Martyrium und Liebestod – Ausnahme-Konzert der Münchner Philharmoniker im Gasteig

St. Sebastian, androgyn wie Ida Rubinstein bei der UA, Paris 1911 - Programmheft-Titel vonFienbork Design 2020, Foto: Hans Gärtner

Das Ausnahme-Konzert der Münchner Philharmoniker unter ihrem Chefdirigenten Valery Gergiev zog sowohl Debussy-Verehrer als auch Wagner-Anhänger in den Gasteig. Claude Debussys kaum je aufgeführtes halbstündiges Fragment seiner Symphonischen Bühnenmusik zum Mysterienspiel „Le Martyre de Saint Sébastien“ nahm Gergiev als Entrée zum knapp anderthalbstündigen 2. Aufzug aus Richard Wagners „Tristan und Isolde“ – keineswegs auf die leichte Schulter, sondern gestaltete sie mit seinem Orchester mit großer Hingabe an das schmerzensreiche Leiden und Sterben des römischen Märtyrers aus der unseligen Diokletian-Aera. Der Komponist selbst wertete sein Stück als „dekorativ“, das er aus Verehrung der Dichtung des italienischen Symbolisten Gabriele D`Annunzio unterlegte. Die vier instrumentalen Sätze fordern zwar  ein Riesenorchester mit 3 Harfen und 7 Bässen, überlassen aber die Nutzung der impressionistisch geschmäcklerischen Farbskala den Streichern und ausgewählten Bläsern. Zwischen Kontemplation und Ekstase erlebt man das Martyrium des zum Pest- und sogar Schwulen-Patron gewordenen großen Heiligen der katholischen Kirche musikalisch auf ziemlich seltsam anmutende Art mit.

Das Programmheft (s. Foto) bildet den androgyn dargestellten Jüngling als Erinnerung an die Inhaberin der Titelpartie, die jüdische Tänzerin Ida Rubinstein bei der skandalumwitterten, von der Kirche missbilligten Pariser Uraufführung 1911 als Sterbenden ab, der, von Pfeilen getroffen, von Stricken  umwickelt, diese Welt verlässt. Weltverlassen ist auch Thema der Wagner-Oper „Tristan und Isolde“, entstanden zwischen 1854 und 1859. Die Auswahl des zentralen 2. Aufzuges ist ebenso trefflich wie deren Präsentation durch Gergievs phänomenal reagierenden Klangkörper mit seinen dann doch eher zu wuchtigen und phonstarken Attacken, die auf die fünf Sänger ohne Rücksicht einschlugen. Zu erleben waren die Isolde der Wienerin Martina Serafin – Frage: Warum hat sie den Weg in die Münchner Staatsoper noch nicht gefunden? – mit ihrem ihr an Intensität und Ausdruckskraft nicht nachstehenden Tristan des heldentenoral mächtig aufdrehenden Andreas Schager, eine Brangäne von großer Tragfähigkeit und Wärme des fülligen Mezzos: Yulia Matochkina, ein Superstar in Russland, ihr Landsmann, der großartige Mikhail Petrenko als Marke und Miljenko Turk als Melot. Wenig glücklich: die Platzierung des Solisten-Quintetts an der Philharmonie-Rückwand. Die großartige Liebesnacht-Szene, bewundernswert in Klang-Strom und Entrückungs-Sog, ist halt leider kein Konzert-Pièce, sondern lebt von der szenischen Bühnen-Präsenz. Den oft genug vorweg genommenen Liebestod des 3. Aufzugs-Finale erlebte man am intensivsten mit fest geschlossenen Augen. Viel, aber nicht eben überwältigender Applaus für eine  ungeheure Anstrengung.            

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Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.