Der Wunderwuzzi aus Tirol – Aufstieg und Fall des Immobilien-Tycoons René Benko

Berliner Wohnhaus, SGL

Der rasante Aufstieg und der tiefe Fall des österreichischen Selfmade-Milliardärs René Benko beschäftigt aktuell die Öffentlichkeit in Deutschland und Österreich. Mehr noch irritieren die Vorgänge die Menschen, die unmittelbar betroffenen sind: Geldgeber und Gläubiger, die fürchten müssen, den Großteil ihres Vermögens zu verlieren. Alle Handwerker und Firmen, die in diesen Strudel gezogen werden, weil sie ihre Leistungen nicht mehr bezahlt bekommen. Folgepleiten bei Geschäftspartner. Zahlreiche verstrickte Politiker, die in den Focus medialer Schlagzeilen geraten können. Alle, die selbst ein Haus bauen, kaufen oder verkaufen wollen. Sie werden das durch die größte Immobilienpleite Europas ausgelöste Erdbeben zu spüren gekommen. Und natürlich die etwa 15.OOO deutschen Beschäftigten von Galeria Karlstadt Kaufhof, die der überwiegend von Benko kontrollierten Signa Holding gehört. Die Dachgesellschaft Signa Holding und mittlerweile viele der zahlreichen Tochterfirmen haben vor einigen Wochen Insolvenz angemeldet. Wie hoch letztlich der finanzielle Verlust für die Betroffenen Geldgeber und Gläubiger ist, ist aktuell schwer einzuschätzen. Nach Medienmeldungen klafft ein „Loch“ von etwa 5 Milliarden Schulden, die die Signa Holding nicht mehr begleichen kann. Mit dem Insolvenzantrag erklären sich die Holding und die betroffenen Tochterfirmen für „zahlungsunfähig“. Mitarbeiter bekommen ihr Gehalt nicht mehr, Baustopp auf vielen deutschen Groß-Baustellen, Gläubiger bangen um ihr Geld.

Das US-Magazin Forbes schätzte im Jahr 2021 das Vermögen von René Benko auf 5,6 Milliarden Dollar und erklärte ihn zum drittreichsten Österreicher. Ende 2023 wird Benko auf der Liste der „Worlds Billionaires“ nicht mehr aufgeführt. Der Großteil des Privatvermögens von René Benko ist durch die „Familie-Benko-Privatstiftung“ vor Zugriffen abgesichert. Die wirtschaftliche und juristische Abwicklung wird wohl noch lange dauern. Erst dann wird überschaubar, wie groß der „Flurschaden“ ist. Es erfolgt aktuell ein Sanierungsversuch, bei dem sich Ende Februar 2024 zeigen wird, ob dieser gelingt.

Wie konnte es zu dieser dramatischen Entwicklung kommen? Ab wann und wodurch geriet das Signa Imperium in Schieflage? Welche einflussreichen Akteure waren wie beteiligt (Politiker, reiche Investoren, Banken, Versicherungen)? Warum wurden Warnsignale nicht beachtet?

Nicht nur die größte Pleite Österreichs – erhebliche Konsequenzen für Deutschland

