Corona einmal anders. Das Liebesgedicht „Corona“ von Paul Celan

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Seit der Corona-Pandemie im Dezember 2019 in China ist das Wort „Corona“ in aller Munde. In Medizinerkreisen und bei Virologen ist hingegen die Gruppe der Corona-Viren schon viel länger bekannt. Das lateinische Wort „Corona“ hat seit Jahrtausenden viele Bedeutungen. Es heißt übersetzt „Kranz“ und wurde zuerst auf die Sonne bezogen. Corona ist der „Sonnenkranz“ – der Lichtstrahlenkranz um die Sonne herum. Mit Corona ist meist etwas Schönes, Feierliches oder auch Lustvolles verbunden. Der Kranz auf dem Kopf des Menschen, gebunden aus Zweigen, mit Blättern oder Blumen war schon immer ein festliches Symbol. Er wurde verliehen als Zeichen der Freude, der Tugend, der Ehre oder für einen Sieg. Mit dem Lorbeer-Kranz wurde die Corona zum Symbol von großer Anerkennung und Würde. ImzZweiten Jahrhundert nach Christus gab es die Gestalt der „heiligen Corona“, eine frühchristliche Märtyrerin, die in Ägypten oder Syrien gelebt haben soll. Corona hat also lange vor dem Corona-Virus eine lange Tradition von vielfältigen Bedeutungen. Der Lyriker Paul Celan, der vor hundert Jahren geboren wurde und vor fünfzig Jahren starb, hat seinem wohl wichtigsten Liebesgedicht den Titel „Corona“ gegeben.

Das Gedicht „Corona“ von Paul Celan

Celan hat dieses Gedicht im Jahr 1948 geschrieben, in dem er Ingeborg Bachmann kennengelernt hat und mit ihr eine Liebesbeziehung begann. Das Gedicht „Corona“ ist eines seiner schönsten Liebesgedichte, das er Ingeborg Bachmann gewidmet hat. Die zehnte Zeile dieses Gedichtes lautet:

„Wir lieben einander wie Mohn und Gedächtnis.“

Mohn und Gedächtnis wurden schließlich auch zum Titel des Gedichtbandes, in dem das Gedicht „Corona“ im Jahr 1952 erstmals erschien.

Corona

Aus der Hand frißt der Herbst mir sein Blatt: wir sind Freunde.

Wir schälen die Zeit aus den Nüssen und lehren sie gehen:

Die Zeit kehrt zurück in die Schale.

Im Spiegel ist Sonntag,

im Traum wird geschlafen,

der Mund redet wahr.

Mein Aug steigt hinab zum Geschlecht der Geliebten:

Wir sehen uns an,

wir sagen uns Dunkles,

wir lieben einander wie Mohn und Gedächtnis,

wir schlafen wie Wein in den Muscheln,

wie das Meer im Blutstrahl des Mondes.

Wir stehen umschlungen im Fenster, sie sehen uns zu von der Straße:

Es ist Zeit, daß man weiß!

Es ist Zeit, daß der Stein sich zu blühen bequemt,

daß der Unrast ein Herz schlägt.

Es ist Zeit, daß es Zeit wird.

Es ist Zeit.

Paul Celan 1948

Die Liebesbeziehung von Paul Celan und Ingeborg Bachmann

Paul Celan verbrachte im Zweiten Weltkrieg einige Jahre in Wien. Dort lernte er Ingeborg Bachmann kennen, die Philosophie und Germanistik studierte. Zwischen beiden entwickelte sich sehr schnell eine tiefe Liebesbeziehung. Der Verlauf dieser Beziehung war von Anfang schwierig. Paul Celan fühlte sich in Wien als „armer Jude“ sehr unwohl. Er litt unter den Alt-Nazis, die er „Hitler-Nachwuchs“ nannte, und er spürte in Wien den nach Kriegsende weiterlebenden ausgeprägten Antisemitismus. Deshalb zog er wenige Monate nach dem Kennenlernen Ingeborg Bachmanns nach Paris. Er bedrängte immer wieder seine Geliebte, ihm dorthin nachzufolgen, aber vergeblich. Einmal besuchte Ingeborg Bachmann ihn in Paris für einige Monate, doch die Beziehung hielt nicht lange. Bereits 1951 lernte dann Paul Celan Gisèle Lestrange kennen, die er 1952 heiratete. Unter dem Titel „Herzzeit“ wurde der Briefwechsel zwischen Paul Celan und Ingeborg Bachmann im Jahr 2008 im Suhrkamp-Verlag herausgegeben. Der Celan-Kenner Helmut Böttiger widmete der Liebesgeschichte zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan eine ausführliche Monographie. Sie trägt den Titel „Wir sagen uns Dunkles“ (Böttiger 2017). Diese Worte finden sich ebenfalls in dem Liebesgedicht „Corona“.

Das Jahr 2020 – ein doppeltes Celan-Jubiläum: 50. Todestag und 100. Geburtstag.

Paul Celan wurde am 23. November 1920 in Czernowitz geboren und ist vermutlich am 20. April 1970 durch Suizid gestorben. Er hat sich in der Seine ertränkt. Da Paul Celan in seinem 50. Lebensjahr starb, beschert uns das Jahr 2020 zwei Gedenktage. Mit seinem 100. Geburtstag und mit seinem 50. Todestag erinnern wir uns an den Beginn und an das Ende seines Lebens. Geburt und Tod, sind so im selben Jahr Anlass zur Erinnerung an den großen Lyriker. Mit der Corona-Pandemie und dem Schreckensgespenst „Corona-Virus“ hat gerade in diesem Gedenkjahr das Wort „Corona“ eine vollkommen neue Bedeutung gewonnen.

Literatur:

Böttiger Helmut (2017) Wir sagen uns Dunkles. Die Liebesgeschichte zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan. DVA München

Celan Paul (1952) Mohn und Gedächtnis. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart

Celan Paul (2008) Ingeborg Bachmann – Paul Celan: Herzzeit. Briefwechsel. Hg. von Bertrand Badiou, Hans Höller, Andrea Stoll, Barbara Wiedemann. Suhrkamp, Frankfurt/Main

Über Herbert Csef 135 Artikel
Prof. Dr. Herbert Csef, geb. 1951, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker. Studium der Psychologie und Humanmedizin an der Universität Würzburg, 1987 Habilitation. Seit 1988 Professor für Psychosomatik an der Universität Würzburg und Leiter des Schwerpunktes Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums. Seit 2009 zusätzlich Leiter der Interdisziplinären Psychosomatischen Tagesklinik des Universitätsklinikums. Seit 2013 Vorstandsmitglied der Dr.-Gerhardt-Nissen-Stiftung und Vorsitzender im Kuratorium für den Forschungspreis „Psychotherapie in der Medizin“. Viele Texte zur Literatur.