Barack Obama kommt: Realismus, keine Euphorie

Wenn Barack Obama Ende des Monats erstmals in seiner Eigenschaft als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika nach Europa kommen wird, ist das für die Bundesregierung kein Anlass zu Euphorie. Die Flitterwochen der neuen US-Administration seien vorbei, sagt Kanzleramtsminister Thomas de Maizière und mahnt angesichts der vielfältigen gemeinsamen Herausforderungen: „Nach dem Gipfelsturm kommen die Mühen der Ebene, deshalb ist sehr viel Realismus angebracht.“ Dennoch freue sich die Bundesregierung auf die Zusammenarbeit mit dem neuen Präsidenten. Es scheine ein neuer Ton in die US-Administration eingezogen zu sein. Es gebe eine neue Offenheit für Multilateralismus, Perspektiven und den Rat der Partner. Als gute Nachricht für die transatlantischen Beziehungen wertet de Maizière den Befund, dass es seines Erachtens nach kein völliges Umschwenken in der Substanz geben wird. Will heißen: Gemeinsame Interessen, Werte, politische Überzeugungen und kulturelle Vorstellungen als Grundlage der Beziehungen zwischen Europa und den USA werden sich nicht verändern. Wie sehr diese Beziehungen aber immer wieder neu gelebt werden müssen und nicht beim Blick in die Vergangenheit stehen bleiben dürfen, zeigen zwei bemerkenswerte Treffen. So führte der erste Besuch der neuen US-Außenministerin Hillary Clinton nach Südostasien. Und der erste ausländische Regierungschef, mit dem Obama nach seiner Vereidigung zusammentraf, war der japanische. „Europa ist nicht mehr der erste Ansprechpartner für die USA, Europa muss sich als starker Partner bewähren“, führte de Maizière kürzlich bei einer Kooperationsveranstaltung der Deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik sowie des Kölner Presseclubs aus.

Die erste Bewährungsprobe steht nun unmittelbar bevor. Den Auftakt macht das Treffen der G20 in London – nachdem Obama, wie zu erwarten steht, zuvor in getrennten bilateralen Begegnungen in Berlin und Paris seine neue Visitenkarte abgegeben haben wird. Für die deutsche Regierung und andere Partner, allen voran im Schulterschluss mit Frankreich, geht es beim Weltfinanzgipfels der führenden Industriestaaten und Schwellenländer vor allem darum, neue und verbindliche Regeln zu finden, „um zukünftig so etwas wie die gegenwärtige globale Finanz- und Wirtschaftskrise zu vermeiden. Es muss deutlich werden, dass die Finanzmärkte gegenüber der Realwirtschaft eine dienende Funktion haben.“ Der Wunsch nach internationalen Vereinbarungen für die Überwachung der internationalen Finanzmärkte hat für viele Länder oberste Priorität. Daher beobachtet die Bundesregierung laut de Maizière auch mit Sorge, dass sich einige Länder wie etwa die USA und Großbritannien wieder einer expansiven Geldpolitik zuwendenund weitere Konjunkturprogramme zur Krisenbekämpfung auflegen wollen. „Man kann Fieber nicht durch Fieberschocks bekämpfen“, so der CDU-Politiker. In diesem Zusammenhang wies er zudem auf die Erwartung der Bundesregierung auf einen Durchbruch bei der Doha-Runde der Welthandelskonferenz (WTO) mit dem Ziel der Liberalisierung des Welthandels hin. „Das wäre, gerade jetzt, ein ganz starkes Signal für den Freihandel und ein kräftiger Impuls für die globale Wirtschaft.“

