GEDANKEN IN DER PANDEMIE 83: MAN NENNT ES AUCH DEMOKRATIE

Jan Böhmermann – die ganz große Verschwörung!

Jan Böhmermann, ZDF Magazin Royale, Screenshot Youtube

Leipziger allerlei, Royal mit Käse, Damenopfer und Schattenspiele: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 83.

„Ach wissen Sie, da kam man von einer anstrengenden Dienstreise zurück, hatte unheimliche Zahnschmerzen und dann auch noch dieser Scheiß.“
Willy Brandt, Jahre nach seinem Rücktritt als Bundeskanzler, befragt zum Gründen, der Guillaume-Affaire

„Das ist ein König, er ist die wichtigste Figur auf dem Brett und das weiß er auch. Die Dame: sie ist beweglicher, sie ist mutig und sie ist gerissen und sie kann so weit gehen, wie sie will.“
Vladimir Nabokov: „Lushins Verteidigung“

„Wer profitiert eigentlich von der Pandemie, die Verschwörungsdödel oder die Superreichen?“
Jan Böhmermann 

Es nervt. Die Leute reden durcheinander. Sie sind sich einfach nicht einig. Sie streiten sich. Sie haben alle verschiedene Meinungen. Und manche wollen zwar dasselbe, aber aus verschiedenen Gründen. Man nennt es auch Demokratie. 

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In letzten Tagen haben wir einige interessante Lektionen über Demokratie bekommen. Rechtsstaat funktioniert, und Geduld lohnt sich – so heißt die amerikanische Lektion.

In Deutschland dagegen regieren gerade Hektik und Justizbashing. Beispiel Sachsen: Da versucht die sächsische Polizei ihr eigenes Versagen im Komplott mit dem Innenministerium auf die Gerichte abzuschieben. Denen wird jetzt vorgeworfen, dass sie die Leipziger Demonstrationen erlaubt haben – wo doch die Demonstrationen nicht schlimm waren, sondern Bürgerrecht. Die Polizei aber versagt hat, weil sie in Sachsen oft auf dem rechten Auge blind ist. De facto zeigte der Samstag, dass die Landesregierung im Freistaat Sachsen (Kenia-Koalition: Schwarz-Rot-Grün) nicht in der Lage ist, Recht, Ordnung und Sicherheit der Menschen zu gewährleisten. Die Kapitulation des Staates in Sachsen vor einer extremen, hoch gewaltbereiten rechten Szene, die die Demos gegen Corona-Politik gekapert hat. 

Jetzt versucht man als Reaktion, die Gesetze zu verändern. 

Die Gesetze anzupassen, so wie es gerade in den Kram passt, ist ein großes Problem, wenn es während der Ereignisse passiert. Wir würden ja auch nicht während einer Geiselnahme die Strafen für Geiselnehmer verschärfen, oder während einer Pleitewelle das Insolvenzgesetz verändern. Genau dies passiert aber gerade. Die Bundesregierung will mehr Vollmachten im Gesundheitsbereich, damit ihnen die Gerichte in der Pandemiebekämpfung durch Freiheitseinschränkung nicht dazwischenfunken. Sie will das Demonstrationsrecht verändern, weil ihr die Demonstrationen nicht passen. Und die Parteien sollen ihre Vorsitzenden digital wählen können und Parteitage digital abhalten, weil die CDU das Wahljahr nicht mit AKK aushält. 

„Neue Normalität“ heißt also nichts anderes als die Anpassung unserer Gesetze an die Unnormalität.

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Gerade noch vor dem Trump-Abgang greift die US-Regierung in die Berichterstattungsfreiheit ausländischer Journalisten ein, und planen eine massive Einschränkung ihrer Arbeitsbedingungen, die de facto auf die Abschaffung der Auslandskorrespondenten hinausläuft. Nach einer vom Heimatschutzministerium vorgeschlagenen Regelung sollen auswärtige Journalisten künftig nur noch maximal für 240 Tage in den USA arbeiten dürfen. Eine einmalige (!) Verlängerung um weitere acht Monate soll – nach Ermessen der Grenzbeamten – möglich sein. Bisher ist es für Journalisten so, dass sie sich so lange vor Ort aufhalten dürfen, wie es für ihre Tätigkeit erforderlich ist. 

