Zwischen den Streifen – Between the Lines – Reise in die Dimension der Erinnerung


Mit einer Performance des international agierenden, von Pina Bausch, Jan Fabre und Marina Abramovic beeinflussten Performance-Artist Doron Polak ist vor vielen prominenten Gästen die Multi-Media-Schau „Zwischen den Streifen – Between the Lines“ im Kunstpavillon im Alten Botanischen Garten eröffnet worden. Streifen sieht der namhafte israelische Kunstproduzent, der auch Hauptkurator der Werkschau ist, als Wege, als Grenzen auf einer Landkarte. Oder auf einer Nationalflagge. Streifen aber auch auf Strafgefangenenanzügen oder als Schienen, worauf volle Züge fahren. Symbolhafte Begriffe, die er mit dem viel bedeutenden Wort assoziiert. Ein Ausdruck, der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in sich birgt und einen besonderen Wert für ihn, als Sohn eines Shoah-Überlebenden, annimmt. Die Verbindung zwischen ihm, seinem Körper und dem Körper seines der Vernichtung knapp entronnenen Vaters rücken in den Mittelpunkt des Projekts. Thema ist die Erinnerung an das Trauma im Rahmen der eigenen Familie, im Zuge der Generationen wie auch in ihrer heutigen Wirkung. Was daraus entsteht, ist ein endloser Dialog über die Spuren und die Folgen des Krieges und der Vernichtung, worin Fotos, alltägliche Gegenstände, Bücher, Zeitungsausschnitte, Motive von Licht und Schatten und vieles mehr einfließen. Nähe und Verdrängung, Berührung und Körperbeherrschung nehmen Gestalt in Aufnahmen an, in denen Körper und Erde wechselseitig als Sinnbilder für Leben und Tod stehen. Sie stammen von dem zusammen mit Doron Polak aus Tel Aviv angereisten Performer-Artist Michael Lazar, der auch als sein Partner bei der Performance auftritt. In den Arbeiten von Michael Lazar, der auch ein bekannter Bildhauer ist, schlägt sich seine Erfahrung als Naturwissenschaftler, als Seismologen mit einem ganz besonderem Verhältnis zur Erde. Wie Doron Polak hat er seine Famile in der Shoah verloren. Daran erinnern drei in ihrer Mitte ausgeschnittene Künstlerbücher. Gefüllt ist das erste mit Baumblättern, Metallnägeln und Bildern aus einem vergilbten Album. Mit menschlichem Haar, Brotstücken und einem Miniatursoldat mit Gewehr aus grünem Kunststoff das zweite. In einem dritten sind drei Schichten Erde zu sehen, die auf die Arbeit des Erdbebenforschers hinweisen, der die Vibrationen des Bodens vermißt. Zwei Videos der in Berlin und in Tel Aviv lebenden Künstlerin Norma Drimmer, in denen sich die Verbindung zwischen Körpern und Eisenbahnschienen eindrucksvoll materialisiert, begleiten die Darbietung und bilden ein spannungsreiches Ganzes. Norma Drimmer zeigt hier auch vier anläßlich der Kunstbiennale 2013 von Venedig bereits ausgestellten Digitalprints. Ihre persönliche Geschichte weist Parallele zu Doron Polaks eigener Geschichte auf. Beide stammen aus Familien, die der Shoah zum Opfer fielen. Norma wurde aber in Berlin geboren, wo sie aufwuchs. Doron in Israel, wo er lebt. Beide sind Angehörige der „Second Generation after the Holocaust“. Norma Drimmer gehört zu der Künstlergruppe an, die Doron Polak in den letzten fünf Jahren auf seiner dramatischen Fahrt in die Dimension des Rückblicks begleitet haben. Dazu zählt die Multi-Media-Fotografin Roni Ben-Ari aus Ramat Gan bei Tel Aviv. Was Doron Polak mit Roni Ben-Ari verbindet, ist das Gefühl, ein risikobehaftetes Dasein am Rande der Katastrophe zu führen. Die zerbrochenen Steine in ihren dramatischen Bildern versinnbildlichen dieses Empfinden, das sie wie ein Schatten begleitet. Ein Dasein zwischen den Streifen, zwischen den Linien, das abrupt unterbrochen werden könnte. „Drawing Stone“ ist der Titel des Videos, den sie hier mit fünf S/W Fotos vorstellt. Feinfühlige Bleistiftzeichnungen des Fusion-Künstlers Shalom Neuman, angelehnt an die Konzentrationslager, in denen Mitglieder seiner aus Tschechien stammende Familie umkamen, sind auf den Papierbooten zu sehen, die Doron Polak gefaltet und in seiner Performance einbezogen hat. Mit denen geht die Reise in die Dimension der Erinnerung weiter. Jedes Boot ist stellvertretend für eine vermißte Person. Im Werk des jungen Ran Shevis, eines Künstlers aus der „Third Generation“, der auch Musiker ist, wird Doron Polaks Körper, seine Seele selbst mit Bildern aus einem auf einer Tel Aviver Straße aufgefundenen Buch in Verbindung gebracht. Ein Buch wie viele andere, völlig austauschbar. Darin kristallisieren sich die Schicksale fremder Menschen, die auch zur eigenen Familie gehören könnten… Fremd und doch vertraut. Mit Klammern hängen nun Bilder und Blätter in einer Art Ritual der Erinnerung an Doron Polaks behaarten Körperteilen und wecken unvermeidbare Assoziationen… In emotionsgeladenen Bildern aus einer Kamera in ständiger Bewegung hält Eitan Vitkon Sequenzen aus Doron Polaks Performance-Serie „Peeling“ fest, die sich aus seinem langjährigen Projekt „Bodies“ entwickelt hat. Auch hier Linien und Streifen u.a. in der weißen Bekleidung, die an einen auf der bloßen Haut getragenen „Tallit“ – Gebetsmantel erinnert. Weiß und Rot wie Rotwein, wie vergossenes Blut. Neben Metallkabeln, Steine, Erde, Stämme und Bäume: Bäume aus dem Wald, in dem Polaks Familie ausgelöscht wurde. Die Serie „Peeling“ wurde 2013 in Riga, Vilnius und Terzin in der Tschechischen Republik präsentiert: Stationen einer Reise, der Reise von Polaks Vater Misha Polak – heute 94 – durch die Hölle der Shoah.

