„Mitten im tiefsten Winter wurde mir endlich bewusst, dass in mir ein unbesiegbarer Sommer wohnt.“ (Albert Camus)

Kein Satz des Literaturnobel-Preisträgers Albert Camus wird so häufig zitiert wie dieser im Titel. Mit seiner Hymne an den unbesiegbaren Sommer erreicht wohl Camus besonders die Herzen seiner Leser. Eine Analyse von Facebook-Mitgliedern hat ergeben, dass unter ihnen Albert Camus hinsichtlich Lieblingszitaten mehr verehrt wird als Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller oder Thomas Mann (5). Und besonders geliebt werden eben die Worte über den unbesiegbaren Sommer, den wohl jeder Mensch gerne in sich hätte. Dieser wunderschöne Satz stammt aus einem Spätwerk von Albert Camus. Er ist zu finden in der Sammlung autobiographischer Essays mit dem Titel „Heimkehr nach Tipasa“. Dieser Band ist eine Sammlung von acht Essays, die Camus nach seiner Pariser Zeit in seinem Heimatland Algerien geschrieben hat. Die meiste Zeit seines viel zu kurzen Lebens hat er in seiner algerischen Heimat verbracht. Der Band „Heimkehr nach Tipasa“ ist im französischen Original im Jahre 1953 erschienen (1), also etwa drei Jahre vor der Verleihung des Literaturnobelpreises und sechs Jahre vor dem Tod des Schriftstellers durch den tragischen Autounfall.
Tipasa ist eine sehr alte Stadt an der algerischen Küste, die bereits von den Phöniziern gegründet wurde und später römische Kolonie war. Tipasa war eine bedeutende Hafenstadt und Stützpunkt der mauretanischen Flotte. Schon im 3. Jahrhundert n. Chr. wurde Tipasa christianisiert und zum Bischofssitz. Zahlreiche Ruinen aus der römischen Zeit sind erhalten geblieben und zählen zum Unesco-Weltkulturerbe. Albert Camus hat sich in seiner Jugendzeit in dieser Stadt und an den nahegelegenen Stränden des Mittelmeers sehr wohl gefühlt. Schon als junger Mann, der ja frühzeitig an Lungentuberkulose erkrankt war (6), fühlte er sich hier besonders wohl. Die Sonne, das Meer, der Sommer und das Licht waren für Camus die wichtigsten Worte, mit denen er eine tiefe Bedeutung für sein Leben und sein Werk verband. Er selbst nannte jene Worte zu den zehn wichtigsten seines Lebens. Die profunde Camus-Kennerin Iris Radisch hat ihre Camus-Biographie (7) an diesen zehn Worten ausgerichtet. Bereits als 23-Jähriger veröffentlichte Camus in französischer Sprache Essays über Tipasa. Einer trägt den Titel „Hochzeit in Tipasa“ und stammt aus dem Band „Noces“. Zum Anlass des 100. Geburtstages von Albert Camus wurde im Arche-Verlag Zürich eine neue Ausgabe beider Essay-Bände herausgegeben: „Hochzeit des Lichts. Heimkehr nach Tipasa“ (2).
Die „Heimkehr nach Tipasa“ war für Albert Camus ein Zurückkehren an einen geliebten Ort, einen Topos, der Lebenskraft und Freude versprach. Während er die frühen Essays über Tipasa als 23-Jähriger im Sommer geschrieben hat, hat er jetzt die „Heimkehr nach Tipasa“ im Winter geschrieben. Dies macht auch das Wortspiel verständlich: Im tiefsten Winter wurde es Albert Camus endlich bewusst, dass er einen unbesiegbaren Sommer in sich trägt und schon immer getragen hat. Was er hier an Lebenskraft empfunden hat, hat ihn lange getragen. Nach seinem Studium ist er schließlich als junger Schriftsteller nach Paris gereist. Dort lernte er zahlreiche weltberühmte Schriftsteller, Intellektuelle und Künstler kennen. Es entwickelte sich eine lange Freundschaft mit Jean-Paul Sartre, die schließlich in einem Zerwürfnis endete. In Paris schrieb er seine beiden philosophischen Hauptwerke (4): „Der Mythos des Sisyphos“ und „Der Mensch in der Revolte“. Es kam der Zweite Weltkrieg und Camus engagierte sich im Widerstand (Resistance) gegen die Nazi-Besatzungsmacht. Der Krieg, die Auseinandersetzungen mit Sartre und zahlreiche persönliche Krisen kosteten ihm viel Kraft. Zerknirscht fasste er seine Lebensjahre in Paris in einem Resümee wie folgt zusammen: „Ich bereue die stumpfsinnigen Jahre, die ich in Paris gelebt habe.“ Insofern hatte er eine tiefe Sehnsucht nach dem Süden, nach dem Meer und dem Licht des Südens. Er reiste wieder nach Tipasa und suchte sich in Südfrankreich in der Provence in Lourmarin eine neue Heimat (8). Lange war ihm diese Zeit in der Provence nicht vergönnt, denn er starb mit 46 Jahren bei einem Autounfall auf der Fahrt von Lourmarin nach Paris. Die Inspiration, die Camus aus dem intensiven Erleben von Sonne, Licht und Meer schöpfen konnte, zeigt sich in der sehr lyrischen und bildhaft-poetischen Sprache, die eine ganz andere ist als jene seiner philosophischen Essays. Die lyrische Sprache kommt in den folgenden Sätzen besonders deutlich zum Ausdruck:
„… schon nach wenigen Schritten überwältigt uns der Duft der Wermutbüsche. Ihre graue Wolle bedeckt die Ruinen, soweit das Auge reicht. Ihr Saft gärt in der Hitze und verbreitet über das ganze Land einen Duftäther, der zur Sonne steigt und den Himmel schwanken macht. Wir gehen der Liebe und der Lust entgegen. Wir suchen weder Belehrung noch die bittere Weisheit der Größe. Sonne, Küsse und erregende Düfte – alles Übrige kommt uns nichtssagend vor. Ich möchte hier nicht allein sein. Oft bin ich hierhergekommen mit denen, die ich liebte, und habe auf ihren Gesichtern das leuchtende Lächeln der Liebe gelesen… Die verwirrende Duft- und Farbenfülle war dahin; in der kühlen Abendluft beruhigte sich der Geist, und der entspannte Körper genoss jenes innere Schweigen, das eine Frucht gestillter Liebe ist.“ („Hochzeit des Lichts“)
Camus hatte in seinem Leben viele Schicksalsschläge erlitten und zu meistern: Er verlor bereits im ersten Lebensjahr seinen Vater, seine Mutter war Analphabetin und er lebte in ärmlichsten Verhältnissen in Algerien. Als junger Mann erkrankte er an Lungentuberkulose und erlitt immer wieder Rückfälle (3, 6). Die erste Ehe ist gescheitert und es folgten weitere persönliche Krisen. Besonders belastet haben ihn die langen Auseinandersetzungen mit Jean-Paul Sartre und die Bedrohungen des Krieges.
In der Gegenwart ist bemerkenswert, dass der titelgebende Satz dieser Abhandlung über den „unbesiegbaren Sommer“ besonders häufig in Büchern, Aufsätzen oder Internet-Beiträgen zur Resilienz zitiert wird. Die Resilienz beschreibt die seelische Widerstandskraft und wird besonders thematisiert hinsichtlich der Bewältigung von Schicksalsschlägen und Lebenskrisen. Gibt man in Internet-Suchmaschinendie Kombination des Stichwortes Resilienz und das Camus-Zitat ein, so erscheinen Tausende von Beiträgen. Die bekannte ehemalige Fernsehmoderatorin Nina Ruge wurde ebenfalls von Albert Camus inspiriert. Sie gab ihrem Resilienz-Buch den Titel „Der unbesiegbare Sommer in uns“. (9)

