Paul Beatty. Der Verräter. Roman

Links - rechts rechts - links, Quell: Stefan Groß-Lobkowicz

Paul Beatty. Der Verräter. Roman. Aus dem Amerikanischen von Henning Ahrens. München (Luchterhand) 2018, 353 S., 20,00 EURO, ISBN 978-3-630-87575-0.

 

Eine bissige Satire auf die Auswirkungen des Rassismus und dessen gescheiterte Reformierung in der US-amerikanischen Gesellschaft? Und die Gebissenen belohnen sogar den Ideengeber? Also ein Aufsehen erregendes Ereignis, das gar nicht so abstrus ist, zumal in einer mit Fakes gefütterten Realität selbst der Präsident seiner Gesellschaft Tag für Tag unzählige Lügen auftischt. Und so eine Idee könnte auch ihn entzücken, wenn sie nicht alles übertreffen würde, was je an widersprüchlichen Rassenideologien hervorgebracht wurde. Doch zunächst zu den schockierenden Einzelheiten. Ein farbiger US-amerikanischer Bürger wird vor das Oberste Gericht in Washington geladen, obwohl er gemäß der Strafgesetzordnung nicht schuldig ist. Dennoch wird er wegen seiner Forderung, die Rassentrennung wieder einzuführen, für schuldig erklärt.

Der Prolog zu Paul Beattys Roman, der 2017 mit dem honorigen Man Booker Prize ausgezeichnet wurde, könnte nicht verwirrender sein für alle diejenigen, die seit mehr als hundert Jahren für die Aufhebung der Rassentrennung gekämpft und … verloren haben. Und sich nun für die Vorzüge einer nach Rassen separierten Gesellschaft einsetzen. Das zumindest ist die Position des Erzählers, Sohn eines engagierten Kämpfers gegen Rassentrennung, Dekan an einem Institut für Psychologie. Einer, der auf seinen Vater stolz sein könnte, einer, der sich für die Bürgerrechtsbewegung aufgeopfert hat und durch Polizeigewalt getötet wurde. Aufgewachsen in einem von Dreck, verseuchtem Abwasser und Armut geprägten Vorort von Los Angeles namens Dickens, lebt der Erzähler von der Aufzucht von Satsumas. Sie pflegt er mit Hingabe, quatscht mit seinem Kumpel Hominy über deftigen Sex, wobei sie alle Arten von Fickerei mit orgiastischen Beschreibungen versehen. Und zwischendurch behauptet er, dass es in Amerika keinen Rassismus gebe, offene Rassendiskriminierung habe er nur ein einziges erlebt, als ihn sein Vater in eine namenlose Stadt am Mississippi gefahren habe, wo nur Weiße lebten. Dort habe ihn sein Dad an einer Tankstelle aufgefordert, eine blonde weiße Frau mal so richtig anzumachen. Doch die, ganz cool auf ihre Art, habe seinen Dad ganz geil angemacht und sei mit ihm davongebraust, sehr zur Verblüffung seines Jungen, der allein gelassen, sich für das Recht der Farbigen auf einem Unisex-Klo in unerwarteter Weise einsetzt.

