Unabweisliche Nachweise für die Unschuld von Freiheitskämpfern an aufsehenerregenden Vorfällen während der Südtiroler Bombenjahre

Tatort Steinalm, Alle Bilder sind im Buch erhalten

Es gehört zu den wissenschaftlichen Sternstunden, wenn sich ergibt, dass die historische Forschung hervorbringt, was ihre ureigene Aufgabe und Zweckbestimmung sein sollte, nämlich neue Einblicke auf Handlungen und Einsichten in Geschehnisse zu eröffnen, für die bis dato gemeinhin galt, es seien alle Tatbestände und Zusammenhänge bereits klar zutage getreten gewesen und in der Geschichtsschreibung quasi amtlich oder unverrückbar dargestellt worden. Nicht selten spielt dabei die Entdeckung und akribische Analyse bisher unbekannter oder unbeachtet wenn nicht gar ignorierter Archivalien die entscheidende Rolle.

So stieß der (Militär-)Historiker Hubert Speckner  auf äußerst brisante Verschlussakten im Österreichischen Staatsarchiv. Als er sie erschloss, erschien insbesondere ein von italienischer Seite als blutigstes Attentat Südtiroler Widerstandskämpfer der 1960er Jahre gebrandmarkter Vorfall, den Rom als Hebel benutzte, um Wiens EWG-Assoziation zu unterlaufen, in einem gänzlich anderen Licht. Denn er erkannte alsbald, dass die sogleich auch von der österreichischen Regierung als zutreffend erachteten Beschuldigungen von italienischer Seite gegen die der Tat bezichtigten und in Österreich in Haft genommenen Personen, Erhard Hartung, Peter Kienesberger und Egon Kufner, äußerst zweifelhaft waren. Die Aktivisten des Befreiungsausschusses Südtirol (BAS) sollen den Mast einer Überlandleitung gesprengt und eine Sprengstoffvorrichtung im unmittelbar benachbarten Gelände angebracht haben, bei deren Detonation drei italienische Militärangehörige getötet und einer schwer verletzt worden seien.

Die BAS-Leute waren später in einem Prozess in Florenz in Abwesenheit zu hohen (Kufner) bis lebenslangen Haftstrafen (Hartung, Kienesberger) verurteilt, in Österreich hingegen „in dubio pro reo“ freigesprochen worden. Speckner konnte in seiner umfangreichen Studie „,Zwischen  Porze und Roßkarspitz …‘ Der ,Vorfall‘ vom 25. Juni 1967 in den österreichischen sicherheitsdienstlichen Akten“, Wien (Verlag Gra&Wis) 2013, aufgrund zahlreicher Aktenstücke den Nachweis führen, dass sich besagtes Geschehen an der Porzescharte keinesfalls so abgespielt haben konnte, wie es italienischerseits dargestellt wurde und in historisch-politischen Publikationen seinen Niederschlag fand. Es gab und gibt begründete Verdachtsmomente, dass die italienischen Militärangehörigen dort überhaupt nicht zu Tode gekommen sein dürften. Es zeigten sich überdies gewichtige Indizien, die dafür sprechen, dass die Tat mit hoher Wahrscheinlichkeit einer fingierten Aktion des italienischen Militärgeheimdienstes SIFAR/SID/SISMI und des damit verquickten „Gladio“-Arms der geheimen „Stay behind“-Organisation der Nato gewesen sein dürfte.

In „Zwischen ‚Feuernacht‘ und ,Porzescharte‘…. Das ,Südtirol-Problem‘ der 1960er Jahre in den österreichischen sicherheitsdienstlichen Akten“, seiner aufsehenerregenden und doppelt umfangreichen Studie von 2016 (Wien, Verlag Gra&Wis), untersuchte Speckner  mehr als 50 Fälle, welche sich im Rahmen des brisanten Südtirol-Konflikts  zwischen  Dezember 1955 bis  März 1970 zutrugen. Seine darin luzide aufbereitete und minutiös ausgebreitete Aufarbeitung der Geschehnisse machte deutlich, wie weit und gravierend die offizielle Darstellung von der Aktenlage des von im Staatsarchiv aufgefundenen sicherheitsdienstlichen Bestandes abwichen.