Die nächste Bewährungsprobe für Europa und die USA gleichermaßen steht dann ebenfalls Anfang April an, wenn es beim NATO-Gipfel darum geht, anlässlich des 60. Geburtstages die neue Strategie des Verteidigungsbündnisses zu definieren. Dass Frankreich seine Jahrzehnte lange Sonderrolle aufgeben und in die integrierte Kommandostruktur zurückkehren wird, kann sicher als Beitrag zur künftigen Ausrichtung gewertet werden. Das von Deutschland und Frankreich gemeinsam ausgerichtete Treffen in Kehl und Straßburg – sicher auch ein weiterer Meilenstein in den deutsch-französischen Beziehungen – soll natürlich dokumentieren, dass die NATO ein existenzieller Kern der deutschen und europäischen Außen- und Sicherheitspolitik im Zusammenspiel mit den USA ist. Spannend wird die Antwort aber darauf sein, wie das Bündnis zukünftig mit Artikel Fünf seines Vertrages umgeht. Für de Maizière bleibt dieser Passus, der den Bündnisfall als Beistandsverpflichtung aller Mitglieder bei einem bewaffnetem Angriff auf ein oder mehrere Mitglieder regelt, das „Gravitationszentrum“, das durch die Entwicklungen der letzten Jahre nun eben weltweit zur Geltung gelangen könne. In diesem Sinne sei die Erweiterung eine Erfolgsgeschichte und insbesondere für Europa ein Stabilitätsgewinn. „Das hat auch Russland, ohne Euphorie, aber konstruktiv begleitet, weil es auch der russischen Sicherheitsempfinden entspricht“, urteilt de Maizière. Er erhofft sich vom Gipfel zudem eine klare Zuordnung im Zusammenspiel von Bündnis und der EU, die, wie immer wieder betont, als strategischer Partner der NATO auftreten soll. „Da wurde in der Vergangenheit aber oft aneinander vorbeigeredet und nicht im Sinne einer strategischen Partnerschaft gehandelt.“

Mit seiner Kritik an Alleingängen zielte de Maizière nur allzu offenkundig auf die USA und wünschte sich von Barack Obama bei einigen globalen Herausforderungen eine konkrete Positionierung, weil die Richtung noch nicht eindeutig erkennbar sei. Wie gehe es beispielsweise weiter mit dem im Dezember auslaufenden Abrüstungsvertrag Start 1? Wie geht es weiter mit dem Thema Raketenabwehr? Auch beim Thema Naher Osten sowie Klima und Energie gäbe es zwar einige bemerkenswerte Signale, aber noch keine klar erkennbare Linie. „Die Berufung kraftvoller Sonderbeauftragter ersetzt keine Außenpolitik.“ Themen, die sicher auch neben anderen Aspekten wie etwa der Umgang mit dem Iran sowie das Verhältnis zu Russland beim EU-Gipfel in Prag unmittelbar nach dem NATO-Gipfel diskutiert werden dürften. Auch die globale Herausforderung Klima und Klimawandel, Energie, Energieeffizienz sowie Erneuerbare Energien steht wohl auf der europäisch-amerikanischen Agenda weit oben. Die Erwartung der Europäer im Allgemeinen und Deutschlands im Besonderen sei, so de Maizière, dass ein glaubwürdiges Engagement der USA für Energieeffizienz und Erneuerbare Energien die Durchsetzung bestimmter Standards bei den Schwellenländern befördern würde. Er fügt hinzu: „Meines Erachtens bietet das Thema Energieeffizienz darüber hinaus genügend Potenzial für eine enge deutsch-amerikanische Zusammenarbeit, die der gesamten Welt nutzt.“

Bemerkenswert war, dass de Maizière das Stichwort Afghanistan zwar als schwieriges Thema bezeichnete, aber nicht für die transatlantischen Beziehungen. „Übertriebene Forderungen an Europa oder an Deutschland gibt es nicht. Afghanistan ist eher ein Thema für die deutsche Gesellschaft. Die Frage ist doch: Ist die deutsche Öffentlichkeit bereit, sich in der Welt zu engagieren und dauerhaft internationale Verantwortung zu übernehmen, auch wenn das Blut und Geld kostet?“

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Über Constantin Graf von Hoensbroech 74 Artikel
Constantin Graf von Hoensbroech absolvierte nach dem Studium ein Zeitungsvolontariat über das "Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses - ifp". Nach Stationen in kirchlichen Medien war er u. a. Chefredakteur von "20 Minuten Köln", Redaktionsleiter Rhein-Kreis-Neuss bei der "Westdeutschen Zeitung", Ressortleiter Online bei "Cicero" sowie stellvertretender Pressesprecher der Industrie- und Handelskammer zu Köln. Seit März 2011 ist er Mitarbeiter der Unternehmenskommunikation der Rheinland Raffinerie der Shell Deutschland Oil GmbH.

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