Die Studenten und die Grausamkeit des Krieges

Westflandern – einst ein Ort des Kriegsgrauens.

Eingang zum Studentenfriedhof

Westflandern – einst ein Ort des Kriegsgrauens. Hier seien, so wird berichtet, im November 1914 ganze Regimenter aus Kriegsfreiwilligen mit nationalen Illusionen singend in den Tod marschiert. Es waren zumeist Studenten, viele von ihnen korporiert. Nur wenige überlebten. Heute erinnert ein schlichter, umso eindrücklicher mahnender Friedhof an die Studenten, die zu Zehntausenden ihr Leben lassen mussten; allein hier, vor Ypern, waren es rund 10.500.

In diesen Zusammenhang gehört, daß die jungen Soldaten am 11. November 1914, während der Ersten Flandernschlacht, mit der ersten Strophe des Deutschlandliedes auf den Lippen gegen die feindlichen Linien gestürmt sein sollen. Der Verdacht, diese Schilderung sei nationalistische Propaganda einer dunklen Epoche deutscher Geschichte – er ist nicht von der Hand zu weisen. Das Heldenepos von den singenden Soldaten, die gegen französische Linien stürmten, sollte sehr kritisch betrachtet werden.

Hier, auf dem Deutschen Soldatenfriedhof Nr. 123 in Langemark-Poelkapelle, geschieht exakt das. Die Gedenksteine sind erschütternde Zeugnisse der Trauer. Für unreflektierte Heldenverehrung ist auf diesem Friedhof kein Platz. Sie bleibt den Besuchern, die das Dokumentationszentrum mit den raren Bildzeugnissen besuchen, vielmehr regelrecht im Hals stecken. Stattdessen fließen Tränen. Auch 109 Jahre danach.

Ganz anders war die Stimmung vieler Zeitgenossen in den 1920er Jahren. Feinde der Weimarer Republik, Feinde der europäischen Idee, einige Veteranenverbände, schließlich auch die Nationalsozialisten hatten den Langemark-Mythos rund um die Studentenregimenter, den es durchaus gab, schamlos für sich vereinnahmt. Die Soldaten aus den sogenannten Studentenregimentern, um die es hier geht, wurden zu Helden für eine nationalistische Sichtweise stilisiert, die den meisten von ihnen völlig fremd gewesen wäre. Auch deswegen war ein neuer, noch schrecklicherer Krieg in Europa überhaupt nur möglich.

Nein, keine Propaganda – nicht in Langemark. Nur eine tiefe Erschütterung, Raum für eine große und nicht endenwollende Trauer um insgesamt 44.304 Menschen, die als Soldaten in einen sinnlosen Tod gingen. Langemark gehört zum berüchtigten Ypern-Bogen, an der der deutsche Vormarsch durch Belgien im Späthernst 1914 zum Stocken kam. Es ist zugleich einer der Frontabschnitte, an dem wenig später, im April 1915, auch erstmals das grausig wirkende, tödliche Chlorgas eingesetzt werden sollte.

Alle Korporationsverbände, dazu auch weitere studentische und bündische Gruppen und natürlich auch die Reservistenverbände ließen ab 1930 in Langemark-Poelkapelle eigene Gedenksteine errichten. Ab 1928 war für den würdigen Ausbau des bis dahin vernachlässigten Gräberfeldes geworben worden, und im Verlauf der Maßnahmen zur würdigen Gestaltung, die bis 1932 dauerten, wurden allein die sterblichen Überreste von 10.500 Kriegsfreiwilligen aus den sogenannten Studentenregimentern umgebettet.

Heute sind die Erinnerungssteine der Korporationsverbände in schlechtem Zustand – bei einigen sind starke Spuren der Verwitterung zu sehen, andere sinken allmählich in den Boden; alle müssen dringend gereinigt werden. Der gesamte Friedhof bedarf deutlich besserer Pflege, damit seine Erhaltung gesichert ist. Diese Friedensarbeit stünde jedem Studenten heutiger Tage gut zu Gesicht.

Gedenksteine der beiden christlichen Korporationsverbände Unitas und
Wingolf auf dem Friedhof von Langemark-Poelkapelle

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Über Sebastian Sigler 78 Artikel
Der Journalist Dr. Sebastian Sigler studierte Geschichte, Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte in Bielefeld, München und Köln. Seit seiner Zeit als Student arbeitet er journalistisch; einige wichtige Stationen sind das ZDF, „Report aus München“ (ARD) sowie Sat.1, ARD aktuell und „Die Welt“. Für „Cicero“, „Focus“ und „Focus Money“ war er als Autor tätig. Er hat mehrere Bücher zu historischen Themen vorgelegt, zuletzt eine Reihe von Studien zum Widerstand im Dritten Reich.