Der Lyriker Paul Celan. Erinnerungen zu seinem 50. Todestag.

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Doppeltes Jubiläum im Jahr 2020: 100. Geburtstag und 50. Todestag

Der deutschsprachige Schriftsteller Paul Celan wurde am 23. November 1920 in Czernowitz geboren, in einer Stadt im Westteil der heutigen Ukraine. Sein Todeszeitpunkt und die Umstände seines Todes sind nicht bekannt. Es wird vermutet, dass er sich am 20. April 1070 in Paris in der Seine ertränkt hat. Seine Leiche wurde am 1. Mai 1970 am Ufer der Seine entdeckt. Da Paul Celan in seinem 50. Lebensjahr starb, beschert uns das Jahr 2020 zwei Gedenktage: Mit seinem 100. Geburtstag und seinem 50. Todestag erinnern wir uns an den Beginn und an das Ende seines Lebens.

„Der bedeutendste Dichter der deutschen Nachkriegsliteratur“ (Iris Radisch)

In der deutschsprachigen Literatur der Nachkriegszeit steht Paul Celan in einer Reihe mit anderen großen Lyrikern dieser Zeit wie Gottfried Benn, Karl Krolow, Günter Eich, Marie-Luise Kaschnitz und Hilde Domin. Die Literaturwissenschaftlerin Iris Radisch (2020) bezeichnete ihn sogar als den „bedeutendsten Dichter der deutschen Nachkriegsliteratur“. Zu seinen Lebzeiten hat Paul Celan acht erfolgreiche Gedichtbände veröffentlicht. Im Suhrkamp-Verlag erschienen im Jahr 1983 die Gesammelten Werke in fünf Bänden.

Ambivalente Freundschaften in Dichterkreisen

Paul Celan war mit den namhaftesten deutschsprachigen Schriftstellern seiner Generation mehr oder weniger befreundet, mit Heinrich Böll, Günter Grass, Hermann Lenz, Hans Magnus Enzensberger, Max Frisch, Ingeborg Bachmann, Marie-Luise Kaschnitz, Nelly Sachs, Walter Jens und Peter Szondi. Celan rang lange um die Anerkennung seiner Schriftstellerkollegen. Sein Versuch, im Jahr 1952 an die Dichter der „Gruppe 47“ Anschluss zu finden, ist leider fehlgeschlagen. Die „Goll-Affäre“ in den 1960er Jahren brachte zunehmend Zerwürfnisse zwischen Paul Celan und der deutschen Literaturwelt. Claire Goll, die Witwe des verstorbenen Dichters Ivan Goll, bezichtigte Paul Celan des Plagiats. Sie warf ihm vor, er habe Elemente eines Goll-Gedichtes übernommen. Die vehementen Diskussionen und Kritiken haben Paul Celan tief getroffen und extrem verletzt. Diese schwere Kränkung hat er bis zu seinem Lebensende nie bewältigt. Je mehr sich Paul Celan angegriffen fühlte und sich zurückzog, umso mehr vereinsamte er. Die Literaturwissenschaftlerin Iris Radisch kommentierte diese Entwicklung wie folgt:

„In seinem letzten Lebensjahrzehnt bricht er mit sämtlichen nichtjüdischen deutschen und österreichischen Freunden, nachdem sie für ihn in die Liga des Hitler-Nachwuchses wechselten – auch Günter Grass setzt er wegen dessen „kleinen und großen Verlogenheiten, vermehrt um die mittlerweile noch höher ins Kraut geschossene Selbstgefälligkeit“ schon Anfang der 1960er Jahre vor die Tür.“ (Radisch 2020, S. 46).

Der Georg-Büchner-Preis im Jahr 1960

Eine große literarische Anerkennung wurde Celan im Jahr 1960 zuteil, als die deutsche Akademie für Sprache und Dichtung ihm den Georg-Büchner-Preis verlieh. Dieser gilt als der höchste Literaturpreis Deutschlands. Vor ihm erhielten Gottfried Benn, Marie-Luise Kaschnitz, Karl Krolow und Max Frisch diesen Preis. Nach ihm folgten Ingeborg Bachmann, Günter Grass, Heinrich Böll, Thomas Bernhard und Uwe Johnson. Die Laudatio für Celan bei der Preisverleihung hielt Marie-Luise Kaschnitz.

