ÖVP-Chef und Außenminister Sebastian Kurz gewinnt in Österreich – Aber kann er Bundeskanzler?

Sebastian Kurz, Foto: Stefan Groß

Während viele Medien hierzulande Österreich Sebastian Kurz in die rechte Ecke schieben, Nationalismus und Rechtsruck inklusive, die Wahl als Debakel des Anti-Demokratischen illustrieren, das dem Deutschen Liberalismus diametral entgegenläuft, betritt mit einem möglichen Bundeskanzler Sebastian Kurz hingegen ein Antimachiavell die politische Bühne, der mit frischem Wind segelt.

 

Sebastian Kurz ist so etwas wie der Ferrari unter den Politikerin. Elegant, eloquent, schnell und vor allem mit Design. Schon titeln die Medien vom Donau-Messias. Wo Kurz erscheint, bebt die Masse. Kurz hat etwas von einem Rockstar mit einem ausgeprägten Anti-Merkel-Effekt.

Roland Barthes schrieb einstmals ein viel beachtetes Buch: die „Mythen des Alltags“, und darin postulierte er den Citroën als neuen Mythos und stellte ihn in die Tradition der gotischen Kathedrale. War diese einst Leuchtzeichen einer aufstrebenden Kultur, so wurde der neue Citroën zum Inbegriff einer exklusiven Moderne und zum Kultdesign des 20. Jahrhunderts, zum Modernitätssignal einer aufbrechenden, disruptiven Avantgarde.

Ein Mythos ist der 31-jährige Kurz zwar noch nicht, aber er könnte einer werden. Die etablierte politische Welt betrachtet ihn argwöhnisch, verachtet ihn und stellt ihn als eitlen Snob in die rechte Ecke. Aber Kurz ist eben eines nicht: ein Pendant zu Robert Musils Romanfigur „Ulrich“, ein Mann ohne Eigenschaften, der wie ein Pendel hin und her schlägt und sich jeder konkreten Festlegung entzieht, um sich neue Optionen und Konstellationen offen zu halten.

Während die Schulz’ und Merkels dieser Welt permanent auf Sicht fahren, das Taktieren, das Palavern, die Intrige und die rhetorische Sophistik wie eine Klaviatur hoch und runter spielen und eine Politik des langen Atems bis zur Erschöpfungslosigkeit auffahren, bis hin zur Ödnis, zur politischen Einöde und Eindimensionalität, ist Kurz bei allen seinen Entscheidungen eben kurz und prägnant.

Vom Underdog ins Zentrum der Macht

Ernst Cassirer würde ihn gar als einen verstehen, der symbolisch agiert, in dem sich symbolische Prägnanz und symbolische Form, Wahrnehmung Tatsachenerfahrung, eben politische Realität und ein aufgeweckter, kreativer und beweglicher Geist miteinander vereinen. Anders gesagt. Kurz entwirft nicht in die Zukunft hinein, sondern reagiert auf tagespolitischer Bühne, auf das, was der Fall ist. Und er macht es besonnen, aber nicht ohne perfekte Inszenierung; und seinen politischen Gegnern zum Trotz, tut er das nicht unreflektiert, sondern vielmehr spielerisch und galant, ein Österreicher eben, den nicht der politische Apparat ins Amt gespült hat, der nicht im Netzwerk aufgefangen und in der Macht installiert wird, sondern der den amerikanischen Traum vom Underdog zur politischen Spitze durch die Mühen der Ebene hindurch peu à peu geschritten ist, vom Arbeitermilieu der unterprivilegierten Wiener Vorstadt ins Zentrum der Macht.

Damit verleiht er auch der Politik und insbesondere der Politik als Beruf einen seidenen Glanz, eine Dynamik, die sich radikal von dem unterscheidet, was uns sonst als das Politische und Gestaltende gegenübertritt. Kurz ist eben ein brillanter Pragmatiker von besonnenem Schlag, einer, der nicht auf Zeit spielt, sondern eben ein echter Problemlöser. Ob beim Kopftuchverbot oder bei der Schließung der Balkanroute, der Außenminister ist kein rechter Stimmungsmacher, sondern einer, der sein Ohr ganz dicht beim Volk hat, der wie ein Seismograph tektonische Verschiebungen, Brüche und anbahnende Erdbeben sowohl hören, bewerten und logische Urteile daraus zu schließen vermag,

