Münchens neue Aida ist hier erst einmal „Manon“: Die gefeierte russische Sopranistin Elena Stikhina

Foto: W. Hösl, Bayerische Staatsoper Bringt alles mit, was zu einer mitreißenden Puccini-Manon gehört: die Russin Elena Stikhina

Es mag Zufall sein, dass Hans Neuenfels` Inszenierung von Giacomo Puccinis 4-aktigem Lyrischem Drama „Manon Lescaut“ an der Bayerischen Staatsoper gerade jetzt wieder aufgenommen wird, fast genau ein Jahr nach dem Tod des 80-Jährigen in Berlin am 6. Februar 2022. Der gebürtige Krefelder hatte sich vor gut neun Jahren ein seinem Bayreuther Ratten-“Lohengrin“ von 2010 angepasstes Szenario ausgedacht: Das Volk wurde von Kostümbildnerin Andrea Schmidt-Futterer einheitlich in Grau  gesteckt und mit Rotschöpfen versehen, die karikierte „Äbte“-Riege wurde  kardinalsrot eingekleidet.

Neuenfels` „Manon“-Deutung, 2015 von Alain Altinoglu beachtlich musikalisch neu einstudiert, bedeutete einen großen Schritt weiter ins optisch Stilisierte.  Was bei den Münchnern auf wenig Gegenliebe stieß, auch wenn sie sängerisch verwöhnt wurden: Jonas Kaufmann als Des Grieux und Kristine Opolais als Titelheldin – willkommener Ersatz für die sich Neuenfels` Regie-Konzept strikt verweigernde Anna Netrebko (s. unsere Kritik, Ausgabe 16. 11. 2014).

Diese Partie, eine der großen Diven-Rollen der Operngeschichte, wurde nun – für eine Vierer-Serie (noch am 19., 22. und 25. Februar) – Superstar Elena Stikhina anvertraut. Die blendend aussehende Russin bringt alles mit, was eine Manon Lescaut braucht, um Aug und Ohr zu schmeicheln: Schönheit, Größe, Würde, reife Jugendlichkeit, Ausstrahlung, Attraktivität pur. Dazu ein Renommee als eine der Angesagtesten ihres Faches. Exakt ein Jahrzehnt ist sie ein hell leuchtender Stern am internationalen Opernhimmel, von Paris über Zürich und Berlin, Dresden und Baden-Baden bis nach Holland. 2018/19 debütierte sie als Puccinis Suor Angelica an der Met, wo sie demnächst die Elsa singt.

In München stand Stikhina, Star des Mariinski-Theaters, vor fünf Jahren als Senta im „Fliegenden Holländer“ auf der Bühne. Im Mai setzt sie hier ihren Erfolg als Aida (bisher in Paris, London, Amsterdam, zuletzt bei den Salzburger Festspielen) fort. Die Münchner Neuproduktion ist für Mai/Juni fix auf dem Spielplan, unter Daniele Rustioni (Dirigat) und Damiani Michelietto (Regie). Brian Jagde und Gregory Kunde werden als Radames alternieren. In der „Manon Lescaut“ war der aufstrebende Mexikaner Joshua Guerrero Stikhinas ebenbürtiger Partner. Sein Des Grieux drehte erstark auf, verschoss bereits im 1. Akt viel Pulver, musste sich halt erst einklinken in eine Inszenierung, in der er sich eher am Rande statt im Zentrum fühlen durfte. Die von beiden sängerisch überzeugend gestaltete haarsträubende Schluss-Szene – Manon stirbt im Niemandsland in den Armen ihres Geliebten – findet in der schwarzen Öde des schmucklosen Bühnenbildes von Stefan Mayer statt. Beide Protagonisten hat es für eine letzte Impulsivität zu Boden geworfen. Ein Bild der Atemlosigkeit und Verlassenheit. „Hier, ganz nah bei mir, will ich dein Gesicht fühlen … So … ja … du küsst mich … ganz nah bei dir. Noch spüre ich dich. Weh mir!“, singt Manon. „War sie liebevoll, deine Manon? Sag mir: Erinnerst du dich an meine strahlende Jugend?“, will sie wissen, die die Sonne nicht wiedersieht. Allein wegen dieser ergreifenden Schluss-Szene gehen viele in Puccinis Oper von 1893. Und meistens bleibt da – Beispiel: Opolais/Kaufmann – kein Auge trocken. Weshalb es dazu nicht kam, kann an den beiden sich aus dem irdischen Leben Verabschiedenden  nicht gelegen haben.

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Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.