Landtagswahl in Thüringen am 27. Oktober 2019 – CDU-Chef Mike Mohring im Interview mit Stefan Groß: „Wir müssen Vertrauen wieder gewinnen“

Mike Mohring, Foto. Stefan Groß

Herr Mohring, Sie stehen kurz vor der Landtagswahl, die CDU auf Platz zwei. Was sind die großen Herausforderungen in den nächsten Wochen?

Die größte Herausforderung ist, um Vertrauen zu werben, den Regierungsbildungsauftrag zu bekommen, Rot-Rot-Grün abzulösen und Thüringen besser zu gestalten, als es jetzt in den letzten fünf Jahren passiert ist. Das ist deshalb spannend, weil wir mit unserer Landtagswahl an die Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen anknüpfen und so gesehen ist der Fokus Ost ein ganz besonderer in diesen Herbst.

Was macht den Bodo Ramelow richtig und was macht die CDU möglicherweise falsch?

Bodo Ramelow hat das Land in den letzten fünf Jahren ordentlich verwaltet und erntet gerade die Früchte der Arbeit, die seine Vorgänger ausgesät haben, von Bernhard Vogel über Dieter Althaus und Christine Lieberknecht. Ich halte es mit Markus Söder, der gesagt hat, dass es leichter ist die Früchte zu ernten als sie auszusäen. Entscheidend ist, was ist für das Land rausgekommen.

Rot-Rot-Grün hat fünf Milliarden Euro mehr Einnahmen in dieser Wahlperiode als im Vergleich zur letzten Landesregierung, die wir angeführt haben. Tatsächlich sehe ich in diesem Land nicht, dass die fünf Milliarden so angelegt sind, dass das Land vorangekommen ist. Es wurden viele ideologische Projekte finanziert, aber es sind nicht die richtigen Weichen gestellt worden, für die Infrastruktur und die Förderung des ländlichen Raums, wie das notwendig gewesen wäre, damit Thüringen seinen Platz an der Spitze der deutschen Bundesländer einnehmen kann.

Es wird ja immer über die Zukunft der Volkspartei diskutiert. Die SPD ist gerade auf dem Abstieg, folgt ihr die CDU möglicherweise?

Ich hoffe nicht! Wir sehen in Deutschland eine Entwicklung, die wir bei den politischen Parteien in Europa seit längerem beobachten. Eben dass die großen Parteien an Bindungswirkung verlieren, dass die politische Landschaft sich zersplittert und dass wir auch eine Polarisierung von den Rändern her sehen. Derzeit vollziehen wir in Deutschland diese europäische Entwicklung nach. Schlussendlich ist die CDU die einzig verbliebene Volkspartei, die neben ihrer Schwesterpartei der CSU noch da ist. Jetzt ist genau die spannende Frage: Gehen wir den Weg wie die SPD oder können wir diesen Trend stoppen. Ich hoffe, dass wir diesen Trend stoppen können, weil Volksparteien wie CDU/CSU aber auch die SPD eine wichtige Bindungsfunktion in die Mitte der Gesellschaft haben. Wir können die Polarisierung nur überwinden, wenn es Brückenbauer in der Mitte gibt, die ihr eigenes Angebot machen. Die mit ihrem eigenen Profil auch die Fähigkeit haben, Debatten von vorne zu führen und die Fähigkeit, Themen zu besprechen, die den Menschen am Herzen liegen, und die nicht nur in der Käseglocke Politik zu machen. Das geht eben nur, wenn man eine klare Haltung, eine klare Position und Mut zur Verantwortung hat. Wenn das die großen Volksparteien hinbekommen, dann haben sie auch eine Zukunft.

Jetzt war man eigentlich davon ausgegangen, dass ein Wahlkampf direkt zwischen Ihnen, Ramelow und Mohring, stattfindet. Nun ist die AfD dazwischen gegrätscht. Wird die CDU möglicherweise aufgerieben?

