Mit dem Verbot der Nowaja Gaseta endet die Ära Gorbatschow

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Nach dem Verbot der Printausgabe wird auch die Website der russischen Zeitung Новая газета untersagt. Die Zeitung kritisierte den Krieg in der Ukraine. Chefredakteur Muratow protestierte in seiner Rede vor Gericht gegen die Entscheidung. Er wurde 2021 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Am 15. September entschied das Oberste Gericht der Russischen Föderation, dass die demokratische Zeitung Nowaja Gaseta (Новая газета) die Aktivitäten auf ihrer Website beenden muss. Bereits am 5. September wurde der Zeitung vom zuständigen Gericht in Moskau die Drucklizenz entzogen. Die diesbezüglichen Anträge wurden von der russischen Zensurbehörde Roskomnadzor gestellt.

Noch kann man Berichte und Kommentare über die Entscheidungen des russischen Gerichts auf der Website der Nowaja Gaseta lesen. Noch kann man im Internet die russische Domain der Nowaja Gaseta aufrufen: www.novayagazeta.ru

Die Redaktion widerspricht der Entscheidung des Gerichts und wird dagegen Berufung einlegen. Während der Verhandlung kam der Richter unseren Anträgen nicht nach„, kann man auf der Website der Nowaja Gaseta noch lesen. Es kann sein, dass die Website der Nowaja Gaseta im Netz bleibt, bis das Gericht über die Berufung der Zeitung entschieden hat.

Kritik am Krieg in der Ukraine

Chefredakteur Dmitri Muratow ( Дмитрий Муратов) wurde im Dezember 2021 in Oslo gerade noch der Friedensnobelpreis überreicht. Nur ein paar Monate später wurde Muratow mit schweren Angriffen der russischen Behörden konfrontiert.  Nach dem Beginn des aktuellen Angriffskrieges, den das Putin-Regime in der Ukraine durchführt. Die Redaktion der Nowaja Gaseta stand dabei deutlich auf der Seite der Ukraine. Schon bei der Okkupation der Krim, im März 2014, zeigte Chefredakteur Muratow offen und deutlich seine Kritik.

In Russland dürfen die Medien nun für den Einmarsch in der Ukraine nicht mehr den Begriff „Krieg“ verwenden, es soll von „spezieller militärischer Operation“ (специальная военная операция) gesprochen werden. Journalisten, die sich an solche Anordnungen nicht halten, werden rasch als „ausländische Agenten“ eingestuft.

Aufgrund der ausgeweiteten Zensurbestimmungen, die mit dem Beginn des Krieges gegen die Ukraine einsetzten, erklärte Muratow bereits im März, dass die Nowaja Gaseta ihre Tätigkeit in Russland einstellen werde. Es wurde die Nowaja Gaseta Europe gegründet, die Redaktion wurde in Lettland angesiedelt und soll weiterhin das Erscheinen kritischer Berichte sichern, die in Europa vorgelegt werden. Die erste Ausgabe  der Nowaja Gaseta Europe wurde Anfang Mai veröffentlicht. Für die Website wurde die europäische Domain .eu gewählt, die von den russischen Behörden nicht angegriffen werden kann: www.novayagazeta.eu

Zeitung der Epoche Gorbatschow

Die Nowaja Gaseta sollte eine „Neue Zeitung“ sein, sie erschien erstmals im April 1993, gegründet für ein neues Russland, in der Epoche von Glasnost und Perestroika.  Der damalige Staatspräsident Michail Gorbatschow war ein wesentlicher Förderer des Blattes, das für ein demokratisches und liberales Russland stehen sollte, für Grundrechte und für eine Allianz mit der Europäischen Union.

In einem Land, in dem die Behörden ständig etwas verbieten wollen, einschließlich des Verbots, die Wahrheit zu sagen, sollte es Publikationen geben, die sich weiterhin mit ehrlichem Journalismus beschäftigen„, lautet das Credo der Nowaja Gaseta.

