Trug und Wahrheit im Gesicht der Rede – zu Khalil Gibrans ‚Vom Reden‘

Widerhall und Antwort
Des Denkens muss ich inne werden – so dünn wie die Zeilen gehaucht, so windig ist mein Gemüt; kaum Widerstand, dass die Grapheme und mein Blick, einer am anderen nicht doch vorbeijagen, und später ich nicht mehr als einen Namen wisse. Neunzehn Verse nehmen die Gestalt einer Übung an, sind sie Lidschläge des Verweilens. Ich möchte etwas festhalten und wähle darum eine alte Technik: das Wiedersagen, den Abdruck der gelesenen Schrift in meinem Geiste betrachten, dann warten. Nicht lang, da versammeln sich die Worte und Phrasen, beginnen sie schon vor meinem Auge bildhaft zu kreisen. Jetzt muss ich nur noch ruhig halten: es erhebt sich ein Sprechen, das wird des Gelesenen Widerhall in meinem Gemüt und meine Antwort, natürlich von einer bestimmten Form: der Bejahung.
Warum beim Interesse, dem Sein zwischen mir und einem Text verweilen und diesem sogar eine eigene Stimme verleihen, anstatt sich sogleich auf den Reiz der Interpretation einzulassen? Ein Verfahren der Verzögerung, sicherlich; möglicherweise eine Reaktion auf eine diffizile Situation: von einer Rede über das Sprechen sprachlich, sinnhaft verfügen zu wollen. Ich habe das Gefühl einer nicht zu hintergehenden Spiegelung. Khalil Gibran erhellt eine Situation, rahmt ein und zeigt auf einen bestimmten Bereich mit seiner Rede. Schon vergisst sich die Situation seines eigenen Anfangs, das Wort zu ergreifen. Er kommt zu Ende. Man sieht deutlich den Abbruch der Zeilen ins weiße Nichts des Papiers. Aber warum genau da – hat der Sinn sich bereits schon abgerundet in einem Wissen? Wurde etwas vergessen? Wer kann das schon sagen! Daher mein Drang, die Rede zu verlängern, sie mit einer zweiten, durchscheinenden Dimension zu überlagern. Wiederholung als Maske der Bescheidenheit, nicht sofort dessen sicher sein zu können, wovon alles eine Rede handelt, die einem begegnet.

„Vom Reden
[…]
Ihr redet dann, wenn ihr aufhört, mit euren Gedanken in Einklang zu sein;
und wenn ihr nicht länger in der Abgeschiedenheit eures Herzens wohnen könnt,
lebt ihr in euren Lippen, und Geräusch ist eine Zerstreuung und ein Zeitvertreib.
Und in einem Großteil eures Redens wird das Denken halb ermordet.
Denn das Denken ist ein Vogel des Himmels, der in einem Käfig aus Worten[5]
zwar vielleicht seine Flügel ausbreiten kann, nicht aber zu fliegen vermag.

Es gibt manche unter euch, die aus Furcht vor dem Alleinsein
die Gesellschaft des Geschwätzigen suchen.
Die Stille der Einsamkeit lässt ihr nacktes Selbst aufscheinen, und sie möchten entfliehen.
Und es gibt jene, die reden und ohne Wissen und Absicht eine Wahrheit aussprechen,[10]
die sie selbst nicht verstehen.
Und es gibt jene, die die Wahrheit in sich tragen, aber diese nicht in Worte fassen.
Im Herzen dieser Menschen wohnt der Geist in wogendem Schweigen.

Begegnet ihr eurem Freund auf der Straße oder auf dem Marktplatz,
lasst den Geist in euch eure Lippen bewegen und eure Zunge befehlen.[15]
Lasst die Stimme in eurer Stimme zum Ohr seines Ohrs sprechen;
denn seine Seele wird die Wahrheit eures Herzens bewahren,
so wie der Geschmack des Weins noch im Gedächtnis verbleibt,
wenn die Farbe vergessen ist und das Gefäß zerbrochen.“
(Khalil Gibran)

Von dem Reden sprechen
Dem Gedicht soll nun ein Text folgen, der als sein Kommentar aufgefasst werden kann, in dem allerdings bewusst einige Parameter, welche die Rede umgrenzen, verschoben werden. Was dann vorliegt, ist nicht eigentlich eine Interpretation des Gedichts, die sozusagen auf den Grund seiner Aussagen zielt und deren Hintergrund anheben möchte. Wenngleich auch der Text in einem Verhältnis zu dem steht, was er an dem Gedicht interpretiert, geht es nicht um die Entschlüsselung einer Wahrheit, noch um die Feststellung einer Gegebenheit. Anfangs ein eher loses Spielen mit den Zeichen, die das Gedicht vorgibt; ein Fürsprechen auf jeden Fall, das sich behauptet, ohne rechtsprechend auftreten zu wollen. Eine vorgenommene Verschiebung, die den Unterschied zwischen dem Gedicht und seinem Kommentar markiert, widerfährt der Art der Beurteilung, wie sie das Gedicht enthält. Die Aussagen verknüpfen sich im Kommentar stärker nach beiden Seiten, das heißt an einen Sprechenden, von dem sie ausgehen und an jemanden, den er anspricht. Beide Positionen treten dadurch stärker hervor. Und dieses affektive Heranrücken des Sprechenden gerinnt in der Sprache seines eigenen Ausgeliefertseins, an Eindrücke und Situationen, an die Präsenz von anderen. Die Wahrnehmung erscheint deshalb nicht einfach als Durchgang oder Relais dessen, was sich in der Rede kristallisiert, sondern sie hat alsdann eine eigene Schwere oder Leichte zu eigen. Sie ist ein Phänomenbereich des Drucks, der einerseits auf dem Sprechenden lastet oder auch von ihm ausgeht. Das Individuum ist mit den Dingen in einer kollektiv bestimmten affektiven Wirklichkeit umfasst. Es begegnet nicht nur anderen Personen in Gestalt von Verstrickungen, Effekten und Auseinandersetzungen, sondern ist ferner auf ähnliche Weise auf seine Wissensätze bezogen. Vieles bricht in sein Erleben ein, das nicht nur sein leibliches Empfinden, sondern ebenso seine geistige Anschauung durchdringt. Dermaßen affiziert, ist seine Individuation der Akt einer Bemühung.
Wenn der Kommentar gleichzeitig deutlicher die Gegebenheit eines Angesprochenen betont, der auf unentschiedene Weise unterdessen abwesend und im Sprechenden anwesend ist, dann verlängerter die Figuren der Freunde und der kleinen Gesellschaft der Zuhörer, wie sie im Gedicht vertreten sind. Der Kommentar lässt sich damit auf das Dialogische gegenseitiger Wahrnehmung ein, und wendet sich damit dem Ort einer Verhandlung zwischen mehreren Ausdruckszentren zu. Der Kommentar ist Ergebnis eines spontanen Schreibens, insofern bewusst der Willkür anheimgegeben. Was ließe sich aber wohl aus dem Versuch gewinnen, einen Diskurs – hier den der Rede über das Sprechen – evozierender zu gestalten und in seinem affirmativen Charakter zu artikulieren? Man könnte sagen, dass dabei die Ebene der Diskursivierung verschoben wird, ohne dass damit der zugrunde liegende Diskurs, der zwischen dem Gedicht und dem Kommentar eine Identitätslinie stiftet, verlassen würde. Es werden aber Gemeinsamkeiten sowohl wie Kontraste klarer hervortreten, die weiter verfolgt werden sollen und denen das weitere Augenmerk der Untersuchung gilt. Sie liefern den Ausgangspunkt für eine eingehendere Problematisierung, wie sie sich im Anschluss an den Kommentar entwickeln wird. Schreiben ist eine Selbsttechnik des Subjekts. Mithilfe der Spiegelung des Gedichts in seinem Kommentar und andersherum, soll verdeutlicht werden, dass ein Sprechen nicht primär dadurch, dass es einen bereits bestehenden Diskurs zersetzt, zu einem Subjekt gelangen kann, sondern dass es durch die Spur der Bearbeitung des Diskurses, die sich in der Form und Anordnung des Textes ausdrückt, ein Subjekt erhält. Die Schreibweise gleicht dem Anlegen eines Gartens. Wo führen die Fußspuren entlang? Wo verbleibt der Mensch danach? In den Kerben der Worte, in der Lage der Sätze zueinander, „in der Arbeit des Schreibens“(Roland Barthes).
