„Das Geheimnis der Liebe ist größer als das Geheimnis des Todes.“ Zur Oper „Salome“ von Richard Strauss

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Die Oper „Salome“ von Richard Strauss wurde zum Prototyp des modernen Musikdramas. Sie gehört seit mehr als hundert Jahren zum Standardrepertoire der großen Opernbühnen der Welt. Nach der erfolgreichen Uraufführung im Jahr 1905 im Königlichen Opernhaus Dresden war Richard Strauss für immer ein angesehener Opernkomponist.  Die zentrale Figur der Oper – Salome – wurde bereits in der Bibel beschrieben. Im Neuen Testament werden die Ereignisse, die zur Ermordung von Johannes dem Täufer führten, ausführlich geschildert. Sie finden sich in den Evangelien von Markus (Markus 6, 14 – 29) und von Matthäus (Matthäus 14, 1 – 12). Namhafte Maler wie Tizian oder Caravaggio haben einzigartige Gemälde von Salome gemalt.

Weltberühmt wurden die Gemälde von Caravaggio zu Salome. Sie zeigen die männermordende und blutrünstige Verführerin. Schon vor dem Einakter „Salome“ von Oscar Wilde und der darauf gründenden Strauss-Oper galt Salome als die typische Femme fatale. Erst später kam mit der Gestalt der „Lulu“ in der gleichnamigen Oper von Alban Berg die von Frank Wedekind erschaffene Lulu als Femme fatale auf die Bühnen der Welt (Csef 2019). Es gibt in der Bibel weitere Beispiele von männermordenden Frauen, die jedoch aus anderen Tatmotiven töteten. So enthauptete Judith den Feldherrn Holofernes mit einem Schwert und Jael tötete mit Hammerschlägen. Wesensmerkmale einer Femme fatale zeigen auch Kundry in Parsifal oder Carmen in der gleichnamigen Oper von Bizet. Carmen jedoch tötet keine Männer und wird selbst Opfer einer Eifersuchtstragödie. Insofern ist Salome bezüglich der Femme-fatale-Merkmale am ehesten vergleichbar mit der Lulu von Frank Wedekind. In beiden Opern werden männliche Hauptfiguren getötet oder bringen sich selbst um. Die weiblichen Protagonistinnen und Übeltäterinnen werden jeweils am Ende selbst getötet. Ausgangspunkt für die beiden Tragödien sind jeweils Ehebruch, Liebesverrat und Verfehlungen in Mann-Frau-Beziehungen. Salome und Lulu sind sexuelle attraktive Verführerinnen, die Männer in den Abgrund stürzen. Leidenschaftliche Verstrickungen im Zusammenhang mit Liebe, Begehren oder Sexualität werden in beiden Opern die Motive für Mord und Totschlag. Lulu ist viermal verheiratet und alle ihre Ehemänner sterben eines gewaltsamen Todes. Sie selbst wird am Schluss vom Lustmörder Jack the Ripper erstochen. Bei Salome begeht der Hauptmann Suizid und Johanaan wird auf ihren Wunsch hin enthauptet.

Im Vergleich von Salome und Lulu offenbaren sich aber auch große Unterschiede. Salome wird bereits in der Bibel im Neuen Testament beschrieben und hat über Jahrhunderte hinweg in der Kunst, vor allem in der Malerei Spuren hinterlassen. Die Lulu von Frank Wedekind ist hingegen eine Neuschöpfung aus dem 20. Jahrhundert. Beide Werke hatten wegen ihrer sexuellen und aggressiven Inhalte erhebliche Probleme mit den Zensurbehörden. Es gab Aufführungsverbote, Gerichtsprozesse und Absetzungen von Aufführungen wegen sittlicher oder moralischer Bedenken.

Die Kunstgeschichte zu Salome ist einzigartig und traditionsreich. Sie reicht von der Bibel bis zu Richard Strauss und seiner Oper im 20. Jahrhundert (vgl. Forner 2023). Tizian war wohl der erste weltberühmte Maler, der Salome bereits im 15. Jahrhundert malte (vermutlich 1485). Lukas Cranach der Ältere malte Salome im Jahr 1530. Es folgten etwa 70 bis 80 Jahre später die berühmten Gemälde zu Salome von Caravaggio (1571 – 1610). Kurz vor seinem Tod schuf er mehrere Salome-Gemälde, die unter Kunstkennern zu den herausragenden Meisterwerken der Malerei überhaupt zählen. Seine Gemälde zeigen die Enthauptung von Johannes dem Täufer durch den Henker und Salome mit dem Kopf des Getöteten.

