Das Konklave im Jahr 2025 war das teilnehmerstärkste und internationalste der Kirchengeschichte. Der Großteil der Papstwähler stammte aus Europa, aber auch viele Kardinäle aus der ganzen Welt, die Papst Franziskus in den letzten Jahren ernannt hat, zählen zu den Konklaveteilnehmern. Kardinal Pietro Parolin wird als Favorit gehandelt, doch wer ist er wirklich? Von Stefan Groß-Lobkowicz.
Insgesamt hatte der verstorbene Pontifex in zehn Konsistorien 163 Kardinäle ernannt, von denen bis zum Zeitpunkt seines Todes noch 149 am Leben waren. 107 dieser Kardinäle waren zum Konklave 2025 wahlberechtigt, insgesamt nahmen 133 Kardinäle teil. Geleitet wurde es vom ranghöchsten Kardinalbischof unter 80 Jahren, dem Italiener Pietro Parolin. Der Kurienkardinal gilt als ein international anerkannter Diplomat und Pragmatiker, Pietro Parolin, ist stark von der katholischen Soziallehre geprägt.
Schiavon, ein kleiner Ort in der norditalienischen Provinz Vicenza, ist ein beschaulicher Ort. Dort erblickte der heute 70-Jährige Parolin am 17. Januar 1955 das Licht der Welt. Schon damals prägten ihn die ländliche Idylle in ihrer faszinierenden wie bescheidenen Schönheit, schon damals inspirierten den Jugendlichen die großen Fragen der Welt. Insbesondere religiöse wie ethische Themen waren es gewesen, seine tiefe Neigung zu den Fragen des Sozialen, die seinen Wunsch reifen ließen, ins Priesterseminar zu gehen. Nach dem Ende seiner Schulzeit trat er 1969 in das Priesterseminar ein und studierte dort katholische Theologie und Philosophie, um sich im Bistum Vicenza, heute eine von 226 Diözesen in Italien, für seine spätere Berufung vorzubereiten. 1979 wurde er zum Diakon geweiht und wirkte anschließend als Seelsorger in der Pfarrei Santissima Trinità in Schio. Am 27. April 1980 empfing Pietro Parolin durch Bischof Arnoldo Onisto in der Kathedrale von Vicenza das Sakrament der Priesterweihe. Anschließend war er bis 1982 Kaplan in Schio. In den Jahren von 1984 bis 1986 studierte Parolin an der Päpstlichen Diplomatenakademie und wurde 1986 an der Päpstlichen Universität Gregoriana bei Jean Beyer SJ mit der Arbeit Il sinodo dei vescovi: natura e funzioni („Die Bischofssynode: Wesen und Aufgaben“) zum Doktor des Kanonischen Rechts (Dr. iur. can.) promoviert. Dieser akademische Hintergrund samt Doktortitel waren entscheidend für seine spätere Karriere als Kirchenmann und Diplomat. Besonders seine Dissertation über internationales Kirchenrecht und die Rolle des Heiligen Stuhls im diplomatischen Bereich war der Grundpfeiler seiner späteren beruflichen Laufbahn. Gerade diese Kombination aus religiösem und juristischem Wissen ermöglichte es Parolin, eine Diplomatenlaufbahn anzustreben, die sowohl durch diplomatisches Geschick sowie durch tiefe theologische Überzeugung geprägt waren.
Die diplomatische Laufbahn: Eine Karriere im Vatikan
Parolins diplomatische Karriere begann im Jahr 1986 mit dem Eintritt in den diplomatischen Dienst des Vatikans. Für ihn wurde es der Beginn eines langen Weges durch verschiedene Nuntiaturen, die ihn zu diplomatischen Missionen in der ganzen Welt führten. Zuerst war Parolin in der Apostolischen Nuntiatur in Nigeria tätig. Papst Johannes Paul II. verlieh ihm am 14. Mai 1988 den Ehrentitel Kaplan Seiner Heiligkeit (Monsignore). Die Herausforderungen der religiösen und politischen Spannungen zwischen der muslimischen und christlichen Bevölkerung galt es damals mit viel diplomatische Geschick zu meistern, und Parolin, dem die Diplomatie in die Wiege gelegt zu sein scheint, bewies frühzeitig sein Vermittlungsgeschick, den Ausgleich zwischen unterschiedlichen Positionen zu stiften, konstruktive Gespräche und einen offenen Diskurs zu führen. Seine Fähigkeit, gerade in besonderen Situationen zu deeskalieren, die Fähigkeit, bei Konflikten zu vermitteln, offenbarten seine Fähigkeit zur Kommunikation in Krisensituationen.