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Die Zeit vergeht, der Lockdown steht. Eine Woche schon wieder. Noch mindestens drei Wochen. Oder eben länger, auf unbegrenzte Zeit. 

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Schach sei der Sport der Pandemie, lese ich in der „FAZ“. Und tatsächlich schreibt Paul Ingenday, langjähriger Spanien-Korrespondent des Blattes und zwei Jahre nach Frank Schirrmachers Tod 2016 wohl eher gegen seien Willen aus Madrid nach Berlin beordert, in seinem Text „Wie ein neues Universum entsteht“ in der Ausgabe vom Samstag eine kleine Kulturgeschichte des Gegenwarts-Schach. „Kaum ein Sport“ behauptet er, „hat sich während der Pandemie so rasant verändert wie Schach. Aus dem Refugium für Sonderlinge ist online eine schnelle, grelle und lärmende Show geworden, in der auch betrogen wird.“

Zwar ist auch das analoge Schachspielen eine für viele sonderbare, in mancher Hinsicht unkörperliche Sache. Noch in den 80er Jahren waren Schachklubs wenigstens verraucht – inzwischen gleichen sie wie andere ehemals belebte soziale Räume unseres Lebens einem pathologischen Institut: Clean, hygienisch und unbelebt. 

Wenn die Menschen nun zum Zuhausebleiben verdonnert sind, kommen sie auf merkwürdige Ideen, auch Schachspieler. Sie spielen dann zum Beispiel auf den Plattformen Playchesschess24lichness und Chess.com (hier spiele ich selbst manchmal auch gern). Im Lauf der Corona-Monate spaltet sich nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die Schach-Szene zunehmend: In „Traditionalisten, die an den alten Werten festhalten“, und „eine jüngere, netzaffine Generation, die sich mit Ungestüm einer völlig anderen Kultur in die Arme geworfen hat.“

Die Pandemie habe die Welt des Online-Schachs drastisch verändert, beschleunigt, popularisiert, vulgarisiert, kommerzialisiert. „Plötzlich fanden auch Ahnungslose Schach cool und drängten in seine faszinierende Aura, ohne die Demut des Lernens auf sich zu nehmen. Die Geduld der Zuschauer schrumpfte, der Lärm schwoll an. […] Am Ende schlugen alle Steigerungseffekte auf die alte Schachkultur zurück“.

Manche hoffen auch hier schon jetzt auf die Zeit nach Corona. „Wenn Corona vorbei ist, wird der Internet-Hype allmählich verschwinden. Dann besteht Hoffnung, Schach wieder als Spiel zu erleben, das seiner historischen Reputation gerecht wird.“ sagt die deutsche Top-Schachspielerin Elisabeth Pähtz. 

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Zum Schach-Boom beitragen dürfte nun auch eine neue Netflix-Serie: „Queen’s Gambit“ (der Titel heißt übrigens frei übersetzt „Damenopfer“) lässt in Pastellfarben die Welt der 50er und 60er Jahre wiederauferstehen. Auf den ersten Blick würde man nicht glauben, dass die Geschichte einer  Schachspielerin eine spannende Serie geben kann, aber die Miniserie beweist dann durchaus das Gegenteil. Sie entfaltet anhand des Schachspiels auch de Systemkonflikt  des Kalten Kriegs. Ein Waisenmädchen wird zum Schachgenie – es geht da auch um Emanzipation, Puritanismus und Antirassismus und überraschend viel auch um die Welt des Schachs und der Schachgeschichte: Das Klischee, nach dem Schachspieler irgendwie weltfremde Nerds sind, dominiert zwar auch hier. Aber die Serie zeigt doch eine überraschend reichhaltige Welt. Das Ganze spielt in den USA und verschiedenen anderen Ländern, aber nicht in Deutschland – obwohl es dort coproduziert wurde. Set Designer Uli Hanisch hat das Moskau von 1968 in der ehemaligen Stalin-Allee des alten Ost-Berlin sehr glaubwürdig auferstehen lassen – die schöne Schlußszene dort macht klar, dass Schach eigentlich ein klassenloses Spiel ist. 

