Europas Berufungheute: Die Globalisierung muss europäisch werden

Europa und die Globalisierung: Eine historische Wechselbeziehung

Es gibt keine andere Region auf der Erde, die mit der Ent­stehung von Globalisierung so sehr verbunden und deren geschichtliche Entwicklung wiederum selbst so von ihr geprägt ist wie (West-)Europa. Über mehrere Jahrhunderte der Neuzeit hinweg ist Europa eine der dominanten Mächte auf der Erde gewesen, sie hat den Globus gewissermaßen erschlossen und erstmals mit einem weltumspannenden Netz umwoben. Moderne Wissenschaft und Forschung, die technologische An­wendung von Erkenntnissen, modernes Staats- und Rechtsverständnis, die industrielle Revolution, die zivili­satorische Dimension von Kunst und Kultur, all dies ist in Europa geboren oder hat sich zumindest von hier aus als europäische Art des Lebens, des Wirtschaftens und des Arbeitens weltweit verbreitet. Insbesondere war es Europa selbst, das aufgrund der technologisch-indus­triellen Entwicklung, seines starken Bevölkerungswachs­tums, aber auch seiner starken territorialen-staatlichen Zerstückelung einerseits und der übergreifenden kultu­rellen Gemeinsamkeit auf dem eigenen Kontinent ande­rerseits viel früher als anderswo eine dichte, grenzüber­schreitende Wirklichkeit hervorgebracht hatte. Europa war daher über Jahrhunderte Antreiber und Ort einer Entwicklung, die wir im Nachhinein als Globalisierung bezeichnen können.
Die Entwicklung der politischen Ordnung allerdings hat all dem nicht entsprochen, sie verlief sogar geradezu konträr zur globalen Vernetzung. Der Geltungsanspruch des Staats, der sich vom Territorial- zum Nationalstaat entwickelte, steigerte sich ins Absolute. Der Staat des 19. Jahrhunderts verbat sich jede Einwirkung von außen, er wollte autark sein und unabhängig von allen seinen Nachbarn, er duldete keinen Richter über sich und bean­spruchte das Recht, sich mit Gewalt zu nehmen, was er als sein Recht sah.
Krieg war die unvermeidliche Folge. Er zerriss mit schrecklichen Folgen die transnationale Wirklichkeit, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im westlichen, stärker industrialisierten Teil Europas bereits so dicht entwickelt hatte, dass dank fester Wechselkurse und durch den Goldstandard de facto schon so etwas wie eine Währungsunion entstanden war. Der nationalisti­sche Wahn, der in den beiden Weltkriegen des 20. Jahr­hunderts seinen Ausdruck fand, zerstörte diese Welt, die noch lange Zeit danach als die »gute, alte Zeit« empfun­den wurde. Zerstört wurde nebenbei aber auch die glo­bale Dominanz Europas.
Auf dem Boden dieser historischen Erfahrung entwi­ckelten sich in der Nachkriegszeit drei Kräfte, welche die europäische Integration als politische Vision und politi­sches Projekt zugleich formten.
Die erste Gründungskraft war geprägt von den Schre­cken des Krieges und der Entschlossenheit, die Versöh­nung der Völker, insbesondere von Franzosen und Deut­schen, sowie das Miteinander der Staaten in einer politischen Ordnung zu organisieren und damit auch den Absolutheitsanspruch der Nationalstaaten zu relati­vieren. Versöhnung und Frieden als Ausdruck des Wun­sches, die Vergangenheit zu überwinden, waren das eine, die Arbeit an einer gemeinsamen Zukunft war das andere Antriebselement zu Beginn des europäischen Einigungs­prozesses. Nichts drückt beides deutlicher aus als der erste Schritt der europäischen Vergemeinschaftung: die Montanunion. Kohle und Stahl galten damals als die strategischen Industrien, mit denen sich Staaten die Fähigkeit zur Kriegsführung erarbeiten konnten. Kohle und Stahl erschienen aber zugleich als Schlüsselindus­trien für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes, also für die Zukunft. Genau dies waren die Gründe, die nach dem Ersten Weltkrieg zur Ruhrbesetzung geführt hatten. Nichts drückt darum die Grundsätzlichkeit des politischen Versöhnungs- und Gestaltungswillens und seine Gegensätzlichkeit gegenüber der Siegermachtpoli­tik nach dem Ersten Weltkrieg besser aus als die Verge­meinschaftung der europäischen Kohle- und Stahlindus­trie in den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts.
In der Montanunion zeigt sich, wie bereits angedeutet, zugleich die zweite Gestaltungskraft der europäischen Integration, nämlich die Entfaltung wirtschaftlicher Dynamik. Auf diesem Gebiet hat Europa eine enorme Wirkung gehabt; die Verbreitung allgemeinen Wohl­stands in fast allen Regionen Europas gehört zu den gro­ßen Erfolgsgeschichten unserer Zeit. Aus den noch ganz bescheidenen Anfängen der Montanunion ist über die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft hinweg ein europäischer Binnenmarkt entstanden, für den zu einem großen Teil eine Währungsunion gilt.
Das dritte Gestaltungsmotiv für die europäische Inte­gration kam von außen auf die westeuropäischen Staaten zu: Es lag in der sowjetisch-kommunistischen Bedro­hung zur Zeit des Kalten Krieges. Dieser Gründungsimpe­tus hat auf die Entstehung und Prägung des westlichen und europäischen Zusammenhalts besonders intensiv eingewirkt. Er hat die Europäer durch einen auf drei Ebe­nen ausgetragenen Konflikt zusammengeführt. Erstens war der Kommunismus eine ideologisch-intellektuelle Kampfansage an den Westen. Zweitens prägte die Ost-West-Konfrontation für Jahrzehnte das politische Welt­geschehen. Und drittens ging es bei diesem Konflikt um die Abwehr einer existenziellen physischen Bedrohung mit militärischen Mitteln im Rahmen des westlichen Verteidigungsbündnisses.
Versöhnung, Selbstbehauptung und wirtschaftlicher Aufstieg: Die Gründungsgeschichte der Europäischen Union nach dem Zweiten Weltkrieg ist zugleich eine Erfolgsgeschichte. Sie bildet eine wahrscheinlich histo­risch einzigartige Verbindung von zwei genuin europäi­schen Erfindungen, von Realpolitik und politischem Idealismus.