Wir werden also noch auf den Sprechenden des Kommentars zurückkommen müssen. Der Kommentar selber ist nach Zeilenangaben gegliedert, die bei der Orientierung einer Abbildung zwischen Gedicht und Kommentar helfen soll. Dabei fällt auf, dass sich keine strikte Abarbeitung und Reformulierung vollzieht. Die einzelnen Passagen greifen mitunter einander vor und insgesamt dehnen sie sich zum Ende hin aus, als würde, umso weiter das Sprechen voranschreitet, immer mehr in den Kokon des Sagenwollens aufgenommen. Die Bezugnahmen vervielfältigen sich, Bedeutungen eruptieren. Der Diskurs beginnt sich im Schreiben zu entfalten. Gewissermaßen ist selbst das Gedicht nichts anderes als ein Kommentar zu einem bestimmten Diskurs, der sich in dessen Zeilen manifestiert. Das Gedicht stützt sich dabei auf ein ausgesuchtes Vokabular: Einklang, Abgeschiedenheit, Geräusche, Worte, Zerstreuung, Wissen, Absicht, Wahrheit, Schweigen, Freund, Stimme, Gedächtnis – und das ist nicht zu unterschätzen, da all diese Terme bestimmte Orte anzeigen, die von Sprechern und Rezipienten eingenommen werden können oder eben nicht, sei es aktual im Befinden, sei es im Haben des Wunsches nach ihnen. Es sind Orte, zu denen Individuen ins Verhältnis gesetzt sind. Solche Orte grenzen sich demnach von dem Bereich des Diskursiven ab. Sie widersprechen jener Vorstellung, dass Begriffe belassen wären. Sieverweisen jedoch nicht nur auf bestimmte Felder einer Ordnung kategorialer Unterscheidungen, sondern sind selber Effekte kultureller sowie sozialer Besetzungen. Begriffe, wie die im Gedicht auftauchenden, stellen somit nicht nur Möglichkeitsräume dar, in ihnen liegen außerdem die Kanäle der Ausdruckbeschränkung kodifiziert, die auch auf das Selbsterleben des Individuums Einfluss nehmen. Nicht unbedingt muss der Einzelne Begriffe an sich als Orte vorfinden. Das aber erzeugt eine Spannung, die in der Interferenz zwischen Gedicht und Kommentar verfolgt werden soll. Begriffe werden zum Medium, durch das sich der Sprechende hindurchbewegt und von dem auch er (als Orte) bewegt wird. Die Orte eines Einzelnen sind nicht die Auswahl und das Ensemble von Worten, die er zu vernehmen gibt, noch ein Thematisches, an dem sich die Worte abhandeln würden. Vielmehr bezieht er einen Ort, um gewisse Praktiken seiner selbst zu verankern. Dadurch kommen ihm gewisse Weisen zu, sich zu den Formationen der Worte stellen zu können. Solche Spannung lässt sich einfacher erkennen, wenn man bestimmte Begriffe als Paar setzt und sie miteinander ins Gespräch bringt, um ihre Beziehung zu befragen: was ergibt sich beispielsweise, wenn Freundschaft und Gedächtnis einander affizieren; oder wenn Worte und eine vom Individuum erlebte Abgeschiedenheit sich je zum Plateau ihres wechselseitigen Auftretens machen; oder wenn ein Wissen auf die Bedingungen seiner Möglichkeit, sich als Wahrheit darzustellen, bezogen wird? Was für Effekte entstehen und welche Wirkungen lassen sich beschreiben?

(Zeile 1)
Bin ich in einem Klang mit meinen Gedanken befindlich, so finde ich mich allein und abgeschieden. Ja doch, ich bin in Ordnung – es sucht sich die äußere Ordnung so rasch mit einer inneren abzugleichen oder geht das von mir aus? Die Zeit geht in ein Andauern über. Wie meine Gedanken eine Ruhe ausstrahlen, die mich durchdringt. Jedoch ist dieses Ruhen ein zwiespältiges und birgt gleichsam eine unausweichliche Kante in sich, in Unruhe zu verfallen, nämlich dass ich abgeschieden bin mit all meinem Denken, Erkennen und Gewahren, mit meinem in-der-Gegenwart-sein. Ausgerechnet entlegen an diesem Grund zieht es mich zu dir hin, dass das Empfinden einer Abgeschiedenheit sich in jenes eines Beieinanders umwandeln kann, und ebenso wieder zurück und zwar ohne die Übergänge der Worte, welche das Einzelne und das Viele, wie wir uns miteinander umstellen, gemeinhin einander vermitteln.
(Zeile 2)
Oder aber ich fürchte schon selber dieses Gedenken und fliehe vorher zu dir hin, dass du mich ein Stück weit tragen mögest. Ich selbst vollziehe den Bruch zwischen mir und dem Anderen, und wir begleiten einander in einer Sprache. Wir mischen uns im Reden und ich werde zerstreut, dieses Selbst, das ich ebenso haben kann, wie es mir verloren gehen kann und auf das ich deute, wenn ich >ich< sage. Kaleidoskop der Eindrücke ohne ausmachbares Zentrum. >du< wirst immer eine Welt sein, die mich verwirrt, und eine Verwirrung, die mir geschieht, derer Herr zu werden, ich meine Sprache gebrauche. Irgendwann, es stürzt zu einem ungewissen Augenblick um, gebraucht sie mich, diese Sprache. Da habe ich mich nicht mehr, trotz allem, das sich ununterbrochen sagen lässt, und das fürchte ich. Aber welche Furcht überwiegt wohl die andere? Welche reißt schwerer an mir? Was vermögen wir dagegen in unserem Zusammensein? Der Trubel all der Dinge dieser Welt, an denen ich Anteil nehme, bleibt er unentschieden?
(Zeile 3 und 4)
Man sagt: es gibt ein Innen und ein Außen. Das erste bin ich und die Welt ist das zweite. Wo aber gelange ich hin, wenn ich rede? Wenn das Geräusch begonnen hat, wird eine andere Zeit. Die Dauer geht über in ein Gewimmel aus Endlichkeiten. Dann sind sie, die Gedanken, kaum mehr zu erfassen und werden jene, die verwirren können. Was ich an dem Geschwätz sterben kann, wenn ich Gesellschaft suche! Was an mir aber findet immer wieder seinen Tod? Ich blähe mich auf durch das Reden, hier im Raum meines Rachens, in dessen Kammer mich die Stimme hinabsaugt. Manchmal wird es so schlimm, dass ich anfange, geschwollen zu sprechen, als würde sie die Stimme entzünden. Aber immerhin habe ich in der Welt von mir Reden gemacht. All das kann mich beherrschen. Ich gerate an all dem Rauschen, das mich umgibt, in einen Rausch der Zerstreuung, die sich anderem anhaftet.
(Zeile 5 und 6)
Das muss nicht geschehen. Manchmal bleibe ich bei mir. Nun teile ich mich dir mit und du dich mir. Etwas bleibt zwischen uns bestehen, eine Kluft, die den Blick aufmerken lässt. Wir werden Anteil aneinander haben. Wir werden uns entfalten in einer Sprache, in eine Mitteilung, die uns zum gemeinsamen Ort wird. Nicht vom der Zone des Rachens ausgehend, sie kommt vom Herzen, der mein Ort ist und wo auch du deinen eigenen Ort hast, zu dem wir uns zurückziehen können oder zu dem uns etwas in unserem Selbst zurückzieht. Wenn wir so in dem uns gemeinsamen Ort sprechen, umgeben uns all die Worte doch wie ein Käfig, sind seine Stangen auch weich und federnd. Von meinem Herz her, wenn ich abgeschieden bin, sehe ich die Welt von inmitten dem Himmel aus. Und die Welt ist weit. Sie hat eine Landschaft. Sie trägt Konturen und Muster, die ich erkenne. Wenn ich mich bewege, so verändern sie sich, gehen über in eine andere Lage. Die Welt zeigt ihre Gestirne, wenn es dunkel ist – jenes verheißende Funkeln des Unbekannten, des Nicht-Erkannten, das mich zu ihr hinzieht. Teil der Welt bin ich dem verwandt. Meine Stirn schreitet voran und bemisst den Weg. Die Welt ist zyklisch, sicherlich eine Wanderschaft und ich denke, sie kann ohne mich sein. Darum bin ich bei mir im Anfang und im Ende stets allein. Die wandernden Schemen scheinen mir und heißen mich willkommen. Ich möchte zu der Welt hingelangen, werde zu ihr kommen. Es leuchten mir wandernde Schemen, die nie bleiben und sich immer wieder entziehen. Mein Selbst ist ihnen ähnlich und so zieht es auch mich wieder fort. Doch wohin? Ich bin mitten in einem Raum. Er ist immer mehr als meine Welt. Kenne ich das, was mir Widerstand leistet? Kenne ich jenen Druck, die mir den Rücken stärkt, der mich vorantreibt? Manchmal vermeine ich es. Mein Selbst ist wie der Himmel. Sie sind kaum voneinander zu scheiden und verschwimmen nur leicht an all den Rändern, woran man sieht, dass sie einander bedecken. Meine Gedanken wandern selber. Der kleine Punkt eines Vogels inmitten dieser Weite, in diesem Zwischenreich. In meinem Herzen vollführe ich einen Flug und doch schreckt mich die Höhe. Der Flug ist ein sinnliches sich Versenken und die Zyklen ein Einklang.