Mit der Signa Holding ist einer der größten Immobilien-Konzerne Europas insolvent geworden. Die Erschütterungen betreffen überwiegend den deutschen und österreichischen Immobilienmarkt. Die Signa-Tochtergesellschaft Signa Prime Selection besitzt zahlreiche Prestige-Objekte in deutschen Großstädten (Übersicht bei Konzett 2023, Malcher 2023, 2024, Welp 2023, Pache 2023). In der Hauptstadt Berlin sind es das Hochhaus „Upper West“ und das Kaufhaus des Westens (KaDeWe). Bei einem großen Immobilien-Deal im Jahr 2018 wurde allein in Berlin Top-Immobilien im Gesamtwert von 1,5 Milliarden Euro von Signa gekauft, darunter das „Upper West“. In Hamburg besitzt Signa die Alsterarkaden und das Alsterhaus. Das Prestige-Objekt – der Elbtower – befindet sich im Bau und ist im Rohbau etwa zur Hälfte erstellt, aktuell ist Baustopp wegen Zahlungsunfähigkeit. Die Baukosten des Elbtowers betragen etwa 1 Milliarde Euro. Weitere große Bauprojekte der Signa befinden sich in Düsseldorf, Stuttgart und München. Der Signa Holding gehört die Kaufhaus-Kette Galeria Karlstadt Kaufhof (GKK) mit etwa 80 deutschen Kaufhäusern und 15.000 Mitarbeitern. Im Jahr 2021 erhielt die GKK wegen drohender Insolvenz und der Corona-Belastungen eine Staatshilfe aus deutschen Steuergeldern von fast 700 Millionen Euro. Die vereinbarten Rückzahlungen werden wohl nicht mehr erfolgen. Was wird aus den Kaufhäusern der GKK und den Arbeitsplätzen der 15.000 Mitarbeiter?

Die Essener RAG-Stiftung ist eine der größten deutschen Stiftungen und hat Gemeinwohl-Aufgaben im Ruhrgebiet. Die RAG-Stiftung hat erhebliche Summen in Signa-Tochterfirmen investiert – als renditeträchtige Kapitalanlage. Im Kuratorium (Aufsichtsrat) der RAG-Stiftung sitzen u.a. Wirtschaftsminister Robert Habeck, Finanzminister Christian Lindner und NRW-Ministerpräsident Christian Wüst. Diese haben die Signa-Investitionen der RAG-Stiftung mitentschieden und mitzuverantworten (Übersicht bei Malcher 2024).

Wer ist René Benko? – Kurzes biographisches Porträt

René Benko wurde am 20. Mai 1977 in Innsbruck geboren. Sein Vater arbeitete bei der Gemeinde, die Mutter war Erzieherin. Er besuchte die Handels- und Wirtschaftsakademie, verließ jedoch diese höhere Schule ohne Abschluss. In der Folgezeit machte er zwei Erfahrungen im Wirtschaftsleben. Er besuchte Schulungen beim deutschen Finanzdienstleister AWD, der wegen seines Pyramiden-Provisions-Systems und der Verkaufsmethoden („Keilen“, bedrängen, ausnutzen) wiederholt in die Kritik geraten war. Weiterhin machte er erste Erfahrungen im Bau- und Immobiliensektor. Er begann damit, in seiner Heimatstadt Innsbruck alte Dachböden auszubauen und als Luxuswohnungen zu verkaufen. Das war sehr lukrativ und mit zwanzig Jahren hatte er bereits ein selbstverdientes Vermögen von 1 Million Schilling. Er wollte mehr und größere Immobilienprojekte. Da lernte er den reichen Tankstellen-Erben Karl Kovarik kennen, der mit einem Teil seines Vermögens eine Starthilfe für eine gemeinsame Immobilienfirma in Höhe von 26 Millionen Euro einbrachte. Beide gründeten also im Jahr 2001 die Immofino Holding, die 2006 als Signa Holding umbenannt wurde.

Sein Privatleben hütet René Benko wie sein größtes Geheimnis. Er ist in zweiter Ehe mit Nathalie Benko (geborene Sterchele) verheiratet. Das Elternpaar hat vier Kinder. Bis zum Jahr 2005 war Benko in erster Ehe verheiratet und hat aus dieser Beziehung eine Tochter. Die zweite Ehefrau Nathalie war vor der Ehe als Model tätig und sehr attraktiv. Mit ihr ließ er sich in sehr freizügigen Posen fotografieren uns wollte auch, dass diese Bilder verbreitet werden. Die maximale Steigerung des Narzissmus: der erfolgreiche Selfmade-Milliardär mit dem bildhübschen Ex-Model.