Nein, das wird nicht passieren. Es gibt unterschiedliche Wahlkampfstrategien. Die Strategie von Bodo Ramelow ist tatsächlich die der Polarisierung. Er führt einen destruktiven Wahlkampf. Er redet in letzter Zeit nur noch von Minderheitsregierung, meint aber die Geschäftsführung der jetzigen Landesregierung nach der Landtagswahl, wenn sie abgewählt ist und hofft auf Polarisierung, zwischen Links auf der einen Seite und Rechts mit der AFD auf der anderen Seite. Es gibt einen unsäglichen Wahlkampfslogan der Linkspartei, der heißt: Bodo oder Barbarei. Das heißt am Ende: nur wenn man Ramelow wählt, sei das demokratischen legitim, das übrige politische Spektrum dann Barbarei. Das finde ich ziemlich infam und auch nicht anständig in solch einem Wahlkampf. Tatsächlich ist die Alternative zu Links eine bürgerliche Regierung der Mitte. Die Alternative zu Links geht eben nur, wenn man am Ende die CDU wählt und unterstützt. Wer auf der anderen Seite Höcke wählt, hält Ramelow im Amt, weil genau das passiert, was er mit seiner linken Strategie möchte, eine Sperrminorität von LINKE und AfD, die dann die Geschäftsführung der jetzigen Landesregierung ermöglichen würde. Wer stabile Verhältnisse will, wer klare Mehrheiten möchte, wer eine Regierung mit Verantwortung sehen möchte, der muss eine bürgerliche Regierung wählen, an der Spitze mit der CDU.

Man hat bei der CDU oft den Eindruck, dass nicht mit einer Stimme gesprochen wird. Genau das hatte man ja bei der Union vorheriges Jahr bei Merkel und Seehofer in der Flüchtlingsfrage. Jetzt hat man es bei Kramp-Karrenbauer und Maaßen. Wie einheitlich sind denn die Inhalte in der CDU? Wir haben ja auch die Werteunion, die kräftig an Mitgliedern dazu gewinnt und immer wieder die CDU kritisiert!

Zunächst finde ich es gut, dass wir zum Diskurs fähig sind. Das ist uns ja eine ganze Weile abhandengekommen. Entscheidend ist, dass nicht die Wahrnehmung entstehen darf, dass wir uns nur mit uns selbst beschäftigen und nur über unser eigenes Personal reden. Und leider ist dieser Eindruck vor und nach der Bundestagswahl und jetzt aktuell wieder da und überlagert gute inhaltliche Entscheidungen. Wir haben es gerade gesehen. Die Bundesverteidigungsministerin hat es geschafft, ihre erste Ankündigung umzusetzen, den Bundeswehrsoldaten und Soldatinnen mehr Respekt entgegenzubringen und ihnen Freifahrten mit der Deutschen Bahn zu ermöglichen, wenn sie Uniform tragen. Dieser Verhandlungserfolg ist fast untergegangen durch die Maaßen-Debatte. Dasselbe gilt für das große Paket zur Flüchtlings- und Migrationspolitik, welches die Große Koalition vor dem Sommer noch auf den Weg gebracht hat. Eigentlich haben alle darauf gewartet und jetzt ist es da. Aber andere Personaldiskussionen haben das überlagert. Die SPD legt ja derzeit noch einen drauf, wenn sie ein halbes Jahr einen Parteivorsitzenden sucht. Das hinterlässt bei den Leuten den Eindruck, dass die in Berlin sich nur mit sich selbst beschäftigen und sich nicht um die Probleme der Menschen kümmern. Gibt es tatsächlich Vertrauen und Zutrauen in die Arbeit der Großen Koalition, dann hilft uns das in Thüringen. Wenn die Leute sehen, okay, den Worten folgen Taten und es wird auch gehandelt – es gibt Mut zur Verantwortung.

Friedrich Merz hat kürzlich gesagt, unter ihm und Maaßen hätte es keine AFD gegeben. Hat Er damit Recht?

Das ist alles nach hinten geblickt und rückwärtsgewandt. Ich glaube, wir müssen nach vorne schauen. Wenn wir uns mit den alten Debatten aufhalten, wird das nichts.

