Die 23 – werden erneut Armenier in Aserbaidschan zu Märtyrern?

Der Schriftsteller Martin Mosebach hat im Frühjahr 2017 das Dorf El-Or in Ägypten besucht. Er wurde in Empfang genommen von den Familien von 21 Märtyrern – koptischen Christen. Die 21 waren zwei Jahre zuvor, vor exakt zehn Jahren, Anfang Februar 2015, von IS-Terroristen entführt, nach Libyen verschleppt und am Strand vor der Stadt Sirte enthauptet worden – ganz so, wie es der Koran im Wortlaut befiehlt. Die Täter gehörten zur Gruppe Ansar al-Scharia, die der internationalen Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) Treue geschworen hatten. Mosebachs Buch ist ein der Tat angemessenes, für sich genommen großartiges und bleibendes literarisches Denkmal. Und eine Mahnung – denn die 21 stehen für Millionen von Christen, die enthauptet wurden, seit die Wutpredigten, die ein frustrierter orientalischer Christ namens Mohammed hielt, als Offenbarung des Koran gedeutet wurden.

Und ganz in der Tradition dieses arabischen Anti-Christen startet nun ein neues Kapitel der Christenverfolgung. 23 Menschen sind es, die in Lebensgefahr sind, die zu Märtyrern werden könnten. Diesmal ist der Schauplatz in Aserbeidschan, dem von einer knallharten sunnitischen Diktatur beherrschten Land, das sich selbst als östlicher Satellit unter der Regie einer nach osmanischen Größe gierenden Türkei sieht. Der Diktator heißt Alijew, und er wird im Zweifel befehlen, was im Koran steht – im Wortlaut. Das Schwert droht demnach den 23 Menschen, die er jetzt anklagen läßt.

Wer sind diese Menschen? Christen, die ihre verfolgten Brüder nicht vergessen, wissen, dass es sich um 23 Armenier handelt, die im seit 1.700 Jahren christlichen Arzach, auch bekannt als Bergkarabach, versucht haben, zu retten, was nicht zu retten war. Die Gesellschaft für bedrohte Völker gibt Auskunft: „Am 17. Januar begannen in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku die Prozesse gegen 16 Personen, die Aserbaidschan in Folge des Angriffs auf Arzach (Bergkarabach) im September 2023 widerrechtlich festgenommen hatte. (…) Insgesamt befinden sich 23 Personen aus Arzach/Bergkarabach in Aserbaidschan in Haft, die nach der Vertreibung 2023 festgenommen wurden.“ Beobachter haben den Vergleich mit Ostpreußen gebracht – unter ähnlichen Umständen, wie die Deutschen im Winter 1945 aus Königsberg, Insterburg, und Gumbinnen vertrieben wurden, mussten die Armenier aus ihrer Heimat fliehen. Nur, dass es hier um volle 17 Jahrhunderte Geschichte ging, mehr als in Ostpreußen. Und dass es bei den glaubenswütigen Sunniten aus Aserbeidschan um eine religiöse Verfolgung ging, womit durchaus eine größere Brutalität umschrieben sein soll – eine größere Brutalität also als bei den Russen. Und was schon die bedeutet, weiß auch heutzutage jeder, der das Wort Ukraine buchstabieren kann.

Zurück nach Aserbeidschan. Es waren Panzer des NATO-Mitglieds Türkei, die in Bergkarabach für die brustalstmögliche Christenvertreibung eingesetzt wurden. Gegen diese Vertreibung aus der Heimat – oder Zwangsbekehrung zum Islam – mit friedlichen Mitteln opponiert zu haben: Das ist das einzige Vergehen der 23. Von Ihnen stehen nun 16 vor Gericht: „Die angeklagten Personen sind Zivilisten, unter ihnen befinden sich acht demokratisch gewählte Führungspersönlichkeiten. Durch ihre Inhaftierung und die Kriminalisierung vor Gericht macht Aserbaidschan die Opfer zu Tätern und verschleiert das eigene Verbrechen gegen Arzach“, kritisiert Sarah Reinke, Leiterin der Menschenrechtsarbeit der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) in Göttingen. Gemeinsam mit dem Zentralrat der Armenier (ZAD), der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) und der Arbeitsgruppe Anerkennung, gegen Genozid, für Völkerverständigung (AGA) fordert die Gesellschaft für bedrohte Völker, dass diese politisch motivierten Prozesse von deutschen Botschaftsangehörigen beobachtet werden.