Die Liebesbeziehung von Paul Celan und Ingeborg Bachmann

Nach dem Zweiten Weltkrieg verbrachte Paul Celan einige Jahre in Wien. Dort lernte er die Studentin und Schriftstellerin Ingeborg Bachmann kennen und verliebte sich in sie. Es war eine sehr schwierige Liebesbeziehung. Da sich Paul Celan in Wien unwohl fühlte („Hitler-Nachwuchs“, “Judenfeindlichkeit“), zog er bald nach Paris. Er drängte immer wieder darauf, dass seine Geliebte Ingeborg Bachmann ihm dorthin nachfolgt, aber vergebens. Es kam später noch einmal zu einem Wiederaufflackern der Liebesbeziehung, die jedoch bald verlosch. Der Briefwechsel zwischen Paul Celan und Ingeborg Bachmann ist unter dem Titel „Herzzeit“ veröffentlicht worden. Helmut Böttiger (2017) hat der Liebesgeschichte Bachmann/Celan eine ausführliche Monographie gewidmet.

Begegnungen mit Martin Heidegger

Paul Celan und Martin Heidegger verband eine außergewöhnliche Leidenschaft: Sie waren große Verehrer des Dichters Hölderlin (Steiner 1989). Celan hat sich frühzeitig mit der Philosophie von Martin Heidegger beschäftigt. Dessen Hauptwerk „Sein und Zeit“ aus dem Jahre 1927 hat er gelesen und mit zahlreichen Anmerkungen versehen. Zwischen Celan und Heidegger entwickelte sich eine Art Hassliebe, die in der Beziehungsgestaltung jedoch sehr einseitig war. Martin Heidegger hatte eigentlich kein Interesse an Paul Celan und dessen Werk. Paul Celan jedoch hat sich intensiv mit Martin Heideggers Philosophie beschäftigt. Es kam zu drei Begegnungen zwischen Heidegger und Celan, die alle auf Initiative und Wunsch von Celan hin zustande kamen. Dieser besuchte Heidegger in Freiburg und in dessen Hütte Todtnauberg. Im 21. Jahrhundert erfolgten zahlreiche Untersuchungen, die sich der Beziehung von Paul Celan und Martin Heidegger widmen (Meyer 2000; France-Lonard 2007; Seng 2008, Reinartz 2017; Kunisch 2020).

„Der Tod, ein Meister aus Deutschland“:

Die „Todesfuge“ als Höhepunkt der Holocaust-Literatur.

Das Gedicht „Todesfuge“ ist das wohl bekannteste von Paul Celan. Die verwendeten Metaphern beziehen sich allesamt auf den Holocaust. Es ist ein langes Gedicht mit 36 Zeilen. Die Worte „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ kommt in dem Gedicht viermal vor. Das Gedicht erschien zuerst 1947 in rumänischer Sprache und wurde ein Jahr später in seiner ersten deutschsprachigen Gedichtsammlung „Der Sand aus den Urnen“ veröffentlicht. Im Jahr 1952 erschien das Gedicht erneut in dem Gedichtband „Mohn und Gedächtnis“. Die „Todesfuge“ gilt als eines der bedeutendsten Gedichte der deutschen Sprache. Es hat sieben Verse. Besonders eindrucksvoll ist der vorletzte Vers, der wie folgt lautet:

„Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts

wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland

wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken

der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau

er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau

ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete

Er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft

Er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein Meister aus Deutschland.“

Umfangreicher Briefwechsel

Wie viele Schriftsteller – z.B. Gottfried Benn oder Rainer Maria Rilke – war auch Paul Celan ein fleißiger Briefeschreiber. Aus seinem umfangreichen Briefwechsel sind mittlerweile 19 Bände veröffentlicht, darunter vor allem der Briefwechsel mit Ingeborg Bachmann und mit seiner Ehefrau Gisèle Celan-Lestrange. Bedeutsam sind die Briefwechsel mit anderen Schriftstellern wie Hermann Lenz, Peter Szondi oder Nelly Sachs.