Der Aufsteiger und Wunderwuzzi – vom Schulabbrecher zum Selfmade-Milliardär

Nach der Umbenennung in die Signa Holding wollte René Benko noch höher hinaus. Er vergrößerte seinen Konzern sukzessive und gründete immer neue Tochterfirmen, so dass sich ein hochkomplexes Firmengebilde entwickelte, das selbst die meisten Geldgeber nicht wirklich einschätzen konnten. Beim Insolvenzantrag im November 2023 hatte die Signa Holding etwa 1000 Tochterfirmen. Der rasante Aufstieg gelang ihm durch zwei sehr effektive Strategien. Er gewann zunehmend reiche Investoren und die Unterstützung von einflussreichen Politikern – insbesondere durch die beiden Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer und Sebastian Kurz. Bald hatte der Immobilienkonzern von René Benko ein Immobilien-Portfolio im zweistelligen Milliardenbereich. Im Jahr 2012 kaufte er in Berlin das renommierte Kaufhaus des Westens (KaDeWe) und 16 Karstadt-Immobilien für 1,1 Milliarden Euro. Die deutsche Hauptstadt Berlin war bei ihm besonders begehrt, denn im Jahr 2018 kaufte er allein in Berlin große Immobilien für 1,5 Milliarden Euro, darunter das Hochhaus „Upper West“ und vier weitere Tophäuser. Weitere große Prestige-Objekte hatte er in seiner Heimat Österreich – vor allem in Wien und Innsbruck. In deutschen Großstädten erwarb er in den Innenstädten große Immobilien-Objekte, meistens Hochhäuser als Gewerbe-Immobilien an den Standorten Hamburg, München, Stuttgart und Düsseldorf. Das traditionsreiche Kaufhaus Oberpollinger in München, die Alsterarkaden, das Alsterhaus und die Gänsemarkt-Passage in Hamburg sowie die Alte Akademie in München sind renommierte Beispiele. In den Jahren 2013 und 2014 kaufte die Signa Holding die deutschen Kaufhausketten Galeria Karlstadt Kaufhof. Die Stadt Hamburg plante von 2017 an einen repräsentativen Wolkenkratzer in der Hamburger Hafencity. Es sollte nach dem Commerzbank Tower und dem Messeturm in Frankfurt am Main das dritthöchste Gebäude Deutschlands werden. Die Signa Holding von René Benko erhielt nach langem Ringen im März 2019 den Zuschlag. Der österreichische Immobilien-Konzern Signa kaufte das große Grundstück für 122 Millionen Euro. Der Elbtower sollte von 2021 bis 2026 gebaut werden, 245 Meter hoch werden und 64 Etagen umfassen. Die Baukosten wurden auf 1 Milliarde Euro geschätzt. Seit der Insolvenz im November 2023 ist Baustopp, weil Signal die fälligen Rechnungen nicht mehr bezahlen konnte. Der Elbtower ist zur Hälfte fertig und es ist ungewiss, wann und wie es mit diesem „Prestige-Objekt“ weitergehen wird.

Der schier unaufhaltsame Aufstieg von René Benko hat die Wirtschaftswelt beschäftigt. Er hat immer sehr geschickt die Medien eingesetzt, wenn er seine Erfolge dem ganzen Land demonstrieren wollte. Er ließ sich dann gerne mit Politikern wie die beiden Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer und Sebastian Kurz oder mit anderen Prominenten fotografieren. Die mediale Selbstdarstellung war ihm sehr wichtig – aber er wollte diese steuern und kontrollieren. Sein Privatleben war für die Öffentlichkeit tabu und Interviews gab er keine. Durch seine Erfolge hatte er aber eine hohe Präsenz und Aufmerksamkeit in den Medien. Er bekam in den Medien den Spitznamen „Wunderwuzzi“ – ein Wort, das in Österreich gerne für Alleskönner, Tausendsassa oder besonders erfolgreiche Menschen verwendet wird. Mittlerweile gibt es hunderte von Zeitungsartikeln, in denen René Benko bereits in der Überschrift als Wunderwuzzi tituliert wird. Würde man 1000 Österreicher fragen, welche Person der Gegenwart Wunderwuzzi genannt wird, würden sicherlich die meisten René Benko nennen. Die Erfolgsstory in den Medien war analog wie der amerikanische Traum – vom Tellerwäscher zum Millionär – bei Benko die Formulierung „vom Schulabbrecher zum Selfmade-Milliardär“.