(Zeile 7 bis 9)
Warum fürchte ich mitunter, mit mir allein zu sein? Was ist der Schrecken jenes Erkennens, das sich auf sich selber richtet, und das ich immer wieder in meiner Rede aussage – etwa heraussage in das Außen? Und warum flüchte ich in die Sprache? In der bevölkerten Ruhe der Höhe bin ich nackt. Mein Selbst scheint wie die Röte in den Dämmerungen auf, intensiv, klingend, kulminierend und dann aber schwindend. Der Morgen ist der Anfang meiner Rede und nach dem Abend endet sie. Mein Selbst strahlt mit Eindruck auf mich, sodass ich mich ihm nicht entziehen kann. Es bannt einen Blick, mein Gewahren, mein für-wahr-Nehmen. Ertrage ich den Schein, immer? Die Sprache dagegen vermag meine Nacktheit zu bekleiden. Sie verdeckt nicht nur, sondern sie schützt mich auch und birgt mich. Sie gibt mir Halt. Aber zwischen ihr und meinem Selbst kann etwas reißen, das alsbald an mir reißen wird. Dann entsprechen sie sich nicht, das Dasein und die Sprache.
(Zeile 10 und 11)
Dort, wo ich spreche, sind meine Absichten und dort auch liegt mein Wissen, wie eingegraben. Allerdings kann ich auch reden, ohne zu wissen, was ich rede und ebenso ohne zu wissen, was ich eigentlich beabsichtige. Es sammelt sich zu einem Redegewirr, das lange in mir nachhallt. All die Geräusche, welche die Stimme meines Selbst übertönen. Der Trubel aus der Vielzahl an Wortschwall und Redefluss, und nicht nur mein eigener. Am leichtesten aber kann das Reden doch ohne das Verstehen auskommen. Wenn ich jedoch selber spreche, von innen heraus und eine Sprache umgreife, in welcher ich mich selber habe, dann finde ich nicht nur Ausdruck, sondern du ebenfalls. Ich verstehe dich. Ich habe die Worte und Sätze der gemeinsamen Reden verlassen. Ich bekenne den Riss, vermag die Kluft für eine Weile auszuhalten, ihren Druck durchzustehen. Ich erkenne dich, wie ich in meinem Herzen, mich selber zu erkennen und zu verstehen glaube. Mir wird eine Wahrheit gegenwärtig, dass du wahrlich bei mir bist und ich bei dir. Ich verstehe, auch wenn ich es nur ahne, welche Richtung du hast und dass auch du dich wandernd auf einem Weg befindest. Der Rhythmus meines Herzens ist dann ein Einklang, der auch das Pochen deines Herzens mit aufnehmen kann. Dann sind wir im Einklang miteinander, werden uns gegenseitig resonieren. Dieses Herz, das alle Aufregung, all das Drängen, den Ärger und das Weinen, sowie die verschiedenen Gesichter der Furcht empfängt. Alle Rührungen, die, wenn ich mich mit der Welt vermische, entstehen, vermag ich in meiner Brust zu finden. Sie sind die Empfindungen meiner Brust – Bedeutungen, die sich nicht eindeutig im Wissen operationalisieren lassen oder die ich deinem Zugriff auf meine Absichten anbieten könnte. Ein Verstehen, dass dich als Anderen bedeutet, ohne der Not, dich für mich klären zu müssen.
(Zeile 12 und 13)
Vielleicht werde ich, was ich verstand an dir und mir, nicht aussagen können. Vielleicht vermag ich es ein andermal. Eine bestimmte Sprache zu haben, ist ein Vermögen; und auch das Schweigenkönnen. Dann also habe ich all meine Gedanken bei mir. Sie wohnen als eine Meute von Geistern in meinem Herzen. Mag sein, dass sie manchmal sehr beredt sind und zuweilen Fremde an sich tragen, doch ich habe sie aufgenommen und ihnen ein Heim bei mir gegeben. So sind sie immer belassen in meinem Herzen. Warum sollte etwas an ihnen reißen. Ich bin für mich. Ich bin ein Einzelnes, ein Punkt, jener vage Schemen im Himmel. Intime Herzkammer, ein wahrhaft privates Gefilde, nämlich der Herrschaft beraubt, für sich stehend, nicht im Blick der anderen, aber dennoch vertraulich mit jemanden oder etwas. Die Rede hingegen ist so öffentlich, die Worte sind nicht mein und verlangen ständig Rechtfertigungen und Antworten von mir.
(Zeile 14 und 15)
Auch du kannst einer dieser Geister werden, die ich beherberge. Und was bin ich selbst anderes als ein Geist unter vielen, deren Zeuge ich gleichsam bin? Von dort aus, von ihm ausgehend, habe ich eine innere Stimme, sowie meine Rede meine äußere Stimme ist. Dieser Geist, der mich bewohnt, gibt der Sprache ihre mögliche Kraft, und er kann sich bis in meine Zunge und in meine Lippen ausdehnen, sie leiten und ihnen die Bewegung vorgeben. Wenn ich spreche oder rede, bewege ich mich. Diese Bewegung selbst affiziert mich. Ich kann sie wahrnehmen kann oder auch nicht. Manchmal bin ich dem Gelass der wandernden Geister sein Zeuge. Und in dieser heimlichen wie unheimlichen Kraft der Sprache begegne ich dem ewigen Mehr, jenem >und< zwischen all den Sätzen und im Sturz nach dem Nullpunkt der einzelnen Wörter, wohin mein Selbst versinken kann, wie in ein Meer, das kein Blick zur Gänze zu umfassen vermag.
(Zeile 16 und 17)
Wir können uns einander in unserem jeweiligen Geist ansprechen, in Richtung des Herzens. Das Zeichen des Herzens ist so alt, das Träumen des Lebensstroms nach Innen. Der bezeugende Geist ist das Ohr deines Ohres. Dann empfinden wir eine Rührung aneinander, mag sie auch eine des Schmerzes sein. Oder aber wir sind in der Rede umfangen, die immer zwischen uns ist, an der wir zu Teilnehmern und Teilhabern werden, und die auch uns, uns zwischen unser jeweiliges Selbst wirft. Dann bleiben wir uns selbst und einander äußerlich.
(Zeile 18 und 19)
Wenn wir jedoch die Rede versuchen zu fliehen und wenn später der Körper des währenddessen Gesagten gestorben ist, das heißt, wenn unser Gespräch längst verklungen, dann wird dennoch das, wessen wir derweil gewahrten und das wir eine Wahrheit nennen, in unseren Herzen bewahrt bleiben. Was ich sah und erkannte, jene Klangfarben mögen mir vergessen sein, sowie die sich ereignende augenblicklichen Berührungen, als mir dein Sprechen einen bestimmten Geschmack eingab, sie mir mehr oder weniger bekömmlich war. Zu Reden ist eine Speisung und bergt Lust wie Unlust an der Vermischung. Das Geräusch der Rede ist den Farben der Dinge verwandt. Doch ich habe dich nicht vergessen. Zu vergessen heißt, etwas aus meinen Gedanken zu verlieren; und ich kann auch absichtlich etwas vergessen machen, zum Beispiel den Schmerz, den ich fürchte. Die Sprache hilft mir dabei, wenn ich mich nicht mehr selber zu halten vermag – ja, das Gedächtnis ist ein großer Baukasten und seine Werkzeuge nichts anderes als meine Geister. Dem Vergessen aber steht das Bewahren gegenüber, als teilten sie sich einen nur dünnen Platz. Bleibt der Geschmack, jenes, das ich in unseren Gesprächen aufnahm und das sich mit mir verband, dann habe ich etwas erlangt. Vielleicht bin ich es selbst und vielleicht bist es auch du oder zusammen gar. Wir fanden und mochten einander, und das wollen wir erhalten. Zu bewahren, heißt aber auch, etwas zu erwerben, das man zudem mit selbst erzeugte. Wir haben einander gesprochen, von Seele zu Seele und ungezwungen in den Himmel hinein mit all dem, was wir sehnen und hoffen, und auch mit dem, was uns schreckt. Jetzt scheint mir gut der Satz: mit seinem Sprechen zu sehr in den Wolken zu sein, den man immer nur vorgeworfen bekommt, wenn jemand einen nicht sogleich versteht. Was sind die Gedanken anderes als Wolkengebilde, Felder opaker Ausdehnung. Doch wir haben uns ausgerechnet dort verstanden, konnten uns dort gegenseitig erreichen. Im gleichen Momente treten Elemente des Verstehens und des Vergessens in unsere Sphären ein, um sich dort anzuhaften. Ich gelange gleichzeitig zu dir hin, wie ich mich von dir abscheide. Gewimmel zweier Meuten. Die Worte waren ein schlichtes Gefäß, das verschwand, kaum dass wir es leerten. Jedoch was wir aufnahmen, jener undurchsichtige Inhalt – trübe wie der Wein – begann unseren ganzen Körper zu durchdringen und wir fühlten uns in diesem Moment verändert. Wenn ich dich schließlich in mir wahre, so heißt das, dass du Obdach bei mir fandst und all mein, wo ich jemanden brauche, bei dir. In dem Heim meines Herzens schütze ich dich und von demselben aus, bin ich aufmerksam für dich. Und dem kann ich auch gedenken, dich zu betrachten und mich immer auch ein wenig zu fürchten dabei, um dieses Wunder, dass ich einen Eindruck in mir von dir habe, dass du dich in mich eindrücktest und ich also eine Signatur weiß, die für mich dein Wahrzeichen ist. All das ist Bewahren, welches uns geschah.