Nun wird ja Frau Merkel auch vorgeworfen, dass sie zu biegsam ist, dass sie zu viel Mitte macht. Landen wir nun letztendlich bei Schwarz-Grün im Bund und in Thüringen?

Erstmal haben wir eine Große Koalition und ich wette überall dagegen, dass es vorgezogene Bundestagswahlen vor dem Jahr 2021 gibt. Ich glaube, es wäre der letzte Tropfen in ein volles Fass, wenn wir jetzt wegen der Selbstbeschäftigung auch noch in Neuwahlen eintreten würden. Falls die SPD sich dazu entscheiden sollte, aus der Großen Koalition auszuscheiden, sollten CDU und CSU verantwortungsvoll weitermachen. Aber Neuwahlen sind keine Lösung. Deswegen hoffe ich, dass das nicht passiert und deswegen stellt sich nicht die Frage nach neuen Koalitionsoptionen in Berlin. Und in Thüringen haben wir zwei klare Wahlziele: Rot-Rot-Grün darf keine Mehrheit gewinnen, und wir müssen die Partei sein, die den Regierungsbildungsauftrag bekommt. Wir müssen mit aller Kraft, aller Energie und aller Freude unsere Erzählung kundtun, wie wir uns Thüringen vorstellen und damit um Vertrauen werben und damit hoffentlich die größtmögliche Zustimmung bekommen.

Nun gibt es einen Unterschied zwischen Ost und West Wählern. Wie würden Sie den benennen? Was ist der Unterschied zwischen den Ostdeutschen, wie denken die politisch, aus Ihrer Sicht als erfahrener Kommunalpolitiker?

Die Ostdeutschen haben mehr Erfahrung gesammelt, was Strukturwandelprozesse betrifft. Diese Erfahrung ist eine reichhaltige, eine besondere. Ich sage ja oft, der Osten ist Seismograph für die Gesamtentwicklung Deutschlands. Was wir hier sehen, vollzieht sich später immer in der gesamten Bundesrepublik. Auch die besonderen Erfahrungen sind Wert an sich, aber sie machen die Leute auch skeptisch. Und wer schon Enteignungen in der DDR Zeit erlebt hat, wer als Leistungsträger mitten in der Gesellschaft steht und die Umbrüche dann als Arbeitsloser wahrnehmen muss, obwohl er nichts dafür kann, nur weil der Arbeitsmarkt zusammengebrochen ist, wer die Schwierigkeit in der Eurokrise erlebt hat, der ist jetzt skeptischer jedem weiteren angekündigtem Strukturwandelprozess. Es geht den Leuten in der Lausitz so und es geht vielen so, die Sorge vor der Zukunft haben. Die Politik denkt immer, wenn sie den Leuten die Gegenwart beschreibt, dann wissen die Leute, dass alles gut wird. Aber die Leute kennen ihre eigene Gegenwart selbst und sie wissen wie diese ist. Aber die Frage ist, wem gibt man sein Vertrauen für die Zukunft. Das macht sich daran fest, wem ich vertraue, wem ich meine Stimme gebe, für die Probleme, die in der Zukunft entstehen. Und derjenige, der die beste Antwort darauf gibt, der überzeugt auch. Und tatsächlich ist es so, dass viele Leute skeptischer geworden sind, den Institutionen nicht mehr vertrauen, skeptisch sind, ob der Staat sein Sicherheitsversprechen und sein Wohlstandsversprechen erfüllt. Wenn sie das nicht sehen, verteilen viele eine Rote Karte und sagen: Solange ihr das nicht hinbekommt, wählen wir euch nicht. Aber Angst ist keine Zukunftslösungsoption. Deswegen müssen wir Antworten liefern, damit für die Ränder kein Platz bleibt.

Wie ist die CDU im Hinblick auf das Flüchtlingsthema gewappnet?

