Ernst Christian Trapp – Theoretiker der philanthropischen Erziehung

Gestützt auf die pädagogische Theorie Rousseaus entwickelte sich eine schulreformatorische Bestrebung der deutschen Aufklärung, die sich um 1770 in dem Kreise der so genannten Philanthropen („Menschenfreunde“) verdichteten.[1]
Ernst Christian Trapp (1745-1818) gilt als der Theoretiker unter den Philanthropen.[2] Sein „Versuch einer Pädagogik“ aus dem Jahre 1780 stellt den ersten Versuch einer wissenschaftlichen Begründung auf pädagogischem Gebiet dar. Nicht der Unterrichtsinhalt oder der Fächerkanon standen bei Trapp im Mittelpunkt, sondern der neugierige und selbsttätige und dadurch lernende und sich bildende junge Mensch. Er vertrat die Auffassung, dass Leistung nur dann erbracht wird, wenn es dafür Motive gibt. Trapp wusste aus Erfahrung, dass Lernen und Leistung sozialpsychologische Grundlagen benötigt: die Weckung von Neugier und Ermutigung von eigenen Erkundungen und Erprobungen, eine Sicherheit bietende pädagogisch förderliche Atmosphäre und bestätigende Erfolgserlebnisse, Vorbilder und Regeln.

Nach dem erfolgreichen Abschluss seines Studiums in Philosophie und Pädagogik holte ihn Joachim Heinrich Campe an das Philanthropinum nach Dessau. Dort war Trapp als Hauptrezensent für die „Allgemeine Deutsche Bibliothek“ von Friedrich Nicolai verantwortlich. Die neu geschaffene Universitätsprofessur für Pädagogik in Halle, mit der er 1779 betraut wurde, war ein auf den philanthropenfreundlichen Minister Zedlitz zurückgehender Versuch, eine einheitliche Lehrerbildung an der Universität aufzubauen und von dort aus den Geist des Philanthropismus in das gesamte Schulwesen zu leiten. Damit zog die Pädagogik als selbständiges Lehrfach in die Universität ein. Das Pädagogische Seminar, bisher Teil des Theologischen Seminars, wurde verselbständigt, damit die Pädagogik von der Theologie losgelöst und der von den Philanthropen vertretene Staatsschulgedanke weiter durchgesetzt wurde.
Im Jahre 1783 gab Trapp seinen Lehrstuhl wieder auf und verließ aufgrund von Streitigkeiten die Universität Halle in Richtung Trittau, wo er die Leitung der dortigen Lehranstalt, die von Joachim Heinrich Campe gegründet wurde, übernahm.[3] Drei Jahre später wurde Trapp vom Herzog Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel in das Schuldirektorium des Herzogtums Braunschweig berufen. Dort bestand seine Aufgabe darin, zusammen mit Johann Stuve und Joachim Heinrich Campe das Schulwesen des Herzogtums zu reformieren. Trotz viel versprechender Ansätze scheiterte das Reformvorhaben an den Widerständen der kirchlichen und ständischen Körperschaften.
Das Wesentliche an Trapps pädagogischer Theorie war der Versuch, die Pädagogik auf eine empirische Experimentalpsychologie statistischer Art zu gründen.[4] Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Ermüdung usw. sollten in den verschiedenen pädagogischen Situationen genau beobachtet und protokolliert werden, und daraus sollten klare Grundsätze für die Erziehung und den Unterricht abgeleitet werden.
Trapp befasste sich als erster mit der systematischen Hinwendung zu den empirischen Quellen der Erziehungslehre und der wissenschaftlichen Pädagogik – der systematischen Beobachtung der Schüler und systematischen Protokollierung der Ergebnisse -, in noch rudimentärer Form.
So hieß es in seinem Werk „Versuch einer Pädagogik“: [5] „§ 25. Unsere Regeln sind oft aus armseligen, einseitigen, krüppelhaften, zufälligen Erfahrungen abgeleitet, manchmal noch dazu unrichtig abgeleitet: und aufs Beobachten sind wir, soviel ich weiß, besonders in Absicht auf die Erziehung, noch nie recht eingegangen. § 26. Und doch kommt hierauf soviel an. Denn wenn wir die gehörige Anzahl richtig angestellter pädagogischer Beobachtungen und zuverlässiger Erfahrungen hätten, so könnten wir ein richtiges und vollständiges System der Pädagogik schreiben, dergleichen bisher nicht vorhanden ist.“
Trapp wollte einen Einblick in die innere Seele des Kindes bekommen: [6] „ § 29. (…) Man gebe mehreren Kindern von einerlei Alter verschiedene Gegenstände, Spielzeug, Bücher, Modelle, Gemälde usw. und lasse sie damit nach Belieben schalten und walten. Nun gebe man acht auf die Verschiedenheit ihrer Äußerungen, Empfindungen, Handlungen, Erfindungen usw. (…) Man mache dies Experiment mit Kindern von zwei bis sechszehn Jahren oder noch weiter. (…) In allen Arten und Schulen lassen sich unzählige und sehr wichtige Beobachtungen machen. Aber man denke ja nicht, daß ich dem Lehrer zumute, sie alle zu machen. (…) Ein Beobachter müßte nun auf jede, auch die allerkleinste Bewegung der Kinder, auf ihre Ursachen und Folgen acht geben und sie alle gezählt in ihr Protokoll tragen.“
Trapp erkannte vier Punkte, die als Erziehungsregeln gelten sollten:[7] „§ 69. Aus allem, was bisher über die menschliche Natur und die menschliche Gesellschaft gesagt ist, scheint mir zu folgen, daß sich alle daraus abgeleitete und noch abzuleitende Erziehungsregeln auf folgende vier Hauptstücke bringen lassen:
1)Der Tätigkeit freien Spielraum und zweckmäßigen Anlaß geben;
2)Verhüten;
3)Gewöhnen;
4)Unterrichten.
Ferner scheint mir daraus zu folgen, daß diese vier Hauptregeln in Ausübung gebracht werden müssen; daß man also z.B. nie unterrichte, ohne der Tätigkeit der Jugend Freiheit und Beschäftigung zu geben und die Jugend nie tätig sein lasse, ohne sie zugleich zu unterrichten und in beiden Fällen die nötigen Gewöhnungen und Verhütungen veranstalte, so wie diese wieder von Unterricht und Tätigkeit begleitet sein müssen.“
Neben seiner empirisch-experimentiellen Methode lag Trapps Wirkung in der Aufforderung, dass Lehrer eine akademische Ausbildung genießen sollten sowie die Einwände gegen den Einfluss der Theologen auf das Schulwesen. Mit seiner Forderung nach Aufhebung der Trennung zwischen „künftigen Gelehrten“ und „Nicht-Studierenden“, kann er als frühester Apologet einer Einheitsschule gesehen werden.
Trapp vertraute auf die natürliche Gutheit des Menschen und auf die Vernunft als sicheren Wegweiser zum individuellen Glück des Menschen. Durch ein aufklärerisches Schulprogramm und zukunftsweisender Jugendliteratur wollte er zu einer Humanisierung des gesamten Lebens durch Erziehung beitragen.[8] Trapp war Schüler des Aufklärungspädagogen Martin Ehlers, durch den er einen ersten Einblick in das philanthropische Menschenbild erhielt. Er trat für die Verstaatlichung des Schulwesens ein, wandte sich jedoch gegen eine staatliche Bevormundung des Unterrichts. Für die gesamte Lehrerschaft forderte er eine universitäre Ausbildung.
Der Erzieher spielte eine wesentliche Rolle in dem Erziehungsverständnis Trapps; die Kinder und Jugendlichen sollten in ihm ein Vorbild sehen und ihm nachahmen. Die Darbietung des Bildungsstoffes musste laut Trapp auf die geistige Entwicklung der Schüler abgestimmt sein.