Zudem ergänzte er seine Befunde aus den Primärquellen der österreichischen Staatspolizei (StaPo) mittels der durch in zahlreichen Gesprächen mit den Freiheitskämpfern des BAS gewonnenen Aussagen, was historiographisch durch „Oral history“ seine methodische Rechtfertigung findet. Die von Speckner erschlossenen sicherheitsdienstlichen Akten erbrachten in vielen dieser Fälle neue, von der Forschungslage bis dahin abweichende Sichtweisen, Erkenntnisse und Ergebnisse sowohl auf die Geschehnisse im einzelnen, als auch auf die gesamte Südtirol-Thematik bezogen.

Expertise von Fachleuten

Schließlich stellt Speckner im Zusammenwirken mit fundierten Expertisen amtlich anerkannter Fachleute in seinem soeben im Verlag effekt! (Neumarkt a.d. Etsch) erschienenen Buch mit dem Titel „Pfitscherjoch Steinalm Porzescharte – Die drei ,merkwürdigen Vorfälle‘ des Höhepunktes der Südtiroler Bombenjahre 1966 und 1967“ auf Rationalität fußende, exquisite  Weise jene echoreichsten, blutigste Fällen vom Kopf auf die Füße und führt damit deren amtliche italienische Darstellungen ad absurdum.

So im Falle eines todbringenden Ereignisses am Pfitscherjoch, das sich am 23. Mai 1966 ereignet hatte. Dort war in einem von Guardia di Finanza, Carabinieri und Alpini-Soldaten genutzten Stützpunkt infolge einer Explosion ein Angehöriger der Finanzwache ums Leben gekommen. Laut der „offiziellen“ italienischen Version des Geschehens habe er während des Patrouillengangs die Tür zum Schutzhaus geöffnet, worauf eine Sprengladung von ungefähr 50 kg Sprengstoff explodiert sei. Wie bei ähnlich gelagerten Vorfällen in den 1960er Jahren „wussten“ italienische Medien wie Politik, dass die gewaltige, das Gebäude nahezu völlig zerstörende Explosion von „Terroristi“ verursacht worden sei. Und alsbald wurden die vier „Pusterer Buben“ Siegfried Steger, Josef Forer, Heinrich Oberleiter und Heinrich Oberlechner von Italien als Täter mehrerer Anschläge beschuldigt – darunter  des nie bewiesenen (und durch die spätere Aussage eines seiner Kameraden jemand anderem zugeschriebenen) Mordes am Carabiniere Vittorio Tiralongo 1964 in Mühlwald bei Taufers.

Der Beurteilung mehrerer damaliger Sprengsachverständiger zufolge weist die Aufnahme des am Pfitscherjochhaus Getöteten ebenso wie die Fotos von der zerstörten Holzhütte ursächlich auf eine Gasexplosion in der Hüttenküche hin. Auch das auf den offiziellen Tatortfotos der Guardia di Finanza zu erkennende eingesackte Dach der Hütte widerspreche mit aller Deutlichkeit der Verwendung von Sprengstoff, noch dazu in der erwähnten Menge von 50 kg: Diesfalls wäre das Dach, anstatt in sich zusammenzusacken vielmehr in Trümmern in die Luft geflogen. Speckners kam aus den von ihm entdeckten und erstmals ausgewerteten Archivalien zum Ergebnis, wonach sich der Pfitscherjoch-Vorfall „also kaum so zugetragen haben konnte wie von offizieller italienischer Seite dargestellt“. Sein Befund ist von unlängst vorgenommenen und auf modernen naturwissenschaftlich-sprengtechnischen  Instrumentarien fußenden Untersuchungen durch Experten so erhärtet worden, dass sie der Wahrheit des Geschehens zweifelsfrei am nächsten kommen und somit als bewiesen gelten dürfen. So allein schon durch die Fallbeurteilung des Spreng(mittel)experten Max Ruspeckhofer, der in seiner „COLD CASE PFITSCHERJOCH – Wie ein Unfall zu einem Anschlag wurde“ kurz und bündig feststellte: „Wenn man alle diese Dinge in Betracht zieht, bleibt eigentlich nur mehr eine einzige Schlussfolgerung übrig: Es handelte sich bei diesem Ereignis nicht um ein Attentat, bei dem bewusst der Tod von Menschen in Kauf genommen wurde, sondern um einen tragischen Unfall.“ 