Da hilft tatsächlich das große Paket, welches wir vor der Sommerpause verabschiedet hatten. Wir haben jetzt endlich ein Zuwanderungsrecht, welches definiert, welche Fachkräfte wir brauchen und welche notwendig sind, um unseren wirtschaftlichen Wohlstand zu erhalten. Dafür gibt es nun eine Ordnung. Damit schließen wir aus, dass Leute das Asylrecht benutzen, um eigentlich Arbeitsmigration zu betreiben. Diese Ordnung und Steuerung der verschiedenen Zugangswege ist, glaube ich, ganz entscheidend, weil uns das auch ermöglicht, gelingende Integration für diejenigen mit Bleiberecht zu organisieren. Das wird dafür sorgen, dass Spracherwerb möglich ist, dass Vorschaltklassen eingeführt werden und dass auch Akzeptanz unserer Werteordnung gewährleistet bleibt. Für Thüringen haben wir ja ein eigenes Integrationsgesetz vorgeschlagen, mit eigenen, individuellen Integrationsvereinbarung, mit Rechten und Pflichten. Und ich glaube, auf diesem Weg kann man gute Integration organisieren. Wir haben jetzt auch klar geregelt, was geschieht, wenn jemand das Asylrecht in Anspruch nimmt und das Asylverfahren abgeschlossen ist. Wenn es keinen Asylanspruch gibt, muss konsequent wieder in die Heimatländer abgeschoben werden. Natürlich gibt es auch Verständnis für diejenigen, die Zuflucht und Schutz in Deutschland suchen, weil sie sich vor Vertreibung fürchten und um ihr Leben sorgen – dass wir die auch aufnehmen können. Wir haben diese Prozesse jetzt geordnet und nun müssen auch Taten folgen. Durch Handlungen der Behörden, durch Handlung der Justiz damit Vertrauen wachsen kann.

Nun wird gerade in Berlin über den Mietendeckel von acht Euro diskutiert. Wie steht denn Ihre Partei dazu?

Vor allem wird ja über einen generellen Mietendeckel diskutiert und den lehnen wir klar ab, weil das lebensfremd ist. Es gibt Regionen wie Gera in Thüringen, dort haben wir eine Durchschnittsmiete von drei Euro pro Quadratmeter, da braucht es keinen Mietendeckel – da braucht es Zukunftsinvestitionen in die Stadt. Andererseits haben wir in Jena oder Erfurt und sogar in Weimar einen Mietpreisanstieg, der es nötig macht, dass wir uns um den Mietmarkt kümmern, dass sich Mieter auch noch erträglich eine Mietwohnung leisten können. Das steuert man am besten, wenn man Bauherren dazu bewegt, mutig zu bauen. Wer baut, entlastet den Mietmarkt. Aber wenn man den Bauherren vorschreibt, welche Miete sie einnehmen dürfen, dann werden wir Investoren abschrecken und nicht begeistern. Das muss man in guten Einklang bringen. Wir müssen es also ermöglichen, dass junge Familien eine Chance haben. Das Baukindergeld ist ein wichtiger Schritt gewesen. Wir wollen die Grunderwerbssteuer ändern. Rot-Rot-Grün hat sie hier in Thüringen auf 6,5 Prozent hochgeschraubt. Wir wollen jungen Familien beim ersten Eigentumserwerb Freibeträge gewähren, damit sie sich auch das Eigenkapital leisten und Wohneigentum finanzieren können. Wenn wir das Baurecht entschlacken würden, gerade im Osten, könnten wir modellhaft Ausnahmegenehmigungen einführen. Wir könnten zum Beispiel die Lückenbebauung im ortsnahen Außenbereich zulassen. So können wir auch helfen, dass der Mietermarkt und der Wohnungseigentumsmarkt sich gegenseitig ergänzen und nicht benachteiligen.

Wenn Sie am 27. gewählt werden würden, was wären die ersten drei oder vier Maßnahmen die Sie durchführen würden?

