Menschenrechte. Universal und vor Ort

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Menschenrechte. Universal und vor Ort. Herausgeberinnen Eva Senghaas-Knobloch, Witha Winter von Gregory, Shazia Aziz Wülbers. Bremen (Sujet Verlag) 2019, 241 S., 14,80 €. ISBN 978-3-96202-046-0.

 „Bremen – Stadt der Menschenrechte“ – unter diesem Titel verweist die Dokumentation auf zwei Aktionsfelder, auf denen die Bemühungen um die Bewahrung eines universalen Zieles seit mehr als sieben Jahrzehnte ablaufen. Im Dezember 2018 jährte sich der 70. Jahrestag der Verkündung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Er bildete den Ausgangspunkt für eine Vortragsreihe, die in Zusammenarbeit mit der Freien Hansestadt Bremen, der Hochschule Bremen und der Universität Bremen wie auch des Freundeskreises Garten der Menschenrechte die Voraussetzungen für den vorliegenden Sammelband auf eine besondere Weise lieferte. Es war der im Jahr 2003 im Bremer Rhododendronpark angelegte Garten der Menschenrechte, der seine Besucher in einer aufwendigen Installation auf die von der Generalversammlung der Vereinigten Nationen unterzeichneten 30 Artikel aufmerksam macht. Der mit ihm verbundene Freundeskreis sorgte auch dafür, wie eine der Herausgeberinnen, Witha Winter von Gregory betonte, dass regelmäßig Veranstaltungen zu diesem Themenbereich in Bremen stattfanden.

In der thematischen Einführung zu dem Sammelband legen die Herausgeberinnen ihr besonderes Augenmerk auf zwei Aspekte: „die Verkennung und Mißachtung der Menschenrechte [habe in der Vergangenheit] zu Akten der Barbarei geführt.“ Und „wir leben gegenwärtig in einer Zeit, in der Menschenrechte, die Vereinten Nationen und die Demokratie explizit umstritten sind; autoritäre Regime herrschen weltweit, ‚illiberale Demokratie’ wird sogar im europäischen Kontext propagiert und findet Anhänger.“ Dieser beunruhigenden Zustandsbeschreibung widmet Dieter Senghaas seinen Kommentar zum Art. 28, in dem er die soziale und internationale Ordnung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte einer differenzierten Analyse unterzieht. Er untersucht zunächst Menschenrechte in ihrem Verhältnis zur Menschenwürde, analysiert deren Einbettung in den Kulturkampf der europäischen Gesellschaften der vergangenen Jahrhunderte und bewertet die Kulturkämpfe in der gegenwärtigen globalisierten Welt unter Verwendung der zentralen Begriffe „clash within civilizations“  und „clash of civilizations“. Angesichts der wachsenden Verletzung elementarer Menschenrechte fragt er besorgt nach deren zukünftiger Bedeutung. Entscheidend werden „politische Kräftekonstellationen“ sein, so Senghaas, die sich „im Kontext von Entwicklungsprozessen“ herausbilden, nicht in der kulturellen Erblast sei „das unsichere weitere Schicksal der Menschenrechte begründet.“ (S. 34)

Unter den folgenden acht Kommentaren, die sich einzelnen Artikeln der Menschenrecht-Charta widmen, zeichnen sich vor allem jene Beiträge aus, die die Rechtslage bei der Verletzung von Vorschriften und die konkrete Benennung von groben Verstößen (wie der Anwendung von Folter) untersuchen, den skrupellosen modernen Sklavenhandel anprangern, dessen Abschaffung fordern wie auch den Schutz der Familie angesichts weltweiter Fluchtbewegungen und Hungersnöte thematisieren. Es handelt sich dabei u. a. um den Text von Bernhard Docke, der aus der Perspektive des Rechtsanwalts die Verletzung des Artikels 5 (Verbot der Folter) einer historischen Betrachtung unterzieht und auch Verstöße, die durch die Bremer Rechtsbehörde begangen wurden, in seine exemplarische Übersicht einbezieht. Eine gleichfalls ausführliche Auseinandersetzung mit der Nichteinhaltung des Art. 9 (Schutz vor Verhaftung und Ausweisung) leistet Claus Walischewski (Amnesty International Bremen). In seiner gleichfalls übersichtlichen Betrachtung erfasst er wesentliche historische Etappen von Rechtssprechung und – verletzung und gibt gravierende Beispiele eklatanter Rechtsbrüche weltweit. Unter der Überschrift „Sklaverei und Menschenhandel – Mitten unter uns!“ erinnert Petra Wolf-Lengner, Diakonin in der Inneren Mission Bremen, unter Verweis auf Art. 4, an die erschreckende Anzahl von weltweit etwa 45 Millionen Menschen, die Opfer eines skrupellosen Menschenhandels geworden sind. Aufgrund von institutionell unterbesetzten Aufsichtsbehörden, der globalen Vernetzung von Menschenhändlern und der schwierigen Evaluierung der Rechtslage breite sich diese moderne Sklaverei aus, gegen die mit einer umfassenden weltweiten Aufklärungskampagne vorgegangen werden müsse.

Auf ein bislang in der Kombination von ‚Recht auf Bildung’ (Art. 26) in Zeiten des Klimawandels noch kaum untersuchtes Feld begibt sich Dieter Mazur vom BUND Bremen. Ausgehend von Ansätzen europäischer und deutscher Bildungspolitik fordert er die Einbeziehung der Aufklärung über die Folgen des Klimawandels in die Lehrpläne der Schulen und die Erweiterung dieser Zielsetzung in der UNO-Charta von 1948. Auch die differenzierten Betrachtungen des Art. 16 (Wandel von Ehe und Familie), des Art. 17 (Schutz des Eigentums), des Art. 23 (Recht auf Arbeit) bilden ebenso wie die abschließende Würdigung des Rechts auf eigene Meinung in einer demokratischen Grundordnung aus der Feder von Silke Hellwig, Chefredakteurin des Bremer Weserkurier, die Grundlage für weiterführende umfassende Diskurse.

Die vorliegende kommentierende Dokumentation ist eine gelungene Kombination von praxisnahen Erkenntnissen und theoriegeladenen Erörterungen. Sie stellt nicht zuletzt angesichts der eklatanten Verletzungen der Menschenrechte im Jahr 2020 an der griechisch-türkischen Grenze einen wichtigen Beitrag zu deren Aufklärung bei. Und noch eine Anmerkung zur Gestaltung der Paperback-Publikation: Ein Foto des Gartens der Menschenrechte aus dem Rhododendron-Park hätte dem blassen Umschlag des Buches mehr Attraktivität verliehen!