Diplomat in Mexiko
Ein weiterer Höhepunkt seiner frühen diplomatischen Karriere war die Ernennung zum Apostolischen Nuntius in Mexiko im Jahr 2000. Auch Mexiko war zu diesem Zeitpunkt ein Pulverfass. Einerseits war das Land durch einen tief verwurzelten Katholizismus geprägt, andererseits gab es eine Vielzahl von sozialen und politischen Problemen – hier zu vermitteln, wieder eine besondere Aufgabe für den katholischen Diplomaten. Parolin gelang es, sowohl die Interessen des Vatikans zu wahren als auch eine Brücke zu den lokalen katholischen Gemeinschaften zu schlagen. In Mexiko war Parolin auch in der schwierigen Frage der Beziehungen zwischen der Kirche und dem mexikanischen Staat tätig, insbesondere in Bezug auf die Wahrung der kirchlichen Autonomie in einem zunehmend säkularen Umfeld.
2002 wurde er zum Untersekretär der Sektion für die Beziehungen mit den Staaten berufen – und fungierte in diesem Amt als stellvertretender Außenminister des Vatikans. In dieser Funktion führte er mehrfach eine Delegation des Heiligen Stuhls an, die seit 1990 Gespräche mit der kommunistischen Regierung in Vietnam aufgenommen hatte, nachdem diese im Zuge der kommunistischen Machtübernahme 1975 abgebrochen waren. Ebenso war Parolin für die diplomatischen Verhandlungen zwischen Israel und dem Heiligen Stuhl zuständig.
Nuntius in Venezuela
Parolins diplomatische Fähigkeiten wurden nicht nur im Vatikan, sondern weltweit geschätzt. Im Jahre 2009 ernannte ihn der damalige Papst Benedikt XVI. zum Apostolischen Nuntius in Venezuela, einem Land, von Unruhen unter der Regierung von Hugo Chávez geprägt. Chávez‘ sozialistischer Kurs, der sich als Agenda das Konzept des „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ auf die Fahnen geschrieben hatte, definierte sich bekanntermaßen als Marxist, der den Neoliberalismus sowie den Laissez-faire-Kapitalismus kritisierte. Unter Chávez‘ wurde das Land zwar nicht zu einem kommunistischen Staat, aber Klientelwirtschaft und ein zunehmender militaristischer Führungsstil um den sozialistischen Regierungschef zeichneten sich ab. Das Land galt als instabil, von politischen und sozialen Krisen schwer gezeichnet. Mehr noch: Die Beziehung zwischen der venezolanischen Regierung und der katholischen Kirche war angespannt. Hier sollte es wieder Parolin sein, dem eine Schlüsselrolle zukam, die Kirche als eine Stimme des Dialogs und der Versöhnung zu positionieren. So vermochte er mit Geschick, einerseits eine neutralere Position des Vatikans zu bewahren und andererseits gleichzeitig als Vermittler tätig zu werden.
Der Aufstieg zum Kardinalstaatssekretär
Den Höhepunkt seiner diplomatischen Karriere kam im Jahr 2013, als Papst Franziskus ihn zum Kardinalstaatssekretär ernannte. Als Kardinalstaatssekretär war Parolin de facto der Leiter des Staatssekretariats und somit der wichtigste Berater des Papstes in allen außenpolitischen und administrativen Fragen. Die Ernennung Parolins zum Kardinalstaatssekretär fand in einem historischen Kontext statt: Papst Franziskus hatte sich von Beginn seiner Amtszeit an dazu verpflichtet, die Kirche zu reformieren und die Rolle des Vatikans als internationale moralische Instanz zu stärken. In dieser Reformbewegung spielte Parolin eine zentrale Rolle. Sein diplomatisches Talent und seine Fähigkeit, die katholische Kirche in einer zunehmend komplexen Welt zu vertreten, machten ihn zu einem perfekten Partner für Papst Franziskus.
Parolin half dem Vatikan bei der Wiederannäherung zwischen Kuba und den USA im Jahr 2014, er unterstützte und verhandelte das umstrittene Abkommen mit China 2018 mit. Parolin, der neben seiner Muttersprache Italienisch auch Französisch, Englisch und Spanisch fließend spricht, vertrat Papst Franziskus mehrfach als dessen Legat, unter anderem bei den Feierlichkeiten zur Krönung des thailändischen Königs Rama X. vom 4. bis 6. Mai 2019 in Bangkok. Er gilt – trotz seiner unterschiedlichen Stationen an den Brennpunkten der Erde – als überzeugter Europäer und so bezeichnete er am Anschluss an eine Rede von Papst Franziskus vor dem EU-Parlament Anfang Dezember 2014 die Europäische Union als „Werkzeug, um Europa Frieden, Wohlstand und einen Platz in der Welt zu sichern. “ Damit richtete er seine Kritik an die Europaskeptiker und trug die Hoffnung in die Welt, dass sich diese vom Projekt Europas noch überzeugen lassen.