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Ich weiß nicht, ob es anderen ähnlich geht – ich habe während des neuen Lockdowns auch diesmal wieder mehr Zeit, um Filme, Serien und andere Sendungen in den öffentlich-rechtlichen Sendern und auf Streaming-Diensten zu sehen. Ein interessanter Eindruck der letzten Woche war zum Beispiel neben der ja schon von Kritikerkollegen vielgepriesenen „Queen’s Gambit“ auch „Shadowplay – Schatten der Mörder“ im ZDF. Meine Mediatheksempfehlung, allerdings bitte unbedingt im englisch-deutschen Original: Acht Teile, jeweils gedoppelt an vier Tagen hintereinander und wahrscheinlich mit den 3 bis 4 Millionen Zuschauern (10 bis 15 Prozent Marktanteil) pro Folge enttäuschend für den Sender. Ich finde diese Zahlen unter Wert, denn „Shadowplay“ war spannend, etwas, das man gut weggucken konnte. 

Die Handlung spielt im in vier Besatzungszonen geteilten Trümmer-Berlin des Jahres 1946 zwischen Deutschen, Amis und etwas zu bösen Russen. Das war gut, gerade in seiner Trashigkeit und dem lässigen Umgang mit dem, was bei uns „deutsche Vergangenheit“ genannt wird, also: Den Nazis. Geschrieben und inszeniert von zwei Schweden, ahnt man schon, warum das Publikum reserviert reagierte: Es fehlt dieses Staatstragende, das solche Filme immer bei uns haben. Alles Deutschen sind hier so kaputt und traumatisiert und moralisch[…] nun ja: pragmatisch, wie in der Wirklichkeit. Die Menschen sind die Trümmer: Voller Schutt und Blindgänger. Und man sieht Schauspieler wie Nina Hoss, Mala Emde und Sebastian Koch, in Nebenrollen Martin Wuttke oder Lena Ursendowsky mal etwas anders. 

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Das große Highlight war aber dann die Rückkehr von Jan Böhmermann. Das muss man (MUSS!! MAN!!) unbedingt nachholen: Überragendes Fernsehen. Eine großartige, sehr lustige, überaus gescheite halbe Stunde. Böhmermann machte da weiter, wo er bei Neo aufgehört hatte, subversiv und aufklärerisch, und setzte das Lieblingsthema der Kindergärtner in den öffentlich-rechtlichen Medien, die Verschwörungstheorien (die man jetzt besser „Verschwörungsmythen“ oder „Verschwörungserzählungen“ nennen soll) ins richtige Verhältnis: 

Unter der Maske der Satire die reine Wahrheit über Superreiche: Über den Stoschek-Style zum Beispiel. 

Fazit: „Die wahre Verschwörung ist: Es gibt keine Verschwörung. Es braucht keine Verschwörung. Es läuft auch so alles zugunsten weniger. […] Den Reichen kommen die Verschwörungsfreaks sogar ganz gelegen, denn so interessieren sich Medien, Politik und Gesellschaft noch weniger für sie. […] Wir alle sind Opfer der schlimmsten, der größten Geheim-Verschwörung: Der Wirklichkeit.“ 

Nur – ausgerechnet – „Der Spiegel“ konnte nicht lachen.

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Die unterhaltsamste Sendung am Sonntag war wieder mal „Anne Will“. Heiko Maaß hatte nicht nur Probleme mit seiner neuen Frisur, sondern auch mit dem Internet. Laschet redete als er Biden sagte, eigentlich über sich: „Kurs der Mitte, versöhnen, vereinen, das Land zusammenbringen et cetera“, das war nicht zu übersehen auch gegen Merz gerichtet, den alten Spalter. Hedwig Richter, eine gutgelaunte sympathische Schwäbin und Historikerin im hellblauen Hosenanzug freute sich über Bidens Sieg und ließ sich in ihrem Enthusiasmus auch nicht irritieren, als Will das Faß nochmal aufmachte, das selbst Netanyahu zugemacht hat, als sie behauptete Joe Biden „scheint als Sieger festzustehen“ – ganz so sicher ist sich Will also nicht. Dazu der apodiktisch-besserwisserische Ton, Augenklimpern und selbstgefälliges Grinsen. Danach legte sie noch einem armen übriggebliebenen Republikaner eine Dummheit nach der anderen in den Mund – eigentlich war’s nicht lustig, sondern traurig.

Erscheinen auf out-takes.

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