Die erste Maßnahme, die ich gerne umsetzen würde, wäre im Schulgesetz die Reglementierung, dass man die Abschaffung des Bildungsgangs Lernen an Förderschulen zurücknimmt. Dass man mehr junge Lehrer in Referendarausbildung bringt und dass wir schnellstens dafür sorgen, dass der Unterricht in Thüringen nicht mehr ausfällt und Schule beste Bildung organisieren kann. Das wir es schaffen, den Breitbandausbau voran zu bringen, die Kommunen so unterstützen, dass auch dann Breitbandausbau stattfindet, wenn sie ihren Eigenanteil nicht finanzieren können. Darüber hinaus brauchen wir schnellstens ein Programm für den ländlichen Raum, dass man dort auch eine Lebensperspektive hat. Das ist eine Frage der Infrastrukturunterstützung. Mehr Geld also für die Kommunen, damit sie selbstständig ihre eigenen Aufgaben erledigen können. Das kann man sofort regeln. Das wären die ersten Maßnahmen, die wir machen müssten.

Sie wollen ja den konservativen Markenkern der CDU stärken. Konservativ ist ein Begriff, der heutzutage mit rechts gleichgesetzt wird. Was ist denn das Konservative an der CDU für Sie?

Heutzutage ist man ja schon rechts, wenn man nicht mehr links ist. Diese Debatten kann ich gar nicht nachvollziehen. Eine freie Gesellschaft muss aushalten, dass es unterschiedliche Meinungen im demokratischen Spektrum gibt, und erst das macht eine freie Gesellschaft aus. Meinungsdiktate machen keine freie Gesellschaft aus. Und wenn Leute das Gefühl haben, dass sie dann schon rechts abgestempelt werden, wenn sie ihre Meinung sagen, dann ist das falsch. Viele spüren das derzeit und fühlen sich manchmal nicht an die Diktatur, aber an die Erfahrung in der DDR erinnert, dass man auch da doppelzüngig reden musste, weil man das Gefühl hatte, wenn man was offen sagt, hat man Nachteile. Eine freie Gesellschaft funktioniert nur mit ordentlichen Werten, so dass man Freiheiten zulässt und gewährleistet. Dann sind wir auch gut beraten, dass wir alles, was wir ändern, auch immer ordentlich prüfen; mit Maß und Mitte die Dinge gestalten, uns weiterentwickeln, aber uns prüfen, bevor wir einen Schritt weitergehen. Das heißt eben auch bei der Klimapolitik, nicht Schwarz oder Weiß denken, sondern mit Maß und Mitte die Dinge organisieren. Wir müssen Wahlfreiheiten ermöglichen, damit jeder Mensch für sich selbst abschätzen kann, wie sein Leben gelingt. Was wir aber nicht dürfen, ist Modelle vorzuschreiben wie man zusammenlebt. Wenn man den einzelnen Menschen wertschätzt, sind wir auf einem guten Weg. Dann erfüllt man auch das, was die CDU – auch im konservativen Kern – aber eben auch im christlich-sozialen und im liberalen Kern erfüllen sollte.

Es gibt einen gigantischen Aufstieg der Grünen. Nicht nur im Bund, sondern auch auf Landesebene. Woran liegt das? Früher hat doch diese Partei gar keine Rolle gespielt.

Ich will zunächst festhalten, dass es im Osten ein Stück anders ist. Natürlich wirken Bundesdebatten stark hinein, das sehen wir gerade insgesamt bei der Wahrnehmung von CDU und SPD. Es fehlt ein Zutrauen in die Große Koalition. Und das wirkt sich auch auf die Länderwahlergebnisse aus. Und selbst die Grünen Ost profitieren ein Stück weit auch davon, selbst wenn bei der letzten Europawahl zum Beispiel die Grünen in Thüringen das schlechteste Wahlergebnis aller 16 Landesverbände eingefahren haben. So gesehen geht diese Entwicklung langsamer, aber es ist tatsächlich so. So lange Themen wie die Flüchtlingspolitik für die AfD und die Klimapolitik für die Grünen die Hauptthemen sind, die die Leute derzeit beschäftigen, dann haben diese Parteien auch Zustimmung. Ändern kann man das nur, indem man die Themen beherzt anpackt und löst, ein Alternativangebot macht und Antworten gibt zu dieser Schwarz-Weiß Malerei. Das heißt eben: Nicht zuerst mit neuen Steuern in der Klimapolitik kommen, sondern zuerst zu prüfen, wie man neue Anreize setzen, wie man die Menschen ermutigen kann, damit sie selbst einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Aber wenn ich zuerst mit Verboten, mit neuen Steuern komme, mache ich genau das Gegenteil.

