Der Utilitarismus des Peter Singer

Der australische Philosoph Peter Singer erhält den Ethik-Preis der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs). Der Festakt zur Preisverleihung findet am Freitag, 3. Juni 2011, in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main statt. Peter Singer wird für sein engagiertes Eintreten für Tierrechte ausgezeichnet, insbesondere für die Initiierung des Great Ape Project. Die Auszeichnung hat bereits im Vorfeld erbitterte Kontroversen ausgelöst, vor allem unter Menschen, die dem durchschnittlichen physischen und psychischen Ideal nicht entsprechen.
— Der Utilitarismus ist der zum Scheitern verurteilte Versuch, die vom Menschen erkannten Naturgesetze auf eine menschliche Ideologie zu übertragen. —
Die gbs ist eine atheistische Gesellschaft, die sich als humanistisch bezeichnet. Mit Peter Singer teilt sie die Ansicht, dass der Mensch nicht die Krone der Schöpfung ist. Singer schließt daraus, dass Menschen mit gravierenden Einschränkungen ein geringeres Lebensrecht haben als manche Primaten. Zusammen mit der Kosten-Nutzen-Analyse für die Gesamtgesellschaft leitet er das Tötungsrecht (Tötungsgebot?) dieser als Menschen bezeichneten Lebewesen ab.
Als atheistische Gesellschaft erkennt die gbs keine transzendente Ethik an. Ethik und Moral sind Menschenwerk, die die Religionen zu ihrem Nutzen als göttliche Gebote überhöhen. Somit ist der Humanist verpflichtet, eine Ethik zu erstellen, die idealerweise allen Menschen nützt, zumindest der großen Mehrheit. Doch der Utilitarismus ist nicht notwendigerweise auf Menschen beschränkt. Modifikationen an der menschlichen Ethik sind erwünscht, wenn der wissenschaftliche Fortschritt diesen für notwendig erachtet.
Der Unterschied zwischen transzendenter und humanistischer Ethik besteht nach Auffassung der Humanisten also nicht darin, dass sie göttlichen oder menschlichen Ursprungs sind – sie haben beide einen menschlichen Ursprung -, sondern darin, dass die religiöse Ethik vorgibt, göttlichen Ursprungs zu sein, und sie im Laufe der Jahrhunderte nur geringe Veränderungen zulässt.
Genau hier liegt die Schwachstelle des Utilitarismus. Während die Religion äußerst behutsam und langsam ihre Moral den Gegebenheiten anpasst, ändert sich die menschliche Ethik entsprechend den gesellschaftlichen und technischen Veränderungen rasant und verweigert ihren Anhängern den festen Halt.
Der Nachteil der transzendenten Ethik tritt scharf in Erscheinung, wenn Menschen verschiedener Religionen zusammenleben müssen. Die Anhänger der älteren Religion empfinden die Moral der Anderen als rückständig fundamentalistisch, mit ihren fortschrittlicheren Moralvorstellungen nicht zu vereinbaren. Die progressiven atheistischen Moralvorstellungen der Utilitaristen lassen sich mit keiner europäischen Religion in Einklang bringen.
Somit herrschen in Deutschland verschiedene Ethiken mit großer Anhängerschaft. Diese Ethiken widersprechen sich in grundlegenden Punkten. Religiöse Organisationen versuchen vergeblich die Unterschiede zu kaschieren und die Gemeinsamkeiten hervorzuheben. Das friedliche Nebeneinander verschiedener Vorstellungen ohne Angleichung erscheint nicht möglich, da über jede Ethik das staatliche Gesetz steht, welches für alle gilt, ob Fundamentalisten, Atheisten, Deisten oder Agnostiker.
Aus der Geschichte weiß die Menschheit, dass viele humanistische Ideologien das Gegenteil von dem brachten, was sie versprachen. Mao unternahm den Versuch, Nutztiere im Kommunismus einzuordnen, nebenbei verendeten Millionen von Chinesen. Unter den Segnungen des Sozialismus leiden derzeit nur wenige Völker, der Faschismus ist virulent, die Ideologie des sozialen Kapitalismus kommt dem utilitaristischen Ideal am nächsten. Auch religiöse Menschen, die einer transzendenten Ethik anhängen, wollen frei, glücklich, reich und gesund leben. Jeder Einzelne ist in einem bestimmten Ausmaß Utilitarist. Wenn der Teil-Utilitarist das Recht seines Nächsten akzeptiert, ebenfalls Teil-Utilitarist zu sein, dann wird sich der humane Weizen von der inhumanen Spreu trennen. Dann werden Frauen und Männer gleichberechtigt sein, dann werden Menschen mit gravierenden Behinderungen leben dürfen, dann wird die Moral Lebenshilfe statt Unterdrückung sein. Bis es soweit ist, werden die Anhänger der verschiedenen Ethiken diejenigen auszeichnen, die ihren Glaubensvorstellungen am nächsten kommen. Und die Anderen werden sich bitter beschweren, um anschließend dasselbe zu tun.

Über Nathan Warszawski 535 Artikel
Dr. Nathan Warszawski (geboren 1953) studierte Humanmedizin, Mathematik und Philosophie in Würzburg. Er arbeitet als Onkologe (Strahlentherapeut), gelegentlicher Schriftsteller und ehrenamtlicher jüdischer Vorsitzender der Christlich-Jüdischen Gesellschaft zu Aachen.

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