Literatur
– Fritzsch, T. (Hrsg.): Ernst Christian Trapp: Versuch einer Pädagogik, Leipzig 1913
– Fuchs, M.: Das Scheitern des Philanthropen Ernst Christian Trapp, Weinheim 1985
– Funke, E.: Bücher statt Prügel. Philanthropistische Kinder- und Jugendliteratur, Hamburg 1988
– Overhoff, J.: Die Frühgeschichte des Philanthropismus von 1715-1771, Berlin 2003
– Scholz, G.: 250. Geburtstag von Ernst Christian Trapp, dem ersten Pädagogik-Professor Deutschlands, in: Kölner Zeitschrift für Wirtschaft und Pädagogik, Heft 19, Dezember 1995, S. 127-148


[1] Overhoff, J.: Die Frühgeschichte des Philanthropismus von 1715-1771, Berlin 2003, S. 21ff
[2] Fuchs, M.: Das Scheitern des Philanthropen Ernst Christian Trapp, Weinheim 1985, S. 13f
[3] Scholz, G.: 250. Geburtstag von Ernst Christian Trapp, dem ersten Pädagogik-Professor Deutschlands, in: Kölner Zeitschrift für Wirtschaft und Pädagogik, Heft 19, Dezember 1995, S. 127-148, hier S. 133ff
[4] Ebd. S. 45
[5] Fritzsch, T. (Hrsg.): Ernst Christian Trapp: Versuch einer Pädagogik, Leipzig 1913, S. 33
[6] Ebd. S. 36ff
[7] Ebd. S. 151
[8] Funke, E.: Bücher statt Prügel. Philanthropistische Kinder- und Jugendliteratur, Hamburg 1988, S. 154f

Finanzen

Über Michael Lausberg 543 Artikel
Dr. phil. Michael Lausberg, studierte Philosophie, Mittlere und Neuere Geschichte an den Universitäten Köln, Aachen und Amsterdam. Derzeit promoviert er sich mit dem Thema „Rechtsextremismus in Nordrhein-Westfalen 1946-1971“. Er schrieb u. a. Monographien zu Kurt Hahn, zu den Hugenotten, zu Bakunin und zu Kant. Zuletzt erschien „DDR 1946-1961“ im tecum-Verlag.

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