„Aber der Richtige, wenn`s einen gibt …“

2014 gilt`s dem Komponisten Richard Strauss, der vor 150 Jahren geboren wurde. Dem Bayern. Der viele seiner Opern aber nicht etwa in seiner Geburtsstadt München, sondern in Dresden uraufführte. So auch sein Opus 79, „Arabella“. Die Geschichte von dem verwöhnten, begehrenswerten Wiener Adelstöchterl, dem etliche Herren Grafen zwecks Eheschließung nachsteigen, das sich aber einen Mann „von der Straße“ ausguckte: Mandryka, einen Bärenkerl aus den kroatischen Wäldern, gut gebaut und steinreich wie sein Onkel, den Arabellas verarmter Papa von früher kannte – die leidlich verworrene, fade Geschichte schrieb dem Strauss sein famoser „Rosenkavalier“-Dichter Hugo von Hofmannsthal. Wären Strauss nicht so pralle Tonfolgen zu diesem Techtelmechtel eingefallen – das Ganze wär, als ziemlich banal, besser in der Rumpelkammer verschwunden.

Aber Christian Thielemann, seit zwei Jahren musikalischer Kopf der von seinem Lehr-„Meister“ Herbert von Karajan 1967 gegründeten Salzburger Osterfestspiele, schaute wohl auch nur in die ihm sehr willkommene Partitur und verfiel auf „Arabella“. Er dirigierte das Werk aus der Uraufführungs-Partitur mit dem Datum 1. Juli 1933, die „aus qualitativ hochwertigstem Papier“ bestehe, wie er sagte und für ihn etwas „Heiliges“ darstelle. Passt ja auch: Thielemann bringt seine herrlich tönende, noch heute für Richard Strauss prädestinierte Dresdener Staatskapelle mit ins Große Salzburger Festspielhaus und lässt es krachen. Dreht auf. Hört aber auch auf die Sänger. Sein Herz schlägt für sie. Deckt sie nie zu. Bemüht sich jedenfalls darum. Holt aus dem wuchtig besetzten Festspielhausgraben das Optimale heraus. Ein Berserker der Strauss`schen Fülle, die ja in der „Arabella“ noch so zart lyrisch-kantilenisch durchwachsen ist wie im 22 Jahre älteren „Rosenkavalier“.

Thielemanns Glanz-Solisten: Renée Fleming in der Titelpartie – ganz die Rollen-„Alte“, locker überm flirrenden Orchester mit Nonchalence und Flammenregisterzügen schwebend, noch mädchenhaft, wenngelich nicht mehr taufrisch. Thomas Hampson als Mandryka – kavaliersbaritonal schon fülliger, auch unangestrengter (in der Höhe) erlebt, nicht ganz der Typ, der sich mit einem Tundra-Bären einlassen mag, eher ein Charmeur mit Dünnhaut. Denn die Sache, die da Arabella-Schwesterherz Zdenka mit Matteo (großartig präsent: Daniel Behle), der Arabella ungehört anbetet, einfädelt, steckt Hampson nicht so leicht weg wie etwa einst sein berühmter Rollen-Vorgänger Fischer-Dieskau – oh, waren das „Arabella“-Zeiten, mit Lisa Della Casa! Anneliese Rothenberger sang vor vier Jahrzehnten die als Bursche verkleidete Zdenka – auch nicht viel besser als in Salzburg 2014 die aus München entliehene prachtvolle Hanna-Elisabeth Müller. Die junge Sopranistin stahl der Fleming beinahe die Schau. Ein Talent, das Inbrunst und Klangdichte besitzt, wohl die kommende Titelfigur dieses Werks.

In Szene gesetzt hat die Salzburger „Arabella“ die München-bewährte Regisseurin Florentine Klepper, der Martina Segna die Kulisse und Anna Sofie Tuma die Kostüme lieferten. Klepper verlegte die Story unspektakulär in die Jugendstil-Zeit, schob die Gräflich Waldner`schen abgetakelten Gemächer im 1. Aufzug hin und her, wurde im 2. und 3. Aufzug (Thielemann ließ es beim Zwischenspiel orchestral funkeln) mit dem hellen, aber Leute-armen Hotel-Foyer ruhiger. Dessen Rückwand ließ sie schlicht aufklappen – für den einheitlich maskierten Chor auf dem Fiakerball, wo Zwitscher-Ass Daniela Fally auch spielerisch brillierte. Da wurden Klepper/Segna symbolistisch, mit „Tatort“-Düsternis und in die Höhe schwebendem Liebespaar im Klimt`schen Gold-Lift.

„Aber der Richtige …“, den Fleming-Arabella sich so heiß und kokett herbeisehnte, den gab es, genau besehen nicht. Emanzen-nah schränkt sie ja selbst ein: „… wenn`s einen gibt“. Ob der kleine Leutnant Matteo für das längst emanzipierte Zdenkerl „der Richtige“ ist, muss schwer bezweifelt werden. Naja, war der alte Waldner (exakt und prima drauf: Bassist Albert Dohmen) schon nicht unbedingt der Passende für Adelaide (noch immer ein kleines Ereignis: Gabriela Benackova). So war`s halt damals, am „Fin de Siècle“. Gestern nicht anders als heutzutage.

Die Osterfestspiele 2015 eröffnen mit italienischem Verismo im Doppelpack: Mascagnis „Cavalleria Rusticana“ und Leoncavallos „Pagliacci“. „Darauf hab ich einfach mal Lust“, bekannte Christian Thielemann vor der Presse im „Hotel Sacher“, noch nicht ganz ausgeruht vom anstrengenden Premieren-Abend. „So wie ich in einen Laden reingehe und mir sage: Das mag ich jetzt.“

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Über Hans Gärtner 456 Artikel
Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.

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