Long Covid – die neue Corona-Welle, die lange dauern wird

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Deutsche Öffentlichkeit realisiert zunehmend die Dimension des Long-Covid-Problems

 Die Corona-Pandemie dauert bereits mehr als zwei Jahre. Dramatisch im Bewusstsein der Bevölkerung sind Bilder von überforderten oder überfüllten Intensivstationen oder von Rettungs- und Verlegungsflügen von Schwerstkranken durch die Luftwaffe der Bundeswehr. Mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung gelangt zunehmend eine neue Corona-Welle ins öffentliche Bewusstsein – die Welle von Long Covid, die von Monat zu Monat größer wird, weil die Gesamtzahl der Corona-Infizierten steigt und die Zeitdauer im Verlauf von Long Covid noch ungewiss ist.  Das Krankheitsbild Long Covid oder das Post-Covid-Syndrom sind Krankheitsbilder, die noch sehr neu sind und über die noch zu wenige wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen. Es gibt noch zu viele offene Fragen und aussagekräftige Studien laufen gerade erst an. Der Forschungsbedarf ist riesig und von enormer gesundheitspolitischer und ökonomischer Bedeutung. Die Zahl der Long Covid-Kranken wird für Deutschland von Experten aktuell auf zwei bis drei Millionen geschätzt. Wie viele von ihnen chronisch krank werden und bleiben ist ungewiss. Das Leiden der Betroffenen und die entstehenden Kosten für das Gesundheits- und Sozialsystem sind immens hoch. Die Dramatik dieser neuen Corona-Welle ist ein stilles und oft einsames Leiden. Die Kranken liegen alleine erschöpft zu Hause auf dem Sofa oder im Bett und verschwinden. Sie tauchen selten auf und ihre Stimmen sind kaum hörbar. Die Rehabilitationsmedizinerin und Pulmonologin Jördis Frommhold gilt in Deutschland als Long Covid-Expertin bekannt und ist Chefärztin einer Reha-Klinik in Heiligendamm, die frühzeitig sehr viele Long Covid-Patienten behandelt hat. Ihrem Long-Covid-Buch gab sie den Untertitel „Eine neue Volkskrankheit“. Diese Chiffre bezeichnet treffend die große Dimension des Problems.

Definition von Long Covid und Post-Covid-Syndrom

Mit Long Covid und Post-Covid-Syndrom werden Krankheitsbilder beschrieben, die als Spätfolge oder Langzeitfolge einer Covid-Infektion beschrieben werden. Die Symptome sind sehr variationsreich und vielgestaltig. Das Krankheitsbild ist oft nicht mit objektivierbaren Befunden nachweisbar. Es können jedoch bei einem Subtyp verschiedene Organschäden nachgewiesen werden, die teilweise irreversibel sind. Beispiele hierfür sind bleibende Schäden der Lunge, insbesondere bei intensiv beatmeten Patienten mit Lungenversagen, oder Herzmuskelentzündungen (Myokarditis).  Bestehen die Symptome im Zeitraum von vier bis zwölf Wochen nach der akuten Covid-Infektion, spricht man von Long Covid.  Dauern die Symptome länger als zwölf Wochen an liegt ein Post-Covid-Syndrom vor.

Hauptsymptome

Long Covid und das Post-Covid-Syndrom können Symptome sehr vieler Organsysteme zeigen. Deshalb sind Allgemeinmediziner und sehr viele Facharztgruppen damit konfrontiert.

Die häufigsten Symptome sind

Allgemeinsymptome (Müdigkeit und Erschöpfung, Muskelschmerzen und Gelenkschmerzen, allgemeines Unwohlsein)

Symptome der Atmung (Atemnot, Kurzatmigkeit, Husten, Atembeschwerden)

Herz-Kreislauf-Symptome (Schmerzen im Brustbereich, Herzklopfen, Herzstolpern, Gerinnungsstörungen, Thrombosen, Embolien)

Störungen der Sinnesorgane (Geruchs- und Geschmacksstörungen, Schwindel)

Symptome des Nervensystems (Kopfschmerzen, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Schlafstörungen)

Sonstige Symptome (Depressionen und Angststörungen, Nierenerkrankungen, Stoffwechselstörungen, Haarausfall)