Das „Geschäftsmodell“ von René Benko

Seit der Insolvenz von Benko’s Signa Holding bemühen sich Wirtschafts- und Finanzexperten darum, den Aufstieg und den Absturz von Benko zu erklären. Ein Schlüssel hierzu ist das Geschäftsmodell von Benko, das ja viele Jahre zweifelsohne sehr erfolgreich und lukrativ war. Das Hauptgeschäft war der Erwerb von großen Gewerbe-Immobilien in europäischen Metropolen. In Phasen der Nullzinspolitik und steigender Immobilienpreise funktionierte das Geschäftsmodell hervorragend.  Die Marktlage ließ es zu, dass Benko die Mieten maximal erhöhte und angesichts dieser gestiegenen Einnahmen die Werte des Objekts neu bewerten und erhöhen ließ. Dafür bekam er wiederum mehr Kredite von Banken, Versicherungen oder Investoren. Großinvestoren wie der vermögende Niki Lauda verkündeten in den Medien, dass er durchschnittlich zwischen 15 und 20 Prozent Rendite mit seiner Beteiligung erzielte, während die Bankzinsen für Guthaben bei null Prozent lagen oder sogar Negativzinsen berechnet wurden. Diese Konstellation lockte auch öffentlich-rechtliche Geldgeber an, die sich anfangs über die hohen Renditen freuten – öffentlich-rechtliche Sparkassen, Landesbanken oder Stiftungen. Natürlich auch Privatbanken und Versicherungen. Als wegen Inflation, Corona-Pandemie und Russland-Ukraine-Krieg die Kreditzinsen durch Leitzins-Erhöhungen der EZB stiegen, erwies sich dieses Geschäftsmodell als Falle: der Immobiliensektor geriet in eine Krise, die Immobilienpreise fielen, die Zinsen stiegen. Die bisherigen Renditen schmolzen weg wie Schnee in der Sonne und die erforderlichen Kreditsummen stiegen. In der Corona-Pandemie fiel die Nachfrage nach Gewerbe-Immobilien, weil Homeoffice immer mehr zum bevorzugten Modell wurde. Folglich waren die teuer erworbenen Gewerbe-Immobilien auch nicht mehr oder nur zu deutlich niedrigeren Beträgen verkaufbar. Gleichzeitig stiegen die erforderlichen Kredite wegen der erhöhten Zinszahlungen. Im November 2023 war die Signa Holding bankrott, d.h. zahlungsunfähig. Sie konnte nicht mal mehr die Löhne der eigenen Mitarbeiter bezahlen. Beim zuständigen Gericht in Wien erfolgte schließlich der Insolvenzantrag. Mitte Februar wird sich entscheiden, ob die Gläubiger den Vorschlägen der Insolvenzverwalter zustimmen. Dann folgt entweder Sanierung oder Konkurs und radikale Verwertung der veräußerbaren Vermögenswerte.

Vorliebe für Luxus und Status-Symbole

René Benko war Medien gegenüber immer scheu wie ein Reh. Er gab keine Interviews. Erklärte sein Privatleben zum Tabu. Aber er liebte die Selbstdarstellung und Selbstinszenierung in den Medien – dann, wenn er sie bestimmen, steuern und kontrollieren konnte. Er bestimmte, welche Fotos von ihm und bekannten Politikern oder Prominenten veröffentlicht werden durften. Er lud die Presse ein, wenn er wollte – zur Selbst-Inszenierung, um seine Erfolge zu demonstrieren in einer Siegerpose. Die Vorliebe für Luxus und Statussymbole hatte der Schulabbrecher schon im Jugendalter. Goldkettchen mussten sein, sagten schon seine Schulkameraden. Sobald er einen Führerschein hatte, musste es ein roter Ferrari sein, mit dem er durch die Innsbrucker Straßen brauste. Das teure Auto war geleast oder von reichen Freunden geliehen. In späteren Jahren wurden die von René Benko bevorzugten Statussymbole deutlich teurer: ein Privatjet und eine Yacht im Wert von 40 Millionen Euro und eine wertvolle Gemäldesammlung. Nun musste er nicht mehr mit dem Ferrari von Innsbruck nach Wien fahren, er flog einfach mit seinem Privatjet.