Vor der Jahrhundertwende 1900 setzten literarische Werke zu Salome wichtige Marksteine: Gustave Flaubert (1877), Oscar Wilde (1891) und Stephane Mallarmé (1896) schrieben Novellen oder ein Drama über Salome. Diese Werke wiederum stimulierten berühmte Maler, Salome darzustellen. Das Drama von Oscar Wilde hatte die größte Breitenwirkung. Aubrey Beardsley fertigte im Jahr 1893 Illustrationen zu einer Buchausgabe von Oscar Wilde an. Bekannt wurden die folgenden Salome-Gemälde von Lovis Corinth, Oskar Kokoschka, Gustave Moreau, Edvard Munch und Franz von Stuck. Zwei Hauptmotive von Salome sind in der Malerei vorherrschend: Der Schleier-Tanz und Salome mit dem blutenden Kopf von Johanaan in der Silberschüssel.

Um die Jahrhundertwende des Fin de siécle – die Jahrzehnte vor und nach 1900 – gab es in der europäischen Moderne eine Faszination für weibliche Femme-fatale-Gestalten. Spuren dieser Kulturschöpfungen finden sich in der Malerei, der Literatur und in der Oper. Die Entdeckung des Unbewussten und Erkenntnisse zur Macht der Triebe in der Psychoanalyse von Sigmund Freud stimulierten die Männer-Phantasien. Alle hier genannten Kulturschöpfungen stammen von Männern und beziehen sich auf Frauen. Im 21. Jahrhundert tauchen vermehrt weibliche Produktionen zu diesem Thema auf.

Kurze Inhaltsangabe

Die Oper spielt zur Zeit des römischen Tetrarchen Herodes II. Antipas. Herodes und seine Ehefrau Herodias haben Ehebruch begangen. Herodias war zuvor mit dem Bruder von Herodes verheiratet und hatte mit ihm die gemeinsame Tochter Salome. Die Prinzessin Salome verachtete ihren Stiefvater Herodes. Johannes der Täufer, der Prophet – in der Oper Jochanaan genannt – kritisierte wiederholt die Blutschande von Herodes und Herodias und wurde deshalb gefangen genommen und in einen Kerker geworfen. In der Kerkerhaft prangerte er weiterhin wortgewaltig die moralischen Verfehlungen des Herrscherpaares an. Herodes verhängte deshalb ein Kontaktverbot des Propheten. In der ersten Szene der Oper wird der Geburtstag von Herodes gefeiert. Salome ist angewidert von der dekadenten Festgesellschaft und langweilt sich. Da hört sie die betörende Stimme von Jochanaan. Sie wird neugierig und möchte ihn sehen. Als sie zudem erfährt, dass er noch sehr jung ist, steigert sich ihr Verlangen nach einer Begegnung. Zuerst wird ihr das verweigert. Dann setzt sie beim Hauptmann ihre Verführungskünste ein, so dass dieser eine erste und einmalige Begegnung mit dem Propheten ermöglicht. Dabei steigert sich Salome mit sinnlichen Angeboten und ihrem unstillbaren Verlangen nach körperlicher Berührung und Nähe hinein. Der Prophet hingegen antwortet mit fanatischer Abwehr und Dialogverweigerung. Er will keinerlei Nähe zulassen und fordert Askese und körperlich-sinnliche Abstinenz. Hier prallen die Gegensätze von Sinnlichkeit und Askese erstmals vehement in der Oper aufeinander. Als Salome unbedingt Jochanaan küssen möchte, stößt dieser sie von sich und verflucht sie. Empört und angewidert kehrt er zurück in seinen Kerker. Salome fühlt sich zutiefst gekränkt und gedemütigt.

Nun taucht Herodes auf und wünscht sich, dass Salome, die er schon längere Zeit begehrt, für ihr tanzt. Sie lehnt dies ab. Daraufhin verspricht er ihr, ihr alles zu geben, was sie von ihm verlangt, falls sie für ihn tanzt. Salome lässt ihn einen Eid auf dieses Versprechen schwören. Dann tanzt sie. Der Schleier-Tanz oder „Tanz der sieben Schleier“ wird zu einer Schlüsselszene der Oper. Der lüsterne Herodes ist befriedigt und Salome präsentiert ihm die Rechnung: Sie fordert das Haupt des Jochanaan in einer silbernen Schüssel. Herodes ist in der Klemme. Er verspricht als Ersatz viele andere wertvolle Dinge, doch Salome lehnt ab und pocht auf die Einhaltung es geschworenen Eides. Herodes sieht sich gezwungen, ihre Forderung zu erfüllen und beauftragt den Henker, der Salome den blutverschmierten Kopf Jochanaans servieren lässt. Salome küsst in einem perversen Sinnenrausch die Lippen des Getöteten. Herodes ist dadurch entsetzt, erschüttert und angewidert. Er befiehlt seinen Soldaten, Salome zu töten.

