„Ahja, ich bin jetzt Ihr wöchentlicher Kolumnist.“, gez. Ihr Ernst Molden

Er hat einen gewissen Status und man könnte ihn durchaus schon als Kult-Kolumnist des ZEIT-Magazins bezeichnen. Egal, ob er Altersvorsorge-Tipps für Jugendliche erteilt, die wahren Schrecken des Älterwerdens beschreibt, ob er den Zusammenhang zwischen halbleeren und halbvollen Colaflaschen oder diversen Zwangsneurosen offenbart oder das neu entdeckte Phänomen des „vertuschten Orgasmus“, ob er sich selbst einem Stresstest für Manager unterzieht, die Schattenseiten seines neuen Smartphones darlegt oder sich als Wut-Tanker outet – stets nimmt er in seinen Glossen unsere täglichen Probleme unter das Vergrößerungsglas des scharfzüngigen Zeitkritikers. Mal mit Augenzwinkern und der Unschuldsmine des naiven Zeitgenossen, mal bissig-humorvoll mit der spitzen Feder eines Satirikers enttarnt er abgedroschene Phrasen, gängige Vorurteile, hochgejubelte Medienevents und eingeübte Alltagsbanalitäten. Die Rede ist von Harald Martenstein.

Halt! Stop! Falscher Text!?

Keineswegs! Denn in Ernst Molden hat der deutsche Autor sein österreichisches Pendant gefunden. Ernst Molden? Nie gehört, werden sich jetzt sicher nicht wenige denken. Doch der Sohn des ehemaligen Verlegers, Schriftstellers und Widerstandskämpfers Fritz Molden, Enkel der Schriftstellerin Paula von Preradovic (u. a. Verfasserin des Textes der österreichischen Bundeshymne) sowie Urenkel des Schriftstellers Petar Preradovic, der gern auch die eigene Klampfe zur Hand nimmt, dabei musikalisch einige Bekanntheit errang und in einschlägigen österreichischen Gazetten mitunter als der „Leonard Cohen Wiens“ bezeichnet wird, ist ebenso wie sein deutscher Vertreter ein begnadeter Kolumnist. Seit 2009 erscheinen jeweils wöchentlich in der Samstagsbeilage der Wiener Tageszeitung „Kurier“ seine „Grätzelstories“: Texte von und über seinen Wahlheimat, eben jenes Wien Mitte, „das ungleich berühmter ist als die Mitte“ und das seinen Namen einer „Art Schlund mit ein paar Ruinen“ zu verdanken hat, dem… ach lesen Sie selbst, das kann der Autor viel besser als ich beschreiben ;-).

Ernst Molden persifliert in wunderbarer Art und Weise die Wunderlichkeiten seiner Mitbürger, schreibt über sein Leben mit seiner „Liebsten und unseren drei Kindern“, die gern auch mal aus „Brut“ bezeichnet werden oder andere kleine Alltagsbegebenheiten. Mit unglaublichem Sprachwitz, Wortspiel und -akrobatik, gewürzt mit einer Prise Mundart und großzügiger Zugabe von viel Schmäh, kann man sich in diesem Buch an zweihundertsechsunddreißig Kolumnen aus fünf Jahren erfreuen. Wenn man vielleicht noch nie in Wien war, nach dieser Lektüre will man die österreichische Hauptstadt unbedingt erleben. Und wenn man sie liebt, so wie ich, dann zieht es einen erneut in südliche Richtung um erneut einzutauchen in vielleicht: den Birnengarten auf der Landstraßer Hauptstraße („nix Kärtner, nix Mariahilfer Straße“), ein Geschäft, „nicht größer als ein Einbaukasten, zierliche Theke, ein paar Stellagen, weiter hinten noch ein Gelass“ und die Gärtnerin, „eine Elektrikerin, die dieses Geschäft betreibt, silberne Haare, aquamarinblauer Arbeitskittel, blitzblank geputzte Augengläser.“ Dann schlendert man vielleicht im Frühjahr durch den nach Bärlauch stinkenden Prater, tritt ans alte Barometer im Stadtpark oder wendet eine von Molden erfolgreich getestete Entspannungsstrategie an, indem man sich auf ein Parkbankerl setzt und in die Gesichter der Stadtläufer schaut. Man genießt vielleicht, wenn es „wie aus Schaffeln zu wischerln“ beginnt den Frühlingsregen, besucht das Mauthnerwasser an der Alten Donau im Augarten oder macht sich im „üppigen, proletarischen und zugleich majestätisch, verschwenderisch ausgerüsteten und im universellen Sinne urbandemokratischen Stadionbad“ ganzkörperlich nass. Hernach unterzieht man möglicherweise den Verlauf der Ring-Straßenbahnen einer Inspektion und geht bei Burgi, Moldens Lieblingsgreißlerin einkaufen. Möglicherweise ist auch noch ein Abstecher nach Kritzendorf drin („Sechs Stationen mit der U4, fünf Stationen mit der S-Bahn Richtung Tulln, und schon ist man da.“) und – oh Graus – begibt sich wohl möglich in die „berühmteste Fastfoodkette des Planeten“, um ein paar Fleischlaberln zu essen.

All diese Kolumnen haben etwas Ureigenes, das man vielleicht als Soundtrack bezeichnen könnte. „Und das ist der knochentrockene Ur-Folk von Wien, wie ihn Walther Soyka und Karl Stirne spielen.“, erklärt Molden. Ein Soundtrack, der swingt, steppt und jede Menge Spaß und so manch (Freuden-)tränennasses Auge macht. So will ich letztendlich mit einer unbedingten Empfehlung und Worten dieses großartigen Kolumnisten mit dem berühmten Wiener Schmäh schließen. Worte, die gerade jetzt so wunderbar zutreffend sind: „Gern reiße ich nun die Balkontür auf, knipse den Mesa-Boogie-Verstärker an und schicke Gruuv und Fielding über die Bahnschlucht. Den Frühling spüren wir alle. Auch wenn er noch nicht da ist.“

Ernst Molden
Wien Mitte. Ein Wochenbuch
Deuticke Verlag (Februar 2014)
320 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3552062424
ISBN-13: 978-3552062429
Preis: 19,90 EUR

Über Heike Geilen 597 Artikel
Heike Geilen, geboren 1963, studierte Bauingenieurswesen an der Technischen Universität Cottbus. Sie arbeitet als freie Autorin und Rezensentin für verschiedene Literaturportale. Von ihr ist eine Vielzahl von Rezensionen zu unterschiedlichsten Themen im Internet zu finden.

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