Die Selbst-Inszenierung zeigte sich später durch medienwirksame Auftritte mit befreundeten Politikern (Alfred Gusenbauer, Sebastian Kurz) oder reichen Investoren (z.B. der Strabag-Vorsitzende Hans Peter Haselsteiner). Diese Fotos suggerieren: So sehen heute die Sieger und Gewinner aus!

Die Wiener Philosophin und Narzissmus-Expertin Isolde Charim (2019, 2022) hat das Phänomen René Benko jahrelang verfolgt und analysiert. Sie sieht seine gesteuerte und kontrollierte Selbst-Inszenierung als zentrales psychodynamischen Element. Benko war ihrer Meinung nach gierig und suchtartig abhängig von öffentlicher Aufmerksamkeit und Anerkennung. In der Pose des einmaligen Gewinners wollte er überall in den Medien erscheinen und bewundert werden. Deshalb weiß in fast ganz Österreich jeder, dass es nur einen Wunderwuzzi gibt – und das ist René Benko, der strahlende Gewinner. Die Gier nach Aufmerksamkeit ist typisch für narzisstisch strukturierte Führungskräfte, die dann immer risikofreudiger und „größenwahnsinnig“ werden können (Csef 2016, 2020). Verlierer zu sein oder Niederlagen zu ertragen – das kommt im narzisstischen Drehbuch von René Benko nicht vor.

Wie das Schauspiel nun weitergeht, nachdem der Wunderwuzzi durch die Insolvenz und den Absturz entzaubert wurde, das bleibt offen und spannend. Seit dem Insolvenzantrag bis heute (Stand Ende Januar 2024) ist René Benko vollkommen untergetaucht. Er versteckt sich feige. Ist einfach verschwunden. Keiner weiß, wo er ist. Er zeigt sich nicht. Er ist nicht zu erreichen und nicht zu sprechen. Die etwa 15000 Mitarbeiter von Galerie Karstadt Quelle beklagen sich in den Medien, dass ihr „Boss“ kein einziges Wort zu ihrer Lage oder ihrer Zukunft verliert. Er ist weg, untergetaucht, und ihr Schicksal ist ihm schlicht egal. Verantwortung und Moral kennt er nicht. Ob er jemals juristisch zur Verantwortung gezogen wird, ist zweifelhaft. Er hat wohl „seine Schäfchen im Trockenen“: er hat in gute Zeiten die riesigen und manipulierten Gewinne in seine Privat-Stiftung transferiert, an die vermutlich geschädigte Gläubiger und staatliche Institutionen nicht rankommen. Immerhin: Benko und Signa stehen für die größte Pleite in Österreich seit dem Zweiten Weltkrieg! Die weiße Weste des allseits bewunderten Gewinner-Typs hat gravierende schwarze Flecken bekommen. Sein Image-Schaden ist ebenso groß wie sein Aufstieg. Ob Benko strafrechtlich belangt werden kann, ist noch ungewiss.

Hybris und Narzissmus – „Gier frisst Hirn“

Eine spannende Frage wird sein, weshalb alle beteiligten Akteure dieses teuflische Spiel mitgespielt haben: die risikobereiten Geldgeber, die jahrelang satte Renditen einkassiert haben, die Politiker, die Provisionen in Millionenhöhe schamlos eingesteckt haben und jetzt in der Öffentlichkeit betonen, sie hätten ein reines Gewissen. Viele waren von dem Gewinner-Typ Benko fasziniert und wollten an seinem Erfolgsmodell partizipieren. Sie investierten hohe Geldsummen und strichen wortlos die hohen Renditen ein. Die Gier war wohl grenzenlos. Die rationalen Erwägungen wurden verdrängt und weggewischt wie unwillkommene Zweifel. Die Hybris war eine wechselseitige. Der Größenwahn von René Benko hatte sein diabolisches Pendant in der Geldgier der Geldgeber. Solange die satten Renditen eingingen, blieben rationale Argumente, harte Zahlen und Warnungen von Experten wirkungslos. „Gier frisst Hirn“. Auch die Geldgeber waren so besessen, dass sie erst jetzt aufwachen, wenn sie realisieren müssen, dass ein Großteil ihres investierten Vermögens wohl verloren ist. Spätestens mit dem Insolvenz-Antrag im November 2023 ist das Kartenhaus zusammengebrochen.