2. Die Herausforderung Europas durch die Globalisierung

Steht Europa heute am Ende seiner Erfolgsgeschichte? Haben sich die ursprünglichen Beweggründe und An­triebskräfte der europäischen Einigung durch Verwirk­lichung verbraucht? Tatsächlich müssen wir konstatie­ren: Die Sowjetunion ist untergegangen und mit ihr die unmittelbare und stete physische Bedrohung wie die ideologische Herausforderung des Westens. Ost- und Westeuropa sind in der Europäischen Union vereinigt. Zwar ist Russland keine Demokratie nach westlichen Kategorien, und die jüngste militärische Aggression und die ungeschminkte Verletzung der territorialen Souverä­nität eines Nachbarlandes und damit des Völkerrechts zeigen, dass wir alles andere als in einer gefahrlosen und geordneten Welt leben. Aber die Bedrohungslage des Kal­ten Krieges mit ihrem alternativlosen Zwang zu westli­cher und europäischer Verteidigung existiert nicht mehr.
Und Frankreich? Aus dem ehemaligen »Erbfeind« ist das Land geworden, dem sich nach beständigen Umfra­gen die Deutschen am nächsten fühlen; mit keinem anderen Land unterhalten unsere Städte und Gemein­den so viele und lebendige Partnerschaften, mit keinem anderen Land ist die Verzahnung so eng und so umfas­send zugleich. Politisch sind Frankreich und Deutsch­land die Motoren der europäischen Integration bis zur Wirtschafts- und Währungsunion gewesen und bis heute immer noch die wichtigsten Partner in der Europäischen Union.
Der wirtschaftliche Aufstieg schließlich hat die (West-)Europäer auf ein hohes Niveau geführt, das zum erklärten Besitzstand zählt. Wenn es heute um die Ent­wicklung von wirtschaftlicher Dynamik geht, dann geht es meist um Besitzstandswahrung bei den westlichen und südlichen Mitgliedsländern und um Nachholeffekte bei den neuen osteuropäischen Mitgliedern.
Die historischen Ziele der Gründerväter Europas sind also entweder erreicht oder werden im Kern für selbstver­ständlich gehalten. Europa wird deshalb nicht irrelevant für die Gewährleistung von Sicherheit, Freiheit und Wohlstand. Aber die alten Antriebskräfte reichen nicht mehr, um die Legitimation, den Zusammenhalt und eine Perspektive Europas als politische Vision und Projekt zu begründen.
Indes: Während die alten Legitimationsquellen versie­gen, treten neue Herausforderungen an Europa heran. Erzeugt werden sie durch die Globalisierung. Die Heraus­forderungen der Globalisierung beginnen damit, dass Europa von innen heraus unbestreitbar in eine defensive Lage geraten ist, politisch wie psychologisch. Dies ergibt sich daraus, dass Europa von seinen Bürgern zutreffend als ein wichtiger Teil, ja als Verkörperung von Globalisie­rung identifiziert wird, dem dann natürlich auch die negativen Seiten der Entwicklung anhaften. Psycholo­gisch handelt es sich um einen tief gehenden Wandel im Verhältnis der Bürger zum europäischen Gedanken. In den Anfängen der europäischen Integration und unter dem noch frischen Eindruck der mörderischen Folgen des nationalistischen Wahns wurden das Transnationale und die Grenzüberschreitung von den Menschen als Befreiung gefeiert, als Zusammenrücken der Völker, als Horizonterweiterung für den Einzelnen. Unter den Bedingungen der fortgeschrittenen Globalisierung hat derselbe Aspekt eine ganz andere Bedeutung erhalten. Von vielen Menschen wird das Fehlen von Grenzen heute als Bedrohung angesehen; die Erweiterung der Europäischen Union oder die Vertiefung der europä­ischen Integration sind ihnen unheimlich. Sie würden eher neue Grenzen einziehen wollen, als noch weitere aufzugeben.
Die galoppierende Beschleunigung wirtschaftlicher, politischer und kultureller Veränderungsprozesse, die immer dichter, unmittelbarer, unausweichlicher erfahr­bare Intensität der Globalisierung sind es, die gerade in Europa wieder Bedürfnisse nach Grenzen wecken. Keiner will die alten Grenzen, es geht vielmehr um das alte Bedürfnis nach Grenzen: Grenzen können Sicherheit geben, während Entgrenzung verunsichern kann. Gren­zen können zur Solidarität zwingen, Entgrenzung entsolidarisiert. Grenzen ermöglichen mehr soziale Gleich­heit, Entgrenzung hingegen hat zu mehr Ungleichheit geführt. Grenzen sind nicht nur für die wirtschaftlich-so­zialen Lebensverhältnisse eines Volkes von Belang, son­dern ebenso für sein Bewusstsein von sich selbst, sein Selbstverständnis, seine Identität. Dieses hat für die meisten Menschen immer auch einen Bezug zu einem fest umrissenen Territorium, in dem das »Wir« lebt und außerhalb dessen »die anderen« sind. Darum ist der Staat als Nationalstaat nicht nur eine