Literatur:
1)Albert Camus: Heimkehr nach Tipasa. Aus dem Französischen von Monique Lang, Arche, Zürich, 1957
2)Albert Camus: Hochzeit des Lichts. Aus dem Französischen von Peter Gan und Monique Lang, Arche, Zürich 2013
3) Herbert Csef:Albert Camus zum 100. Geburtstag. Universitas, 68. Jahrg., Nr. 810 (2013)S. 58-67
4)Herbert Csef:Sinnorientierte Lebensentwürfe bei Albert Camus. Ein Brückenschlag zwischen Existenzphilosophie und Psychotherapie. Internationale Zeitschrift für Philosophie und Psychosomatik 10 (2014) S. 1-8
5)Herbert Csef: „Die Welt bietet keine Wahrheiten, sondern Liebesmöglichkeiten.“ – Albert Camus und die Liebe. Tabularasa 107 (2015) S. 1-2
6)Herbert Csef: „Krankheiten sind einsame Abenteuer.“ Albert Camus‘ Überlebenskampf gegen seine Tuberkulose. Tabularasa 109 (2015) S. 1-2
7)Radisch, I., Camus: Das Ideal der Einfachheit. Eine Biographie, Rowohlt, Reinbek 2013

8)Reif, Anne Kathrin, Albert Camus – Vom Absurden zur Liebe. Djre Verlag Königswinter 2013

9)Nina Ruge: Der unbesiegbare Sommer in uns. Ein Wegweiser zu unserem ureigenen Kraftort. Kailash Verlag München 2013

Korrespondenzadresse:
Professor Dr. med. H. Csef
Schwerpunktleiter Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Zentrum für Innere Medizin
Medizinische Klinik und Poliklinik II
Oberdürrbacher Straße 6
97080 Würzburg
E-Mail-Adresse: Csef_H@ukw.de

Über Herbert Csef 136 Artikel
Prof. Dr. Herbert Csef, geb. 1951, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker. Studium der Psychologie und Humanmedizin an der Universität Würzburg, 1987 Habilitation. Seit 1988 Professor für Psychosomatik an der Universität Würzburg und Leiter des Schwerpunktes Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums. Seit 2009 zusätzlich Leiter der Interdisziplinären Psychosomatischen Tagesklinik des Universitätsklinikums. Seit 2013 Vorstandsmitglied der Dr.-Gerhardt-Nissen-Stiftung und Vorsitzender im Kuratorium für den Forschungspreis „Psychotherapie in der Medizin“. Viele Texte zur Literatur.

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