Viele der gierigen Geldgeber können sich nicht darauf berufen, dass sie arglistig getäuscht wurden und selbst keinen Sachverstand haben. Aus reiner Geldgier haben sich superreiche Investoren beteiligt, die jahrzehntelang Erfahrung haben mit dem Risiko von Investitionen. Sie waren keine blauäugigen und gutgläubigen Anfänger, sondern Profis des Kapitalismus. Aber geblendet durch ihre eigene Geldgier. Der Milliardär Klaus-Michael Kühne, der renommierte Wirtschaftsberater Roland Berger, der Strabag-Vorsitzende Hans Peter Haselsteiner, der vermögende Niki Lauda, der Fressnapf-Gründer Torsten Toeller, der Verwaltungsratsvorsitzende von Lindt & Sprüngli Ernst Tanner und viele andere Superreiche konnten der Versuchung nicht widerstehen. Sie sind auf René Benko reingefallen. Sie haben sich blenden und austricksen lassen. Nun haben sie einen kleinen Teil ihres Riesenvermögens verloren. Sie werden es verkraften. Für den „kleinen Mann“ oder die 15.000 Beschäftigten der insolventen Galeria Karstadt Kaufhof-Kette ist es wohl ein schwacher Trost, dass auch diese „ausgepufften“ Profis auf René Benko reingefallen sind. Er ist halt ein Wunderwuzzi. Und das ist er leider auch in der Täuschung und Blendung der anderen gewesen. Er hat seine Geldgeber geblendet und ihre Gier stimuliert. Sein Versprechen: Investiere dein Geld bei mir und du wirst noch reicher! Sie konnten der Versuchung nicht widerstehen. Dafür haben sie ihre Vernunft und ihren ökonomischen Sachverstand geopfert. Sie hätten nur einen Experten beauftragen müssen, die Bilanzen oder Jahresabschlüsse zu prüfen. Dafür waren sie zu stolz.

Einer der kompetentesten Experten in diesem Skandal ist der Innsbrucker Professor der Betriebswirtschaftslehre Leonhard Dobusch. Eines seiner Spezialgebiete ist die Finanzierung von Immobilien. Seit 2016 hat er an der Universität Innsbruck den Lehrstuhl für Organisation und Lernen. Er kennt die regionale Lage in Innsbruck, die Verhältnisse im Bundesland Tirol und verfolgt seit Jahren die Entwicklung von René Benko und seiner Signa Holding. Seit Jahres prognostiziert er, dass das Kartenhaus bald zusammenkrachen wird (Dobusch 2023, 2024). Minutiös hat er die Bilanzen und Jahresabschlüsse analysiert. Der nahende Zusammenbruch war für ihn offensichtlich. Jeder, der Bilanzen lesen kann, hätte dies erkennen können. Die superreichen Profis, die Benko riesige Summen gaben, waren selbst zu alt, um sich dieser Mühe zu unterziehen. Und Experten haben sie nicht damit beauftragt. Dieses Versäumnis kostet ihnen nun einen geringen Teil ihres riesigen Vermögens. Die Lage der ärmeren Geschädigten und die Mitarbeiter der Firmen, die jetzt pleitegehen, jene Betroffenen sind nicht in der komfortablen Lage wie die Superreichen Kühne, Haselsteiner, Toeller oder Tanner. Die geldgierigen Superreichen werden den Verlust mühelos verkraften – die ärmeren Opfer der Pleite werden vital in ihrer Existenz bedroht.

