Ein Wahlmünchner, der nach Chemnitz ging

Buch-Cover und Einladung des Münchner Lenbachhauses, dazu ein Jugend-foto des Galeristen und Kunstsammlers Alfred Gunzenhauser, Foto: Hans Gärtner

Wer in einen württembergischen Betrieb eines alten schwäbischen Müller-Geschlechts hineingeboren wurde und studieren möchte, dem bot sich die Volkswirtschaft als Fakultät seiner Wahl an. Alfred Gunzenhauser (1926 – 2015) zog es nach Studium in Heidelberg, Promotion in Berlin und einer Anstellung bei der AEG mit Macht zur Kunst. Er erklärte München zu seiner Wahlheimat. In den Sechzigerjahren gehörte er schon sehr bald zu den etablierten Galeristen der Maximilianstraße. Doch kehrte er dem  Kaufmännischen gerne den Rücken, um – mit nachweislich weitaus größerer Leidenschaft – in den Bereich des Kunstsammelns zu wechseln – was nicht sofort publik werden sollte. 1954 erwarb er sein erstes Bild, „Vergessene Küste“ von Manfred Bluth, dessen Ankauf er mit monatlich 15 DM abstotterte. Wie heißt es so trefflich und spannend auf einer kurzen Einladung zur Buchpräsentation im Münchner Lenbachhaus? „Erst in den 1990er Jahren wagte er sich“, nun eben ausdrücklich als Sammler, „schrittweise an die Öffentlichkeit, auch in der Hoffnung, einen dauerhaften Platz für sein `Lebenswerk` zu finden“.

Diesen Platz sollte er leider nicht in München, wo er jahrelang maßgeblich das Kunstleben mitbestimmt hatte, sondern in Chemnitz finden. Seit Dezember 2007 gehört das ehemalige sechsstöckige Chemnitzer Sparkassengebäude allein dem „Museum Gunzenhauser“, der Stiftung des großen deutschen Galeristen. Inzwischen ist die Anzahl der hier beherbergten Werke auf gut 3000 gestiegen. Sie gehören durchwegs dem Expressionismus, der Neuen Sachlichkeit und der Abstraktion an. Der  Schwerpunkt lag allerdings auf den Werken von Otto Dix. Allein von ihm stammen 380 Gemälde, die Gunzenhauser zusammentrug. Aber auch andere Künstler, etwa Gabriele Münter oder Alexej von Jawlensky liebte er und integrierte sie nach und nach.

Beide Maler-Größen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind auch im Münchner Lenbachhaus anzutreffen, zu dem Alfred Gunzenhauser eine ganz besondere Affinität hatte. Um die im letzten Frühjahr in der Frankfurter Edition Fichter erschienene erste Gunzenhauser-Biografie (280 Seiten mit über 150 Abbildungen, Hardcover und Lesebändchen, ISBN 978-3-947313-14-3) einem namentlich an der Kunst des 20. Jahrhunderts interessierten Publikum in Gunzenhausers langjähriger Wirkungs-Stadt vorzustellen, lud man den Weimarer Autor Stephan Dahme ein. Das „bewegte Leben des Galeristen, Kunstsammlers und Museumsstifters Alfred Gunzenhauser“, so Dahme, umspanne „beinahe ein Jahrhundert“.

Für den Abend des 27. November wird in den Georg-Knorr-Saal der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, Luisenstraße 33 eingeladen. Direktor Matthias Mühling wird begrüßen, von der in Berlin ansässigen Stiftung Gunzenhauser wird Gisela Vetter-Liebenow sprechen, bevor Stephan Dahme mit den Kunsthistorikern Annegret Hoberg, München und Herwig Guratzsch, Hamburg ins Gespräch kommt.

In bester Erinnerung: Alfred Gunzenhausers „Gastspiel“ in der Stadtgalerie Altötting im April 2012. Der Galerist und Sammler, damals seit fünf Jahren  gefeierter Museumsstifter, der in den Osten der BRD „auswanderte“, um sein „Lebenswerk“ zur vollenden, zeigte sich bei der Vernissage hellwach und humorvoll. Das Sitzen zog er dem Herumstehen und -gehen vor. Voller Stolz präsentierte er unter anderem Grafiken von Günter Grass und, natürlich, von Otto Dix. Er stand der Interviewerin gerne Rede und Antwort. Das Foto zeigt ihn, vier Jahre vor seinem Tod, quasi zusammen mit „Frau Dix“, mit Bleistift gezeichnet. Wann? Vor exakt 100 Jahren.

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Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.