Der GfbV erinnert nun daran, dass im September 2023 das diktatorisch regierte, aggressiv-islamische Aserbaidschan gewaltsam die von diesem Staat auf sehr zweifelhafter Grundlage beanspruchte Region Arzach oder Bergkarabach angriff. Weit über 100.000 Armenier wurden vertrieben. Vorausgegangen waren eine jahrelange Beschießung mit Artillerie, auch gab es Bombardements. Zuletzt kippte eine neunmonatige Hungerblockade der De-Facto Republik Arzach, und dies unter Verletzung von Anordnungen des Internationalen Gerichtshofs, wie die GfbV feststellt. Menschenrechtsorganisationen und der Völkerrechtler Luis Moreno Ocampo bewerten sowohl die Hungerblockade als auch die Christenvertreibung als Genozid.

„Anstatt dass die Verantwortlichen in Aserbaidschan, allen voran Präsident Ilham Alijew für dieses Verbrechen vor ein internationales Gericht gestellt werden, wird nun in Baku ein Schauprozess gegen Armenier inszeniert“, erklären die Sprecher der NGOs. Die Politik nehme Einfluss auf die aserbaidschanische Justiz. Diese sei geprägt von systematischer Korruption und Verstößen gegen international geltende Rechte: „Von Richtern wird oft erwartet, dass ihre Urteile die Interessen der Regierung widerspiegeln, dies erfahren auch Angehörige der politischen Opposition, Journalisten und Aktivisten immer wieder am eigenen Leib erfahren.“

Die GfbV beklagt: „Die Bundesregierung hat 2023 Aserbaidschan nicht etwa Einhalt geboten, als die Armenier massenhaft vertrieben wurden, sondern die Beziehungen zum Diktator Alijew währenddessen und danach gepflegt, als sei nichts geschehen.“ Damit umschreiben die Menschenrechtler höflich und zurückhaltend einen handfesten Skandal, den sich eine Außenministerin zurechnen lassen muss, die sich „feministische Außenpolitik“ auf ihre Fahnen schreibt, während gewaltbereite Männer armenische Frauen zu Zigtausenden brutal aus ihrer angestammten Heimat vertreiben. Die Menschenrechtsorganisationen appellieren an das Auswärtige Amt in Berlin: „Nun ist es nur recht und billig, dass zumindest diese Prozesse beobachtet und auf die sofortige Freilassung der Betroffenen gedrängt wird.“ Zumindest das sollte die höchstwahrscheinlich kurz vor ihrer Abwahl stehende Außenministein beherzigen. Damit aus aktuell 23 christlichen Justizopfern nicht bald 2,3 Millionen neue armenische Opfer eines fortgesetzten aerbeidschanisch-türkischen Völkermords werden.

 

 

 

 

 

 

 

 

Über Sebastian Sigler 112 Artikel
Der Journalist Dr. Sebastian Sigler studierte Geschichte, Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte in Bielefeld, München und Köln. Seit seiner Zeit als Student arbeitet er journalistisch; einige wichtige Stationen sind das ZDF, „Report aus München“ (ARD) sowie Sat.1, ARD aktuell und „Die Welt“. Für „Cicero“, „Focus“ und „Focus Money“ war er als Autor tätig. Er hat mehrere Bücher zu historischen Themen vorgelegt, zuletzt eine Reihe von Studien zum Widerstand im Dritten Reich.