Der Suizid – tragisches Ende eines Holocaust-Traumatisierten

Die Eltern von Paul Celan wurden 1942, nachdem deutsche Truppen Czernowitz besetzt hatten, in ein Zwangsarbeiter-Lager deportiert. Dort starb sein Vater nach wenigen Monaten an Typhus, seine Mutter wurde von einem SS-Soldaten durch einen Genickschuss hingerichtet. Paul Celan selbst war ebenfalls in einem Arbeitslager und leistete jahrelang Zwangsarbeit im Straßenbau. Er war in dieser Zeit jedoch immer von Deportation und Vernichtung in einem Konzentrationslager bedroht. Nach der Befreiung durch die Rote Armee lebte er einige Jahre in Bukarest und floh 1947 über Ungarn nach Wien. Dort hielt er es nicht lange aus und reiste nach Paris, wo er bis zu seinem Suizid den Rest seines Lebens verbrachte. Paul Celan hatte lebenslang massive Schuldgefühle und erlebte eine Art Überlebens-Schuld. Er quälte sich mit Selbstvorwürfen, dass er seine Eltern im Stich gelassen habe. Er hatte viele Zeichen einer Posttraumatischen Belastungsstörung und eines „Überlebenden-Syndroms“, wie es der Holocaust-Forscher William G. Niederland beschrieben hat (Niederland 1980; Csef 2018). Die beiden Jahrzehnte, die er in Paris lebte, waren immer wieder durch depressive Phasen geprägt, die zeitweise mit Wahnvorstellungen verbunden waren. Im Verlauf seiner psychischen Krisen ist kam es zu zwei Mordversuchen an seiner Ehefrau und zu vier langen Psychiatrieaufenthalten zwischen den Jahren 1962 und 1969. Über die psychiatrische Krankengeschichte von Paul Celan ist bislang wenig veröffentlicht worden. Aber offensichtlich war er zwischen 1962 und 1970 schwer psychisch krank. Bereits im Jahr 1967, als er zum zweiten Mal versuchte, seine Ehefrau mit dem Messer zu erstechen, beging er selbst einen Selbstmordversuch. Der Suizid im April 1970 wird auf dem Hintergrund dieser Entwicklung ganz verständlich. Zahlreiche KZ-Überlebende haben sich meist Jahrzehnte nach ihrer Befreiung im hohen Alter suizidiert, so z.B. Jean Améry, Primo Levi, Istvan Adorján, Bruno Bettelheim (vgl. Csef 2014). Der Literaturwissenschaftler Peter Szondi war über viele Jahre mit Paul Celan befreundet. Er war wie Paul Celan ein jüdischer Schriftsteller und verbrachte etwa sechs Monate im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Mit dreißig Jahren wurde er Professor für Literaturwissenschaften an der Freien Universität Berlin. Er schrieb das bekannt gewordene Werk „Celan-Studien“ über das lyrische Werk von Paul Celan (Szondi 1972). Eineinhalb Jahre nach dem Suizid von Paul Celan hat sich auch Peter Szondi umgebracht. Er wählte für seinen Suizid dieselbe Todesart wie Paul Celan – er ertränkte sich im Halensee in Berlin.