Ja, es geht wild und unerwartet zu in den ereignisreichen Episoden, die der Erzähler über sein fiktives Dickens präsentiert. Am laufenden Band wechseln sich heftige Gesprächsfetzen mit sarkastischen Beschreibungen von Erlebnissen ab. Dazwischen tauchen Erinnerungen an seinen Vater auf, der ihn mit psychoanalytischen Erkenntnissen über die Bindungsunfähigkeit seiner schwarzen Landsleute quält. Da und dort springt der Erzähler auch in die TV-Realität, um sich über die weißen Intellektuellen lustig zu machen. Dabei bedient er sich auch lateinischer Zitate, wechselt oft in die Welt der Indianer oder die der Mexikaner. Und er überrascht seine Leser mit dem Bekenntnis, dass „die Wiedereinführung der Rassentrennung in Dickens, …, durchaus Spaß (machte).“ Bei deren Umsetzung unternimmt er ungewöhnliche Schritte. So taucht er mit Unterstützung seines Freundes Hominy in unterschiedlichen Läden auf, bietet deren Inhabern drei Schilder zur Auswahl gegen eine Gebühr an. Dabei erhält vor allem die Aufschrift KEIN ZUTRITT FÜR WEIßE einen rasenden Zuspruch. Und der Betreiber des einzigen Kinos erwirbt sogar zwei Schilder, auf denen für das Parkett NUR FÜR WEIßE und SCHWEIGSAME und der Balkon für SCHWARZE; LATINOS UND SCHWERHÖRIGE vorgeschrieben sind. Die Rassentrennung schreitet in dem imaginativen Dickens rasch voran, und erreicht bald absurde Dimensionen. Eine stillgelegte bürstenlose Autowaschanlage wird in einen Tunnel des Weißseins verwandelt, in den Schwimmbädern kann man zwischen mehreren Rassenwaschoptionen auswählen, unter denen vor allem das Programm für Superluxusweiße mit einem „Vorzugsstudienplatz am College deiner Wahl“ überzeugt. Aber auch die ortsansässigen Bands überzeugen mit ihrer musischen Segregationsarbeit: sie spielen die weißeste Musik, die ihnen einfällt, Madonna, The Clash und andere. Und dann folgt noch das riskanteste Rassentrennungswerk im Martin-Luther-King-Jr. Krankenhaus, sogar mit Einverständnis des Direktors, Dr. Mingo, der den Vater des Erzählers noch gut kannte. Zusammen mit Hominy pinselt er nachts den Schriftzug Bessie-Smith-Traumata-Zentrum an eine Notausgangstür und befestigt ein schwarz-weißes Schild NUR FÜR RETTUNGSWAGEN IM BESITZ VON WEIßEN an einem Betonpfeiler. Mehr noch: sie legen einen schwarz-braunen Leitpfad durch die Klinik an, damit die Patienten mehr Eigeninitiative entwickeln können. Doch ob sie damit die schreienden Ungerechtigkeiten des Zwei- Klassen-Systems im Gesundheitswesen aufheben könne, bezweifeln sie.

Überhaupt, der Versuch des Ich-Erzählers, dieses Dickens von der Landkarte zu fegen, scheitert ebenso wie seine von ihm angestrebte Rassentrennung. Die Schwarzen selbst haben den echten Nigger in sich beseitigt, behauptet der Ich-Erzähler. Das Lachen ist ihnen im Hals steckengeblieben beim Versuch, über sich selbst zu lachen. Und die weißen Repräsentanten der Vereinigten Staaten von Amerika? Haben sie ihre Schuld gegenüber den Farbigen beglichen, die sie einst als Sklaven in ihr Land geholt und ausgebeutet haben? Der Ich-Erzähler zaudert. Und wie verhält es sich mit den amerikanischen Ureinwohnern oder den Chinesen, Mexikanern, und all den anderen Ethnien, die in den Slums dahinvegetieren? Seine Antwort ist Schweigen, weil auch er es nicht kapiert.

Und der deutschsprachige Leser, der, angelockt von dem grafisch gelungenen Umschlag, sich dem „Verräter“ ausgeliefert hat? Ist er den verrückten Visionen von Paul Beatty lachend gefolgt, die ihm sein Übersetzer Henning Ahrens liefert? Erfasst er diese „unfaßbar bissige“ Satire auf die US-amerikanische, tiefgespaltene Gesellschaft? Gewisse Zweifel sind insofern angesagt, als er ständig zwischen dem spezifischen Slang der afroamerikanischen Personen, deren Spott über die weißen US-Amerikaner, und der satirischen Negierung der Herrschaftsverhältnisse pendeln muss. Eine Aufgabe, die der Übersetzer mit Bravour erledigt, dem Leser aber ein hohes Maß an lachbereiter Aufmerksamkeit abverlangt. Ein Drahtseilakt aber, der sich unbedingt lohnt.