Europäische Begegnung zwischen Frankreich und Bayern aus Anlass der französischen Ratspräsidentschaft – Montag, 23. Mai 2022 im Festsaal des Künstlerhauses

Vortrag des Vizepräsidenten der Europäischen Bewegung Bayern Prof. Dr. Dr. Reinhard Heydenreuter

Europäische Begegnung Frankreich Bayern aus Anlass der französischen Ratspräsidentschaft. Montag, 23. Mai 2022 im Festsaal des Künstlerhauses

Sehr geehrte Damen und Herren,

früher war in Bayern eine Veranstaltung nur dann bedeutend, wenn ein Vertreter der hohen Geistlichkeit und ein Vertreter des königlichen Hauses anwesend waren. Seit der Abschaffung der Monarchie 1918 ist es die hohe Geistlichkeit, die einer Veranstaltung wie dieser den Glanz und Schutz von oben verleiht. Deswegen freue ich mich besonders, Sie Eminenz, Kardinal Marx hier im schönen Künstlerhaus begrüßen zu dürfen.

Wie Sie dem Programm entnehmen können, vertrete ich, meine Damen und Herren, heute die Mitveranstalterin dieser Europäischen Begegnung, nämlich die Europäische Bewegung Bayern. Deren Präsidentin ist seit kurzem Frau Monika Hohlmeier, Abgeordnete des Europäischen Parlaments, die heute leider nicht unter uns sein kann. Ich darf Sie heute als ihr 2. Vizepräsident vertreten. Sie muss heute leider ihren Pflichten als Stadträtin in Bad Staffelstein bei einer wichtigen Bürgermeisterwahl genügen. Sie ist aber mit ganzem Herzen hier bei Ihnen ist und lässt sie herzlich grüßen. Sie hätte heute Abend – so wie sie – lieber französischen Wein getrunken als oberfränkisches Mineralwasser. Ich darf mich in ihrem Namen vor allem bei unseren Gastgebern bedanken, bei Frau Birgit Gottschalk und Frau Jennifer Ruhland, die das Künstlerhaus als Duett mit charmanter Hand leiten. Ich darf Sie, sehr verehrte Frau Generalkonsulin der Republik Frankreich begrüßen sowie die verehrten Mitglieder des konsularischen Corps und alle Freunde unseren schönen Europa.

Was werde ich Ihnen erzählen? Zunächst werde ich Ihnen einige Gedanken unserer Präsidentin, Frau Hohlmeier zur gegenwärtigen Lage weitergeben. Sodann werde ich Ihnen etwas belehrendes zu den bayerisch-französischen Beziehungen seit dem Mittelalter erzählen.

Frau Hohlmeier beobachtet mit Sorge, wie sich die Krisen in der letzten Zeit häufen. Spontane Krisenbewältigung steht inzwischen im Mittelpunkt der politischen Arbeit. Denken wir nur an die Wirtschaftskrise 2008/2009, an die Flüchtlingskrise 2015, an die Auswirkungen des sich verändernden Klimas (Waldbrände auf mehreren Kontinenten, Hochwasser und Flutkatastrophen in ganz Europa). Und dann eine Krise, die wir alle hautnah erlebt haben und bis heute erleben: die Corona – Krise. Und dann, weil das alles nicht genug war, folgte in diesem Februar der Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine, der eine Energiekrise ausgelöst hat

Frau Hohlmeier stellt sich nun die Frage, ob wir Wohlstandsgeschöpfe zu verwöhnt waren und deshalb besonders empfindlich geworden sind bei Krisen von diesem Ausmaß. Wir haben uns offensichtlich zu sicher gefühlt in unserer bequemen Welt, obwohl es ja auf dem Balkan seit den 90er Jahren gewaltig rumorte und man (zumindest am Fernsehen) Tod und Zerstörung miterlebte. Auch angesichts der Schreckensbilder aus Afghanistan haben wir uns behaglich zurückgelehnt, wie die Bürger aus Goethes Faust I. (Osterspaziergang):

Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei,
Die Völker aufeinander schlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
Und sieht den Fluss hinab die bunten Schiffe gleiten;
Dann kehrt man abends froh nach Haus.

Und der zweite Bürger stimmt ihm zu

Ach ja Herr Nachbar, ja, so lass ichs auch geschehn:
Sie mögen sich die Köpfe spalten,
mag alles durcheinandergehn:
Doch nur zu Hause bleibs beim alten!

Jetzt aber haben wir den Krieg vor der Haustür. Und zu Hause bleibt es eben nicht beim alten, weil wir die Krisen am eigenen Körper spüren.