Literatur:

Böttiger Helmut (2017) Wir sagen uns Dunkles. Die Liebesgeschichte zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan. DVA München

Bollack Jean (2006) Dichtung wider Dichtung. Paul Celan und die Literatur. Wallstein Verlag Göttingen

Celan Paul (1952) Mohn und Gedächtnis. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart

Celan Paul (1983) Gesammelte Werke in fünf Bänden. Hg. von Beda Allemann, Suhrkamp, Frankfurt/Main

Celan Paul (1993) Paul Celan – Nelly Sachs. Briefwechsel. Hg. von Barbara Wiedemann, Frankfurt/Main

Celan Paul (2001) Paul Celan – Gisèle Celan-Lestrange. Briefwechsel. Hg. von Barbara Wiedemann, Frankfurt/Main

Celan Paul (2008) Ingeborg Bachmann – Paul Celan: Herzzeit. Briefwechsel. Hg. von Bertrand Badiou, Hans Höller, Andrea Stoll, Barbara Wiedemann. Suhrkamp, Frankfurt/Main

Csef Herbert (2014)Späte Suizide von Holocaust-Überlebenden Primo Levi, Jean Améry, Ehepaar Adorján. Psychotherapie im Alter 11 (4):553-563

Csef Herbert (2018) Traumabewältigung als kreativer Prozess. Imre Kertész – ein Überlebenskünstler. E-Journal Philosophie der Psychologie, S. 1-6

Csef Herbert (2019) Vom Trauma zum Suizid. Suizidprophylaxe Heft Nr. 177, Band 46

Emmerich Wolfgang (2020) Celans Zerrissenheit. Ein jüdischer Dichter und der deutsche Geist; Galiani-Berlin, Köln

France-Lanord Hadrien (2007) Paul Celan und Martin Heidegger. Vom Sinn eines Gesprächs. Rombach Verlag Freiburg

Kunisch Hans-Peter (2020) Todtnauberg. Die Geschichte von Paul Celan, Martin Heidegger und ihrer unmöglichen Begegnung. dtv, München

Lamping Dieter (1998) Holocaust-Literatur als jüdische Literatur. Paul Celans „Todesfuge“. Literaturkritik Nr. 2, Februar 2015

Meyer Thomas (2000) Die Begegnung zwischen Paul Celan und Martin Heidegger. Eine Tagung des „Hamburger Instituts für Sozialforschung“. Ha Galil online vom 22.12.2000

Niederland WG (1980) Folgen der Verfolgung. Das Überlebenden-Syndrom, Seelenmord. Suhrkamp Berlin

Radisch Iris (2020) Etwas ist faul im Staate D-Mark. Ein Briefwechsel und neue Bücher zu Paul Celan, der sich vor 50 Jahren in der Seine ertränkt hat. DIE ZEIT vom 16. April 2020

Reinartz Burkhard (2017) Paul Celan und die Shoah – Der Dichter und der ferne Gott. Deutschlandfunk vom 2.2.2018

Seng Joachim (2008) „Seit ein Gespräch wir sind, an dem wir würgen“. Paul Celan und Martin Heidegger im Geheimnis der Begegnung. Literaturkritik vom 10.4.2014, S. 1-6

Steiner George (1989) Heidegger, abermals. Merkur, Heft 480 vom 1. Februar 1989, S. 1-7

Szondi Peter (1972) Celan-Studien. Suhrkamp, Frankfurt/Main

Korrespondenzadresse:

Professor Dr. med. H. Csef, Schwerpunktleiter Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Zentrum für Innere Medizin, Medizinische Klinik und Poliklinik II, Oberdürrbacherstr. 6, 97080 Würzburg

E-Mail-Adresse: Csef_H@ukw.de

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Über Herbert Csef 146 Artikel
Prof. Dr. Herbert Csef, geb. 1951, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker. Studium der Psychologie und Humanmedizin an der Universität Würzburg, 1987 Habilitation. Seit 1988 Professor für Psychosomatik an der Universität Würzburg und Leiter des Schwerpunktes Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums. Seit 2009 zusätzlich Leiter der Interdisziplinären Psychosomatischen Tagesklinik des Universitätsklinikums. Seit 2013 Vorstandsmitglied der Dr.-Gerhardt-Nissen-Stiftung und Vorsitzender im Kuratorium für den Forschungspreis „Psychotherapie in der Medizin“. Viele Texte zur Literatur.