Der monumentale Michelangelo: 34 farbechte Fresko-Repliken aus der Sixtinischen Kapelle machen in München Station

Foto: Hans Gaertner

Was vermag ein Mensch? Auf diese Frage könne, so Goethe, nur derjenige eine gültige Antwort geben, der die Sixtinische Kapelle in Rom gesehen hat. Pro Tag werden 20 000 Besucher gezählt, die sich für dieses einzigartige sakrale Bauwerk des Vatikans interessieren. Das heißt noch nicht, dass jeder von ihnen sich in Michelangelo Buonarrotis grandioses, unvergleichliches malerisches Kunstwerk vertiefen kann. Nun hat man, wie bereits 2015 in Montreal und 2016 in Dallas und Wien, auch auf deutschem Boden die sich kaum mehr in dieser einmaligen Form bietende Gelegenheit, sich auf Augenhöhe eine Vorstellung von Michelangelos atemberaubender, zwischen 1508 und 1512 entstandener Decken-Ausmalung der Sixtina zu verschaffen: in der „Alten Bayerischen Staatsbank“ in Münchens City, voraussichtlich bis 9. Juli täglich von 10 bis 20 Uhr zu einem Ticketpreis ab 9,50 Euro (Vergünstigungen und Sonderführungen: tickets@sixtinischekapelle.eu).

Erich Lessing, Wiener vom Jahrgang 1923, seit 1951 Mitglied bei „Magnum Photos“, sind die in der Wanderausstellung „Michelangelos Sixtinische Kapelle“ in Originalgröße präsentierten 34 Farbaufnahmen zu danken. Lessing vergab die weltweit exklusiven Verwertungsrechte für Ausstellungen an das US-Unternehmen SEE, Los Angeles. Die Farbechtheit ist garantiert.  Die Auswahl ist geglückt. Die Hängung der großen Tafeln mit teils weltbekannten, teils noch kaum wahrgenommenen Motiven ist einladend und anregend zugleich. Die mit 20 Metern Höhe fast das Originalausmaß der Sixtina erreichende Halle der nun einmal für einen Event genutzten „Alten Bayerischen Staatsbank“ durchschreite der Betrachter in Pfeilrichtung. Er wird fasziniert sein; kommt er doch, bei dringend anzuratender Benützung des Audio-Guides, allein gut klar. Dass dabei die einzigartige Raum-Atmosphäre des Original-Ortes im Vatikan nicht erreicht wird, steht außer Zweifel. Aber die Chance, sich in vier Metern Abstand einzelnen Szenen des Renaissance-Meisters voll und ganz und zeitlich unbegrenzt optisch widmen zu können, ist unbestreitbar in München gegeben.

Zu sehen sind alte Sibyllen und schöne Propheten, Christi kaum bekannte Verwandtschaft  und zentrale biblische Szenen: Sintflut, Vertreibung aus dem Paradies, alttestamentarische Gestalten, selbstverständlich, hinter einer Gitter-Replik versteckt, die ohnehin quasi jedem Kind ikonografisch geläufige Erschaffung des Adam und, als räumlich imposanter Höhepunkt  das Monumental-Gemälde des „Jüngsten Gerichts“. Michelangelo malte es zwischen 1535 und 1541 an die Altarwand der Sixtinischen Kapelle. Die dann nicht mehr perspektivische Raumauffassung des Renaissance-Genies wich einer Bewegungsdynamik der Seligen und Verdammten mit einem zentral platzierten kraftvollen Christus als Richter am Weltenende.

Keine Sorge: Man muss kein Kunsthistoriker sein, um die gezeigten 34 Bilder genießen zu können. Einzelheiten werden abwechselnd von Frauen- und Männerstimmen aus dem Audio-Guide mitgeteilt, namentlich über die Zusammenhänge zwischen Kunstform und biblisch-theologischer Aussage. Zu jeder Bildtafel einschließlich des monumentalen „Jüngsten Gerichts“ gibt es eine gut lesbare Kurzbeschreibung in Deutsch und Englisch. Zusätzlich ist ein reich bebilderter zweisprachiger Ausstellungsführer in DIN A 4-Format (8,50 Euro) zur Orientierung vor Ort und/oder zum Nachlesen erschienen.

Dem kreativen Team um die Brüder Gabriel Ioana und Beau Ioana sowie den Architekten Manfred Waba ist es gelungen, ein Glanz-Stück weltweit hochbedeutenden, ein halbes Jahrtausend alten Großkunstwerks – das Deckengemälde der Sixtinischen Kapelle – populär zu machen. Der Besuch dieser Exhibition, die München als vierte Station erreicht hat, kann gewiss das Erlebnis beim Aufsuchen der Originale in der vatikanischen päpstlichen Hauskapelle, erbaut unter Papst Sixtus IV. 1473 bis 1481, nicht ersetzen

Foto (Hans Gärtner)

Hinter Goldgitter der Sixtina nachgebaut: „Sündenfall“ und „Vertreibung aus dem Paradies“

 

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Über Hans Gärtner 457 Artikel
Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.

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