Das Reden zu ordnen

„Ach, angeborene Unart, immer an Orten zu sein, wo ich nicht lebe, oder in einer Zeit,
die vergangen oder noch nicht gekommen ist.“(Christa Wolf)

Drehen wir den Zirkel der Kommentare weiter, verlegen wir uns nun auf den Gehalt der Aussagen. Worum geht es eigentlich? Grundsätzlich findet man in dem Gedicht und seinem Kommentar die Rede dem Schweigen gegenübergestellt, wobei der Übergang des Individuums in die Rede auf zwei Weisen geschehen kann. Entweder findet es seine Sprache zwanghaft, weil es etwas im Reservoir seines Schweigens nicht erträgt und also von einer Unruhe erfasst und beengt wird oder es geht in das Sprechen über, weil es die Kommunikation mit anderen sucht, insofern es mit etwas beschäftigt ist, mit dem es nicht in Einklang kommt, demgegenüber das Individuum also sich nicht entsprochen fühlt. In beiden Fällen sucht und benötigt es den Anderen. Doch nicht auf dieselbe Weise. Die Zerstreuung aber ist eine leiblich sehr konkrete Operation in Zeit und Raum.
Der Kommentar legt nahe, dass eine Rede nach demjenigen Wert betrachtet werden sollte, inwieweit es einem Sprechenden möglich ist, sich für sein Sprechen als ein Anderes zu entscheiden. Die Stimme ist eine phänomenologische Gegebenheit. Eine Stimme zu haben, hieße wohl, dass was man spricht und wie von ihm man spricht, sich in Entsprechung mit dem befände, auf welche Weise das Individuum sich in dem Moment des Sprechens selbst empfindet. Eben diese Gewissheit der Selbstempfindung ist es, was sich in der Rede zerstreut und an den Reden die Frage aufwirft: wer spricht eigentlich? „Die Sprache erwächst aus der Abwesenheit.“(Roland Barthes) Und tatsächlich scheint das Sprechen seine Herkunft häufiger aus einer Not zu beziehen, als etwas zu sein, was von einem Subjekt gesetzt wird. Da ist bereits schon etwas vorhanden, das zur Versprachlichung drängt und dem das Subjekt unterworfen ist. In der zerstreuenden Rede besteht auf ihren Nullpunkt hin ein eklatanter Bruch zwischen dem Sprechenden und dem, was er spricht. Die Bezugnahme des Sprechenden zu seinem Gesprochenen ist folglich variabel und das, weil er in Diskurse verwickelt ist und verschieden Verhältnisse zu ihnen ja nach Situation einnehmen kann.
Sicherlich bleibt immer eine bestimmte Differenz zwischen dem Individuum, das spricht und dem, was es spricht, bestehen. In der zerstreuenden Rede jedoch begehrt das Individuum sich nicht selbst oder es begehrt sich gerade nicht mehr. Dort, wo es hingegen sucht, eine Stimme für sich zu haben, begehrt es sich selbst; begehrt es, in dem von ihm Gesprochenen enthalten zu sein. Von diesem bestimmten Ort eines Selbstverhältnisses aus, gibt es gute und schlechte Morpheme, Wörter, Sätze und Aussagen. Das nämliche Geräusch, welches jedes Sprechen mit ausmacht, scheint zwei verschiedene Bereiche der Resonanz auf sich ziehen zu können. Ein Wort ist gut, wenn es in seinem eigenen Klange ruht, wohingegen das schlechte Wort ein Rauschen befördert, das etwas überrauscht, das eigentlich zur Sprache kommen soll oder will. Wenn ein Sprechender sich in seiner Sprache zu finden begehrt, so vermag ein Ausdruck mehr oder weniger wirklich jenes ausdrücken, was er sagen möchte. Das Sprechen vollzieht sich dann in einem Akt des Greifens, des Eintauchens in sich selbst. Sehr wohl aber können wir auch andere als Situationen eines äußeren Eingriffs erfahren, ausgelöst durch eine bestimmte Phrase. „Zeitweilig wird, durch eine winzige Verletzung, in meinem Kopf ein wahres Sprachfieber ausgelöst, findet ein ganzer Aufmarsch von Gründen, Interpretationen, Ansprachen statt. […] Sobald ich durch Zufall in mir einen >gelungenen< Satz hervorbringe (mit dem ich den genauen Ausdruck einer Wahrheit eingefangen zu haben glaube), wird dieser Satz zur Formel, die ich nach Maßgabe der Beruhigung wiederhole, die er mir schenkt“(Roland Barthes). Die Sprache ist ein Vermögen des Individuums, dessen es aber auch ermangeln kann. In der zerstreuenden Rede aber verliert sich jener Punkt, jene Diesheit des Selbst, an welcher sich der Einzelne bei sich vorfinden kann. Was sich zugleich mit ihm zerstreut, das ist die Möglichkeit, auf sich zu deuten. Als ginge es für diesen Moment der Situationen verloren, fiele in seiner Stellung zu ihr von sich ab. Die Determination von Situationen und Positionen gehört aber gerade zum Verwaltungsbereich gesellschaftlich wirkmächtiger Diskurse.
Eine Aussage, die zu einer Formel wird, besitzt wirklich fast magische Eigenschaften, insofern sie vor allem gewissen Einflussbereichen der Erfahrung einen Tod setzen kann – subtile Verbote, weiter zu sprechen. Starke Formen wie Befehle oder Flüche deuten schon mit ihrem Wortlaut auf jene Bresche einer eingeschlagenen Flucht an, die ein Individuum mittels solcher Formeln unternimmt. Solche Formeln sind uns allen bekannt und wir stützen uns auf sie, sobald uns etwas zu sehr auf die Haut rückt. Den Gegenentwurf zuder Aussageform der Formel wäre wahrscheinlich die Wurzel (Wilhelm von Humboldt). Äußerungen liegt oft ein unbekannter Satz zugrunde, der sie stiftet und der sie sich zueinander verhalten lässt. Die Wurzel einer Aussage ist gewissermaßen das Ungespaltene ihrer Zeichen, eben es sich an jemanden richtet, beziehungsweise einen solchen Zeugen für sich sucht.Das Verhältnis der größtmöglichen Nähe zwischen einer Wurzel und ihrer Aussage, läge demnach in Gestalt einer Äußerung, die ihre Wirkung nicht mittels eines Aufwands an Phrasen überdeckt. Eine Wurzel ist der Kryptotyp (Benjamin Lee Whorf) einer Aussagenreihe und stellt die Auseinandersetzung eines Bedürfnisses eines individuellen Körpers mit der Sprache, insofern sie vorgibt, eigentlich die Sprache aller Körper zu sein, dar. Verschiedene Redeformen, wie beispielsweise das Gedicht und sein Kommentar, bemessen auch die Distanz zwischen den Wurzeln und den Äußerungen auf unterschiedliche Weise. Manchmal ist ein Sprechen nichts als Empfinden. Die Affekte haben dann die Möglichkeit, in gewissem Maße frei zu oszillieren und vermochten auf diesem Wege in die Lektüre als Spannung einzubrechen, eventuelle den Rezipienten einzuspinnen. Verfasst sich eine Rede allzu thematisch, dann hat sie stets etwas von der Abwehrhaltung der Formeln in sich aufgenommen. Der Sprechende wird sich ihr zerstreuen. Möglichweise wird er sogar für den Blick annähernd verschwinden und seinen affektiven Anspruch an die Situation mit hinfort nehmen. Muss dann nicht desgleichen auch der Rezipient verschwinden, samt dem Sprechenden zerstreut werden? Wir können uns nie ganz sicher sein, inwieweit das Individuum sich jeweils in seiner Sprache findet oder eher von ihr verdrängt wird. Eine Stimme zu haben verweist auf das Vorhandensein einer Stimmung, darin dem Einzelnen ein ihm eigenes Vermögen zum Ausdruck zukommt. Innerhalb der Stimmung aber ist der Einzelne ferner in ein umfassenderes Gefüge eingebettet, das ihm eine gewisse Bestimmung des Daseins auferlegt, vielleicht als der angemessene Grad seiner Ausdehnung. Wenn die Wurzel einer Aussagenreihe das Gegenstück zu den Formeln ist, dann muss sie sich durch eine hohe Produktivität auszeichnen, nämlich Aussagen und Weisen des Aussagens erzeugen zu können, die man folglich als ihre Derivate beschreiben könnte. Formel zeichnen sich hingegen durch ihre hohe Stabilität aus, gerade durch ihre Wirkung, Möglichkeiten des Aussagens, die sich an sie anschließen könnten, zu vermeiden, wenn nicht sogar abzuschaffen.So ist die hochgradig formalisierte Rede ein Gewährstück der Angst und das sich einlassen eines Sprechens auf die in ihr enthaltenen Wurzeln und Vermögen des Mutes. Auf die ein oder andere Weise wird sich die Sprache aber nicht besitzen lassen, und wird dem Individuum sowohl im Schweigen wie im dem großen Aufbieten einer Rede zu schaffen machen.