Eine letztvergewissernde Expertise durch den beeideten unabhängigen Sachverständigen Dr.-Ing. Harald Hasler untermauert nicht nur Ruspeckhofers Beurteilung, sondern stellt die amtliche italienische gänzlich in Abrede. Sie wurde zudem durch Haslers ballistische Berechnungen in Bezug auf das Verhalten von Personen bei Explosionen auf Grundlage der international anerkannten Basisliteratur TNO Green Book (Methods for the determination of possible damage to people and objects resulting from releases of hazardous materials) komplettiert. Für ihn steht zweifelsfrei fest, dass „aufgrund der festgestellten technischen Tatsachen und Sachverhalte zweifelsfrei klar [ist], dass sich der aktenkundig beschriebene Vorfall am 23. Mai 1966 am Pfitscherjoch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit so NICHT ereignet haben kann. Alle Indizien sprechen eindeutig für eine Gasexplosion. Sachverhaltsdarstellungen, Fachbeurteilungen und entscheidende Schlussfolgerungen aus den vorliegenden Akten sind in keinster Weise nachvollziehbar, mangelhaft und unterliegen keinen fachlich fundierten und objektiv ermittelten gerichtsverwertbaren Erkenntnissen.“

Analog dazu ergaben sich für Speckner wie für die beigezogenen Sachverständigen in der „Causa Steinalm“ ähnlich geartete Ergebnisse. Knapp fünf Monate nach dem Geschehen rund um das Pfitscherjoch-Haus waren zufolge einer Explosion in einem kasernierten Stützpunkt der Guardia di Finanza (Finanzwache) auf der Steinalm nahe dem Brennerpass zwei Finanzwache-Soldaten ums Leben gekommen. Ein Schwerverletzter verstarb starb wenige Tage später.

Bis heute werden in Italien politisch sowie justizamtlich drei BAS-Aktivisten, darunter der legendäre Freiheitskämpfer und Schützenmajor Georg („Jörg“) Klotz, des „blutrünstigen Anschlags“ bezichtigt – wenngleich Klotz nachweislich in Österreich im Exil war und auch die beiden anderen Beschuldigten hieb- und stichfeste Alibis hatten. Ehefrau Rosa, geborene Pöll,  deren mutigem, aufopferungsreichem und entsagungsvollem Leben  Tochter Eva jüngst eine warmherzige Biographie widmete („Rosa Pöll – Die Frau des Freiheitskämpfers“; Neumarkt/Etsch, effekt!-Verlag 2022), war daraufhin verhaftet und für 14 Monate eingekerkert, ihre sechs Kinder Verwandten und Nachbarn überstellt worden.

Widersprüchliche Darstellungen

Wenngleich damals schon zahlreiche Gutachten, die von mehreren Sachverständigen zu dem Vorfall auf der Steinalm angefertigt worden waren, die Explosion einer Gasflasche, oder die Detonation einer Kiste mit Handgranaten in deren unmittelbarer Nähe, als ursächlich für den Tod der Finanzer sowie die Zerstörung des Stützpunktes ansahen, blieb und bleibt Italien geradezu doktrinär bei seiner Hergangsversion und der Täterbeschuldigung. Es wies, wie stets bei derartigen Vorfällen, Wien eine „Mitschuld“ zu, da die österreichischen Behörden zu wenig gegen den Terrorismus in Italien unternähmen.

Dass diese offizielle römische Schuldzuschreibung zu verwerfen ist, zeigt eigentlich allein schon Speckners Durchleuchtung des damaligen Vorfalls. Zudem untermauert die wissenschaftlich begründete Begutachtung durch den Sachverständigen Hasler seine aktenmäßig erschlossenen historischen Ergebnisse. Hasler stellt nämlich aufgrund seiner umfangreichen Befundung, einer forensisch-kriminaltechnischen Analyse sowie der Bewertung der  Sachverhalte unumwunden fest, „dass sich der aktenkundig beschriebene Vorfall am 9. September 1966 auf der Steinalm mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit so NICHT ereignet haben konnte“ und verwirft die dem damaligen Gerichtsurteil zugrundlegenden Ergebnisse italienischer Gutachter, indem er konstatiert, sie unterlägen „keinen fachlich fundierten und objektiv ermittelten gerichtsverwertbaren Schlussfolgerungen„.