In der letzten Szene singt Salome:

„Mich hast du nie gesehen. Hättest du mich gesehen, du hättest mich geliebt. Ich weiß es wohl, du hättest mich geliebt. Und das Geheimnis der Liebe ist größer als das Geheimnis des Todes.“

Geschichte der Aufführungen

Richard Strauss hatte die Partitur seiner Oper im April 1905 vollendet. Gustav Mahler setzte sich vehement dafür ein, dass die Uraufführung zeitgleich an der Wiener Staatsoper erfolgen sollte.  Doch die Wiener Zensurbehörden legten ihr Veto ein. Der „Hof-Zensor“ Dr. Emil Jettel von Ettenach schrieb an Mahler:

„…abgesehen von mehr textuellen Bedenken kann ich über das Abstoßende des gesamten Sujets nicht hinaus und kann nur wiederholen: Die Darstellung von Vorgängen, die in das Gebiet der Sexualpathologie gehören, eignete sich nicht für unsere Hofbühne.“

Die moralischen Bedenken waren an der Dresdener Semperoper erfreulicherweise nicht so groß. Dort erfolgte also die Uraufführung am 9. Dezember 1905. Die Resonanz der Opernwelt war überwältigend positiv. In kurzer Zeit erfolgten mehr als zwanzig Aufführungen an renommierten europäischen Opernbühnen.

Nun musste wohl oder übel auch die österreichische Musikszene einlenken. Die erste österreichische Aufführung erfolgte 1906 im Opernhaus Graz unter der musikalischen Leitung von Richard Strauss persönlich. Zeitgenössische Größen der europäischen Musikwelt waren anwesend und gaben dieser Oper eine nachträgliche Würdigung. Die Komponisten Alban Berg, Gustav Mahler, Giacomo Puccini, Arnold Schönberg und Alexander von Zemlinsky erwiesen Richard Strauss durch ihre Anwesenheit die Ehre. Die Erstaufführung in Wien war erst am 15. Mai 1907 im Deutschen Volkstheater als ein Gastspiel aus Breslau. Im März 1907 erfolgte französischsprachige Aufführungen in Paris und Brüssel.

An der Metropolitan Opera in New York erfolgte die erste Aufführung am 22. Januar 1907. Wegen Protesten wichtiger Sponsoren wurde die Oper bald wieder abgesetzt. Erst seit 1934 gehört „Salome“ zum Standardrepertoire der Metropolitan Opera New York.

Die Wiener Staatsoper blieb abweisend bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Erst am 14. Oktober 1918 erfolgte die erste Aufführung an der Wiener Staatsoper. Bei den Salzburger Festspielen wurde „Salome“ zweimal aufgeführt, im Jahr 1992 durch Luc Bondy und im Jahr 2018 durch Romeo Castellucci.

Die Perversität des Propheten

Johannes der Täufer – in der Oper Jochanaan genannt – erscheint vordergründig als der Moralapostel, der die sittlichen Verfehlungen von Herodes und Herodias (Ehebruch, Blutschande) anprangert. Er verkündet die Ankunft des Heilands, lobt Gott und zeigt Salome gegenüber eine Askese, die mit Körperfeindlichkeit und Triebfeindlichkeit verknüpft ist. Ihm fehlen Empathie, Herzenswärme und Dialogbereitschaft. Er wirkt regelrecht verbohrt in seinen Monologen. Auf den ersten Blick erscheint er wie ein Bote einer besseren Welt. Doch bald entpuppt er sich als starrsinniger, verblendeter und dogmatischer Fanatiker. In einem Brief an Franz Schrecker schrieb deshalb Richard Strauss:

„Wenn Sie die Figuren des Stückes betrachten, so sind es eigentlich lauter perverse Leute, nach meinem Geschmack, der perverseste der ganzen Gesellschaft ist – der Jochanaan.“