Das Individuum befindet sich zerstreut. Dieser Zustand kann sich mit deutlichen Affekten verbinden. Es ist von Blicken umgeben und diese geben gestisch zu bedeuten: >Was heißt das?<; >Was tust du?<. Trifft die Zerstreuung auf Widerstände, die das Individuum selber nicht wünscht, so wird es gereizt oder unwillig damit, befragt oder einfach gespiegelt zu werden. Dabei kann das ungerichtete Sprechen, das vor allem seine Flucht sucht und das oftmals eine Weisen- sowie Ortlosigkeit verdeckt, alle Arten und Modi der Rede betreffen und ist nicht nur auf jene offensichtlich flüchtigen Redeweisen beschränkt wie das Plaudern oder der Klatsch. In der zerstreuten Rede können sich vielgesichtige Meinungen ansiedeln, wobei die Identität eines Individuums sich oft dadurch errichtet, dass es gewisse solcher Meinungen vertritt und sie gegen andere behauptet. Solche Meinungen müssen keineswegs mit den alltäglichen Lebensweisen zusammenstimmen. Die Konserate unseres Bewusstseins setzten sich auch ohne unsere Fürsprache ins Werk und verfügen zusätzlich über eine gut ausgebildete Resistenz gegenüber unserem Widerstreit mit ihnen. Nimmt man hier Khalil Gibrans Fürsprache auf, dann scheint es so, als würde der zerstreuenden Rede zunächst eine läuternde Konterpart bieten, bis dahin, wo ein anderes, weniger besetzteres Sprechen wieder möglich wird. Und auf diesem Wege wird das Subjekt von Fragen umzingelt, das nicht anderes als sein Verhältnis zur Sprache selbst sind. Welche persönlichen Empfindungen verknüpfen sich mit dem, was es spricht? Wie steht es selbst zu dem, was es spricht und was ist es für sich und andere daran? Dies läuft darauf hinaus, individuelle Überzeugungen zu befragen und diese auch nach dem Grad dessen zu verstehen, was sich bei ihrer Äußerung und Konfrontation an- oder entspannt. Was begehrt oder wünscht ein Sprechender mit seinem Gesprochenen, dass es geschehen möge? Inwieweit ist sich ein Sprechender dessen gewiss? Ist er in der Lage dazu, das zu gewahren und da heißt außerdem, es zu behalten?
„Dies der unauflösliche Rest, der in den Umriss nicht passt und über den sie sich mit keinem Wort, nicht einmal mit einem Blick verständigen müssen oder dürfen. […] Duldet, indem es nicht wahrnimmt, was in abgrundtiefer Stummheit das Blut da treibt. […], ungedachter Gedanke.“(Christa Wolf) Um eine bestimmte Art von Beziehung aufrechtzuerhalten, bedarf es dem Unausgesprochenen. Und dem Unausgesprochenen, das was sich in einer Beziehung zu sprechen gibt, obgleich es schweigt, wohnt immer ein Schrecken inne, der einer mächtigen Funktionalität, Dinge miteinander zu verbinden ebenso wie der Schrecken einer gewissen Notwendigkeit, solcher Verbundenheit verpflichtet zu sein. Wo aber befindet sich das zerstreute Individuum, wenn es sich nicht bei sich selbst befindet, wenn nicht in der Gegenwart? Es liegt verstreut in der Zeit. Was es belastet und dem es auszuweichen versucht (etwas Vergangenem) und was es erwartet und auf was es wartet (etwas Zukünftiges), sie beide lenken es in seiner Aufmerksamkeit, zu erkennen und damit auch ab- und anzuerkennen, von seinem Jetzt- und Hiersein ab. Gehen wir nochmals auf die Gegenüberstellung von Schweigen und Reden zurück. Es ist, wenn jemand nichts sagt, und wenn er dann beginnt, etwas zu sagen und schließlich wieder aufhört, dass der Übergang zwischen Schweigen und Reden, des Anfangs und eines Endes bedarf. Diese Feststellung ist alles andere als trivial, denn in Anbetracht der Potenzialität des Diskurses – dass er begrenzt ist und man ihn dennoch im Grunde unaufhörlich erweitern können müsste – steht die Frage danach, wie sich solche Grenzen konstituieren, im Zentrum der Vermittlung eines Diskurses mit dem, von einem Individuum zu einem bestimmten Moment Gesprochenen. Dabei wird es augenscheinlich werden, dass ein bei sich bleibendes Sprechen ein gesondertes Verhältnis zu dem haben muss, das an ihm schweigt.
Die Gegenüberstellung zwischen Schweigen und Reden ist aber nicht einfach binär, als ob ihnen jeweils eine bestimmte Art des Sprechens eignen würde. Vielmehr sind es Zwei Pole des mehrzackigen Sterns des Sprechens. Man darf zum Beispiel nicht all jenes vergessen, das man während der Rede denkt oder das einem einfach durch den Kopf geht, wenn man dem Anderen zuhört oder auch wenn man ihm nicht zuhört. All das Gemurmel, das sich hinter den Wörtern der Rede zu verstecken sucht, aber das auch durchdringt und nur so behandelt wird, als wäre da nie etwas gesagt worden und auf das man sich sodann also auch nicht mehr beziehen kann. Oder anderes, mit dem man einfach nichts anzufangen weiß und das einen selber ins Schweigen zurückwirft, sodass man es vielleicht sogar mit neuer Rede zu bedrängen beginnt. Etwas sprachlich zu beginnen oder zu öffnen und etwas wieder zu beenden, bezieht sich darum nicht allein auf eine Selektion, nicht lediglich auf eine Auswahl von lexikalischem Material, das ein Sprechender in bestimmter, ausgewählter Weise zueinander gliedert (das Syntagma), sondern vollzieht sich schon auf einer inhaltlichen, das heißt auf einer affektiven und auf einer willentlichen Ebene. Was kann jemand über etwas überhaupt aussagen und inwieweit begehrt er es auszusagen? „Was soll ich ihm sagen? Soll ich ihm meine – dann bereits vergangene – Unruhe verbergen (>Wie geht es dir?<) Sie aggressiv (>Das war aber nicht schön von dir! Du hättest wenigstens … können<) oder leidenschaftlich äußern (>In welche Unruhe du mich versetzt hast<)? Oder ihn diese Unruhe zart, leichthin fühlen lassen, um den Anderen ins Bild zu setzen, ohne ihn damit aus der Fassung zu bringen (>Ich war ein wenig beunruhigt …<)? Eine zweite Angst ergreift von mir Besitz, die Angst, mich nach dem Ausmaß von Verlautbarung entscheiden zu müssen, das ich meiner ersten geben werde.“(Roland Barthes) Wenn es eine Unart ist, nicht gegenwärtig zu sein, dann deshalb, weil wir die Situationen mit unserem Gemurmel unterhöhlen und befrachten. Möglicherweise geht es immer darum, „den Anderen ins Bild zu setzen“, das heißt ihn Vorstellungen, die uns heimsuchen, gleichzusetzen, derer er sich nicht entziehen können wird. Zudem scheint es, als dass wir selber uns nur mit Mühe dem enthalten können, mit unseren Erwartungen und Ahnungen die Welt vorauszusetzen. Das ist wohl auch der Unterschied zwischen dem von uns Besitz ergreifenden Gemurmel und einen Schweigen, in dem sich ein Individuum befinden kann. Momente der Unruhe gegenüber Momenten der Ruhe. Die Vorwegnahme von Situationen ist also ein Verfügen über eigentlich Unverfügbares, nämlich das individuelle Erleben. Das Gegenwärtige, also jenes, das sich aktual ereignet, kann man nicht besitzen, sondern nur haben, indem man sich tatkräftig in es hineinbegibt. Die Gegenwart ist ein Sein, in das man sich engagiert (Jean-Paul Sartre). Das Individuum vermag sich zu einem Erleben in Verhältnis zu setzen und es demnach auch zu intensivieren oder eben abzutönen. Umgekehrt kann eine Vorwegnahme des Anderen nur eine Usurpation an sich selbst bedeutet, insofern man zuerst die eigene Aufmerksamkeit ablenkt. Somit ist es diese Ablenkung seines Gegenübers, welche den anderen als Zerstreuung befällt.