Die Forschergruppe von Sonia Villapol und Mitarbeitern veröffentlichte im Jahr 2021 ein Systematisches Review und Metanalysen zu den Hauptsymptomen von Long Covid. Die Studie wertete Daten von 47.910 Covid-Patienten aus.  Davon hatten 80 Prozent Long Covid-Symptome, allerdings nicht das Vollbild von Long Covid. Von den ausgewerteten 55 Langzeit-Symptomen waren die folgenden fünf am häufigsten  (Sandra Lopez-Leon et al 2021):

  • Müdigkeit (58 %)
  • Kopfschmerzen (44%)
  • Aufmerksamkeitsstörungen (27 %)
  • Haarausfall (25 %)
  • Atemnot (24 %)

Diagnose und Differentialdiagnosen

Mittlerweile ist genügend erforscht, welche Symptome Long Covid haben kann. Wenn ein Patient nach einer Covid-Infektion eines oder mehrere dieser Symptome hat, kann noch nicht vorschnell die Diagnose Long Covid oder Post-Covid-Syndrom gestellt werden. Schon das häufigste Symptom Müdigkeit kann bei vielen Organerkrankungen vorkommen, die zu bedenken sind und gegebenenfalls ausgeschlossen werden müssen (vgl. Csef 1998, 2000). Die große klinische Komplexität der bisherigen Long Covid-Forschung hat auch gezeigt, dass es entsprechende Krankheitsbilder mit oder ohne Organschäden geben kann. Herz, Lunge und das Nervensystem sind am häufigsten durch organische Befunde betroffen. Lungenschäden kommen besonders bei Covid-Patienten vor, die Lungenversagen hatten und längere Zeit auf der Intensivstation beatmet werden mussten. Bei etwas 10 Prozent der Covid-Patienten mit milden Verläufen zeigen sich im Langzeitverlauf Herzmuskelschäden (Myokarditis). All diese Faktoren verdeutlichen die grosse Komplexität des Problems.

Die S1-Leitlinie Post-Covid/Long Covid der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften AWMF

Mittlerweile suchen in Deutschland Hunderttausende von Patienten mit Long Covid ärztliche Hilfe.  Im Jahre 2021 haben in Deutschland mehr als 20.000 Long Covid-Patienten eine stationäre Rehabilitation in auf Long Covid spezialisierten Reha-Kliniken durchgeführt. Im ambulanten Versorgungsbereich gibt es mehr als 100 Long Covid-Ambulanzen, in denen ambulante Behandlungsangebote erfolgen. Um für niedergelassene Ärzte und Klinikärzte eine einheitliche Orientierung zu geben, hat die AWMF die relevanten Medizinischen Fachgesellschaften zur Erarbeitung einer S1-Leitlinie aufgefordert. Leitlinien sollen den aktuellen Stand der Wissenschaft und den Entwicklungsstand der beteiligten Fachgebiete darstellen. Leitlinien sind evidenz- und konsensbasiert. Durch systematische Recherche und Analyse wird die wissenschaftliche Evidenz ermittelt. Da Evidenz und Konsens wichtig sind, erfolgt auch eine transparente Darstellung der Konsensfindung.  An der Leitlinie Post-Covid/Long Covid haben 17 Medizinische Fachgesellschaften und Berufsverbände mitgewirkt. Sie umfasst 76 Seiten und kann im Internet abgerufen werden. Die Häufigkeit von Long-Covid/Post-Covid wird je nach Zeitraum wie folgt angegeben:

13,3  % der Covid-Patienten haben entsprechende Symptome länger als 4 Wochen,  4,5 % länger als 8 Wochen und 2,3 % länger als 12 Wochen (Leitlinie, S. 7)

Dimension der Herausforderung – Epidemiologie und Prävalenzzahlen

Legt man die in der S1-Leitlinie konsensfähigen Prävalenzzahlen zugrunde, so kann in einer Hochrechnung die Häufigkeit von Long Covid wie folgt angenommen werden:

Nach den Angaben des Robert-Koch-Instituts haben wir in Deutschland 12,1 Millionen Covid 19-Infizierte Menschen (Stand: Anfang Februar 2022).  Davon sind etwa 120.000 gestorben, der Großteil ist genesen. Falls 13,3 % der Infizierten ein Long Covid entwickelt haben, wären dies umgerechnet etwa 1,6 Millionen.  Der Großteil dieser Patienten hat jedoch heute keine Symptome mehr oder nur geringfügige. 2,3 % der haben die Long-Covid-Symptome länger als 3 Monate –  das wären etwa 278.000 Betroffene.  Wie viele von diesen mittlerweile überwiegend symptomfrei sind, ist freilich nicht bekannt. Dafür reicht die Datenlage nicht aus. Ein Großteil der Covid-Infektionen stammt aus dem letzten halben Jahr und wie sich die derzeit überwiegende Omikron-Variante auf Long Covid auswirkt, wissen wir noch nicht. Wie viele der Covid-Infizierten relevante Symptome länger als 1 Jahr haben, wissen wir auch nicht.