Das Verhältnis zu Papst Franziskus: Eine enge Zusammenarbeit
Das Verhältnis zwischen Parolin und Papst Franziskus galt in all den Jahren als eng, Insider und Offizielle sprechen von einer tiefen gegenseitigen Wertschätzung, die darüber hinaus von einer klaren Vision für die Zukunft der Kirche geprägt ist. Der argentinische Pontifex, der am Ostermontag 2025 verstorben ist, als auch der Italiener aus dem Norden Italiens teilen die Überzeugung, dass die katholische Kirche nicht nur ein Ort der spirituellen Erhebung sein sollte, sondern darüber hinaus auch eine gesellschaftliche Kraft, die für soziale Gerechtigkeit und den Frieden in der Welt eintreten muss. Papst Franziskus, der in seiner Amtsführung immer wieder die Armen und Ausgegrenzten betont, hatte in Parolin einen Diplomaten gefunden, der einerseits die Bedeutung der Ärmsten in der Welt unterstrich und der zugleich über die notwendige diplomatische Erfahrung verfügte, um die komplexen politischen Herausforderungen auf der Weltbühne zu meistern.
Ein Beispiel für ihre enge Zusammenarbeit war die Vermittlung des historischen Friedensprozesses zwischen der kolumbianischen Regierung und den FARC-Guerillas. Der Vatikan unter der Leitung von Parolin spielte eine zentrale Rolle bei der Unterstützung der Friedensgespräche, indem er nicht nur als Vermittler auftrat, sondern auch als moralische Instanz, die den Dialog und die Versöhnung förderte. In diesem Fall wurde Parolins diplomatisches Feingefühl und sein Verständnis für die komplexen politischen Realitäten vor Ort deutlich, ebenso wie seine Fähigkeit, im Einklang mit den Lehren des Papstes zu handeln.
Theologische Perspektiven und Einfluss auf die Weltkirche
Parolins theologische Perspektive ist stark von der katholischen Soziallehre geprägt, die den Fokus auf das Gemeinwohl, die Solidarität mit den Armen und die Bewahrung der Menschenwürde legt. Als Theologe versteht er die Kirche dabei nicht nur als spirituelle Institution, sondern auch als soziale Kraft, die sich in die Fragen der sozialen Gerechtigkeit, des Friedens und der interkulturellen Verständigung einbringen muss. Diese Perspektive hat ihn nicht nur in seiner diplomatischen Arbeit, sondern auch in seiner Rolle als Kirchenführer und Berater des Papstes geprägt.
Besonders hervorzuheben ist Parolins Engagement für den interreligiösen Dialog. In einer Zeit wachsender religiöser Spannungen weltweit setzt er sich vehement für den Dialog zwischen den Religionen ein, um ein besseres Verständnis und eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Glaubensgemeinschaften zu fördern. Diese Haltung spiegelt sich auch in seiner Arbeit als Vermittler in internationalen Konflikten wider, wo er oft als Symbol für die Möglichkeit der Versöhnung und des friedlichen Zusammenlebens fungiert.
Erfahrungen und Perspektiven für die Weltkirche
Die Erfahrungen, die Parolin in verschiedenen politischen und sozialen Kontexten gesammelt hat, machten ihn zu einem der besten Diplomaten des Heiligen Stuhls. Er hat in Konfliktregionen gearbeitet, interkulturelle Herausforderungen gemeistert und immer wieder versucht, die Kirche als eine moralische Stimme auf der internationalen Bühne zu positionieren. Seine diplomatische Erfahrung in Ländern wie Venezuela, Mexiko und Kolumbien haben ihm nicht nur praktische Einsichten in die politischen Mechanismen dieser Regionen gegeben, sondern auch ein tiefes Verständnis für die sozialen und wirtschaftlichen Probleme, die viele dieser Länder betreffen.
Angesichts der globalen Herausforderungen, denen die katholische Kirche heute gegenübersteht, wird Parolins Rolle als Papst von großer Bedeutung sein. Die wachsende soziale Ungleichheit, der Klimawandel, die Flüchtlingskrise und die geopolitischen Spannungen erfordern eine starke, kohärente und integrative Antwort von der Kirche. Parolin könnte entscheidend dazu beitragen, wie die katholische Kirche in diesen Bereichen weiterhin als eine Stimme des Friedens, der Gerechtigkeit und der Versöhnung wahrgenommen wird.
Pietro Parolin hat nicht nur als Diplomat, sondern auch als Theologe und Berater von Papst Franziskus eine einzigartige und herausragende Rolle in der Weltkirche gespielt. Seine diplomatischen Fähigkeiten, seine theologische Ausbildung und sein Engagement für soziale Gerechtigkeit und interreligiösen Dialog würden ihn zu einem der wichtigsten Kirchenführer unserer Zeit und zu einem würdigen Nachfolger von Papst Franziskus machen. In einer Welt, die zunehmend von politischen und sozialen Konflikten geprägt ist, würde seine Stimme von entscheidender Bedeutung sein, um die katholische Kirche als eine Kraft des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt zu positionieren.