Docere, movere, delectare – Lehren, bewegen, erfreuen

Martin Geck, Wenn der Buckelwal in die Oper geht. 33 Variationen über die Wunder klassischer Musik, Siedler Verlag, München (Februar 2009), 224 Seiten, Gebunden, ISBN-10: 3886808963, ISBN-13: 978-3886808960, Preis: 19,95 EURO

Auch unmusikalische Menschen verstehen etwas von Musik. Das zeigen neuste wissenschaftliche Studien. Das menschliche Gehirn mag und braucht diese „organisierte Form von Schallereignissen“, von Geburt an, wenn nicht schon früher. Musikalität scheint angeboren zu sein. Musik ist ein menschliches Bedürfnis. Und jene, die ihre besonders ausgeprägte Musikalität auch noch auszudrücken verstehen und sie mittels Noten auf Papier festhalten, haben unsere ganze Bewunderung.

Martin Gecks Wertschätzung, ja seine Leidenschaft, gilt der klassischen Musik. Der Professor für Musikwissenschaften widmet sich ihr auf ganz eigene Art – mit Worten. Und er stimmt damit in den Dreiklang vieler Künstler und Gelehrter ein, die „Sinn und Zweck ihrer Kompositionen, Bilder, Bücher und Reden in schönem Latein“ beschrieben: „Docere, movere, delectare – lehren, bewegen, erfreuen.“

In seinen „33 Variationen über die Wunder klassischer Musik“ – wie es der Untertitel verkündet – lädt er den Leser zu einer Rundfahrt zu „originellen Stätten klassischer Musik“ ein. Dabei hat er für stete Abwechslung gesorgt: „Werke, Schaffensmomente, Probleme und ihre Lösungen, historische Kontexte, Widersprüche, Ausblicke.“, so wirbt Geck in seinem Vorwort oder „Thema“ wie er es tituliert. Für ihn selbst „sind es allesamt Wunder an Inspiration, Sinndichte, Nachdenklichkeit, Zerbrechlichkeit, Wirkungsmacht und Widersprüchlichkeit“. Die Auswahl der Themen spiegelt seine jahrelange Beschäftigung mit Musik wider, sei es nun beim Schreiben und Lehren oder noch mehr beim Hören und Musizieren.

„Die Welt taumelt, Musik fängt sie auf.“

Bunt gemischt hat er seine Variationen, die sich allesamt über drei bis fünf Seiten erstrecken und mit vielen kleinen lustigen Illustrationen versehen sind. Man muss das Buch keineswegs stringent von vorn nach hinten durchlesen, sondern es empfiehlt sich geradezu mal das eine, dann wieder ein anderes Thema zu verinnerlichen. Denn diese folgen keinem steten Ablauf, sondern sind bunt gemischt und nahezu wahllos aneinandergereiht.
Geck betrachtet Anfänge und (Leit-)Motive in klassischen Stücken, untersucht Formenanalyse und -lehre, kehrt die revolutionäre Macht der Harmonik heraus oder huldigt der Musik als Körpersprache. Geradezu essayistischen Charakter nehmen seine Betrachtungen von Gewalt und Humor in der Musik, der Einzug des Boudoirs und Bordells in der Oper oder von Tonbuchstabenspielen einiger Komponisten an. Der Autor spricht der Reprise ein Lob aus, erörtert die Notwendigkeit einer Generalpause, um letztendlich über das Inszenieren unterschiedlichster Abschiede zu plaudern. Dabei bedient er sich mehr oder weniger bekannter Musikstücke und natürlich ihrer Schöpfer – der Komponisten. Bach, Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Mendelssohn, Brahms, Debussy, Wagner bis hin zu Arnold Schönberg schlendern durch die Zeilen.

Bleibt noch die Frage zu klären, wie es zu dem Titel des Buches kam. Denn Buckelwale können weder gehen (auch wenn ihnen dies in rauen Urzeiten zu Eigen war), noch spazieren sie in die Oper. Gelegentlich sind sie dort zwar anzutreffen, so gesehen bei einer modernen Inszenierung Puccinis „Madama Butterfly“ in der Semperoper Dresden, aber dann mit feinstem Bambus überzogen und als höchst sonderbares Ambiente und wunderliche Dekoration des Papierpalastes von Cio-Cio-San.
Martin Geck geht es mit diesem auffälligen Bild um etwas ganz anderes: um das Spannungsverhältnis zwischen Natur und Kunst, zwischen Vertrautem und Anderem, ja Undenkbarem. Buckelwale verkörpern mit ihrem Gesang die Natur. Und wir Menschen „sind Buckelwale, die sich in die Oper verirren; denn auch wir selbst tragen die Natur der Musik in uns, können singen, wie uns der Schnabel gewachsen ist, stundenlang ein und dieselbe Melodie vor uns hin pfeifen. Es gibt den Buckelwal-Gesang unter der Dusche und die vielstimmigen Buckelwal-Strophen auf dem Fußballplatz – gleichfalls kilometerweit zu hören. Doch gottlob sind viele von uns nicht nur Buckelwale, sondern auch Delfine – und damit geborene Liebhaber 'klassischer' Musik.“, erklärt Geck und spielt damit auf eine Geschichte Herodots aus dem klassischen Griechenland an.

Diese Spannung jedenfalls, die sich unweigerlich einstellt, wenn wir Musik machen oder hören, versucht dieses Buch zu analysieren und zu erklären. Denn diese hat – da ist sich Martin Geck sicher – „etwas mit unserem Woher und Wohin zu tun […] Indem wir im Augenblick leben, wissen wir DASS wir sind. WER wir sind, erfahren wir über unsere Vergangenheit und unsere Zukunft – und dabei hilft Musik auf unverzichtbare Weise. Sie verschafft uns Zugang zu Dingen, die wir zwar in uns tragen, aber immer wieder vergessen.“ Musik ist nicht widerspruchsfrei, doch sie reicht „dem Menschen die Hand zur Versöhnung – zur Versöhnung mit sich selbst. Die Welt taumelt, Musik fängt sie auf.“

Fazit:
Alles in Allem eine sehr unterhaltsame und kluge, ungewöhnliche und ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema klassische Musik. Martin Gecks Buch fungiert durchaus als kleiner Cicerone („Fremdenführer“) für den interessierten Konzert- und Opernbesucher. Ihm gelingt es, dem Leser anhand vieler Beispiele „aus dem klassischen Repertoire unversehens eine kleine Musikästhetik unterzuschieben.“
Nur überfordert er den Musiklaien, den reinen Hobbyhörer ein wenig. Denn wer ist schon so stilsicher bzw. hat eine derart umfangreiche CD-Sammlung zu Hause, dass er den vielen Fachbegriffen, Fall- und Notenbeispielen folgen kann.
Eines bewirkt das Buch aber auf jeden Fall, es setzt Verstehungsprozesse in Gang bzw. erweitert den Horizont.

Über Heike Geilen 597 Artikel
Heike Geilen, geboren 1963, studierte Bauingenieurswesen an der Technischen Universität Cottbus. Sie arbeitet als freie Autorin und Rezensentin für verschiedene Literaturportale. Von ihr ist eine Vielzahl von Rezensionen zu unterschiedlichsten Themen im Internet zu finden.

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