OPEN RAMBALDI 2013

Industrielle Archäologie und Kunst

Sie gelten als die geglückte Alternative zu den städtisch verwalteten Künstlerateliers an der Domagkstraße in Schwabing Nord. Angesiedelt in dem Areal einer ehemaligen Acetylen-Produktionstätte zur Herstellung von ungiftigem, zum Schweißen verwendetem Gas, die ihren ursprünglichen Namen WIEDE-FABRIK beibehalten hat, bilden die 30 Ateliers an der Rambaldi-Straße in Johanneskirchen eine Insel der Kreativität für Münchner Kunstschaffende und Zugereiste aus vielen Ecken Europas.
Erhalten sind in dem „revitalisierten“ Komplex die Strukturen der Werkhallen und der imposanten Türme, aber auch die kleinen Holzhäuser, in deren Innern viele Bestandteile der herkömmlichen Ausstattung noch zu finden sind: Dampfkessel, Öfen, Container, Elektroanlagen oder Werkbänke.
In ein gelungenes Beispiel industrieller Archäologie umwandelt, ist die Wiede-Fabrik von einer besonderen Aura umgeben, in der sich die Spuren einer vom Pioniergeist geprägten Vergangenheit nachfühlen lassen, während zur gleichen Zeit Neues in Form von Kunst entsteht.
Eine ganz spezielle Atmosphäre, die an zwei Terminen pro Jahr – jeweils im Winter und im Sommer – Tausende von Besuchern lockt, die die gelungene Kombination zwischen nostalgischem Rückblick auf das nüchterne technische Zeitalter und der ansprechenden Ästhetik hochwertiger Kunsterzeugnisse wohl zu schätzen wissen. So an den vier Tagen des verlängerten Wochenende zwischen 21. und 24. Februar, an dem Scharen von Interessierten in die geöffneten Ateliers hineinströmten oder sich bei Kaffee und Kuchen bzw. bei einem Glas aus der gehobenen Weinauslese der in einer neu gestalteten Halle ansässigen österreichischen Gastronomie lebhaft über Kunst austauschten.
1928 von Gottfried Wiede gegründet und nach fast sechzigjährigem erfolgreichem Bestehen in der Zeit des Wirtschaftswunders 1985 stillgelegt, änderte die Wiede-Fabrik ihre Bestimmung vor etwa zwanzig Jahren. Den Anfang machte die Malerin Claudia Gögler, die 1992 als erste ihr Atelier in ein Gebäude einrichtete, das sich heute im Zentrum der Siedlung befindet. Ihrem Beispiel folgten viele anderen Kollegen, die die Fabrik mit sämtlichen Nebengebäuden zügig besetzten und das Gelände in eine der begehrtesten Künstlersiedlungen im Münchner Großraum verwandelten. Die Transformation des vormaligen Industriegeländes in „Kunst-Fabrik“ war somit eingeleitet.
Mit großem persönlichen Einsatz betreibt der heutige Eigentümer und „Stammhalter“ der Gründersippe Andreas Wiede-Kurz diese Entwicklung weiter und stellt sich somit voll in die Kontinuität der Familientradition. Die Wiede-Fabrik ist dank ihm zum im wahren Sinne des Wortes „nachhaltigem Modell“ der privaten Förderung von zeitgenössischer Kunst aufgestiegen. Ein Modell, das in Zeiten zunehmender Einsparungen der Kommunen und der Länder im Kulturetat andere Unternehmer gut geraten wären, in ihrem eigenen Interesse zu befolgen: Denn Kultur bereichert mehr als materieller Besitz und bereitet sicherlich weniger Sorgen als die riskante Verwaltung von Anlagen und so genannten Derivaten.
In der Wiede-Fabrik sind alle Sparten der Kunst – samt Installationen und Video – vertreten: Von den cool-witzigen, immer tiefsinnigen Bild-Reflexionen in Farbe von H1-Daxl zu HC Ohls „beschleunigter Kunst in einer beschleunigten Gesellschaft“ bis hin zu den „nach Gefühl“ gewählten „unwirklich wirkenden“ Serien des Ungarn László Macky, der „Fotografie als reine Grafik“ versteht.
Sämtliche Sparten und viele Kunstrichtungen, wie- speziell in der Malerei – in der stilistisch facettenreichen Bildersprache des aus Bosnien stammenden Milan Mihailovic zu sehen, dessen Spektrum vom gestisch-expressiv über geometrisch-abstrakt bis hin zu erzählerisch-figurativ reicht. In der großen Halle des seit 16 Jahren in der Kolonie ansässigen Künstlers werden seit 1995 auch halbjährliche Gemeinschaftsausstellungen mit musikalischem Programm im Rahmen der OPEN RAMBALDI organisiert. Die Aktivitäten in dieser Richtung sollen weiter verstärkt werden. Die 34. Edition findet vom 3. bis 7. Juli 2013 statt, wenn der strenge Winter, der uns heuer mit seinen poetischen Eiszapfen Stilleben das Künstlerdorf als eine verschneite Idylle erleben ließ, dem Sommer weichen wird.
www.wiedefabrik.de

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Über Anna Zanco-Prestel 178 Artikel
Dr. Anna Zanco-Prestel, hat Literaturwissenschaften (Deutsch, Französisch und Italienisch) und Kunstgeschichte in Venedig, Heidelberg und München studiert. Publizistin und Herausgeberin mit Schwerpunkt Exilforschung. U.d. Publikationen: Erika Mann, Briefe und Antworten 1922 – 69 (Ellermann/DTV/Mondadori). Seit 1990 auch als Kulturkoordinatorin tätig und ab 2000 Vorsitzende des von ihr in München gegründeten Kulturvereins Pro Arte e.V.

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