Die Zukunft Europas ist gerade etwas brüchig. Wie sehen Sie das? Sind wir ein geeintes Europa in Zukunft oder werden sich die Spaltungen in der EU fortsetzen?

Europa steht in seiner größten Krise. Wir sehen das an der Unfähigkeit, die Frage des Brexits zu lösen, die natürlich ihre Ursache im Verhalten der Briten hat. In dieser Unentschlossenheit, welchen Weg man eigentlich gehen will. Aber das ist deshalb so existentiell für Europa, weil der Umgang mit dem Brexit ganz entscheidend ist; ob er ein Beispiel für andere europäische Staaten ist, die vielleicht den Exitweg gehen wollen oder nicht.

Und es ist die große Frage, wie finanzieren wir künftig die Aufgaben Europas. Das Budget ist noch nicht geschnürt, obwohl die Europawahlen hinter uns liegen. Alle warten auf die deutsche Ratspräsidentschaft und alle schauen auf Deutschland, das nun gefordert ist, vermeintlich das zu schließen, was die Briten als Nettozahler nicht mehr finanzieren wollen. Nur wenn man das Problem für die Zukunft löst, ohne die Nettozahler zu überlasten, dann hat Europa auch eine Zukunft. Deswegen kommt es auf die an, die eine große Verantwortung tragen, auf wie Ursula von der Leyen als neue Kommissionspräsidentin, auf Angela Merkel als Ratspräsidentin.

In Zukunft wird es ganz entscheidend sein, ob Europa als Player sprachfähig ist in seinen Beziehungen zu den USA und zu China. Mit der neuen Seidenstraße eröffnen sich ganz neue Handlungswege und China verschafft sich eine strategische Besserstellung. Hierauf muss Europa eine eigene Antwort finden. Und wenn es diese hat, haben wir auch eine gute Zukunft. Was jetzt passiert, ist existentiell für die Zukunft und ich hoffe, dass Europa sprachfähig ist, aber auch gemeinsame Wege gehen kann.

Nun ist unsere Generation unter drei Bundeskanzlern groß geworden. Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Angela Merkel. Was bleibt da für Sie in Erinnerung? Wie wird Frau Merkel in die Geschichte eingehen? Altbundespräsident Gauck sprach jüngst davon, dass man sich nach ihr sehnen wird.

Ich glaube, die Leute werden sich später nach Angela Merkel sehnen. Ich mag Joachim Gauck, ich komme wie er aus dem Neuen Forum und ich teile viele seiner Einschätzungen, auch diese. Diese Ruhe, die Angela Merkel ausstrahlt, diese Übersicht in komplizierten Lagen in dieser unübersichtlichen Welt, ist ein Wert an sich, der die Größe der Kanzlerin vielleicht ausmacht. Natürlich erwarten viele große Visionen, große Schritte, große Gesten, große Wege, aber manchmal ist es auch ganz gut, dass jemand da ist, der sich den Blick auf die Dinge, die notwendig sind, erhält. Man ist nicht 13 Jahre Bundeskanzlerin und noch länger Parteichefin der CDU gewesen, wenn man nicht diese Übersichtlichkeit behalten hätte. Ich habe ganz persönlich von ihr gelernt, dass sie tief im Detail über die Dinge Bescheid weiß. Nicht teilen kann ich die Position ihrer Kritiker, die von außen urteilen, dass sie von Dingen keine Ahnung und keinen Blick hat. Ich habe sie als eine Frau kennengelernt, die sehr klug ist, die weiß, was die Aufgaben sind, die von Ihr erwartet werden, und die anstehen. Ein Ruhepol zwischen all den Alphatieren – Trump, Putin, Erdogan – zu haben, ist meiner Meinung nach nicht verkehrt.

Sie haben im letzten Interview über Hoffnung gesprochen. Sie haben eine schwere Krebserkrankung durchlebt. Was haben Sie durch Krebserkrankung für ihr politisches Leben gelernt?

