Die Völkermord-Resolution des Bundestages als klares Zeichen der historischen Verantwortung

Am 2.6.2016 hat der Bundestag hat mit einer großen Mehrheit den Massenmord an bis zu 1,5 Millionen Armeniern Aramäern, Assyrern, Chaldäern und Pontusgriechen im Osmanischen Reich 1915 als Völkermord eingestuft. Der gemeinsam von Union, SPD und Grünen eingebrachte Antrag wurde mit einer Gegenstimme und einer Enthaltung angenommen worden.


Im Vorfeld der Abstimmung hatte die türkische Regierung den Bundestag mehrfach vor der Verabschiedung der Resolution gewarnt. Es gab zahlreiche Drohungen bis hin zu Morddrohungen gegen Abgeordnete, besonders mit türkischem Familienhintergrund, vor der Debatte.Cem Özdemir, einer der Initiatoren der Resolution des Bundestages, wurde im Vorfeld der Abstimmung und auch noch danach von türkischen Faschisten mit Morddrohungen überhäuft. Sein Büroleiter Marc Berthold sagte: „Schmähungen und Beleidigungen sind wir durchaus gewohnt, aber so eine hohe Zahl von Todesdrohungen haben wir noch nie erlebt.“[1] Die Berliner Polizei hat daraufhin ihre Präsenz in der Umgebung von Özdemirs Wohnung erhöht.


Bei der Abstimmung ging es auch um ein unrühmliches Stück deutscher Geschichte, da das Deutsche Reich als damaliger Partner des Osmanischen Reich eine Mitschuld an den Massenmorden trug.


Die Verabschiedung der Resolution dauerte mehr als 11 Jahre. Der Deutsche Bundestag debattierte im April 2005 eine erstmals eingebrachte Entschließung, nach der die Türkei aufgefordert werden sollte, sich zu ihrer historischen Verantwortung für die Massaker an armenischen Christen im Osmanischen Reich zu bekennen. Die Verfasser des Antrags, die den Begriff „Völkermord“ selbst vermieden, bedauerten „die unrühmliche Rolle des Deutschen Reiches, das angesichts der vielfältigen Informationen über die organisierte Vertreibung und Vernichtung von Armeniern nicht einmal versucht hat, die Gräuel zu stoppen.“[2]


Die französische Nationalversammlung stellte die Leugnung des Völkermords an den Armeniern im Jahr 1915 schon vor 11 Jahren unter Strafe.[3] Das Gesetz, das von der Nationalversammlung am Donnerstag mit 106 zu 19 Stimmen verabschiedet wurde, bedroht die Leugnung des Völkermords an den Armeniern im Osmanischen Reich mit einem Jahr Gefängnis und 45.000 Euro Geldbuße. Damals organisierte die ultrarechte Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) Demonstrationen gegen den französischen Gesetzentwurf. Andere Organisationen riefen zum Boykott französischer Waren auf. Ministerpräsident Erdogan drohte mit wirtschaftlichen Gegenmaßnahmen, die jedoch ausblieben.


Am 14. November 1914 trat das Osmanische Reich an der Seite der Mittelmächte in den Ersten Weltkrieg gegen die Entente ein. Dies war dem Wunsch geschuldet, die Gebiete zurückzuerobern, die das Osmanische Reich in früheren Kriegen an Russland verloren hatte. Ende 1914 befahl die osmanische Regierung eine groß angelegte Offensive im Kaukasus. Diese endete jedoch bereits um die Jahreswende 1914/15 mit einer verheerenden Niederlage. Im Zuge der russischen Gegenoffensive gingen dem Reich weitere Gebiete verloren. Armenische Freiwilligenbataillone in der Hoffnung auf Unabhängigkeit kämpften auf russischer Seite. Obwohl die Mehrheit der armenischen Zivilisten und Soldaten gegenüber dem Osmanischen Reich loyal geblieben waren, machte die Staatsführung die Armenier nun kollektiv für die militärischen Probleme in Ostanatolien verantwortlich. Sie nahm den russischen Einmarsch als Vorwand, das Gros der armenischen Bevölkerung zu deportieren. Die Zahl der Menschen, die den Massakern und Deportationen zum Opfer fielen, lässt sich nur schwer beziffern. Das Hauptproblem dabei ist, dass die Bevölkerungsstatistik des Osmanischen Reichs in dessen letzten Jahrzehnten gravierende Mängel aufweist. So gibt es keine verlässlichen Angaben dazu, wie viele Armenier vor dem Krieg im Reich lebten. Das armenische Patriarchat bezifferte die Anzahl der armenischen Untertanen des Sultans mit rund 2,1 Millionen, die letzte osmanische Volkszählung hingegen mit 1,29 Millionen. Je nachdem, von welcher Vorkriegsanzahl man ausgeht und ob man ausschließlich die Hauptphase des Genozids 1915–1917 oder den gesamten Zeitraum bis 1923 berücksichtigt, bewegen sich die Schätzungen zwischen etwa 300.000 und 1,5 Millionen toten Armeniern.