Organisationsform von Politik, sondern auch eine Lebensform, in der sich aus­drückt, wie eine Gruppe von Menschen sich kulturell, politisch, wirtschaftlich, sozial auch in Unterscheidung zu anderen einrichtet und sich so seiner selbst bewusst wird. Das nationale Selbstverständnis verlangt nach Grenzen. Dieses anzuerkennen beinhaltet nichts Antieu­ropäisches. Ein europäisches Bewusstsein, ein Wir-Ge­fühl der Europäer, ohne das Europa nicht zur politischen Einheit reifen kann, speist sich aus dem Gemeinsamen und nicht aus der Negation. Darin erweist es sich als europäisch. Es wird deshalb für die nächsten Jahre ent­scheidend darauf ankommen, die gemeinsame kulturelle Basis Europas zum Amalgam einer europäischen Identi­tät zu formen.
Europa ist weiterhin in institutionell-politischer Hin­sicht mit dem bereits dargelegten Demokratieproblem konfrontiert. Die Nationalstaaten haben im Lauf der europäischen Entwicklung einen beachtlichen Anteil ihrer Souveränität auf die europäische Ebene übertragen. Diese Machtübertragung ist aber nicht in vergleichbare demokratische Legitimationsstrukturen eingebettet wor­den, wie sie für die Wahrnehmung der Souveränität im Rahmen der Nationalstaaten galten und gelten. Abgese­hen vom Europäischen Parlament, über dessen Zusam­mensetzung die Bürger der Europäischen Union in direk­ter Wahl bestimmen, stützen sich die politischen Institutionen Europas auf eine mittelbare, nämlich von den Mitgliedstaaten abgeleitete Legitimation. Dieser na­tionalstaatliche Rückbehalt an Legitimation hat seine Gründe. Er lebt von der Vorstellung und dem Willen, die Herrschaft über die demokratischen Quellen der Sou­veränität nicht an die Europäische Union abgeben zu wollen, also der EU zwar Kompetenzen, aber keine Exis­tenz aus eigenem Recht zu verleihen. In dieser Diskre­panz liegt die Ursache des oft beklagten »Demokratiede­fizits« der Europäischen Union, das sich für die Bürger darin zeigt, dass die Willensbildung in dieser Institution schwer durchschaubar ist.
Am stärksten aber wird Europa dadurch herausgefor­dert, dass die Globalisierung die innere und äußere Handlungsschwäche Europas offenlegt. Die Globalisie­rung erfasst praktisch alle Lebensbereiche von den Märk­ten für Güter, Dienstleistungen, Informationen und Arbeit über die Kultur, die Natur bis hin zu Fragen von Sicherheit und Frieden. Dagegen weist die Integration Europas einen eindeutigen Schwerpunkt auf: die Errich­tung eines grenzfreien Binnenmarktes mit gemeinsamer Währung als Ausdruck der verwirklichten europäischen Grundfreiheiten. Hierauf sind die europäische Gesetz­gebung und die Rechtsprechung des Europäischen Ge­richtshofs fokussiert. Wenn aber die europäische Integration als die Antwort der Europäer auf die Globalisierung zu verstehen sein soll, dann zeigen sich hierin die Einsei­tigkeit und Unzulänglichkeit der europäischen Integra­tion. Dies gilt insbesondere für das Ungleichgewicht zwischen europäischer Wirtschaftsordnung und euro­päischer Sozialordnung. Erstere hat inzwischen eine in Teilen problematische Detailreife erreicht, während grundlegende soziale Fragen und Folgen der Marktinte­gration den Mitgliedstaaten überlassen bleiben.
Die Globalisierung verlangt neben der Gestaltung nach innen die europäische Mitwirkung an der Lösung globaler Probleme. Der Handlungsbedarf hat geradezu erdrückende Ausmaße angenommen: Energie, Klima, Er­nährung, Migration, Menschenrechte, Terrorismus, Si­cherheit. Letztendlich ist nichts weniger zu leisten, als eine neue Weltordnung zu etablieren, innerhalb derer sich die nur global, nur gemeinsam zu bewältigenden Aufgaben angehen lassen. Bislang allerdings macht Europa nicht den Eindruck, auf diese Aufgabe vorbereitet zu sein, geschweige denn sich dieser Aufgabe zu stellen.
Dabei ist die in Europa entstandene Verbindung von Realpolitik und politischem Idealismus nirgends stärker gefragt als gegenüber den globalen Herausforderungen unserer Zeit und hierin auch inhaltlich alternativlos. In dem Maße, in dem die Welt sich von der europäischen Lebensform und vom europäischen Einfluss ablöst, wird nicht nur Europa verlieren. In dem Maße, in dem wir als Europäer die Globalisierung mit unserer europäischen Erfahrung von Fortschritt und Ausgleich prägen, in dem wir vor allem den europäischen Wertvorstellungen von Personalität und Solidarität Geltung verschaffen, kön­nen alle gewinnen. Wahrscheinlich müssen gerade wir Deutschen ein solches Selbstbewusstsein erst lernen. Ich meine, wir dürfen es, und wir sollten dieses Selbstbe­wusstsein haben.