Aus Befindlichkeiten entstehen verschiedene Aussagen, die auf ihre Herkunft bezogen werden können – vielleicht gerade durch jenen Anderen, an den sie sich richten. Aussagen sind immer Gefährte, mit deren Hilfe etwas zu erlangen begehrt wird. Es gibt eine Situation und an ihr eine Vielheit an Möglichkeiten, die alle für sich wahr sind. Worauf Roland Barthes verweist, ist eben dabei das wirklich Entscheidende, dass schließlich jene Möglichkeit, die ein Sprechender glaubt zu wählen, eine Wirksamkeit entfaltet, der er später dann verpflichtet sein wird. Die Rechenschaft, beziehungsweise eine Welt des Rechts setzt mit dem Sprechen zugleich ein und tritt nicht erst nachträglich zu diesem hinzu. Daraus schließe ich, dass die Wahl einer Aussage primär nicht von den mitgeteilten Inhalten abhängt, sondern von dem individuellen Vermögen, inwieweit ich es ertrage, begleiten kann, wünsche und hoffe, dass was ich sage, in die Situation hineingeht, dass es sie bestimmt und ausmacht, und letztlich dass es eine Kraft in dieser freisetzen wird, an die ich weiterhin gebunden sein werde. Gegenüber seinen eigenen Aussagen reliabel zu sein, beordert eine Erwartbarkeit, die weil sie nicht ohne eine ihr anhängende Verträglichkeit in Bezug auf den Anderen gedacht werden kann, das Situative reduziert. Das Recht, etwas zu sagen, die Pflicht, zu gewissen Aussagen zu stehen und schließlich die Wahrheit einer Äußerung; sie alle umschließen diesen Prozess der Wahl, was in Anbetracht einer Situation zu sagen sei.
Andererseits drängt sich die Rede förmlich auf, zuweilen als eine scheinbar unausweichliche? So ist immer ein Schrecken oder eine Angst zugegen, dass bestimmte Aussagen doch nicht funktionieren könnten oder dass sich der Bannkreis einer Kommunikation gegen sie verweigert, den sie ungewollt erschüttern; die Angst, sich nackt und gescheitert, zurückgelassen zu empfinden, falls man es (vielleicht sogar ohne eigentliche Absicht) täte.
Ein Drittes, das sich mit der Gegenüberstellung von Reden und Schweigen verbindet, ist die Zuordnung von Wissen und Absichten zu dem Gebiet der Sprache oder Rede, und jene Zuordnung des Verstehens und Erkennens zu dem Gebiet des Schweigens. Das Schweigen markierte eine Ort, an dem sich das Individuum bei sich selbst empfand. Etwas zu verstehen, heißt also nicht einfach, etwas zu wissen. Allerdings ist durchaus die Meinung verbreitet, zu verstehen hieße einfach, etwas zu erkennen, beziehungsweise wieder zu erkennen. Man kann den sprachlichen Input zwar durchaus verstehen, insofern ein Hörer oder Leser ein Wissen darüber erlangt, was eine Rede bezeichnet. Jedoch geht jedes Sprechen über diese Funktion der Sprache hinaus. Zu verstehen als gesonderte Bedeutung an der Rede heißt, im Anschluss und mit dem Wissen, das ein Individuum nun hat und das in aktiven Bezug zu der tritt, eine Bestimmung mit demselben zu gewinnen. Wissen drückt sich nicht allein in einer Stimme aus. Das Wissen wird fernen umgrenzt von einer Stimmung, die es selbstbezüglich macht. Das Wissen einem Ausschnitt der Welt vertraut, dem das Individuum sich anheim gibt. Und weil es in Bewegungen inbegriffen ist, befindet sich auch sein Wissen in einem Strudel, der es auf eine Bestimmung von gewisser Dauer hin eindreht. Den Kanal, den es dabei durchtaucht, könnte man wiederum als seine Stimmung bezeichnen. Das Verstehen stellt sich zumindest nicht auf die Seite der kommunikativen Kompromisse, jene Verteilung von sich wechselseitig anbindenden Determinanten, sondern legt im Individuum Folgen, Praktiken, Spuren, Bedeutungen und Weisen als Konsequenzen einer aktualen Kommunikation an.
Doch kann ich nicht nur erkennen, was ich weiß, sondern es auch verstehen. Was an meinem Wissen verstehe ich aber? Die Absichten eines Individuums betreffend mag das leichter nachvollziehbar zu sein, dass sie von ihm erkannt und verstanden werden können, möglicherweise in dem, worauf sie sich beziehen und woher sie sich in ihm selbst begründen. Es liegt nahe zu vermuten, dass auch das Wissen, das ein bestimmtes Individuum hat, sich in seiner Geltung auf etwas bezieht und sich in seiner Notwendigkeit in etwas begründet. Es selbst ist nie ohne ein Objekt, an dem es sein Wissen entfaltet, das es sozusagen entdeckt, welches sich aber auch immer wieder von dem Andrängen eines Wissens abscheiden wird. So unterhält jeder Einzelne gewisse Beziehungen zu dem Wissen, das er von der Welt hat und zu den Absichten, mit denen er sich in ihr bewegt. Beide Bezüge können hochgradig unbewusst ablaufen oder anders gesagt, benötigen sie existenziell selber kein Erkanntsein, um zu funktionieren und sie können vor allem auch ohne ihr Verstandenwerden auskommen. Das ist auch der Grund dafür, warum ein Bewusstsein sich nicht in der Gegenwart befinden muss. Es kann in seinem eigenen Augenblick in einem Erleben sein, das sich nicht dort vollziehen muss, wo ein Individuum gerade etwas spricht. „Der Mensch hat ein unwiderstehliches Bedürfnis, sich aufzuklären, […]. Doch sobald er in das Reich des Wissens tritt, scheint ein böser Zauber [d.h. die Redeformeln] die Anwendung, die wir von unseren Kenntnissen machen, gegen uns zu kehren. Wir mögen also am Ende aufgeklärt oder unwissend sein, so haben wir dabei soviel gewonnen als verloren. […] Wie unbegreiflich der Wille, der über der Menschengattung waltet. Kann Gott von solchen Wesen Verantwortlichkeit fordern“(Christa Wolf), vermöchte er noch über sie nach Recht sowie Pflicht und deren Konsequenz zu urteilen? Die Herstellung an Quantitäten von Wissenssätzen ruft nur selten eine gesteigerte Qualität an einfachsten Verhaltensweisen hervor. Vielleicht ist ja die ganze Wissenschaft um den Geist nichts als ein groß angelegter phantasmatischer Zug der Moderne, wenngleich auch darum nicht weniger produktiv und wirksam, in dem, was er bemüht?