Schließlich der an Tragik und Verwerflichkeit des amtlichen Wirkens italienischer Politik wie Justiz sowie des publizistischen ebenso wie des generellen historiographischen Nachhalls im Blick auf die „Südtiroler Bombenjahre“ wohl kaum zu übertreffende „Fall Porzescharte“. In einer Auflistung von (nach heutigen Erkenntnissen angeblichen) Terroranschlägen, die einer Wien übermittelten diplomatischen „Verbalnote“ des römischen Außenministeriums vom 18. Juli 1967 beigeheftet ist, wird das Geschehen auf der Porzescharte am 25. Juni 1967 wie folgt „klar und eindeutig“ beschrieben: „Sprengung des Mastes einer Hochspannungsleitung durch eine mit Uhrwerk versehene Sprengvorrichtung. Während des Lokalaugenscheins tritt der Alpini-Soldat Armando Piva auf eine Tretmine und verursacht eine Explosion. Infolge der schweren Verletzungen stirbt der Soldat kurz darauf im Zivilkrankenhaus von Innichen. Gegen 15 Uhr desselben Tages gerät eine Feuerwerker-Truppe nach Säuberung des um den Hochspannungsmast gelegenen Geländes in eine weitere Minenfalle. Die Explosion verursacht den Tod des Karabinierihauptmanns Francesco GENTILE, des Fallschirmjägerleutnants Mario DI Legge und des Fallschirmjäger-Unteroffiziers Olivo TOZZI [sic!, der richtige Name ist DORDI], sowie schwere Verletzung des Fallschirmjäger-Feldwebels Marcello FAGNANI. Am Tatort wurde ein Gerät mit der Aufschrift B.A.S. aufgefunden.“

Schon von Anfang an hatten sich daran jedoch äußerst auffällige Widersprüche ergeben. Bereits am 26. Juni, also einen Tag nach den ersten italienischen Meldungen, die österreichischen Stellen übermittelt worden waren, ließ sich der Osttiroler Bezirkshauptmann Dr. Doblander mit einem Hubschrauber an den Ort des Geschehens bringen. Das Ergebnis seines Erkundungsfluges meldete die Sicherheitsdirektion für Tirol an das österreichische Innenministerium: „Der Bezirkshauptmann schließt mit 100 %-iger Sicherheit‘ aus, daß in der Nähe dieses Mastes eine andere Explosion erfolgt ist. Es konnten weder Fußspuren noch Blutspuren noch irgendwie andere Spuren festgestellt werden, die darauf hindeuten würden, daß sich hier mehrere Menschen befunden haben. Der italienische Grenztrupp soll aber aus 25 Personen bestanden haben. Die Anwesenheit dieser 25 Personen in der Nähe dieses Mastes hält der Bezirkshauptmann auf Grund der Bodenlage und -beschaffenheit für ausgeschlossen.“

Dies deckte sich mit dem Inhalt eines Aktenvermerks der Tiroler Sicherheitsdirektion aufgrund von Angaben der Verbundgesellschaft, wonach zwei deren Monteure aus dem Standort Lienz in Begleitung eines Gendarmeriebeamten am 27. Juni auf der Porzescharte zur Schadensbegutachtung an der Leitung von Lienz nach Pelos waren. In besagtem Aktenvermerk wurde daraufhin festgehalten: „Im näheren Bereich des Mastes auch auf italienischem Gebiet konnte außer einem Zettel, italienisch beschriftet, einigen Drähten, keine Spuren gefunden werden, die auf Minenexplosionen und vor allem auf das Verunglücken von Menschen schließen lassen. Es wäre anzunehmen, daß in solchen Fällen Verbandreste, Blutspuren oder ähnliches wahrnehmbar gewesen wäre. Außer einem weit entfernten Posten in der meist besetzten Kaverne aus dem 1. Weltkrieg waren im gesamten Bereich weder Grenzschutzorgane, Militär noch Arbeiter zu bemerken.“ 