3. Europa als Antwort der Europäer auf die Globalisierung

Die beschriebenen Herausforderungen, welche die Glo­balisierung an Europa adressiert, münden also in der Erkenntnis dessen, was Europas grundlegende Aufgabe in der Globalisierung ist: Europa weiterzuentwickeln und zu formen als die Antwort der Europäer auf die Glo­balisierung. Diese Aufgabe beschreibt die Bewährungs­probe des in der Mitte des 20. Jahrhunderts entstande­nen Europas am Beginn des 21. Jahrhunderts. Wenn Europa an dieser Aufgabe scheitert, wird zwar die EU nicht untergehen. Aber die Aufgabe zu meistern ist uner­lässlich, um die innere Legitimation und die Akzeptanz der Bürger für Europa neu zu begründen.

Das kulturelle Europa

Um die gewaltigen Handlungsaufgaben erfüllen zu kön­nen, die vor uns und vor Europa liegen, bedarf es nach meiner festen Überzeugung eines inneren Zusammen­halts der Europäer, der sich auch in der Ausbildung eines erkennbaren europäischen Selbstbewusstseins nieder­schlägt. Es gibt viele, die behaupten, dass es einer solchen idealistischen Begründung Europas heute nicht mehr bedarf, weil der gemeinsame Markt an sich oder die in ihm ausgelösten Marktkräfte eine ausreichende Kohä­sion bereitstellen. Ich halte das für eine gefährliche Illu­sion. Europa wird ohne einen inneren, immateriellen Konsens nicht handlungsfähig bleiben können, weil es nicht zu einer politischen Einheit heranreifen kann: Ohne Einigkeit aber bleibt Europa schwach und weit hin­ter seinen Möglichkeiten zurück.
Man mag die Befürchtung haben, für die Entwicklung eines solchen inneren Zusammenhalts und Selbstbe­wusstseins sei es zu spät. Und dies gerade deshalb, weil die alten Quellen des europäischen Zusammenhalts -Versöhnung, Selbstbehauptung und wirtschaftlicher Aufstieg – schwächer werden oder gar versiegen. Doch es gibt noch – ältere, aber vitale – Quellen europäischer Identität und europäischen Zusammenhalts. Sie liegen in unserer gemeinsamen europäischen Kultur.
Genau aus diesem Grund hat der damalige Kommis­sionspräsident Romano Prodi im Jahr 2002 eine Reflexi­onsgruppe mit der Aufgabenstellung eingesetzt, die spi­rituelle und kulturelle Dimension Europas auszuloten. In dem von der zwölfköpfigen Gruppe, der neben ande­ren Kurt Biedenkopf, Bronislaw Geremek und Simone Veil angehörten, nach über zweijährigen Beratungen und Diskussionen verfassten Abschlussdokument wird unter anderem unterstrichen, dass das, was uns als Euro­päer ausmacht, nicht einfach in einem Katalog der euro­päischen Werte zusammengeschrieben werden kann, selbst wenn die im damaligen Verfassungsentwurf ent­haltene Charta der Grundrechte in eine solche Richtung verwies. »Europäische Kultur, ja Europa selbst, ist kein
Akzeptiert man, dass die gemeinsame europäische Kultur und Geschichte prägend sein soll für die politi­sche Kultur Europas, hat dies unmittelbare Folgen für die europäischen politischen Institutionen. Das klingt abstrakt, lässt sich aber schnell an einem konkreten Bei­spiel veranschaulichen. Wenn das institutionelle Europa sich auf seine kulturellen Grundlagen verpflichtet, folgt aus seiner kulturellen Vielfalt, dass das politische Europa dezentral organisiert sein muss. Europäische Kultur be­steht in ihrer Vielfalt und nicht in ihrer Uniformität. Die Ausübung politischer Macht in Europa muss es also ebenso sein. Vielfalt im politischen Prozess aber heißt öffentliche Meinungsbildung und verlangt politische Führung, die auf Überzeugungsbildung und Transparenz der Verfahren beruht und sich nicht auf technokratische Überlegenheit zurückzieht.
Das ist für mich auch der eigentliche Grund, warum es in Europa neben der Marktintegration verstärkt eine Vor­stellung von europäischer Solidarität geben muss: Die Verbindung von Marktliberalität und Solidarität, wie sie für unsere soziale Marktwirtschaft konstitutiv ist, ist typisch für die europäische Lebensform insgesamt. Unsere gemeinsame kulturelle Basis muss sich in unseren politischen Institutionen spiegeln, nicht umgekehrt.
Die kulturelle Selbstfindung und Weiterentwicklung Europas ist indes kein Vorhaben, das den Institutionen der EU und den Mitgliedstaaten überlassen werden kann. Eine gemeinsame europäische Kultur als gemeinsamer Schaffensprozess kann letztlich nur als Gegenstand und Ergebnis der zivilgesellschaftlichen Entwicklung Europas gelingen. Aufgabe der Politik ist es, einerseits die zivilge­sellschaftliche Entwicklung in Europa zu fördern, ande­rerseits aber auch durch politische Selbstbegrenzung dafür zu sorgen, dass es die Freiräume gibt, die für das Hervorbringen einer produktiven europäischen Zivilge­sellschaft unerlässlich sind.