Die Tragik von Salome

Als Stieftochter des Tetrarchen und als Prinzessin hat Salome eine schwierige Rolle. Sie ist sehr jung und unerfahren, spürt sehr wohl die begehrlichen Blicke ihres Stiefvaters Herodes und verachtet ihn. Sie ist noch in kindlichen Verhaltensmustern verhaftet, versucht mit kindlichem Trotz ihre Wünsche durchzusetzen. Sie hat sehr wohl Verführungskünste, wenn sie dem Hauptmann um den Finger wickelt und ihn überredet, ihr eine Begegnung mit Jochanaan zu ermöglichen, obwohl Herodes dies strengstens verboten hat. In der Begegnung mit Jochanaan offenbart sie allerdings ihre kommunikative Unerfahrenheit. Sie beharrt auf ihren kindlichen Wünschen. Viele ihrer Sätze beginnen mit den Worten „Ich will…“. Sie stellt Forderungen und zeigt wenig Dialogfähigkeit. Insofern beharren beide auf ihren Positionen und fühlen sich zu wenig in die Andersartigkeit des anderen ein. Sie hören einander zu wenig zu und bewegen sich nicht auf den anderen zu. Der Dialog entgleist vollends, weil Jochanaan immer mehr zum Verweigerer und Abweisenden wird, während Salome in immer neuen Bildern ihre eigenen Wünsche und Forderungen wiederholt. Als Jochanaan erfährt, dass Salome die Tochter der von ihm verhassten unmoralischen Herodias ist und zudem Salome trotz eindeutiger Weigerungssignale versucht, ihn zu küssen, ist alles verloren. Er weist sie abrupt ab, stößt sie von sich und geht schimpfend und fluchend in den Kerker zurück. Salome ist die gedemütigte und zurückgewiesene Frau. Ihr Begehren hat keine positive Resonanz gefunden. Sie ist narzisstisch gekränkt und leidet unter der enttäuschten Liebe. Aus dieser Enttäuschung entwickelt sich immer mehr eine unbändige „Enttäuschungswut“, die abfällige Bemerkungen, Entwertungen, Rachebedürfnisse und letztlich Todeswünsche hervorbringt. Sie fordert seinen Kopf – und Herodes sieht sich gezwungen, sein Versprechen zu erfüllen und seinem Eid getreu zu handeln.

Konflikt zwischen Askese und Sinnlichkeit

In mehreren aktuellen Deutungen der Salome-Oper wird der Konflikt zwischen Askese und Sinnlichkeit als zentrales Element für die Dynamik der Tragödie gesehen (Gier 2000, Benedict 2014, Forner 2023). In der Freudschen Psychoanalyse entspricht dies dem inneren Konflikt zwischen Sexualtrieb und Moral, auf der Instanzen-Ebene der Konflikt zwischen dem triebhaften Es und dem streng moralischen Über-Ich. Dabei ist das Triebleben weitgehend unbewusst, während moralische Prinzipien sehr bewusstseinsnah sind. In der menschlichen Entwicklung ist die Wahrnehmung und Bewältigung dieses inneren Konfliktes von großer Bedeutung. Jeder Mensch hat mehr oder weniger diese Konfliktdynamik. Ein wichtiger Entwicklungsprozess liegt darin, inwieweit der Umgang mit diesen Konflikten in realen Beziehungen zwischen Liebespartnern geübt wird. Dieses Konfliktthema bezieht sich nicht nur auf Mann-Frau-Beziehungen, sondern prägt auch lesbische und männlich-homosexuelle Liebesbeziehungen. Die Konfliktthemen werden meist durch Liebesverrat, „verbotenes sexuelles Begehren“, Fremdgehen oder Ehebruch krisenhaft zugespitzt. Gerade hier zeigt sich die große Aktualität der Salome-Oper. Der Ehebruch von Herodes und Herodias ist Ausgangspunkt der Tragödie. In der Gegenwart sind ebenfalls sexuelle Untreue, Fremdgehen oder Ehebruch Auslöser für Beziehungskrisen, Trennungen und Scheidungen. Der Konflikt zwischen Askese und Sinnlichkeit – zwischen Trieb und Moral – kann intrapsychisch oder intersubjektiv sein. Jeder Mensch trägt beide Pole mehr oder weniger in sich. Bei Salome und Jochanaan ist dieser Konflikt jeweils auf eine Person polarisiert. Beide lebten vor ihrer Begegnung in einer Eigenwelt und sie hatten zu wenig kommunikative Erfahrung, diesen Konflikt in sich selbst zu lösen. Jochanaan war und blieb der Asket und moralische Fanatiker. Salome war und blieb die emotionale, sinnliche und triebfreundliche Frau. Sie forderte vorbehaltlos immer wieder ihr sexuelles Begehren und körperliche Nähe, er sträubte und weigerte sich immer mehr. Beide beharrten auf ihrer Position und Haltung. Sie konnten sich nicht für den anderen öffnen, ihm zuhören, ihn verstehen oder mitfühlend kommunizieren. Gerade deshalb mussten beide scheitern und massiv enttäuscht das Schlachtfeld des Geschlechterkampfes verlassen. Bei Salome entstanden aus der Enttäuschungswut intensive Rachebedürfnisse und Todeswünsche. Diese kosteten Jochanaan den Kopf.