Der „blutigste Terrorakt“, der keiner war

Fest steht, dass die alsbald für „den blutigsten Terrorakt“ verantwortlich gemachten und in Innsbruck in Untersuchungshaft genommenen Aktivisten des Südtiroler Freiheitskampfs Erhard Hartung (Arzt), Peter Kienesberger (Elektriker) und Egon Kufner (Soldat) in besagter Nacht im Juni 1967 gemeinsam am Ort des Geschehens waren. Sie waren nach Einbruch der Dunkelheit – um vom Alpini-Stützpunkt Forcella Dignas aus nicht gesehen zu werden –, in Richtung Porzescharte aufgestiegen, um, wie sie stets beteuer(te)n, dort einen verwundeten Südtiroler BAS-Mann zu übernehmen, brachen das Vorhaben aber aufgrund von unüblichen Wahrnehmungen des durch viele ähnliche Einsätze erfahrenen Kienesberger, der sie als mögliche italienische Falle deutete,  aber ab. Buchautor Speckner arbeitete heraus, dass Kienesbergers Erkenntnis in dieser Nacht nicht allein auf der Porzescharte zu sein, mit einiger Sicherheit der Wirklichkeit entsprochen haben dürfte. Vehement stellen Hartung und Kufner, die beiden noch Lebenden – Kienesberger verstarb 2015 – das von italienischer Seite unterstellte Ziel der gezielten Tötung von Angehörigen der italienischen Sicherheitskräfte mittels Minen in Abrede. Die in Italien verurteilten und dort nach wie vor von Inhaftierung bedrohten, in Österreich hingegen freigesprochenen beiden lebenden Aktivisten beteuern in aller Klarheit, mit dem Tod der vier italienischen Soldaten am 25. Juni 1967 nicht das Geringste zu tun zu haben, was in den österreichischen Gerichtsverfahren, dem damals zugrundeliegenden, von ihren Verteidigern initiierten Gutachten sowie von den  in Speckners vorgelegtem Buch eingegangenen jüngsten Sachverständigen-Expertisen untermauert worden ist.

Die italienische Darstellung der Ereignisse um den 25. Juni 1967 ist unter Druck, dem sich Wien nicht widersetzt hat, vom politischen Österreich und dessen Sicherheits- sowie partiell auch Justizorganen letztlich übernommen worden. Dieser Darstellung zufolge soll die Gruppe Kienesberger binnen einer halben Stunde den Strommast direkt an der Grenze doppelt vermint und zwei perfekt getarnte Sprengfallen derart optimal verlegt haben, dass sie ihr mörderisches Ziel erreicht hätten. Festzuhalten ist, dass diese Darstellung trotz aller neuen Archivfunde und seit 2013 erschienenen Publikationen, welche sie erheblich in Zweifel ziehen, als alleingültige angesehen wird – in Italien sowieso – und auch von einigen Historikern, insbesondere in Südtirol, geteilt wird. Dies vornehmlich infolge des ideologisch motivierten „erkenntnisleitenden Interesses“ und merklicher Bedachtnahme auf die vielfach obwaltende „politische Korrektheit“, wonach die „Porzescharte-Attentäter“ aus Österreich „eindeutig dem Rechtsextremismus zuzurechnen“ seien.

Wie sich in Speckners vorliegendem Buch zeigt, missachtet die erwähnte Übernahme der italienischen Darstellung die sicherheitsdienstliche Aktenlage sowie die sprengtechnischen und naturwissenschaftlichen Bedingungen des Geschehens auf der Porzescharte. Diese werden in den darin enthaltenen gutachterlichen Stellungnahmen der Sachverständigen Ruspeckhofer und Hasler ausführlich erörtert. So resümiert Max Ruspeckhofer die von ihm angestellten umfänglichen sprengtechnischen Analysen und fasst deren Ergebnisse unumwunden in der aussagekräftigen Feststellung „ein Attentat, das keines war“ zusammen.

Hasler stellte nach vier Jahren umfangreicher wissenschaftlicher Feldversuche  Rekonstruktionen zum Vorfall und den beschriebenen Sachverhalten im Detail zusammen. In forensischen Untersuchungen wurden die aufgrund der vorhandenen Akten sich ergebenden Sachverhalte nach modernsten, aus naturwissenschaftlich-(spreng)technischen Erkenntnissen gewonnenen Methoden auf Plausibilität sowie Reproduzierbarkeit hin überprüft und bewertet sowie schließlich den aktenkundigen Ergebnissen gegenübergestellt.