Die Reaktion der türkischen Regierung auf die Resolution des Bundestages war erwartet heftig. Die türkische Regierung drohte mit einer Beeinträchtigung der Beziehungen zur BRD. Der neue türkische Regierungschef Binali Yildirim nannte die Resolution „lächerlich“.[4] Bereits am Samstag hatte Ministerpräsident Erdogan die türkischstämmigen Personen im Bundestag verbal attackiert und dabei in rassistischer Weise argumentiert: „Sie haben nichts mit Türkentum gemein. Ihr Blut ist schließlich verdorben.“[5] Weiterhin warf Erdogan den Abgeordneten vor, der kurdischen Arbeiterpartei PKK als „verlängerter Arm in Deutschland“ zu gelten: „Von der separatistischen Terrororganisation in diesem Land sind sie die Verlängerung in Deutschland.“[6]


Türkische Verbände riefen im Vorfeld zu Protesten gegen die Resolution auf.[7] Auf dem Platz des 18. März in Berlin kamen nach Angaben der Polizei rund 1500 Demonstranten. Der Veranstalter rechnete mit bis zu 5000 Teilnehmern. Der Protest blieb friedlich. Vorher hatten bereits kemalistische Sozialdemokraten vor dem Reichstag demonstriert. Auch hier lief der Protest nach Angaben eines Polizeisprechers störungsfrei. Auch schon in der vergangenen Woche gab es Proteste von türkischen Verbänden in der BRD.


Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie Vizekanzler Sigmar Gabriel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier nicht persönlich an der Debatte teilnahmen, ist nur schwer zu verstehen und wirft einen Schatten auf das Zustandekommen der Resolution.


Die Tatsache, dass nationalistischen Gruppen in der Türkei und der BRD und die Regierung Erdogan das Abstimmungsergebnis im Bundestag massiv beeinflussen wollte, ist scharf zu verurteilen. Der besondere Mut vor allem von Parlamentariern mit türkischem Migrationshintergrund, sich davon nicht beeinflussen zu lassen, ist hervorzuheben.


Für die armenische Gemeinschaft und anderer Opfergruppen in der BRD bedeutet die Resolution des Bundestages eine Genugtuung für das erlittene Unrecht. Die öffentliche Ächtung von Rassismus und planmäßigem Völkermord des Bundestages gibt ihnen Rückenwind im Kampf gegen Revisionisten und Leugner in der Türkei und türkischstämmigen Gemeinden im Ausland. Die Aussage, dass nur die Anerkennung des Völkermordes der Weg zu einer Aufarbeitung des Geschehens bildet, ist richtig und der einzige Weg zu einer Verständigung. Dies würde auch schlagartig eine Verbesserung der Beziehungen zwischen der Türkei und der Republik Armenien bedeuten.


Bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer des Genozides an den Armeniern, Aramäern, Assyrern, Chaldäern und Pontusgriechen im Osmanischen Reich im Deutsches Historisches Museum am 24.04.2016 stellte der Vorsitzende des Zentralrates der Armenier in Deutschland e.V., Jaklin Chatschadorian, in seiner Rede mit Recht fest: „Die dringend notwendige Ächtung des Genozides als Völkermord im Sinne der UN-Konvention nähme diesem unsäglichen Verbrechen und seiner professionalisierten Leugnung in der Türkei, aber auch der Leugnung durch in Deutschland lebende Türken endlich die Grundlage. Der Begriff ‚Völkermord‘ bezeichnet einen Straftatbestand. In dieser juristischen Qualifizierung liegt eine ethische Grundhaltung. Sie bezweckt (…) die Kennzeichnung von Verschulden und Verstoß. Sie impliziert die Prävention zum Schutze der Allgemeinheit und beansprucht die Sühne auf Täterseite. Reue, Trauer und nicht zuletzt der Fingerzeig auf die Notwendigkeit einer, zumindest symbolischen Wiedergutmachung finden hier ihren Anfang.“[8]


Die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) fordert die Gründung einer Kommission aus unabhängigen Historikern, die sich paritätisch aus armenischen und türkischen aber auch anderen international renommierten Wissenschaftlern zusammensetzt. Dies wäre vielleicht ein erster Brückenschlag zwischen den Opfergruppen und der Türkei.


Es liegt aber nicht nur in der Verantwortung der Türkei sowie den türkischstämmigen Organisationen in der BRD und der der Opfergruppen, zu einem respektvollen Miteinander zu gelangen. Vielmehr ist es die Pflicht der bundesdeutschen Regierung und ihrer Organe, kulturelle oder andere Projekte zu fördern, die einen Beitrag dazu leisten, die Menschen aus den verschiedenen Lagern zusammenzubringen. Auch die Bundesregierung ist dazu aufgefordert, bei politischen Verhandlungen mit der Regierung Erdogan, die in der Resolution verabschiedeten Grundsätze offensiv zur Sprache zu bringen.


Dabei kann es aber nicht nur darum gehen, was in der Vergangenheit passiert ist. Es gilt jetzt eine Kultur des Miteinanders und der Versöhnung im Hinblick auf die Gegenwart und Zukunft aufzubauen.


[1] Aachener Nachrichten vom 6.6.2016, S. 1
[2] Kieser, H.L. (Hrsg.): Der Völkermord an den Armeniern, die Türkei und Europa = The Armenian Genocide, Turkey and Europe. Zürich 2006, S. 98
[3] http://www.spiegel.de/thema/voelkermord_an_den_armeniern/
[4] http://www.spiegel.de/thema/voelkermord_an_den_armeniern/
[5] http://www.heute.de/bluttest-und-drohungen-empoerung-ueber-angiffe-von-erdogan-auf-bundestag-43835350.html
[6] Ebd.
[7] http://www.morgenpost.de/berlin/article207615885/Tuerkische-Verbaende-demonstrieren-gegen-Armenien-Resolution.html
[8] Ebd.

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Über Michael Lausberg 543 Artikel
Dr. phil. Michael Lausberg, studierte Philosophie, Mittlere und Neuere Geschichte an den Universitäten Köln, Aachen und Amsterdam. Derzeit promoviert er sich mit dem Thema „Rechtsextremismus in Nordrhein-Westfalen 1946-1971“. Er schrieb u. a. Monographien zu Kurt Hahn, zu den Hugenotten, zu Bakunin und zu Kant. Zuletzt erschien „DDR 1946-1961“ im tecum-Verlag.

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