Nun ist nach Meinung von Frau Hohlmeier wie nie zuvor die Europäische Union gefordert. Sie soll helfen, aber sie ist dafür nicht unbedingt gerüstet. Um den Ansprüchen gerecht zu werden, die plötzlich an sie gestellt werden, bedarf es neuer Ideen zur Koordination und zur Zusammenarbeit, neue grenzüberschreitender Konzepte. Es dürfen diese neuen Ansätze nicht an der Eigensinnigkeit einzelner Mitgliedstaaten scheitern. Die EU muss jetzt vorausschauender planen und arbeiten. Das heißt beispielsweise: Kritischer Infrastrukturen müssen geschützt werden, die Vorratshaltung muss vorausschauender geplant werden, die europäischen Eigenproduktion für lebensnotwendige Produkte muss gestärkt werden. Kurzum: Es bedarf einer koordinierten grenzüberschreitende Krisenpräventionsplanung.

In der Coronakrise hat Europa gezeigt, was Prävention heißt: Der Gründer von Biontech Ugur Sahin bekam schon im Jahre 2017 vom European Research Council einen sogenannten „Advancend Grant“ verliehen, der ihm und seiner Frau Özlem Türeci die Forschung im Bereich der mRNA Impf-Technologien ermöglichte. Das Europäische Parlament war entscheidend daran beteiligt, dass die diese moderne Forschung massiv vorangetrieben und unterstützt hat.

Aktuell ist Europa mit einem anderen bedrohlichen Szenario konfrontiert: Die russische Aggression und ihre Folgen. Was lernen wir daraus? Wir brauchen, so Frau Hohlmeier, eine Stärkung der Zusammenarbeit im Bereich der inneren und äußeren Sicherheit sowie im Bereich der Außen- und Verteidigungspolitik. Gerade in der Verteidigungspolitik fehlt es an gemeinsamer Forschung, gemeinsamer Beschaffung, an einer notwendigen Verringerung der Waffenkategorien und der teuren Individualwünsche. Notwendig wären harmonisierte Kommandostrukturen, die zur kurzfristigen grenzüberschreitenden Kooperation in der Lage sind.

Wie notwendig gemeinsames Handeln ist – das bedeutet im Übrigen keineswegs Zentralisierung – zeigt aktuell die durch Putins Angriffskrieg ausgelöste Energiekrise. Gerade im Energiesektor bedarf es vielfältiger Partner und mehr Freihandelsabkommen. Hier bietet im Übrigen der Balkan spannende neue Perspektiven, gerade im Bereich der erneuerbaren Energien. Zu vermeiden ist auch, wie wir inzwischen schmerzlich erfahren haben, eine einseitige Bindung an willkürlich operierende autoritäre Partner.

Soweit Frau Hohlmeier. Lassen wir nun für einen Augenblick die Krisen der Gegenwart beiseite und werfen wir wir einen Blick in die Geschichte, im speziellen auf die besonderen französisch-bayerischen Beziehungen: Ohne Geschichte keine Gegenwart und keine Zukunft.

Europa, meine Damen und Herren, ist mehr als die Summe und das Nebeneinander von Staaten, sondern eine große Vision. Die Vision von einer menschlichen, friedlichen und schönen Zukunft. Europa ist in seiner Gesamtheit ein Blumenstrauß voller faszinierender Blumen, Blumen – die ihre Vereinzelung, ihre Eitelkeit und ihre Selbstbespiegelung zugunsten eines fruchtbaren Miteinanders zurückgestellt haben. Erst in diesem Blumenstrauß des Miteinanders kann sich die gesamte Pracht der europäischen Kultur, des europäischen Humanismus und der europäischen Friedenssehnsucht entfalten. Bei diesem europäischen Blumenstrauß geht es nicht um gewalttätiges Vordrängen, sondern um das Wetteifern in Schönheit. Deswegen ist in diesem europäischen Blumenstrauß auch ein bisschen Eitelkeit erlaubt, so wie heute, wo wir zwei besonders schöne und liebenswerte Blumen des europäischen Blumenstraußes würdigen wollen, Frankreich und Bayern.

Die drei fränkische Regierungsbezirke im Freistaat Bayern (Ober- Mittel- und Unterfranken) erinnern daran, dass einst das Frankenreich das große gemeinsame Dach über Bayern und Frankreich gebildet hat. Wenn ich dann noch anfüge, dass Karl der Große wahrscheinlich in der Nähe von Gauting bei München geboren wurde, dass die Christianisierung Bayern nicht zuletzt auch von Frankreich ausging oder dass wir in Bayern mit dem aus Frankreich stammenden Hl. Leonhard unseren liebsten Viehheiligen haben, dann sehen sie, dass Bayern und Frankreich schon im hohen Mittelalter untrennbar zusammengehörten.