Gorbatschow verstarb am 30. August, das offizielle Russland des Putin-Regimes zeigte darüber Trauergefühle nur in einer beschränkten Weise. Nowaja Gaseta brachte noch ausführliche Berichte über die Bedeutung von Gorbatschow. Nur wenige Tage später, am 5. September, entzog das zuständige Gericht in Moskau der Nowaja Gaseta die Lizenz. Damit wurde die Epoche von Gorbatschow deutlich beendet.

Die Hardliner in Moskau sorgten offenbar dafür, dass die Nowaja Gaseta geschlossen wird. Als Gegenspieler von Chefredakteur Muratow muss dabei Politikprofessor Sergej Karaganow gelten, der einflussreiche Berater des russischen Präsidenten, der offen für ein „strenges und autoritäres Regime“ eintritt und die Grenzen der russischen Macht nochmals weit in die Europäische Union verschieben möchte, wie in der Zeit des Warschauer Paktes, vor den Reformen von Gorbatschow.

Leistungen für Russland

Die Rede, die Dmitri Muratow vor dem Obersten Gericht am 15. September hielt, zur Verteidigung der Website der Nowaja Gaseta, wurde von der Redaktion veröffentlicht:
https://www.youtube.com/watch?v=HGyFTXMp4-g

„Mord als Prävention“, wählte Muratow als Titel für seine Rede. Muratow ging zuerst auf Leistungen der Nowaja Gaseta ein, im humanitären Bereich:
„Wissen Sie, als wir vor einem Problem standen, wie Kinder mit spinaler Muskelatrophie, die das teuerste Medikament der Welt brauchen (…) haben wir dieses Geld gesammelt“.

Im Krieg in Tschetschenien rettete ein Kriegsberichterstatter der Nowaja Gaseta russische Soldaten aus tschetschenischer Gefangenschaft.
Doch wurden Journalisten der Nowaja Gaseta auch ermordet: „Meine Kollegen wurden im Dienst getötet. Juri Schtschekochikhin. Anna Politkowskaja. Nastya Baburova, Rechtsanwalt Stas Markelov. Natascha Estemirowa. Igor Domnikow„, erklärte Muratow.

„Das ist Mord“ (Это — убийств)

Danach protestierte er deutlich gegen das Verfahren und die Entscheidungen des Gerichts:
„Ich bin nicht einverstanden mit dem, was Sie (der Vertreter der Zensurbehörde Roskomnadzor) sagten, dass dies ein präventives Verfahren ist. Das ist Mord„.  Demnach werden die Leistungen der Nowaja Gaseta vernichtet, die nächstes Jahr ihr 30. Jubiläum feiern sollte.

Kritik internationaler Organisationen

Bereits das Verbot der Druckausgabe der Nowaja Gaseta am 5. September wurde von internationalen Organisationen scharf kritisiert, insbesondere auch vom französischen Außenministerium. Zu diesen Reaktionen folgt ein ausführlicher Beitrag in den nächsten Tagen auf Tabula Rasa. Es wurde dafür auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock um eine Stellungnahme angefragt.

Über Johannes Schütz 107 Artikel
Johannes Schütz ist Medienwissenschafter und Publizist. Veröffentlichungen u. a. Tabula Rasa Magazin, The European, Huffington Post, FAZ, Der Standard (Album), Die Presse (Spectrum), Medienfachzeitschrift Extradienst. Projektleiter bei der Konzeption des Community TV Wien, das seit 2005 auf Sendung ist. Projektleiter für ein Twin-City-TV Wien-Bratislava in Kooperation mit dem Institut für Journalistik der Universität Bratislava. War Lehrbeauftragter an der Universitat Wien (Forschungsgebiete: Bibliographie, Recherchetechniken, Medienkompetenz, Community-TV). Schreibt jetzt insbesondere über die Verletzung von Grundrechten. Homepage: www.journalist.tel