Der Gutachter stellte zusammenfassend fest: „Aufgrund der sehr umfangreichen Befundaufnahme, der Feldversuche/ Rekonstruktionen sowie Detailanalysen der einzelnen Sachverhalte zu den aktenkundigen Angaben der Ereignisse vom 25. Juni 1967 auf der Porzescharte kann […] mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gesagt werden, dass sich die Ereignisse so NICHT ereignet haben können. Die dokumentierten Ereignisse sind nicht im Ansatz reproduzierbar, absolut unerklärbar und nicht im Ansatz nachvollziehbar. […] Praktische Feldversuche bei denen die Sprengung vom 25.06.1967 mehrmals mit ballistischer Gelatine, humanoiden Dummies und Indikatoren nach den Aktenangaben wissenschaftlich hinterfragt und nachgestellt wurden“, belegten dies „eindeutig und zweifelsfrei“.

Ehre und Unehre

Speckners Buch enthält bisher unbekannte Illustrationen aus den von ihm erschlossenen Akten sowie solche, die von den wissenschaftlichen Feldversuchen der Gutachter herrühren, und es  schließt mit einem anlassbezogenen pointierten Überblick über jene überaus beachtenswerten geheimdienstlichen Aktivitäten in Italien, welche  vor allem im Zusammenhang mit der Südtirol-Problematik von Belang und Substanz sind. So bleibt abschließend festzuhalten, dass der Beharrlichkeit und Zielstrebigkeit  des einschlägig ausgewiesenen Autors das Hauptverdienst zukommt, in gründlichen Forschung(sarbeit)en den Nachweis erbracht zu haben, dass die Anschläge von 1966 und 1967 auf dem Pfitscherjoch, der Steinalm und der Porzescharte keineswegs unter die Verantwortung der  Freiheitskämpfer des BAS  rubriziert werden dürfen,  sondern entweder als Unfälle zu verbuchen sind oder den von höchsten Stellen, Amtsträgern und Politikern des Staates angeordneten und/oder gebilligten Umtriebe nationalistisch-autoritär gesinnter italienischen Geheimdienste und darin wirkenden Funktionsträgern anheimzustellen sind.

Es gereicht Italien ebensowenig zur Ehre wie einer gewissen Spezies der Historiker- wie der Politologenzunft, dass  trotz längst dingfest gemachter Widersprüchlichkeiten und nachgewiesener Unrichtigkeiten geradezu unnachgiebig an herkömmlichen Darstellungen festgehalten wird. Und allen in die Südtirol-Frage involvierten Amts- und Funktionsträgern in Politik, Justiz, Wissenschaft und Medien Österreichs und Tirols als Ganzes ist leider der Vorwurf nicht zu ersparen, angesichts aller neuen Erkenntnisse, die sie aufrütteln müssten, vor diesem untragbaren Zustand die Augen zu verschließen.

Von Prof. Dr. phil. Dr. h.c. Reinhard Olt

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Über Reinhardt Olt 33 Artikel
Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Olt war seit 1. November 1985 politischer Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und seit 1. September 1994 bis zu seinem Ausscheiden am 31. August 2012 mit Sitz in Wien deren politischer Korrespondent für Österreich, Ungarn, Slowenien, zeitweise auch für die Slowakei. In der FAZ hat er die meiste Zeit seines beruflichen Wirkens zugebracht; daneben nahm er Lehraufträge an deutschen und österreichischen Hochschulen sowie in Budapest wahr. Seit 1990 ist er Träger des Tiroler Adler-Ordens, seit 2013 des Großen Adler-Ordens. 1993 erhielt er den Medienpreis des Bundes der Vertriebenen. 2003 zeichnete ihn der österreichische Bundeskanzler mit dem Leopold-Kunschak-Preis aus, und der Bundespräsident verlieh ihm im gleichen Jahr den Titel Professor. 2004 wurde er als erster von diesem mit dem "Otto-von-Habsburg-Journalistenpreis für Minderheitenschutz und kulturelle Vielfalt geehrt"; ebenfalls 2004 wurde ihm das Goldene Ehrenzeichen der Steiermark verliehen. 2012 ernannte ihn die Eötvös-Loránt-Universität in Budapest zum Ehrendoktor (Dr. h.c.) sowie Professor, und 2013 verlieh ihm der österreichische Bundespräsident das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst. Geboren wurde Olt 1952 als Sohn eines Bauern im Odenwald. Sein Abitur bestand er 1971 in Michelstadt. Nach Ableistung des Wehrdienstes studierte er Germanistik, Volkskunde, osteuropäische Geschichte und Politikwissenschaft in Mainz, Freiburg und Gießen bis zur Promotion 1980. Es folgte an der Universität Gießen eine Assistententätigkeit. Dann begann 1985 seine Zeit in der FAZ.