Und auch das neuere Bayern ist ohne Frankreich nicht denkbar. Das beginnt mit dynastischen Verbindungen zwischen den Bourbonen und den Wittelsbachern seit dem Mittelalter und hat seinen Höhepunkt in der Zeit, als Bayern mit Ludwig XIV verbunden war und ein Kurfürst Max Emanuel, der sich sein Versailles in Schleißheim baute, hoffen konnte, seinen Sohn als König von Spanien zu sehen. Nach dessen Tod hat er sich ein anderes Königreich mit der Hauptstadt Brüssel erträumt. Leider ist dieser Traum in der Schlacht von Höchstädt geplatzt, als 1704 die französischen und die bayerischen Truppen von den Österreichern und Engländern geschlagen wurden. Die bayerischen Truppen sollen dabei noch die besseren gewesen sein. Immerhin hat es dann der Sohn von Max Emanuel, der Kurfürst Karl Albrecht (+1745) mit Hilfe Frankreichs zum deutschen Kaiser gebracht. Freilich nur drei Jahre lang. Gegen den Weltherrschaftsanspruch der Habsburger in Wien – hoch gestiegen, tief gefallen – hat Frankreich immer an der Seite Bayerns gekämpft.

Ganz eng war die Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Bayern in der Zeit Napoleons. Auch diesmal ging es gegen die Habsburger in Wien. Im Bündnis mit Napoleon ist Bayern 1806 Königreich und das geworden, was es heute vom Umfang her ist. Nur die Pfalz hat Bayern inzwischen wieder verloren. Und was viele nicht wissen, der erste bayerische König war, bevor er 1799 als Kurfürst nach Bayern kam, im französischen Dienst, nämlich als Befehlshaber der französischen Fremdenlegion in Straßburg, das heißt als Kommandant der pfälzischen Truppen aus Zweibrücken, die im Dienste Frankreich standen. Sein Sohn, der spätere König Ludwig I. ist in Straßburg geboren und seinen Namen hat er vom französischen König Ludwig dem Heiligen. Sein Taufpate war König Ludwig XVI., der auf der Guillotine endete.

Der erste bayerische König Max I. Joseph ließ die gesamte Außen- und Innenpolitik durch seinen allmächtige Minister Maximilian von Montgelas besorgen. Dieser stammte aus einer französischen Familie und liebte alles französische. Kein Wunder, dass das neu entstehende Bayern nach französischem Muster umgestaltet wurde. So sind etwa die heutigen bayerischen Regierungsbezirke aus den von Montgelas nach dem Vorbild der französischen Departements errichteten Kreisen entstanden, die – wie die französischen Departements, nach Flüssen benannt wurden, um ihre historische Genese zu verschleiern. So entstand unser heutiger Regierungsbezirk Oberbayern beispielsweise aus dem Isar- und Innkreis.

Das Bündnis mit Frankreich und der Erwerb neuer Landesteile (Franken, Schwaben) war freilich nicht billig. Montgelas musste riesige Schulden machen und das Königreich Bayern stand auch wegen seiner militärischen Hilfe für Frankreich (30.000 Bayern sind 1812 in Russland umgekommen) des öfteren vor dem Staatsbankrott. Deswegen meinte Montgelas Frau, eine Gräfin Arco, mit Blick auf ihren Mann, dass dieser zwar ein guter Außenminister sei, als Finanzminister aber erschossen gehöre.

Auf das Schuldenmachen folgen bekanntlich Steuererhöhungen. Und auch hier halfen die Franzosen. Mit Hilfe der französischen Armee begann man Bayern zu vermessen. Diese detaillierte Vermessung war notwendig, um mit Hilfe eines landesweiten Katasters Grundsteuer erheben zu können. Bayern war schliesslich mit Hilfe französischer Messtechnik das erste vollständig vermessene Land Europas – oder um es profaner auszudrücken, das erste Land, bei dem es kein Entrinnen mehr gab bei der Grundsteuer – das war früher die wichtigste Steuer.