Die Corona-Pandemie ist noch nicht vorbei. Vieles – auch bezüglich Long Covid – hat sich durch die Impfungen verändert. Dreimal geimpfte Menschen haben erfreulicherweise ein deutlich geringeres Risiko für Long Covid.  Jedoch gibt es jedoch sehr wohl „Impfdurchbrüche“ bei bereits geboosterten Personen. Das aktuelle Hauptproblem ist die „Impflücke“. Bedauerlicherweise gibt es in unserem Land zu viele Menschen, die auf den segensreichen Schutz einer Impfung verzichten. Die Einführung einer Impfpflicht ist politisch umstritten und noch in weiter Ferne. Die bedrohliche Impflücke bedeutet, dass etwa 20 Millionen Bundesbürger nicht geimpft sind. Etwa 76 % haben eine Impfung, geboostert mit einer dritten Impfung sind lediglich 50 %. Also werden sich weiterhin viele Menschen mit Covid infizieren, obwohl dies leicht durch die Impfung zu verhindern wäre. Die Zahl und Penetranz der Impfverweigerer ist erschreckend. Viele bezahlen diese Ignoranz mit ihrem Leben. Die Impfungen sind seit mehr als einem Jahr möglich. In der Krankenhäusern liegen aktuell überwiegend nichtgeimpfte Covid-Patienten. Sie machen auch den Großteil der Todesfälle und der Long Covid -Verläufe aus.  Die oben erwähnte Long Covid -Expertin Jördis Frommhold hat in der von ihr geleiteten Reha-Klinik bisher etwa 3000 Long Covid-Patienten stationär behandelt. In einem Interview sagte sie kürzlich, dies seien fast ausschließlich Menschen, die sich nicht haben impfen lassen.  Die große Herausforderung von Long Covid ist also in erster Linie ein Problem der Ungeimpften.  Und es wäre vermeidbar. Diese Erkenntnis ist bitter. Die Ungeimpften bezahlen ihre Impfverweigerung entweder mit ihrem Leben oder mit längeren Leidenszuständen.

Literatur:

AWMF – Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (Hrsg. 2021).   S1-Leitlinie Post-Covid/Long-Covid. Stand 12.7.2021, AWMF-

Register Nr. 020/027,  AWMF-online  Das Portal der wissenschaftlichen Medizin

Csef, Herbert, Differentialdiagnosen der chronischen Müdigkeit. Zeitschrift für Allgemeinmedizin 74 (1998) 674 – 678

Csef, Herbert, Chronische Müdigkeit. Der Internist 42 (2000) 1495 – 1505

Frommhold, Jördis, Long Covid. Die neue Volkskrankheit. CH Beck, München 2022

Lopez-Leon, Sandra, Wegman-Ostrosky, Talia … Villapol, Sonia,  More than 50 long-term effects of COVID-19: a systematic review and meta-analysis. Nature Scientific Reports (20

         (2011) 11: 16144

 

Korrespondenzadresse:

Professor Dr. med. Herbert Csef, An den Röthen 100, 97080 Würzburg

Csef_h@ukw.de

 

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Über Herbert Csef 136 Artikel
Prof. Dr. Herbert Csef, geb. 1951, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker. Studium der Psychologie und Humanmedizin an der Universität Würzburg, 1987 Habilitation. Seit 1988 Professor für Psychosomatik an der Universität Würzburg und Leiter des Schwerpunktes Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums. Seit 2009 zusätzlich Leiter der Interdisziplinären Psychosomatischen Tagesklinik des Universitätsklinikums. Seit 2013 Vorstandsmitglied der Dr.-Gerhardt-Nissen-Stiftung und Vorsitzender im Kuratorium für den Forschungspreis „Psychotherapie in der Medizin“. Viele Texte zur Literatur.