Zu allererst habe ich mein Leben wieder. Ich habe den größten Kampf gewonnen, den ich je in meinem Leben gewinnen konnte. Das lehrt eine Menge Demut, aber auch den Blick darauf zu legen, was wirklich wichtig ist und was bedeutend ist und wo man sich nicht verkämpfen muss, aber eben auch, dass man reflektierter und gelassener an die Sachen rangehen kann. Ich habe es mir wirklich auch zum Prinzip gemacht, in Gesprächen die Positionen der Gesprächspartner dahingehend zu überprüfen, ob sie nicht tatsächlich Recht haben könnten. Dass man also eher zum gemeinsamen Weg kommt, wenn man sich zunächst gegenseitig zuhört und daraus auch den besten Weg formuliert. Wenn man das zum Prinzip macht, ist das eine ganz gute Sache bei der man viel lernen kann.

Am meisten haben mich die Erfahrung beeindruckt, die ich gesammelt habe. Mich haben tausende angeschrieben, mich unterstützt und für mich gebetet; Kerzen angezündet, Andachten sogar gehalten. Noch heute umarmen mich auf der Straße in Thüringen fremde Leute, die mich erkennen und mir alles Gute wünschen, die mich am Schicksal ihrer Familie teilhaben lassen, im gewonnenen oder verlorenen Kampf gegen den Krebs. Das ist große Verantwortung die man dort erhält, aber eben auch eine große Aufgabe. Was ich gerne vermitteln möchte – ich bin ja auch ein Sprachrohr für diejenigen geworden, die sagen, wir wollen nicht in der Öffentlichkeit stehen, bekommen auch keine Öffentlichkeit – ist das: dass es im Kampf gegen Krebs Hoffnung gibt, wie man mit der Krankheit umgehen kann, um diesen Kampf zu gewinnen. Das ist eine großartige Erfahrung, die ich gemacht habe.

Wir sind ja in Weimar, der Stadt der Dichter und Denker. Der Stadt der Vorbilder. Wer sind denn Ihre politischen Vorbilder?

Das werde ich immer wieder gefragt, und immer wieder bringe ich alles auf den Namen Bernard Vogel, weil ich finde, dass er mit seiner großen Erfahrung in zwei Bundesländern, auch mit der Chance aus der Erfahrung in Rheinland-Pfalz in Thüringen zu zeigen, wie man die Dinge noch richtiger machen kann, das hat mich immer beeindruckt. Dieter Althaus hat mal gesagt: Er war ein Glücksfall für Thüringen, und das sehe ich genauso. Dass wir heute so weit vorne stehen, dass heute auch die aktuelle Regierung so ernten kann, was damals gesät wurde, das haben wir wirklich dem klugen Blick von Bernhard Vogel zu verdanken. Wir sehen das nicht zuletzt am Erfurter Kreuz, der ICE Strecke, die heute millionenfach genutzt wird, die uns mitten in Deutschland, mitten im Zentrum Europas verbindet. Die kurzen Wege auf Schienen – das wäre ohne Bernhard Vogels Verhandlungsgeschick und Weitblick nicht gelungen. Sowas bleibt für immer, und deswegen ist er auch ein gutes Vorbild.

Wer sollte nach dem 27. Oktober noch an Ihrer Seite stehen als Koalitionspartner? Wen wünschen Sie sich, wer käme überhaupt in Frage?

Gute Partner aus der bürgerlichen Mitte. Aber wer dazu die Chance erhält, entscheiden ausschließlich die Bürger Thüringens. Um 18 Uhr habe ich einen Blick dafür, wen ich anrufen kann – und ich hoffe sehr, dass es uns gelingt, eine Regierung der bürgerlichen Mitte als Alternative für zum Linkskoalitionsprojekt zu bilden. In Stabilität, in Verantwortung aber eben auch mit der Fähigkeit, fünf Jahre gut für das Land zu arbeiten. Auch den Blick darüber hinaus zu legen. Ich beantworte Ihnen hoffentlich die Frage am 27. Oktober um 18.20 Uhr.

Fragen Stefan Groß

Das Interview erschien zuerst auf The European

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