Möglichkeiten und Grenzen des Dokumentarfilms – Stellungnahme der DEUTSCHEN AKADEMIE FÜR FERNSEHEN

Der Fall „Lovemobil“

PRESSEMITTEILUNG – Der Fall „Lovemobil“:
Möglichkeiten und Grenzen des Dokumentarfilms – eine Stellungnahme der DEUTSCHEN AKADEMIE FÜR FERNSEHEN.  

Der Fall „Lovemobil“ hat in der Fernseh- und Dokumentarfilmbranche für intensive Diskussionen gesorgt. Innerhalb der DEUTSCHEN AKADEMIE FÜR FERNSEHEN sind wir uns einig, dass in diesem Fall die Grenzen des dokumentarischen Arbeitens überschritten wurden: Nachgestellte Szenen und der Einsatz von Laiendarstellerinnen und-darstellern waren für das Publikum nicht erkennbar. Eine solche Arbeitsweise entspricht nicht unseren eigenen Standards. 

Wir Dokumentarfilmschaffende und Journalistinnen und Journalisten wissen, dass die Glaubwürdigkeit unserer Arbeit das zentrale Qualitätsversprechen und Unterscheidungsmerkmal zu anderen Genres darstellt. Dokumentarische Glaubwürdigkeit entsteht durch Wahrhaftigkeit, Sorgfalt und Respekt gegenüber unseren Protagonistinnen und Protagonisten.

Darauf hinzuweisen halten wir für wichtig, weil sich in den letzten Jahren Spiel- und Dokumentarfilme angenähert haben: Der Spielfilm bedient sich heute mitunter eines rauen, dokumentarischen Looks, während mancher Dokumentarfilm opulente, sorgsam gestaltete Bilder und eine am Spielfilm orientierte Dramaturgie verwendet. Das Spektrum an visuellen und narrativen Formen ist heute größer denn je, und wir begrüßen, dass der Dokumentarfilm heute ein breites Publikum anspricht. Insbesondere der künstlerische Dokumentarfilm muss vielfältige filmische Mittel einsetzen können. So können auch komplexe Themen spannend vermittelt werden.

Wir wollen ausdrücklich dafür plädieren, diese vielfältigen und kreativen Ausdrucksformen in den unterschiedlichen dokumentarischen Filmen zu erhalten und auszubauen. Aber bei aller notwendigen künstlerischen Freiheit im Einsatz der filmischen Stilmittel wollen wir als DEUTSCHE AKADEMIE FÜR FERNSEHEN dafür Stellung beziehen, dass der Einsatz von fiktionalen Elementen in den dokumentarischen Filmen in Absprache zwischen Regie, Produktion und Redaktion auf adäquate Art und Weise kommuniziert oder gekennzeichnet wird. Eine Kenntlichmachung kann auch durch gestalterische Mittel erfolgen.

Wir sind überzeugt: Nichts ist spannender als die Wirklichkeit, und es steht für uns außer Frage, dass die Wirklichkeit nicht einer Filmdramaturgie angepasst werden darf, sondern umgekehrt. Um diese Filme herzustellen braucht es Zeit und adäquate Finanzierung – die gängige Praxis sieht das oft nicht mehr vor. Die meisten langen Dokumentarfilme werden nur zu einem geringen Teil vom Fernsehen finanziert, den Rest müssen die Filmemacherinnen und Filmemacher mit Eigenmitteln und Filmförderungen bestreiten. Das erzeugt Zeit- und großen ökonomischen Druck. Darin liegt auch ein systemisches Versagen.

Der Fall „Lovemobil“ macht deutlich: Auftraggebende Redaktionen, Filmförderungen und Festivals präferieren heute oft Erzählweisen, deren Dramaturgie „dokumentarische Unebenheiten“ möglichst eliminieren sollen. Sie prägen damit den Publikumsgeschmack und setzen die Filmemacherinnen und Filmemacher auch einem Erfolgsdruck aus, dem mit dokumentarischen Mitteln zunehmend nicht mehr standzuhalten ist. Dies gilt es gemeinsam zu verändern.

Die DEUTSCHE AKADEMIE FÜR FERNSEHEN wurde im Dezember 2010 gegründet, um den Kreativen aus allen Gewerken der Entwicklung und Herstellung von Fernsehprogrammen eine eigene Stimme zu geben und sich in die Diskussion um Fragen der inhaltlichen und künstlerischen Qualität des Fernsehens und der Streaming Plattformen einzumischen

DEUTSCHE AKADEMIE FÜR FERNSEHENGeschäftsführender Vorstand: Michael Brandner, Cornelia von Braun, Frank Döhmann, Frank Godt, Jochen Greve, Stephan Ottenbruch
Vorstand und Stellvertreterin Sektion Dokumentarfilm: Jan Tenhaven und Alice Agneskirchner
Vorstand Sektion Fernseh-Journalismus: Dr. Uwe Brückner

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