Aus der Spinnerei: Altöttings Stadtgalerie zeigt Salvador Dalis Dante-Illustrationen

Wer den spanischen Super-Surrealisten Salvador Dali (1904 bis 1989) auf lang-und dünnbeinige Elefanten, schmelzende Bahnhofsuhren oder skelettierte Pferde reduziert, irrt. Denn in der „klassischen Periode“ seines künstlerischen Schaffens als Graphiker (1941 bis 1983) beschäftigte sich der als Extremist geltende Katalane mit Werken der Phantastik („Alice in Wonderland“ von Lewis Carroll), der spätmittelalterlichen Novelle („Das Dekameron“ von Giovanni Boccaccio), aber auch religiös-mystischen literarischen Werken von Weltrang wie John Miltons „Paradise Lost“ und der „Divina Commedia“ von Dante Alighieri (1265 bis 1321). Hierzu schuf Salvador Dali, weniger skandalös als beachtenswert meditativ, in den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts einen für dieBuchillustration bestimmten Farbholzschnitt-Zyklus im Umfang von einhundert Bildern. Diese sind derzeit in der Stadtgalerie Altötting zu bestaunen.
Den Besucher erwartet ein erbarmungsloser, sehr frei und stark assoziativ gestalteter Gang durch Hölle, Fegefeuer und Paradies – wie sich Dante das Leben des Menschen nach dem Tode wort-, beziehungs- und metaphernreich ausmalte und es der Nachwelt in seiner „Göttlichen Komödie“ hinterließ. Dem Infernalischen verfallen sind beide: der italienische Dichter nicht weniger als der katalanische Illustrator. Irgendwie spinnen sie beide, könnte man sagen, Dante und Dali. „Spinnen“ gehört zum Menschsein wie logisch denken. „Spinnen“ meint, phantastisch, diskursiv denken. Sich Konstellationen ersinnen, die nicht sind, aber sein könnten. Reales trifft sich mit Über(Sur-)-Realem: der Surrealismus lebt von den „unmöglichen Möglichkeiten“ der Verbindung von wirklich Existentem und unwirklich Erscheinendem und erzeugt bildhaft verschlüsselte Welten, die das, was wir gemeinhin Wirklichkeit nennen, „über-schreiten“. Wie im Traum, im Rausch, im Fieberwahn. Sowohl Dante als auch sein „Bild-Epigone“ Dali schufen keine Abbilder des Gegebenen, Erlebbaren, sondern Wider-Bilder: Metaphern, bedeutungstragende Bild-Verdichtungen.
Schon 1949 begann Dali, sich mit Dantes Hauptwerk zu befassen. Zunächst legte der Künstler seine „Spinnereien“ als Aquarelle an. Wenig später, vollendet 1963, konnte man sie bereits als Kunstdrucke sehen. Die Sache mit der „Spinne“ kann durchaus den gesamten Zyklus ideell begleiten. Langbeinig erscheint da die „Arachne“ auf einem der ausgestellten kleinformatigen Werke – alle hängen sie in Holzrahmen an den Wänden der Stadtgalerie, ergänzt durch Vitrinen-Beigaben: „O du vermessne Arachne lagest / Schon halb als Spinne traurig auf den Fetzen / Des Werks, das du zum Unglück dir gewoben“ (Dante, Purgatorio, 12, 43 – 45) .
In der großen Vitrine (neben den stark vergrößerten Graphiken zur „Divina Commedia“, die an die Wände projiziert wurden) sollte man die paar Holzstiche nach Zeichnungen des Florentiners Sandro Botticelli (um 1500) genau anzusehen: Auch vor 500 Jahren lebten bereits solche „Spinner“ der Zeichenkunst wie Dali. Und illuminierten, freilich nicht koloriert, Bücher mit phantastischen Dante-„Commedia“-Texten.
Die sehr anregende, wohl selbst Dali-Kennern bisher verborgen gebliebene Zyklus-Schau führt womöglich zur Beschäftigung mit Dantes Poeticum Magnum. Auch wenn manchem Betrachter von Dalis Bilder-Serie die Rätselhaftigkeit des Dargestellten einigen Interpretations-Kummer bereiten mag. Keine Sorge – jedes Bild ist, wenn vielleicht auch nicht immer hinreichend, beschriftet.
Die Ausstellung
„Salvador Dali. Illustrationen zur `Göttlichen Komödie` von Dante Alighieri“, Stadtgalerie Altötting, Papst Benedikt Pl. 3, Telefon 08671 – 506219 oder – 506238. Geöffnet: Di, Mi, Fr 14 – 16, Do 16 – 18, Sa, So, Fei 10.30 – 12.30 und 14 bis 16 Uhr. Sonderöffnung zum Fest der Sinne in Altötting. Rahmen-Programm s. KastenHans Gärtner
Aus dem Rahmenprogramm zur Dali-Ausstellung (in Kooperation mit der KEB Rottal-INN-Salzach e.V.)
17. September, 19 Uhr: Lesung Thessie Mayr aus Dan Browns Bestseller „Inferno“
7. Oktober, 19 Uhr: Vortrag Hans-Peter Eggerl: „Nach dem Ende geht`s weiter, aber wie?! – Himmel, Hölle, Fegefeuer. Theologische Fragen, neue Antworten?“
14. Oktober, 19 Uhr: Vortrag Stefan Schmitt: „Dalis surrealistische Interpretation der `Divina Commedia` und die Tradition der Dante-Illustrationen“(HaG)

FOTOS (Hans Gärtner):
Salvador Dali: „Arachne“ (die Spinne), Illustration zu Dantes „Purgatorio“-Kapitel 12, 43 – 45

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Über Hans Gärtner 454 Artikel
Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.

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