeint waren ungebildete Menschen, die die Tage RTL II guckend verbringen. Man versuchte gerade mit dem Wortungetüm ebendiese außen vor zu lassen. Sie sollten nicht mitbekommen, dass über sie gelästert wird.

Mit der asymmetrischen Demobilisierung ist es heute nicht anders. Gemeint sind CDU-Wähler. Bedeutet diese Etikettierung ein Synonym für treudoofe und nützliche Idioten? Vielleicht ist dies zu hart, aber es handelt sich zweifelsohne bei dieser Zuweisung um so etwas wie den deutschen Michel. Genau diese Menschen wählen die Union.

Neulich beim Wahlomaten

Es wird der Wahlomat als objektiver Ratgeber anempfohlen, wenn man sich nicht schlüssig ist. Per Briefwahl habe ich bereits beide Stimmen der FDP gegeben. Bereut hatte ich nie eine Stimmabgabe der letzten 20 Jahre, wo ich Mitglied in zwei Parteien (bis 2014 CDU, seither FDP) war und vier verschiedene Parteien gewählt hatte. Nach 11 Jahren verließ ich die Union ein Jahr vor der Flüchtlingskrise, weil auf keiner Ebene (Kommune, Land, Bund, EU) die CDU liberal-konservativ auftrat; also zog ich nüchtern die Konsequenzen.

Überrascht hat es mich jedoch, dass die CDU eigentlich Partei meiner Wahl sein müsste, wenn ich dem Wahlomaten folgte. Und dies sehr eindeutig. Viele, die nicht – oder nicht mehr – für die Union stimmen, hatten mir gesagt, es sei die Union herausgekommen. Woran liegt es?

Da ich nicht an Verschwörungstheorien glaube, wonach die Bundeszentrale für Politische Bildung den Wahlomat irgendwie so beeinflusste, dass für fast jeden die CDU herauskomme, denke ich, es ist eine Diskrepanz zwischen Wort und Tat.

Konservativ plakatieren und links regieren

Im Wahlkampf das Gegenteil zu plakatieren als in der alltäglichen Politik zu tun und umgekehrt, scheint die Masche der CDU zu sein. In der Mitte der Legislatur begeht man die Grausamkeiten. 2011 war es die Energiewende, 2015 die Grenzöffnung. 2 Jahre können sich grüne Wähler daran gewöhnen, die Kanzlerin zu wählen statt Özdemir und Roth, und ebenso 2 Jahre haben die Konservativen in der Union Zeit, sich auszuheulen und von Horst Seehofer wieder eingefangen zu werden.

Guter Bulle, böser Bulle ist eine Methode, um Angeklagte weichzukochen. So tut es auch die Union. Der Streit zwischen Seehofer und Merkel hat aus der Distanz schmierenkomödiantische Züge. Die konservative Fraktion konnte sich daran erfreuen, wie Seehofer Merkel minutenlang demütig coram publico belehrte. Die Linken in der CDU hingegen fühlen Mitleid.

Beide Gruppen wählen am Ende die CDU. Es sollte mich nicht wundern, wenn Seehofer und Merkel sich bei dem Stück im Vorfeld abgesprochen hatten wie Wrestler. Dort sind auch außergewöhnlich viele leichtgläubige Menschen im Publikum.

35%

Die Union hat einen Strukturvorteil: egal, was sie auch tun mag, hat sie noch nie, nie, nie, bei einer Bundestagswahl nach 1950 weniger als 35% erreicht. Die SPD jedoch liegt seit der Agenda 2010 regelmäßig deutlich unter 28%. Die Wähler der Sozialdemokraten lassen sich nicht alles bieten und sagen dann noch artig danke.

Auch in der FDP ist es so, dass bis zu zwei Drittel der Wähler verloren gehen, wenn man sie enttäuscht, so geschehen von 2009 auf 2013 – von 14% auf 4,8%.

Im Bereich der Ökonomie gibt es das Konzept der Indifferenzkurve. Man kann so lange die Inhaltsstoffe austauschen, bis der Kunde abspringt. Er springt so lange allerdings nicht ab, wie er indifferent ist.

Derb ausgedrückt lässt sich der CDU-Wähler alles vorsetzen. Nach den verheerend verlaufenen Landtagswahlen im Februar 2016, die auf 5 Monate Grenzöffnung und die Silvestervorkommnisse folgten, war die Stimmung kurzfristig getrübt. In Sachsen-Anhalt erreichte die AfD 25% der Stimmen, in Baden-Württemberg ging man abermals hinter Kretschmann durchs Ziel und auch Juliane Klöckner verhagelte es die Wahl.

Narration von Treue

Wie beseitigt man Zweifel? Norman Bates in Hitchcocks Film Psycho machte sich vor, seine Mutter lebte noch, indem er eine Perücke aufsetzte und mit sich in ihrer Stimme sprach. Ähnlich tut es der Unions-Wähler. Auf Dellen bei Landtagswahlen folgt nicht die Forderung, Politik zu ändern. Vielmehr kognitive Dissonanzbeseitigung. Heiner Geißler habe immer schon gesagt, die Grünen seien ein prima Koalitionspartner, Guido Wolf habe zu sehr an Merkels Kurs gezweifelt wie Juliane Klöckner, was bei den Wählern angeblich nicht gut ankam.

Bis zur Bundestagswahl hat jeder Unionswähler diese Pillen geschluckt. Klöckner und Co. hätten nicht zur Kanzlerin gestanden, Malu Dreyer und Kretschmann schon. Die Treuen werden belohnt, die Untreuen bestraft.

Genau nach diesem Muster und Wertekodex sammeln sich Unionswähler. Treue als Wert an sich, egal, was für einen Bockmist das Führungspersonal produziert. Eine andere Partei zu wählen kommt nicht infrage. Man mag das treudoof nennen oder tapfer. Das sei jedem selbst überlassen.

 

 

 

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