Es scheint, als könne der Mensch, zumindest die meiste Zeit, nicht ohne die Rede oder das Sprechen sein, wohl aber ohne jenes Selbst, das sein ganz eigenes ist. Das würde es bedeuten, wenn man sich in der Rede zerstreut. Die Sprache ist dann ohne Subjekt, welches sie führt. In umgekehrter Weise lässt sich nun auch verstehen, warum der Dialog zwischen einem Ich und einem Du erst beginnt, wo das sprechende Individuum mit seinem Sprechen bei sich bleiben kann, und Erkennen und Verstehen daran besitzt. Verstehen fordert Differenz. Der Monolog, beziehungsweise die Selbstbetrachtung hingegen findet immer in einer Welt statt, in welcher sich das Individuum (oft verzweifelt) versucht zu orientieren und zu finden. Es behauptet sich um dasjenige, worin es sich nicht hat. Die Zerstreuung ist dabei nicht nur eine Bewegungsform oder Art einer Vermittlung zwischen Bewusstsein und Körper, sondern kann selber von einer Verdeckung erfasst werden, sodass ein Einzelner die an ihm geschehende Zerstreuung sowie jene, welche er selber an anderen erzeugt, nicht mehr als solche begreift. Er müsste sich den Worten stellen und sich dem Gepräge seines Sprechens selber ausliefern. Allerdings hat der Mensch sich einzustellen, sodass selbst eine Not zu einem Zustand der Gewohnheit übergehen kann und somit auch dem Vergessen beigegeben, später von Umdeutungen ummantelt wird. Auch Diskurse haben keine Subjekte, die sie als Totalität begrenzen würden. Darum überdauern sie oft eines Menschen Leben und bilden sozusagen epochale Wellen. Und doch scheint der Diskurs fast ein Nichts zu sein ohne das Individuum, das ihn zur Sprache bringt. Dünn und ohne Stabilität. Von kaum bestimmbarem Inhalt, wie auf dem Sprunge fort. Aber auch kraftvoll und wirksam, voller Bewegungen, die nicht nur welche des Sprechers sind. Von dem Diskurs aus hat die Sprache ein eigenes Leben, das sich mal mit einem Individuum verbindet, sich jedoch auch von diesem abwenden kann. Dann entzieht sich ihm die Sprache und er weiß etwas nicht zu sagen. Manchmal sind einem die Worte wie abhanden gekommen und im das Reich der Zeichen lagert ein Gefälle aus abgeschatteten Bereichen. Ist das der Geist, zunächst Grenzort des Zweifels, von dem das Gedicht und sein Kommentar spricht; vielleicht gar noch als Kern ihrer eigentlichen Zuwendung? Und was bedeutet es, wenn das Individuum sich selbst als einen solchen Geist bei sich vorfinden kann? Der Geist überdauert seinen sterblichen Körper wie ein Ahne. Er kann seiner selbst unendlich unsicher wie auch gewiss sein. Er fühlt sich weit in die es umgebenden Dinge ausgedehnt und spürt, dass er Einfluss nimmt oder aber es scheint, als ermangele er jeder Interferenz mit der Welt, die er verlässt. Es bedeutet, sich mit diesem Eigenleben verwandt zu machen und es mit zu vollziehen. Doch deutet dies nicht einfach auf eine Art der Hinwendung des Bewusstseins hin, sondern ist vorrangig mit dem Vermögen eines Körpers verbunden, das disparate Eigenleben eines anderen Körpers an sich wie auf sich aushalten zu können. Und das nicht nur in Bezug auf den Anderen. In jenem Geist, der ich selbst bin, zu ruhen, heißt meinen affektiven Körper in all seinen Regungen aushalten, diesen also ein Feld ihrer Ausdehnung für die Dauer ihrer Bewegung aufrechterhalten zu können.
Die Individuen machen einander Mitteilungen nur mittels der Diskurse, an denen sie teilnehmen und teilhaben. Wie die Menschen sich in einer bestimmten Gesellschaft zueinander in eine Ordnung setzen oder wie sich zu einer Ordnung drängen, so haben auch die Diskurse eine bestimmte Ordnung, die von dieser Gesellschaft verwaltet wird. Es gibt zum Beispiel Wörter und Äußerungen oder Weisen der Kommunikation, die erwartet man unter bestimmten Umständen nicht zu hören. Anderer hingegen kann man sich ziemlich sicher sein und sich also sozusagen schon im Vorhinein auf sie beziehen und konfigurieren. Man stimmt sich auf ein Gespräch ein. So rührt „ein Großteil der Wunden […] für mich aus dem Stereotyp [eine dem Gespräch zuvorkommende Konfiguration] her: ich bin gezwungen, mich […] zu machen wie alle Welt: eifersüchtig, verlassen, [einsam, freundlich, usw.] zu sein wie alle Welt auch. Wenn aber die Beziehung originell ist, wird das Stereotyp erschüttert, […]. – [Meine Beziehungen gelangen in einen Raum] ohne Diskurs“(Roland Barthes). Wichtig hierbei zu bemerken ist, dass die diskursive Ordnung eines bestimmten gesellschaftlichen Raumes dem Individuum nicht nur als Umstände begegnet, die es je mit verschiedenen Normen des (sprachlichen) Verhaltens und mit einzunehmenden Haltungen konfrontieren, sondern dass eine solche Ordnung das Individuum selber ist – in symbiotischer Weise halten sich diese beiden Systeme gegenseitig am Leben. Aufgeschlossen zu sein, diskussionsoffen zu sein oder verletzt zu sein sind keine Eigenschaften, die einem Einzelnen je nach Situation zukommen, sondern Gefüge aus Empfindungen und Gedanken, die ihn in Beziehung zu anderen setzen. Sie sind dieser eine Einzelne selbst und zugleich die anderen. Der Stimmungskörper existiert zu jedem Zeitpunkt in seiner voll Gesamtheit, in dem vollständig Maß seiner Ausdehnung und das unabhängig davon, in welchem Bereich und Umfang sich das Bewusstsein des Einzelnen darin ansiedelt.
Die bisher besprochenen Verhältnisse des Individuums zu seiner Rede, sein bei-sich-Sein sowie sein außer-sich-Sein, müssen in solchen Figurationen einer gesellschaftlichen Ordnung distributiv mit enthalten sein, was aber auch bedeutet, dass sie ebenfalls jenen Verwaltungsprozeduren, einer diskursiven Kontrolle unterliegen. „Darauf Kleist, ruhig, aber erschöpft: Was denkbar ist, soll gedacht werden. Ist das nicht auch ihre Meinung […]? Aus den Höfen die Geräusche einfacher Arbeiten, Axtschläge, Eimerschleppen. Hühner auf dem Weg, der sich zum Ende der Straße hin zur Uferwiese öffnet. Boden unter den Füssen. Den Himmel auf den Schultern. Die niedlichen Häuschen, die um ein Winziges gegen ihn zusammengerückt sind. Die Verschwörung der Dinge. Reden, reden“(Christa Wolf). Der Einzelne ist nie unabhängig von der Rede. Die bestehenden Diskurse einer Gesellschaft geben ihm nicht nur seine Gespräche vor, sondern sie geben ihm auch sich selber, beziehungsweise enthalten Aussagen gewisse Kodierungen, die bemessen, inwieweit sich ein beliebiges Individuum zu diesen Aussagen verhalten soll. Die Rede legt ihm Selbstverhältnisse nahe, die ihm also nicht allein aus sich selbst zukommen. Was verlangt diese Person Kleist; dass sich ein Individuum mit all seinen Kräften und Wünschen in sein Sprechen entfalten sollte, um dem Umbruch in eine beredte Stummheit zu entkommen, die immer fortwährend nahelege, es wäre nichts gefordert, nichts begehrt gewesen? Es scheint so, als wäre ihm kein Ort dafür gegeben; die Ordnung der Dinge, sie verschwört sich gegen ihn. Der Mensch aber neigt dazu, sich auf die Bedeutungen seiner Äußerungen zu verlassen; dass diese funktionieren mögen. Ihr Meinen aber ist ihnen nicht einfach etwas Äußerliches, sondern ein tatsächliches körperliches Durchleben. Dafür aber müssen sie sich jedoch verlassen, wollen sich an die Rede veräußern. Was bleibt dem, der sich nicht dahin hinein zu fügen versteht? Die beschriebene Dorfszenerie versinkt in einem Bild, das zunehmend austrocknet, was an ihm noch denkbar wäre und was es wohl vermöchte, gar zu einer Anteilnahme hin empfindsam zu machen. Die Menschen werden müde und ihre Reden setzen diese Prozedur fort, anstatt in die Ordnung der Dinge einzugreifen, dass einer sich in ihr verwirkliche, dass einer in ihr eine Wirklichkeit für sich beanspruchen könnte, sich vorfindet und sich einem gegenwärtigen Moment vollkommen zur Seite stellt.