Das demokratische Europa

Demokratie als Staats- und Lebensform ist eine der ältes­ten und wichtigsten Leistungen europäischer Kultur. Demokratische Legitimation und die Kontrolle von Macht, die wiederum die Öffentlichkeit der Meinungs­bildung und die Transparenz der Verfahren erfordern, sind darum auch für die politische Ordnung der Europäi­schen Union konstitutiv.
Wie steht es nun um das demokratische Europa? Was besagen die inzwischen drei gescheiterten Referenden über eine neue vertragliche Grundlage Europas für die Akzeptanz Europas durch seine Bürger?
Zunächst: Diese drei Entscheidungen sind zu respek­tieren; schmerzlich sind sie dennoch. Dies nicht nur, weil es sich bei Frankreich und den Niederlanden um Gründungsmitglieder der ursprünglichen Europäischen Gemeinschaft und bei Irland um ein Land handelt, das von der europäischen Integration sehr stark und vor allem wirtschaftlich und finanziell profitiert hat. Das Schmerzliche und zugleich Alarmierende an diesen drei Volksentscheiden ist aber vor allem der Umstand, dass sie nur zufällig in diesen drei Ländern so ausgefallen sind. Es hätte wohl so gut wie überall passieren können, auch in Deutschland.
Worin könnten die Gründe für einen derartig heftigen Vertrauensentzug der Bürger gegenüber den europäi­schen Institutionen liegen? Was drückt sich darin aus? Drei Gründe spielen eine Rolle.
Erstens ist es bei den bisherigen Referenden in Wirk­lichkeit nie um ihren formalen Gegenstand gegangen, also die neuen vertraglichen Grundlagen der Europäi­schen Union. Die Verträge, über die abgestimmt wurde und wird, sind Dokumente mit mehreren hundert Seiten und mit zum Teil hochkomplizierten Bestimmungen. Unabhängig davon, dass dies mitnichten ein Spezifikum europäischer Gesetzgebungswerke ist, muss man wissen, dass solche Texte der öffentlichen Vermittlung, Erörte­rung und Kommunikation schlicht nicht zugänglich sind. Sie sind darum auch ein vollendeter Nachweis, dass Plebiszite über solche Gegenstände nicht nur un­tauglich, sondern vor allem undemokratisch sind. Demokratie ist diskursabhängig; wenn der Diskurs nicht funktioniert, nicht funktionieren kann, dann ist auch die Demokratie gestört.
Zweitens verbirgt sich in der Ablehnung in Frankreich, den Niederlanden und in Irland nach meiner festen Überzeugung ein negatives Urteil der Bevölkerung über das, was ich das »Einerseits zu viel und andererseits zu wenig« der europäischen Politik nenne und als Kern des Legitimationsproblems Europas ansehe: In dem Bemü­hen, die wirtschaftlichen Grundfreiheiten mit dem Ziel einer vollständigen Marktintegration zu verwirklichen, offenbart sich zugleich die thematische Verengung wie die inhaltliche Übertreibung der Politik der Europäi­schen Union im Allgemeinen wie der Politik der Europäi­schen Kommission im Besonderen. Auf diesem Gebiet wird geregelt, verordnet und verwaltet, was oftmals inhaltlich am besten noch nicht einmal ein National­staat regeln sollte. Aber das Bemühen um einen wirt­schafts- und sozialpolitischen Rahmen bleibt regelmäßig auf der Strecke. Die Bürger erleben darum Europa sowohl und zugleich im Über- als auch im Untermaß. Und dies erzeugt Misstrauen.