Literatur

Bayer, Florian (2023), Signa-Immobiliengesellschaften insolvent: Größte Pleite ever in Österreich. Taz vom 28. Dezember 2023

Charim, Isolde (2019), Renè Benko, der Immobilien-Tycoon – oder: Raubtierkapitalismus mit sanftem Antlitz. Taz vom 23. April 2019

Charim, Isolde (2022), Die Qualen des Narzissmus. Über freiwillige Unterwerfung. Paul Zsolnay Verlag, Wien

Csef, Herbert (2016), Narzissmus und Derailment – wenn Führungskräfte entgleisen. Organisationsberatung Supervision Coaching, 23. Jahrgang, Heft 2, S. 163 – 171

Csef, Herbert (2020), Wirtschaftskriminalität durch entgleiste Führungskräfte. Analysen zu Derailment und Managerversagen. Die Kriminalpolizei Nr. 4/2020, S. 20 – 23

Dobusch, Leonhard (2023), Signa-Pleite: Was hilft gegen Transparenzvermeidung? Kurier vom 8. Dezember 2023

Dobusch, Leonhard (2024), Signa-Insolvenz: So funktionieren die Tricks von René Benko. Moment vom 19. Januar 2024

Hager, Angelika (2023), René Benko: Das Master of the Universe-Märchen. Oligarch, Wunderwuzzi, Austro-Trump, Immo-Midas: René Benko zog die Superlative nur so an sich. Profil Morgenpost vom 8. November 2023

Herrmann, Eva (2023), Vom Wunderwuzzi und seinem Absturz. Taz vom 8. Dezember 2023

Konzett, Eva (2023), Mega-Yacht, Picasso, Palazzo in Venedig: Für René Benko war nur das Beste gut genug. Neue Zürcher Zeitung vom 3. Dezember 2023

Malcher, Ingo (2023), Nichts als Fassaden. Die Insolvenz von René Benkos Signa Holding zeigt: Die Lage des Immobilienkonzerns ist dramatischer, als bisher bekannt war. Die Zeit vom 7. Dezember 2023

Malcher, Ingo (2024), Leider nur scheinreich. Die Zeit vom 11. Januar 2024

Misik, Robert (2023), The Great Benko. Aufstieg und Fall des österreichischen Immobilientycoons – ein Lehrstück aus dem neoliberalen Blender- und Raubritter-Kapitalismus. Die Wochenzeitung Nr. 49 vom 7. Dezember 2023

Pache, Timo (2023), Fünf Lehren aus dem Fall René Benko. Capital vom 1. Dezember 2023

Reisinger, Werner (2024), Skandalrepublik Österreich: Hybris und Fall der Wunderkinder. Augsburger Allgemeine vom 10. Januar 2024

Steinmann, Thomas, Dunkel, Monika, Fahrion, Georg (2019), René Benko – der Wunderwuzzi. Capital vom 20. Mai 2019

Wahmkow, Jonas (2023), Das Imperium zerfällt. Taz vom 8. Dezember 2023

Welp, Cornelius (2023), Steiler Aufstieg, fester Filz – geblendet von der Vision „Made in Austria“. Die Welt vom 7. Dezember 2023

 

Korrespondenzadresse:

Professor Dr. med. Herbert Csef, An den Röthen 100, 97080 Würzburg

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Prof. Dr. Herbert Csef, geb. 1951, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker. Studium der Psychologie und Humanmedizin an der Universität Würzburg, 1987 Habilitation. Seit 1988 Professor für Psychosomatik an der Universität Würzburg und Leiter des Schwerpunktes Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums. Seit 2009 zusätzlich Leiter der Interdisziplinären Psychosomatischen Tagesklinik des Universitätsklinikums. Seit 2013 Vorstandsmitglied der Dr.-Gerhardt-Nissen-Stiftung und Vorsitzender im Kuratorium für den Forschungspreis „Psychotherapie in der Medizin“. Viele Texte zur Literatur.