Vom Urknall bis zur Chronomedizin: Leopoldina-Jahresversammlung widmet sich dem Thema Zeit

Tüschenbroich Foto: Nathan Warszawski

Die Zeit ist eine Urerfahrung des Menschen, gleichzeitig bleibt sie ein Mysterium. Sie spielt in unserem Alltag und in fast allen wissenschaftlichen Fachdisziplinen eine Rolle. „Zeit in Natur und Kultur“ ist deswegen das Thema der diesjährigen Jahresversammlung der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die heute in Halle (Saale) eröffnet wurde. Zwei Tage lang werden exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Ergebnisse ihrer Forschung präsentieren und dabei so unterschiedliche Themen wie den Einfluss des Tageszyklus auf Schlaf, die Reaktion unseres Gehirns auf musikalische Rhythmen oder die Zeitmessung von quantenmechanischen Prozessen erörtern. Anlässlich der Jahresversammlung wurden hervorragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Preisen und Medaillen ausgezeichnet. Im Rahmen der feierlichen Eröffnung am Vormittag sprach Dr. Reiner Haseloff, Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt.

„Relativ neu in der öffentlichen Debatte ist der Begriff ‚Zeitpolitik‘. Ihre Bedeutung für die Gestaltung des menschlichen Zusammenlebens nimmt ständig zu. Zeit ist die knappste unserer Ressourcen. Auch in der Politik spielt Zeit eine große Rolle. Die sozialen Medien und das Internet haben die politische Kommunikation stark verändert. Politik vollzieht sich heute unter ganz anderen zeitlichen Bedingungen als noch vor drei oder vier Jahrzehnten. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund ist das Thema der Jahresversammlung hochaktuell“, sagte Dr. Reiner Haseloff, Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt anlässlich der Eröffnung der Jahresversammlung.

„Zeit hat den Menschen von jeher fasziniert. Sie bietet Orientierung, gleichzeitig wird sie sehr subjektiv wahrgenommen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler befassen sich mit sehr langen Zeiträumen von Millionen von Jahren, messen aber auch Abläufe in Nanosekunden. Das Thema Zeit bietet also zahlreiche Facetten in unterschiedlichen Fachdisziplinen. Deswegen bin ich erfreut, dass Zeit in Natur und Kultur unsere diesjährige Jahresversammlung bestimmt“, sagte Prof. Dr. Jörg Hacker, Präsident der Leopoldina, in seiner Eröffnungsansprache.

Die Vortragenden bei der Jahresversammlung sind exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den unterschiedlichen in der Leopoldina vertretenen Disziplinen. Unter ihnen sind zum Beispiel Felicitas Pauss (Genf/Schweiz), die in ihrem Vortrag eine Zeitreise zum Urknall unternimmt, Prof. Dr. David Poeppel (Frankfurt am Main), der sich mit Sprachrhythmen und Hirnrhythmen befasst, Prof. Dr. Charles A. Czeisler (Boston/USA), der zur Chronomedizin forscht und Prof. Dr. Gabriele Doblhammer (Rostock) mit einem Vortrag über den Zusammenhang von Jahreszeiten mit Geburt, Gesundheit und Tod. Die Jahresversammlung gliedert sich in sechs fachliche Sessions: Physik, Technik und Chemie, Philosophie und Psychologie, Chronobiologie und Chronomedizin, zeitliche Entwicklungsprozesse sowie Zeit im Leben. Die wissenschaftliche Koordination der Jahresversammlung 2019 hat der Mathematiker und Informatiker Prof. Dr. Thomas Lengauer, Mitglied des Leopoldina-Präsidiums, übernommen.

Ein Höhepunkt der Jahresversammlung ist der heutige Abendvortrag mit Jessica Grahn, Außerordentliche Professorin am Fachbereich Psychologie der University of Western Ontario (Kanada), 20.15 Uhr bis 21.15 Uhr im Festsaal der Leopoldina. Unter dem Titel „Rhythmus, Timing und Bewegung: Wie das Gehirn auf musikalischen Rhythmus reagiert“ spricht die britisch-kanadische Neurowissenschaftlerin darüber, was in unserem Gehirn geschieht, wenn wir Musik und Rhythmen hören. Zudem berichtet sie von neuen Therapieansätzen bei neurodegenerativen Erkrankungen, die aus diesen Erkenntnissen abgeleitet werden könnten.

Im Rahmen der Eröffnung wurden herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Preisen und Medaillen der Akademie geehrt. Die Cothenius-Medaillen, die Carus-Medaillen, die Mendel-Medaille, die Schleiden-Medaille, der Georg-Uschmann-Preis für Wissenschaftsgeschichte und die Leopoldina-Preise für junge Wissenschaftler werden alle zwei Jahre anlässlich der Jahresversammlung verliehen.

Gäste der Jahresversammlung sind auch in diesem Jahr mehr als 50 begabte Schülerinnen und Schüler aus ganz Deutschland. Sie verfolgen die wissenschaftlichen Vorträge der Jahresversammlung und kommen mit Forscherinnen und Forschern ins Gespräch. Das Schülerprogramm findet mit finanzieller Unterstützung der Wilhelm und Else Heraeus-Stiftung sowie in Kooperation mit der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte statt.

Die Leopoldina bietet einen Live-Stream der Jahresversammlung auf ihrer Website unter www.leopoldina.org an. Dieser steht an beiden Tagen ab 9 Uhr zur Verfügung. Die Vorträge werden in Deutsch und Englisch gehalten und simultan übersetzt. Das vollständige Programm der Jahresversammlung und weitere Informationen finden sich auf der Website der Leopoldina unter www.leopoldina.org/de/jv-2019.