Doch nichts ist umsonst. Napoleon ließ sich sein Hilfe bei den Landerwerbungen Bayerns teuer bezahlen, etwa mit der Anknüpfung verwandtschaftlicher Beziehungen zum bayerischen Königshaus. Er verheiratete seinen Stiefsohn Eugene Beauharnais mit der Tochter des von ihm kreierten Königs. Eugene Beauharnais, General und kurzzeitig Vizekönig von Italien, überlebte dank dieser Heirat politisch seinen Stiefvater Napoleon und erhielt in Bayern den Titel Herzog von Leuchtenberg. Er ließ sich als vermögender Mann von Klenze an der Ludwigstraße einen Palast bauen. Seine Nachkommen wanderten 1851 nach Russland aus und nahmen aus München die schönen italienischen Gemälde mit, die einst Eugene Beauharnais als Vizekönig in Italien gesammelt hat. Sie hängen heute in der Eremitage in St. Petersburg.

Wenden wir uns einem anderen großen Freund Frankreichs in Bayern zu: dem Märchenkönig Ludwig II. Auch er trägt den Namen des heiligen französischen Königs Ludwig. Seine Liebe zu Frankreich war weit größer als die Liebe zu Preußen, obwohl seine Mutter eine geborene Preußenprinzessin war. Für Ludwig II. war der 70er Krieg gegen Frankreich und die von den Preußen proklamierte Erbfeindschaft ein Gräuel. Er hasste solche martialische gegen Frankreich gerichtete Denkmäler wie das Niederwaldenkmal, wo die Germania das Schwert gegen Frankreich schwingt. In Bayern hielt er es lieber mit einer Bavaria, die solche auftrumpfenden Posen nicht kennt.

Unser Märchenkönig hat Bismarck zum Trotz Paris heimlich besucht, er hat französisch gebaut und in Herrenchiemsee sogar Versailles in manchen Ausmaßen übertroffen. Seine Bibliothek strotzte von französischer Literatur und alles was Ludwig XIV betraf, war ihm heilig. Historiker und Archivdirektoren, also meine Vorgänger, mussten ihm Theaterstücke schreiben, die am französischen Hofe spielten. Wenn sich aber seine für ihn bodenlos ungebildete preußische Verwandtschaft zu Besuch in München anmeldete, flüchtete er in die Berge.

Noch ein Jubiläum ist zu erwähnen: Vor 240 Jahren, 1792, erklang erstmals die französische Nationalhymne, die Marseillaise, die wir zu Beginn der Veranstaltung gehört haben. Sie war einem Bayern gewidmet, dem General der Rheinarmee Graf Luckner, der aus Cham im bayerischen Wald stammte. Trotz seiner hohen militärischen Verdienste wurde er 1794 ein Opfer der Guillotine.

Abschließend sei als besonderer Leckerbissen der bayerisch-französischen Beziehungen noch erwähnt, warum die Franken sich klüger dünken als die Altbayern: Es sind die Hugenotten, also die im 17. Jahrhundert aus Frankreich kommenden protestantischen Glaubensflüchtlinge, die in der Markgrafschaft Ansbach-Bayreuth Aufnahme fanden, die unsere Franken zu Besserwissern gemacht haben! Jeder anständige Franke hat angeblich Hugenotten unter seinen Vorfahren.

Vergessen wir nicht: Auch Hugenotten sind vor Verfolgung und Gewalt geflohen. Auch hier waren die Einheimischen zunächst sehr misstrauisch. Und die Integration dauerte lange, obwohl die Hugenotten nach Franken Bildung und technische Fertigkeiten importierten: Bis ins 18./19. Jahrhundert wurde in Erlangen noch französische Messe gehalten. Heute ist die Hugenottengründung Erlangen die Großstadt mit dem höchsten Akademikeranteil in Bayern und wahrscheinlich in Deutschland.

Wie wir sehen: Die Bayerisch-Französische Freundschaft hat sich durch Jahrhunderte bewährt und zwar schon zu einer Zeit, als Frankreich noch der Erbfeind Deutschlands war und lange bevor mit der Deutsch-Französischen Freundschaft nach dem Zweiten Weltkrieg die Vernunft eingezogen ist. Diese Freundschaft lebt vom Engagement im kleinen Raum, von persönlichen Freundschaften, von Städtepartnerschaften, vom Einsatz ehrenamtliche tätiger Bürger. Alles Große wächst im kleinen Raum, hat ein kluger Kopf einmal gesagt. Lassen Sie uns hier und heute, im kleinen und schönen Ambiente des Künstlerhauses neue Freundschaften schließen und alte beleben. Europa wird nicht in Konferenzen und hochrangigen Tagungen am Leben gehalten, sondern vor allem dann, wenn sich gutgesinnte Menschen begegnen, die eine Vision haben. Die Vision Europa. So wie wir hier im Münchner Künstlerhaus.

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