Liebe und Tod in der Oper

Die bis in die Gegenwart anhaltende Faszination für die Oper hat sicher eine Wurzel darin, dass zutiefst menschliche Themen aufgegriffen und dargestellt werden. Oft liegt der Oper ein bedeutsames literarisches Werk zugrunde. Das Orchester, die Stimmen der Sängerinnen und Sänger, das Bühnenbild, die Kostüme und alles, was die Oper ausmacht, verstärken diese Wirkung. Oft geht es um Liebe und Tod. Einer der aussagekräftigsten Sätze der Salome-Oper steht in der Überschrift dieser Abhandlung:

„Das Geheimnis der Liebe ist größer als das Geheimnis des Todes.“

Vermutlich jeder Mensch möchte in seiner Weise das Geheimnis der Liebe selbst erleben, erfahren, spüren und fühlen. Und dieses Geheimnis mit einem liebenden Partner teilen. Je mehr Lebenserfahrung ein Mensch hat, desto bewusster nimmt er wahr, dass viele Liebesbeziehungen scheitern – jeweils in einmaliger Weise.

In der Oper tauchen Liebe und Tod sehr vielgestaltig auf. Es gibt den Liebestod von jungen Paaren, die sich verstricken und verfehlen, die an Missverständnissen und Fehleinschätzungen scheitern: Tristan und Isolde sowie Romeo und Julia. Dann gibt es die großen Eifersuchts-Tragödien auf der Operbühne, die überwiegend für die Frau tödlich enden: Carmen von George Bizet und Otello von Verdi Salome und Lulu als die Prototypen der Femmes fatales wurden hier bereits ausführlich beschrieben. Norma und Medea töteten ebenfalls nach enttäuschter Liebe aus Eifersucht und Rachsucht.

Oscar Wilde (1854 – 1900), der mit seinem Drama die Vorlage für die Salome-Oper von Richard Strauss lieferte, hat sich mit der Verschränkung von Liebe und Tod intensiv auseinandergesetzt. In Programm-Heften zur Salome-Oper wird oft folgender Satz von Oscar Wilde zitiert:

„Doch jeder tötet, was er liebt“.

Kurz vor seinem Tod verbrachte Oscar Wilde eine zweijährige Haftstrafe in einem Zuchthaus. Dort schrieb er „Die Ballade vom Zuchthaus zu Reding“ (1898). In dieser Ballade wird der Satz „Doch jeder tötet, was er liebt“ mehrmals wiederholt. Der Anlass für die Ballade war die Hinrichtung eines Mithäftlings. Der 30 Jahre alte Kavalleriesoldat Charles Thomas Wooldridge hatte aus Eifersucht seine Ehefrau ermordet und wurde deshalb zum Tode verurteilt

(vgl. Csef 2020).