Den Reden kommen unterschiedliche Gehalte zu, je nachdem, wie stark der Grad ihres Thematisierens ist. Was sich dabei verschiebt, sind die Ebenen, auf welche sich ein individueller Ausdruck begeben kann. Über etwas zu sprechen, muss nicht das gleiche bedeuten, wie von sich zu sprechen. Der Kommentar hat versucht, sich dem zweiten Modus anzunähern, wohingegen die nun ablaufende Untersuchung sich auf ein Sprechen besinnt, worin man über Inhalte nachdenkt und sie zusammenfasst, was nicht ohne eine Reduktion vonstatten gehen kann. Solche Reduktion der Vermögen des Körpers und also der Wahrnehmung ist nicht willkürlich, sondern durch einen uns gewohnten Diskurs mehr oder weniger stark je nach Sozialisierung bereits vorgegeben. Wir kommen nicht umhin, all das in Gestalt einer Anpassung wertzuschätzen. „Man weiß, dass man nicht das Recht hat, alles zu sagen, dass man nicht bei jeder Gelegenheit von allem sprechen kann, dass schließlich nicht jeder beliebige über alles beliebige reden kann“(Michel Foucault). Aber auch schon im 9. Jahrhundert verband sich mit dem Wort >rede< (mhd.) nicht nur das Gespräch, die Erzählung oder die Sprache im Allgemeinen, sondern auch der Begriff der Rechenschaft – also die Vorstellung eines bestimmten Rechts, welches das Sprechen begleitete und vor dem es sich zu verantworten hatte. Für unsere Kultur ist das das Stimmrecht der Vernunft und des Verstandes. Zu reden hieß, bei sich etwas zu bestimmen, zu glauben und zu meinen. Sicherlich schied man dabei die vernünftige Rede von der unvernünftigen und die verständige oder verständliche von der unverständigen oder unverständlichen Rede. Doch konnte man auch mit Rede begabt sein, das heißt dazu in der Lage, die diskursive Kraft der Rede entfalten zu können, wodurch die Hörer sich berührt oder durch einen anderen in sich gedrungen fühlten. Man verstand (Verstehen) also, etwas auf die rechte Weise zu sagen. Man konnte jedoch auch in der Rede gewandt (das Gewand mit dem man seine Nacktheit bekleidet) oder geschickt sein. Dann wusste (Wissen) man etwas in geschickter Weise zu sagen – sich in eine bald taktische Form zu schicken, sich in ihr durch eine heikle Situation fortzubewegen, sie befördern oder etwas darin aufgeben. „Darstellbar, präzisierbar, erfüllend ist entweder das, was die Bedeutung meint, oder was die Bedeutung hat, einmal das Ziel der Intention, das andere Mal der Träger der Intention. Nur Ziel oder Träger können selbst noch für sich präsentativ [in Form von Repräsentationen], anschaulich vergegenwärtigt werden […]. Dagegen wird der Sinn, die Meinung, Bedeutung eines jeden nur möglichen sprachlichen oder außersprachlichen Ausdrucks verstehend erfasst. Im Verstehen […] konstituiert sich die Reihe der repräsentativen Gehalte, die nicht mehr bloß da sind, sondern >für< etwas, >als< etwas dem Bewusstsein sich mitteilen“(Helmut Plessner). Einem solchen Verstehen steht also das possessive Verfügen der Individuen durch die Rede entgegen. Die Verknüpfung der Rechtschaffenheit oder von dem, was redlich sei mit dem Sprechen, bewegt bereits die sophistische Diskussion um die Stellung des Redners in der Antike. Doch lässt sich die Gegenüberstellung von Zeichen und von Sinn nicht als ein einfach belassenes Verhältnis beibehalten, als eine fixe Ordnung, dahinein sich der Redner nur auf die rechte Weise zu fügen und zu finden habe. Diskurse erarbeiten ihrerseits eine Vergegenständlichung, das heißt eine Konstituierung und Speicherung von Gehalten. Sie überlagern damit das individuelle Vermögen, ein Verständnis herzustellen. Mitteilungen sind oftmals überdeterminiert, sodass eine Aussage coreferentiell andere Aussagen innerhalb eines statischen Bündels, dem sie angehören, aktualisiert.
Eine Rede kann sich demnach unterschiedlich gewichten, und einmal das Wissen oder ein Verstehen für sich beanspruchen. In beiden Fällen wird sie jedoch von einem Diskurs zusammengefügt, geschichtet, festgesetzt und an die Situation angepasst. Sie ergibt sodann eine sinnvolle Rede, die nur wenig vom Drift des Schweigens für sich behält. Allerdings hatte nur das verstehende Reden das Rechtschaffende, einen ethischen Wert auf seiner Seite, wohingegen das wissende Reden jenen Unterton in sich barg, absichtlich überreden zu wollen, also die Hörer auf etwas hin zu überführen, worin sie sich wohlmöglich zerstreuen sollten. Die Wissenssätze stellen damit die primäre Formation für die Anlage und die Eingriffe von Absichten in die Ausrichtungen von anderen dar. Letztlich ist selbst Khalil Gibran jemand, der sich auf eine Überzeugungsarbeit verlegt und sich dabei nicht selber an den Freund, sondern an eine Gruppe richtet. „Gott weiß, und ich, glauben sie mir, weiß es auch, dass dem Menschen oft nichts andres übrig bleibt, als Unrecht zu tun – sei’s gegen andre, sei’s gegen sich selbst. Und dass man sich wohl abfinden muss, dies die Weltordnung zu nennen“(Christa Wolf) im Kontrast zu einer vorhergehenden, rechtschaffenen Ordnung (Gottes). Hat schließlich in unserer Zeit jenes Recht auf die Stimme nicht die Seiten gewechselt und herrscht nicht das Primat des Wissens vor dem des Verstehens, jene gesellschaftlich verteilte Anerkennung eines Wissens, unabhängig von dem jeweiligen Verständnis, das sich mit diesem verbindet? Und geht nicht auch jene Skepsis, jener Unwille gegenüber allem Hinterfragen und sich Enthaltens um, welches gleich auf welche Weise ein Verstehen für sich sucht, mit dem man sich entsprechen kann? Natürlich kann das Individuum immer scheitern. Die auf das Verstehen ausgerichtete Absicht ist ein Plan, der fehlgehen kann. Was geschähe uns aber andererseits, würden wir damit beginnen, die ordnungsstiftenden Repräsentationen allerorten auf die in ihnen präsenten Gehalte hin zu befragen, um sie mehr Wert zu nehmen? Begegnet einem darin nicht eine viel größere Angst? Redlich zu sein, heißt nicht mehr dasselbe. Zuverlässig, vernünftig und wohlgeordnet, seiner Pflicht gegenüber einer bestimmten Sozietätbewusst oder stetig, wenn nicht sogar treu zu sein, bezieht sich innerhalb der gesellschaftliche Diskurse der Moderne auf ausgewählte Aspekte individuellen und kollektiven Lebens. Man sagt: >So wie es sich gehört< bezüglich des eigenen Verhaltens (das als ungehörig empfunden werden kann) gegenüber einer bestimmten Gruppe, der man zugehörig ist.Der Sprecher wird von den Hörern diskursiv verpflichtet. Gehorsam oder gar hörig ist man demnach vielmehr in und durch die Art und Weise seiner Rede und nicht vornehmlich durch gewisse gesellschaftlich bewertete Überzeugungen, die man hegt. Man kann schließlich durchaus in den eigenen Reden vieles verurteilen und dasselbe dennoch unvermindert tun und es auch begehren. „Das Grässlichste, sagt Kleist, ist doch jener innere Befehl, der mich zwingt, gegen mich selbst vorzugehen. […] Was mich tötet zu gebären. […] Den Satz nehmen sie zurück. Nicht, Kleist. Man kann kein Wort zurückholen. Was hat doch Wedekind ihm nahegelegt? Maßhalten, Selbstbesinnung, auch Bescheidung. Nicht dieser Aufruhr. […] Nicht wieder diese zügellose Hoffnung: All das nicht, was ihn zu dem macht, der er ist. Verloren, Wedekind. Das wird nichts. Günderrode, sagt er, aber ist es uns nicht geboten, innezuhalten, eh sich solche Sätze in uns bilden! Ja, […]. Das ist uns geboten. […] Und wir müssen das Gebot übertreten. Warum? Das weiß man nicht“(Christa Wolf). Die Diskurse bin ich selbst! Wohin richtet sich mein Begehren? Ab wann vernehme ich es? Drückt sich in meinem Sprechen schon ein Aufbegehren nach etwas über Diskurse hinaus? Was ist es eigentlich, das sie nicht zulassen, beziehungsweise von dem die Rede nichts versteht?

Literatur

Gibran, K.: Der Prophet.
Wolf, C.: Kein Ort. Nirgends.
Celan, P.: Gedichte.
Barthes, R.: Fragmente einer Sprache der Liebe.
Barthes, R.: Das Reich der Zeichen.
Plessner, H.: Anthropologie der Sinne.
Foucault, M.: Die Ordnung des Diskurses.
Humboldt, W.v.: Schriften zur Sprache.
Whorf, B.L.: Sprache Denken Wirklichkeit.

Über Zetlmeisl Georg 6 Artikel
Georg Zetlmeisl, geboren 1983, studierte Philosophie, Soziologie, Linguistik, Ethnologie und literarisches Schreiben und ist seit 2011 als Doktorand für Kulturphilosophie an der Universität Leipzig tätig. Weiterhin gibt er verschiedene Workshops an den Paracelsus Heilpraktiker Schulen, die sowohl der Vermittlung akademischen Wissens an ein breiteres Publikum dienen, als auch nach Möglichkeiten der praktischer Anwendung solchen Wissens im Rahmen einer Lebenskunst suchen.

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