Interview mit Roland Berger: Was bedeutet Helmut Kohl für Sie?

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Welche Bedeutung hat Helmut Kohl für Sie?

Für mich war und ist Helmut Kohl der Kanzler der Einheit und wird es immer bleiben.

Dabei kommt einem natürlich als erstes in den Sinn: Die Wiedervereinigung der beiden Deutschlands, West und Ost, zu einem einzigen Deutschland. Ein Land, das alle Deutschen unter den Schutz von Artikel 1 unseres Grundgesetzes stellt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Das hieß für alle Deutschen: persönliche Freiheit, der jüdisch-christliche abendländische Wertekodex, Demokratie, Rechtsstaat und soziale Marktwirtschaft.

Und noch mehr: Es gelang Helmut Kohl, das wiedervereinigte Deutschland zu einem Teil des damaligen „Westens“, d.h. sowohl zum Mitglied der Europäischen Union und – noch schwieriger – zur westlichen Verteidigungsgemeinschaft, der NATO zu machen. Das war der erste Schritt zur Unabhängigkeit aller osteuropäischen Länder von der damaligen Sowjetunion, zu freiheitlichen Demokratien nach abendländischen Werten mit allem, was dazugehört und zu Mitgliedern der Europäischen Werteunion – und für viele von ihnen war es schließlich auch der Zugang zur westlichen Verteidigungsgemeinschaft, der NATO.

Am 01. Mai 2004, also keine 15 Jahre nach der deutschen Vereinigung, wurden die meisten dieser früher zum „Osten“ gehörenden europäischen Staaten Mitglieder der Europäischen Union.

Gleichzeitig führte all dies zur Implosion der Sowjetunion. Russland und viele europäische und asiatische einstige Sowjetländer wurden zu unabhängigen Staaten.

Damit war auch der sogenannte Kalte Krieg zu Ende!

Und schließlich implodierte 1989/1990 auch der Kommunismus als gescheitertes politisches, gesellschaftliches und wirtschaftliches System und als Ideologie.

Ja, es gibt noch das exotisch anmutende kommunistische Kuba! China ist aber schon lange kein kommunistisches Land mehr, sondern ein autokratisches Einparteiensystem mit einer kapitalistischen Wirtschaft – trotz vieler Eingriffe des Staates.

Schließlich war im Gefolge der Wiedervereinigung zunächst auch die Trennung der Welt in Ost und West zu Ende.

Leider kam es danach aber nicht zu einer demokratischen und marktwirtschaftlichen globalen Netzwerkgesellschaft im Sinne des US-amerikanischen Journalisten Thomas L. Friedman („Die Welt ist flach“), und schon gar nicht, wie Francis Fukuyama (US-amerikanischer Politikwissenschaftler) meinte, zum „Ende der Geschichte“, einem Sieg der liberalen Demokratie. Vielmehr brach schon in wenigen Jahren nach der Implosion des Kommunismus der „Kampf der Kulturen“ aus, in und mit dem wir heute leben, wie Samuel P. Huntington (US-amerikanischer Politikwissenschaftler und Autor) es vorhersah.

Als wäre diese historische Wiedervereinigung Deutschlands nicht schon genug, brachte Helmut Kohl, der „Kanzler der Einheit“, auch die Einheit Europas einen entscheidenden Schritt nach vorne: Es waren die drei großen Europäer, Bundeskanzler Helmut Kohl, der Präsident Frankreichs François Mitterrand und der Präsident der Europäischen Kommission Jacques Delors, alle drei überzeugte und durchsetzungsstarke Europäer, die den gemeinsamen Markt mit seinen vier Freiheiten schufen: der Freiheit der Güter, der Dienste, der Menschen (Arbeit) und des Kapitals. Das war das Kernstück der Europäischen Union. Dazu kam das Schengen-Abkommen, das zu einem Europa ohne Grenzen führte. Und schließlich, als Krönung der Einheit Europas gedacht, kam die Währungsunion, der Vertrag von Maastricht (1992) mit der Einführung des Euro als gemeinsame europäische Währung.