Drittens drückt sich in den Referenden der Protest der Bürger dagegen aus, dass man ihnen nicht die Möglich­keit gibt, direkt über die Richtung europäischer Politik zu entscheiden. Die Wahlen zum Europäischen Parla­ment können nach der geltenden Rechtslage und auch nach dem neuen Vertrag diese demokratische Funktion nicht für sich beanspruchen, wenngleich der perma­nente und substanzielle Zuwachs an Macht für das Euro­päische Parlament sehr zu würdigen ist. Der demokrati­sche Anspruch der Bürger, selbst und unmittelbar die politische Richtung zu bestimmen, verwirklicht sich bis­lang somit im Wesentlichen in den nationalen Parla­ments- und Präsidentenwahlen. Das ist der Grund, warum die Volksabstimmungen über den Verfassungs­vertrag oder den Vertrag von Lissabon plötzlich eine ganz andere Bedeutung aus der Sicht der Bürger bekom­men haben. Jürgen Habermas hat anlässlich des irischen Referendums völlig zutreffend diagnostiziert, dass in die­ser Abstimmung »sich gewissermaßen die Politik als sol­che zur Wahl« gestellt habe. Die Wahrscheinlichkeit sei groß, dass dies überall mit einem Denkzettel für »die« Politik ende (Süddeutsche Zeitung vom 16.6.2008).
Was folgt daraus? Vor allem, dass es die Gefahr zu ban­nen gilt, dass Europa politisch zu einem Regierungs- und gesellschaftlich zu einem Elitenprojekt wird, das die Unterstützung der breiten Bevölkerung verliert. Europa hat nicht nur die Aufgabe, eine inhaltliche Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung zu geben, es muss auch eine demokratisch legitimierte und deshalb Akzeptanz stiftende Antwort finden. Der dafür unver­zichtbare Diskurs über Inhalt und Richtung von Europa wird nur dann stattfinden, das notwendige Bewusstsein von Europa als politischer Einheit wird nur dann entste­hen, wenn die Bürger Europas dazu aufgerufen werden, in einem einheitlichen Akt ihrem politischen Willen Ausdruck zu verleihen. Ein solcher Akt könnte eine euro­paweite Volksabstimmung über ein Dokument sein, das den Kern der Europäischen Union beschreibt und inso­fern auch überschaubar, vermittelbar und diskutierbar ist. Mit einer solchen Abstimmung müsste dann aber auch der Ernstfall verbunden werden. Wenn eine Nation im Plebiszit ihren Willen bekundet, dass sie nicht dazu­gehören will, sollte dies auch respektiert werden, das heißt den Ausstieg aus der EU zur Folge haben. Der Ernst­fall ist unvereinbar mit einem »taktischen Nein«, das auf die Vereitelung der Fortentwicklung der Europäischen Union und die Beibehaltung des Status quo abzielt. Ich habe vor einigen Jahren, als es um die Frage eines euro­päischen Plebiszits über die Verfassung ging, in einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung meine Ab­lehnung dieses Vorschlags damit begründet, dass sich in einem solchen europäischen verfassungsgebenden Ple­biszit ein europäisches Volk und damit die Eigenständig­keit der EU gegenüber den Mitgliedstaaten konstituiere (FAZ vom 6.5.2004). Ich halte das Argument nach wie vor für richtig, meine Meinung aber inzwischen für falsch. Was wir mehr denn je brauchen in Europa, ist das Bewusstsein der Bürger, als Europäer zusammenzuge­hören und eine von demokratischer Legitimation ausge­hende politische Einheit zu bilden.
Eine solche »demokratische Zuspitzung« Europas müsste sich in der politischen Praxis darin niederschla­gen, dass Europawahlen mit Spitzenkandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten eingeführt werden, genauso wie die Bundestagswahl mit Kandidaten für das Amt des Bundeskanzlers stattfindet. In dem Maße, in dem die Gestaltung Europas in politischen Alternativen personalisierbar und sichtbar wird, steigt die Möglichkeit der Bürger, sich durch Richtungsentscheidung politisch an Europa zu beteiligen.