Moderne Deutungen: Toxische Männlichkeit prallt auf weiblichen Narzissmus

Am 16. Juni 2023 war am Staatstheater Meiningen die Premiere zu einer Salome-Inszenierung. Im Zentrum dieser Aufführung ist das kommunikative Sich-Verfehlen der Hauptprotagonisten. Die Dramaturgin Claudia Forner und Regisseurin Verena Stoiber betonten die Dialogunfähigkeit und fehlende Empathie – sowohl bei Salome als auch bei Jochanaan. Beide sind jung und noch wenig beziehungserfahren. Sie können sich nicht öffnen für den anderen, sich einfühlen, auf den anderen zugehen, eigene Positionen überprüfen. Das Drama hat ja eine längere Entwicklung, in der die beiden die Konflikte und Verschiedenheiten hätten spüren und kommunizieren können. Das konnten sie aber nicht. Sie verharrten auf ihren extremen Positionen. Salome wusste zwar was sie wollte – körperliche Nähe, sexuelles Begehren, eine befriedigende Liebesbeziehung. Aber sie verharrte in ihrem weiblichen Narzissmus. Sie blieb selbstbezogen bei ihren Forderungen und war nicht zum Brückenschlag vom Ich zum Du fähig. Deshalb konnte sie die Verweigerungshaltung von Jochanaan nicht auflockern, sondern verstärkte diese immer mehr bis zur Eskalation. Jochanaan wird von Anfang an als wenig liebesfähig und empathisch geschildert. Richard Strauss selbst charakterisierte ihn als die „perverseste Figur“ seines Musikdramas. Die maligne und pathologische Beziehungsdynamik brachte die Dramaturgin Claudia Forner sehr treffend auf den Punkt mit den Worten „Toxische Männlichkeit prallt auf weiblichen Narzissmus.“ (Forner 2023, S. 13). Mit diesen Chiffren werden zwei Phänomene männlicher und weiblicher Beziehungsdefizite anvisiert, die in der Gegenwart in den Social Media und in der psychologischen Fachliteratur heftig diskutiert werden.

Rezeption und Wirkgeschichte

Die Oper Salome von Richard Strauss war von der ersten Uraufführung an ein großer Erfolg. Mehr als hundert Jahre Operngeschichte belegen die nachhaltige Beliebtheit dieser Oper. Immer wieder neue Inszenierungen greifen aktuelle Beziehungsthemen oder gesellschaftliche Herausforderungen auf, bieten Lösungsmöglichkeiten an oder zeigen Abgründe oder Risiken in Liebesbeziehungen auf. Denn es geht ja zentral um die Geheimnisse von Liebe und Tod.

Im „Handbuch der Oper“ (Kloiber, Konold, Maschka 2016) wurde die Nachhaltigkeit dieser Oper wie folgt zusammengefasst:

„Der triumphale Erfolg machte Strauss mit einem Schlag zum führenden Musikdramatiker der Gegenwart, und weder das Zetergeschrei der Philister noch die Prüderie mancher Hoftheater-Zensurstellen konnten es verhindern, dass sich das aufsehenerregende Werk in Kürze alle großen Bühnen des In- und Auslandes eroberte.

Literatur

Benedict, Hans-Jürgen, Hättest du mich angesehn, Jochanaan, du hättest mich geliebt. Salome und Johannes der Täufer. Deutschlandfunk Kultur vom 29. 6. 2014

Csef, Herbert, Der Femme-fatale-Mythos und seine moderne Inszenierung in „Lulu“ von Frank Wedekind. Internationale Zeitschrift für Philosophie und Psychosomatik Ausgabe 1/2019, S. 1 – 12

Csef, Herbert, „Doch jeder tötet, was er liebt.“ (Oscar Wilde). Der Intimizid – die Tötung des Liebespartners. Tabularasa Magazin vom 3. April 2020

Forner, Claudia, Salome – von der Bibel bis zur Oper. Programmheft Staatstheater Meiningen, Premiere vom 16. Juni 2023, Seite 20 – 24

Gier, Albert, Salome: Literatur wird Oper. Vortrag an der Staatsoper Unter den Linden, Berlin, vom 3. Januar 2020

Kloiber, Rudolf, Konold, Wulf, Maschka, Robert, Handbuch der Oper. 14. Überarbeitete Auflage, Bärenreuter & Metzler, Kassel und Stuttgart 2016

Wilde, Oscar, Die Ballade vom Zuchthaus zu Reading. Insel Verlag, Leipzig, 1970

Wilde, Oscar, Salome. Schriften, Aphorismen und „Die Ballade vom Zuchthaus zu Reading“. 9. Auflage, Insel-Taschenbuch, Frankfurt am Main 1996

 

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med. Herbert Csef, An den Röthen 100, 97080 Würzburg

Email:  herbert.csef@gmx.de

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Über Herbert Csef 136 Artikel
Prof. Dr. Herbert Csef, geb. 1951, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker. Studium der Psychologie und Humanmedizin an der Universität Würzburg, 1987 Habilitation. Seit 1988 Professor für Psychosomatik an der Universität Würzburg und Leiter des Schwerpunktes Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums. Seit 2009 zusätzlich Leiter der Interdisziplinären Psychosomatischen Tagesklinik des Universitätsklinikums. Seit 2013 Vorstandsmitglied der Dr.-Gerhardt-Nissen-Stiftung und Vorsitzender im Kuratorium für den Forschungspreis „Psychotherapie in der Medizin“. Viele Texte zur Literatur.