Die aufgeklärte Religion und ihre Probleme

Gemeinsamer Kongress der Friedrich-Schleiermacher-, Ernst-Troeltsch- und der Deutschen Paul-Tillich-Gesellschaft vom 18. bis 21. März 2012 in Berlin

‚Religion’ und ‚Aufklärung’ markieren zwei spannungsvolle Stichworte in den kontroversen Debatten um das Projekt der Moderne. In der jüngsten Gegenwart fokussierte sich die öffentliche Diskussion auf die Frage, ob der Islam die Aufklärung noch vor sich habe. Von dem Problem der Verträglichkeit der Religion mit der Aufklärung ist aber nicht nur der Islam betroffen, wie die Geschichte des Christentums in der Neuzeit schnell deutlich macht. Sie betrifft die Religion und ihr Verhältnis zur humanen Vernunft überhaupt. Die gegenwärtigen, zum Teil höchst kontrovers geführten Auseinandersetzungen um Religion, deren vermeintliche Wiederkehr, ihren Gestaltwandel sowie ihre Rolle in der modernen Gesellschaft gewinnen freilich erst dann an Tiefenschärfe, wenn man sie in ihre mit der europäischen Aufklärung beginnende moderne Problemgeschichte einzeichnet. Seit gut 300 Jahren streiten Theologen, Religions-, Kultur- und Sozialwissenschaftler über die Frage, ob sich Religionen aufklären lassen und wo die Grenzen der religiösen Aufklärung liegen. Der überaus komplexe Prozess der Herausbildung der europäischen Aufklärung infolge der europäischen Konfessionskriege, des Wandels im Weltbild durch die großen Entdeckungsreisen zu Beginn der Neuzeit sowie der Herausbildung der modernen Naturwissenschaften führte zur Auflösung überkommener Sozialstrukturen und zur gesellschaftlichen Ausdifferenzierung in unterschiedliche Subsysteme. Hinzu kam die Umformung der politischen Herrschaftsstrukturen, wobei sich etwa der homogene Kleinstaat als Vorraussetzung des überlieferten Luthertums auflöste. Im Wissenschaftssystem kam es seit 1770 zu einer Professionalisierung und fachbezogenen Spezialisierung. Auch in der protestantischen Universitätstheologie lässt sich seit ca. 1770 deren Professionalisierung sowie ihre Etablierung als Fachwissenschaft, die spezielle Kenntnisse und Fähigkeiten voraussetzt, beobachten. Damit löste sich der überlieferte Theologiebegriff im Sinne der Gottesgelehrsamkeit auf. Die Theologie wurde im Interesse ihrer konstruktiven Weiterbildung zu einer sich selbst im historischen Wandel reflektierenden Wissenschaft.
In mehreren Phasen setzte sich in der protestantischen Theologie des 18. Jahrhunderts die historische Bibelkritik durch. Diese äußerst komplex verlaufende Historisierung der Theologie, die am Ende des 18. Jahrhunderts zur Entstehung von alt- und neutestamentlichen Bibelwissenschaften führte, darf als exemplarisch für das auch im neuzeitlichen Christentum strittige Verhältnis von Religion und Aufklärung gelten. Während Teile der protestantischen Theologie in der Aufnahme und Einbeziehung der historischen Forschung in die Theologie eine Erneuerung des reformatorischen Schriftprinzips unter den Bedingungen des sich etablierenden historischen Bewusstseins sahen, erblickten andere in der historischen Bibelkritik die Auflösung der Religion und ihrer normativen Grundlagen. An diesen Debatten kann man die Frage, wie viel Aufklärung die Religion vertrage bzw. wo die Grenzen der Aufklärung der Religion sowie die Folgelasten religiöser Aufklärung liegen, exemplarisch studieren. Während einige Teile des modernen Protestantismus in der Aufklärung, auch und gerade in der Aufklärung der Religion, die Chance zur gesellschaftlichen Durchsetzung moderner Kulturideale erkannten, bekämpften sie andere, um die Religion zur Speerspitze einer antimodernen Moderne zu machen. Wie viel Aufklärung verträgt die Religion? Wo liegen die Grenzen der religiösen Aufklärung?
Dem schwierigen Verhältnis von Religion und Aufklärung widmet sich der erste gemeinsame Kongress der Friedrich-Schleiermacher-, der Ernst-Troeltsch- und der Deutschen Paul-Tillich-Gesellschaft vom 18. bis 21. März 2012 an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität Berlin zum Thema Die aufgeklärte Religion und ihre Probleme. Es zeichnet das Werk Friedrich Schleiermachers, Ernst Troeltschssowie Paul Tillichs aus, den modernen Problemhorizont umfassend in ihre religionsphilosophischen und theologischen Gesamtkonzeptionen aufgenommen zu haben. In der Forschung wurde das Werk dieser drei bedeutenden protestantischen Theologen der Moderne bisher kaum in ihren verzweigten Rezeptionslinien untersucht. Der Kongress thematisiert indes nicht nur die Rezeptionslinien von Schleiermacher über Troeltsch zu Tillich an den jeweiligen werkgeschichtlichen Schwerpunkten der drei Autoren, sondern nimmt aus der Perspektive von Schleiermacher, Troeltsch und Tillich die gegenwärtige religionstheoretische Debatte in den Blick. Dadurch werden nicht nur die Debatten um Religion und Aufklärung in ihrer historischen Tiefendimension seit 1800 beleuchtet, sondern vor allem auch die Erschließungskraft der religionstheoretischen Konzeptionen der drei Autoren, die von ihnen ausgearbeiteten Kategorien sowie deren Leistungskraft für die methodische Reflexion der religionskulturellen Lage der Gegenwart untersucht.

Programmhinweise: http://etf.univie.ac.at/index.php?id=16138&type=0.


Anmeldungen zur Teilnahme an der Tagung werden erbeten an:

Humboldt-Universität zu Berlin
Theologische Fakultät
Lehrstuhl für Praktische Theologie
Prof. Dr. Wilhelm Gräb
Unter den Linden 6
10099 Berlin

Tel: +49-30-2093-5932/3
Fax: +49-30-2093-5931
E-Mail: wilhelm.graeb@theologie.hu-berlin.de

Über Danz Christian 21 Artikel
Prof. Dr. Christian Danz, geboren 1962 in Thüringen, hat seit 2002 eine Professor für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien inne. Seit 2006 ist er Vorsitzender der Deutschen Paul-Tillich-Gesellschaft.

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.