Das politische Europa

Die dargestellte Verengung der europäischen Integration und die darin liegende Unzulänglichkeit europäischer Handlungsfähigkeit in der Globalisierung ist wahr­scheinlich weniger Ausdruck bewusster politischer Ent­scheidungen als eine ungewollte Folge eines grundlegen­den Irrtums der europäischen Integration. Dieser besteht in der ursprünglichen Annahme, dass die politische Ein­heit Europas sich gleichsam als natürliche Folge der Marktintegration von selbst entwickeln würde. Es sind insbesondere die zentrifugalen Kräfte der Globalisierung, die diese Annahme inzwischen als illusionär erwiesen haben. Der Markt allein ist nicht in der Lage, den politi­schen Zusammenhalt und die gesellschaftliche Solidari­tät zu erzeugen, auf welche die Europäische Union als politische Einheit angewiesen ist.
Aus dieser Analyse ergibt sich im Umkehrschluss eine entscheidende politische Konsequenz. Europa als nach innen und außen politisch handlungsfähige Einheit zu entwickeln ist die Übertragung der europäischen Grün­dungsvision in unsere Zeit. Genau daraus leitet sich auch das konkrete Mandat ab, das europäische Politik heute anzunehmen hat. Es liegt in den Gestaltungsnot­wenigkeiten und -möglichkeiten der Globalisierung, die den Handlungsrahmen der Mitgliedstaaten überschrei­ten. Dabei geht es nicht einfach darum, dem aktuellen Stand europäischer Politik und Gesetzgebung neue Fel­der hinzuzufügen. Die Aufgabe besteht vielmehr darin, das Ungleichgewicht zu korrigieren, das »Einerseits zu viel und andererseits zu wenig« auszubalancieren. Es geht um Limitierung und Erweiterung zugleich.
Was heißt das konkret? Wo muss Europa begrenzt wer­den, und wo muss es erweiterte Möglichkeiten europäi­schen Handelns geben?
Einen ersten Anwendungsfall für die Neubalancierung europäischer Politik liefert das Verhältnis von Wirt­schafts- und Sozialordnung in der Europäischen Union. Für die Durchsetzung der Marktfreiheiten ist die EU rich­tigerweise zuständig. Indessen wird auf diesem Gebiet auch im Kleinen und bis ins Kleinste liberalisiert, sodass jeder Schornsteinfeger aus Kreta ohne rechtliche Behin­derung auch in Königswinter zum Einsatz kommen kann. Die sozialen Folgen europaweit durchgesetzter Marktfreiheiten werden auf die Mitgliedstaaten abge­schoben. Der allgemeine Bedeutungswandel, den die nationalen Sozialordnungen durch die Globalisierung erfahren, wird durch die europäische Integration nicht abgefedert, sondern verstärkt. Wie bereits ausgeführt, bestand im Zeitalter geschlossener Volkswirtschaften die wesentliche Funktion von Sozialordnung darin, dem Marktgeschehen einen Rahmen zu geben und zu korri­gieren. In dem durch die Globalisierung ausgelösten Wettbewerb der Standorte ist der Sozialstaat als Ord­nungsfaktor weithin zum Wettbewerbsfaktor in der Kostenevaluation des Staats als Investitionsstandort mutiert. Doch der Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Freiheit und gesellschaftlicher Solidarität gehört zur europäischen Kultur, und ich bin davon überzeugt, dass die Europäer ihn erhalten und verteidigen wollen. Darum muss das »soziale Europa« der europäischen Marktintegration hinzugefügt werden.
Das Postulat eines sozialen Europas muss allerdings sofort gegen Missverständnisse geschützt werden. Ers­tens bedeutet manche Übertreibung auf dem Gebiet der Marktliberalisierung nicht, dass der europäische Binnen­markt auf allen Gebieten bereits zufriedenstellend funk­tioniert. Dies kann insbesondere nicht für die Freiheit und die Gewährleistung von Wettbewerb auf den Ener­giemärkten festgestellt werden. Die Wohlstandsmeh­rung, die in Globalisierungsländern wie China, Indien, Brasilien etc. stattfindet und mit wachsendem Ressour­cenverbrauch verbunden ist, steigert sowohl die Abhän­gigkeit Europas von außereuropäischen Energielieferun­gen als auch den Kostenfaktor Energie für Produzenten und Verbraucher in Europa. Energieversorgung und Energiesicherheit sind darum keine nationalen Themen mehr. Es sind europäische Themen. Vor diesem Hinter­grund erscheint zum Beispiel das Beharren auf dem iso­lierten nationalen Ausstieg aus der Kernenergie als ebenso ignorant wie gefährlich. Denn einem integrierten Energiemarkt kann man sich wirtschaftlich nicht durch nationale Alleingänge entziehen. Entziehen kann man sich auf diese Weise lediglich der politischen Einfluss­nahme auf die Gestaltung des gemeinsamen Energie­marktes. Ein Ausstieg aus der Betroffenheit ist also nicht möglich, nur ein Ausstieg aus der Verantwortung und der Mitgestaltung.
Ein zweites Missverständnis, das mit der Forderung nach einem sozialen Europa verbunden sein könnte, besteht darin, diese Forderung mit dem Ruf nach einem Ende europäischer Wirtschaftspolitik zu verwechseln. Das Gegenteil ist der Fall. Denn die erfolgte Marktinte­gration ist auf der Basis eines Nebeneinanders der natio­nalen Wirtschaftspolitiken vonstatten gegangen. Dies ist der Grund für die extreme Verrechtlichung, mit der die Marktintegration europäisch durchgesetzt wurde. Sie konnte wegen der Meinungsverschiedenheiten in der Wirtschaftspolitik nicht politisch, sondern musste recht­lich durchgesetzt werden. Die Uneinigkeit in der Wirt­schaftspolitik zählt zu den »Gründungsdissensen« in der europäischen Integration (der andere Dissens betrifft mit dem Verhältnis Europas zu den USA die Außenpolitik), die