Aus der schrecklichen Realität der Shoah ist es Doron Polak gelungen, einen „Dialog mit der Kreativität“ zu initiieren, der auf die von ihm adoptierte, scheinbar schlichte Philosophie des visionären Philosophen Ahad Ha'm's ruht:

„Ohne Vergangenheit, keine Zukunft, ohne Zukunft keine Vergangenheit.“

Veranstalter: Pro Arte e.V.
Kuratoren: Doron Polak, Anna Zanco-Prestel und Rolf-Maria Krückels
Bis zum 11. Mai 2014 im Kunstpavillon im Alten Botanischen Garten.
Karlsplatz/Stachus – S-BAHN / U-BAHN 4/5Tram 27/28
Di-Sa 13-19 Uhr ; So 11-17 Uhr
Eintritt frei

Über Anna Zanco-Prestel 178 Artikel
Dr. Anna Zanco-Prestel, hat Literaturwissenschaften (Deutsch, Französisch und Italienisch) und Kunstgeschichte in Venedig, Heidelberg und München studiert. Publizistin und Herausgeberin mit Schwerpunkt Exilforschung. U.d. Publikationen: Erika Mann, Briefe und Antworten 1922 – 69 (Ellermann/DTV/Mondadori). Seit 1990 auch als Kulturkoordinatorin tätig und ab 2000 Vorsitzende des von ihr in München gegründeten Kulturvereins Pro Arte e.V.

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