Ein Politiker im Sinne Max Webers

Was Kurz ausmacht, ist seine strahlende Offenheit, die jugendliche Hingabe und das, was Politikern eben meist fehlt, die schnelle Reaktion und blitzschnelle Aktion. Klassifizieren lässt sich der dynamische ÖVP-Politiker daher nicht als Gelegenheits- oder Nebenberufspolitiker, sondern der langjährige Außenminister Österreich ist in vollem Umfang das, was man unter einem Berufspolitiker versteht, der genau zum Weberschen Sinne auf die wechselseitige Durchdringung von Gesinnung und Verantwortung setzt. Anstatt in der Flüchtlingskrise bestimmungslos sich treiben zu lassen, die Staatsordnung in ein instabiles Gefäß zu verwandeln, setzte Kurz auf Härte, verwechselte nicht den ethischen Imperativ der Gesinnung, das moralisch Richtige zu tun, mit dem politisch viel prägnanteren Begriff der Verantwortung, die Folgen des Handelns zu bedenken. Als galante Mischung zwischen Verantwortung und Gesinnung erfüllt dann Kurz auf das hehre Ideal, das Max Weber dem Beruf des Politikers attestierte: Erstens die sachliche Leidenschaft, zweitens das Verantwortungsgefühl und drittens das distanzierte Augenmaß.

Der Abschied von der „Welt von Gestern“

Mit Sebastian Kurz feiert Österreich seine neue Wiedergeburt und zugleich einen Abschied von der „Welt von Gestern“, vom Hauch dogmatisch-religiöser Umflankungen, vom Biedermeier der Alpenrepublik. Sondern mit ihm, dem Rockstar unter den Politikern, der ganze Arenen füllt, gewinnt Felix Austria jenem Charme zurück, der das Land auch für viele junge Bundesbürger immer mehr attraktiver macht. Das bedeutet für sie, in einem Land zu leben, wo sich Tradition, Heimat und zugleich Weltoffenheit die Hand reichen. Und mit Kurz sowie auch mit dem Kanadischen Premierminister Justin Pierre James Trudeau geht ein frischer Wind durch die dunklen Räume der Politik, wechselt ein junges Gesicht die verkrusteten Tapeten der Macht aus und verleiht dem Herbst eine wundervolle bunte Fülle.

Nun ist Sebastian Kurz nicht nur der jüngste Außenminister, sondern am heutigen Sonntag vielleicht der jüngste Regierungschef der Welt. Deutschlands derzeitige Führungselite hingegen wirkt dagegen wie eine geriatrische Clique auf Rekonvaleszenz, die sich im Untergangskampf reflexionslos in Selbstgefälligkeiten und eitler Schuldlosigkeit gefällt, die sich in Jamaika biegt, um die Macht nicht zu verlieren, gleichwohl der Wählerauftrag deutlich in eine andere Richtung weist. Jamaika bleibt ein politischer Albtraum und die Wähler werden das in vier Jahren rigoros bestrafen.

Das „Arbeitstier“ und der Antimachiavell

Das „Arbeitstier“ Kurz hat hingegen hat einen quasi Nietzscheschen Willen zur Macht. Die Gabe, Niederlagen in produktive Energie zu verwandeln, um die verknöcherten Geister von der politischen Oberfläche im Nirwana versinken zu lassen. Und das ist gut für Österreich, gut für eine neue heraufziehende Politik mit frischen Gesichtern, die den Muff von Selbstinszenierung, Selbstgefälligkeit, monarchischen Herrschaftsanspruch samt Realitätsverweigerung in den Orkus der Geschichte wirft.

Nun beginnt sie wohl, die „Zeit für Neues“ und die Zeit der neuen Mythen, für die Sebastian Kurz das neue Symbol konservativer und wertorientierter Politik ist. Der neue Bundeskanzler ist kein Phönix aus der Asche wie Bundeskanzlerin Merkel, sondern steht für einen neuen Typus von Politik. Kurz ist der neue Antimachiavell und schließt damit den Bogen zu Preußens aufgeklärtem Regenten Friedrich II., selbst wenn dieser die mit Voltaire gemeinsam verfasste Schrift später als Jugendwerk abtat. Auch Kurz wird noch manche Hürde im politischen Wettstreit überwinden müssen, die Hoffnung bleibt, dass ihm dies gelingt.

Über Stefan Groß-Lobkowicz 2127 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".

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