im Kern ein deutsch-französischer Dissens waren und sind. Wenn Europa sich gerade auch wirtschaftlich gegen die anderen großen Wirtschaftsregionen in Asien und Amerika behaupten will, können wir uns den Luxus dieses Dissenses nicht mehr leisten. Er ist auch deshalb nicht mehr zeitgemäß, weil die Wirklichkeit schon längst über die angebliche konzeptionelle Unvereinbar­keit zwischen deutscher Ordnungspolitik und französi­scher Industriepolitik hinweggegangen ist. Eine Debatte über die wirtschaftspolitische Identität Europas wäre des­halb eine Initiative, die zuvörderst Deutschland und Frankreich Europa schulden. Die gegenwärtige Finanz­marktkrise verleiht dieser historischen Bringschuld der beiden Länder höchste Dringlichkeit. Die Finanzmarkt­krise hat der liberalen Marktgläubigkeit angelsächsischer Prägung die Grundlage entzogen. Sie hat zugleich für die Zeit nach der Krise den wirtschaftskulturellen Wettbe­werb eröffnet zwischen der kontinentaleuropäischen Idee der sozialen Marktwirtschaft, dem angelsächsischen Kapitalismusmodell und der Politik eines staatsautori­tären Kapitalismus, wie wir sie in China oder Russland finden. Dieser Wettbewerb, machen wir uns nichts vor, ist zugleich ein Kräftemessen der Werte und ein Kampf der Interessen. Sowohl unsere Werte als auch unsere Interessen werden wir nur gemeinsam verwirklichen, oder wir werden gemeinsam verlieren.
Schließlich geht es darum, die Handlungsfähigkeit Europas nach außen, bei der Lösung der globalen Pro­bleme und damit letztlich zur Etablierung einer globalen Ordnung zu entwickeln. Der europäische Ansatz in der Klimapolitik hat gezeigt, wie erfolgreich Europa sein kann, wenn, ja wenn es einig ist. Das Scheitern der Doha­Verhandlungsrunde über ein neues Welthandelsabkom­men im Jahr 2008 steht exemplarisch für die politische Uneinigkeit der globalen Welt, die sowohl die innere Uneinigkeit des Westens und Europas als auch die Unei­nigkeit der alten mit den neuen Mächten und Regionen umfasst. Die ungeordnete Globalisierung birgt ein gigan­tisches Gefahrenpotenzial, das von dem US-amerikani­schen Kolumnisten und Publizisten Fareed Zakaria so beschrieben worden ist: »The greatest failure of Western foreign policy since the cold war ended has been a sin of omission. We have not pursued a foreign policy toward the world's newly rising powers that aims to create new and enduring relations with them, integrate them into existing structures of power and lay out new rules of the road to secure peace and prosperity. If the emerging countries grow strong outside the old order, they will freelance and be unwilling to help build a new one. The new world might well be the same as the old – the 19th century world, that is, marked by economic globalization, political nationalism and war« (Newsweek vom 11.8.2008, S. 13).
Die Fähigkeit, interne Interessenunterschiede zu über­winden, sich zu einigen und einen politischen Willen zu definieren, ist darum von existenzieller Bedeutung nicht nur für Europa, sondern weltweit. Nur so haben die glo­balen Probleme wie Versorgung mit Lebensmitteln und Energie, Menschenrechte, Sicherheit, Klima-, Umwelt- und Artenschutz die Chance auf eine Lösung.
Gefordert ist mit anderen Worten eine umfassende »europäische Außenpolitik«. Eine ihrer unverzichtbaren Voraussetzungen besteht darin, das Verhältnis zu den USA zu klären. Dies bedeutet, den zweiten historischen Gründungsdissens der europäischen Einigung zu über­winden. Falsch und aussichtslos wäre es, Europa als Gegenentwurf oder gar als Gegenmacht zu den USA zu konzipieren. Das Ziel muss vielmehr die Partnerfähigkeit Europas mit den USA sein. Diese Chance besteht deshalb, weil einiges dafür spricht, dass die USA mit der allmähli­chen, aber sicheren Auflösung ihrer hegemonialen glo­balen Machtstellung dies anders als früher von den Euro­päern selbst einfordern.
Ein konkretes Projekt gemeinsamer europäischer Außenpolitik läge in der Bildung einer gesamteuropäi­schen Armee, ein Projekt, das im Jahr 2003 von Belgien, Deutschland, Frankreich und Luxemburg zuletzt verfolgt wurde. Vieles spricht dafür, dass sich heute Italien und Spanien beteiligen würden. Und noch mehr, dass die USA dieses Projekt inzwischen befürworten würden. Ein solches Projekt hätte den Vorwurf der Militarisierung von Außenpolitik zwar zu erwarten, aber nicht mehr zu befürchten. Außenpolitik, Abwendung humanitärer Katastrophen wie Völkermord, Abwehr terroristischer Bedrohungen unserer Sicherheit etc. haben ohne militä­rische Fähigkeiten keine Aussicht, ernst genommen zu werden, geschweige denn, dass ein gemeinsames europäisches Handeln möglich wird.

Der Text ist ein Auszug aus dem neuen Buch „Deutschlands beste Jahre kommen noch, Warum wir keine Angst vor der Zukunft haben müssen“, das im Münchner Piper Verlag 2009 erschien. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Piper Verlages.

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Über Röttgen Norbert 3 Artikel
Dr. Norbert Röttgen, geboren 1965, studierte Rechtswissenschaften an der Universität Bonn. Seit 1994 ist er Mitglied des Deutschen Bundestages und seit 2005 der 1. Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU Bundestagsfraktion. Norbert Röttgen lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Königswinter.

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