Diese beiden historischen Leistungen vollbrachte Helmut Kohl dank seiner Verwurzelung im jüdisch-christlichen abendländischen Wertekanon, dank seiner profunden Kenntnis der – vor allem abendländischen – Geschichte und dank seiner persönlichen Glaubwürdigkeit und seiner Verlässlichkeit, die ihm unter den damaligen Regierenden ein großes Vertrauenskapital eingebracht hatte.

Das hat ihm letztlich die Wiedervereinigung Deutschlands ermöglicht. Denn wie allgemein bekannt, waren ja nicht alle Staatschefs Europas von einem einigen Deutschland begeistert, allen voran die britische Premierministerin Margaret Thatcher, aber auch der damalige italienische Premier Giulio Andreotti nicht. Ja, sie sprachen sich offen gegen die Einheit Deutschlands aus, weil ihnen ein Deutschland mit der größten Bevölkerung und der stärksten Wirtschaft Europas nicht geheuer war.

Da half Helmut Kohl das Vertrauenskapital sehr, das er bei George H. Walker Bush, dem amerikanischen Präsidenten – als Führer des Westens – und beim französischen Präsidenten François Mitterrand erworben hatte. Aber entscheidend war vor allem das Vertrauensverhältnis, das Helmut Kohl mit dem damaligen Präsidenten der Sowjetunion Michail Gorbatschow verbunden hat. Denn Michail Gorbatschow war es, von dem es abhing, ob die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und mit dem Abzug aller sowjetischer Truppen aus der damaligen DDR möglich wurde, ob die Führung der DDR sich von ihren Ämtern zurückzog und ob ein geeintes Deutschland Mitglied der Europäischen Union und schließlich der NATO werden konnte.

Wegen dieser seiner Leistung hat meine Stiftung Helmut Kohl 2010 den „Roland Berger Preis für Menschenwürde“ verliehen, dotiert mit 1 Million Euro Preisgeld, weil er 17 Millionen Deutsche unter den Schutz des Artikel 1 unseres Grundgesetzes gebracht hat, der die Würde des Menschen für unantastbar erklärt.

Helmut Kohls Vertrauenskapital bei internationalen Staatsmännern spielte auch eine wichtige Rolle bei dem Weg nach Maastricht und führte zu wesentlichen Fortschritten im europäischen Einigungsprozess. Wie schon erwähnt, ebnete das gegenseitige Vertrauen der drei großen Europäer, Helmut Kohl, François Mitterrand und Jacques Delors in Brüssel den Weg zur europäischen Einheit.

Dazu kam aber noch ein ganz Wesentliches: Helmut Kohl genoss auch großes Vertrauen bei den Führern der kleineren Staaten in Europa, wie den skandinavischen Ländern, Österreich, den Niederlanden, den neuen osteuropäischen Mitgliedsstaaten und anderen. Sie alle wollten kein geeintes Europa unter der Führung von Frankreich und Deutschland, sie wollten ein Europa der Mitglieder auf Augenhöhe. Ohne dieses Vertrauenskapital von Helmut Kohl wären sehr wahrscheinlich viele der großen Schritte zur europäischen Einheit nicht einstimmig zustande gekommen. Es war Helmut Kohl, der sie alle auf den Weg der europäischen Integration „mitgenommen“ hat.

Was schätzen Sie besonders an Helmut Kohl?

Natürlich die beiden historischen Leistungen als Kanzler der Einheit Deutschlands und Europas!

Aber auch gleich, als er Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland wurde, hat er einen Wiederbelebungsprozess der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland auf den Weg gebracht: Mehr Freiheit, weniger Bürokratie und Staatseinfluss und eine Steuerreform mit seinem Finanzminister Gerhard Stoltenberg. Staatseinfluss gab es – trotz seines Vorgängers Helmut Schmidt, der selbst ein sozialer Marktwirtschaftler unter den Sozialdemokraten war – zu viel.

Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist vor allem die Aufteilung der Behörde Post und Telekommunikation in zwei Unternehmen: Deutsche Post und Deutsche Telekom unter Bundesminister Schwarz-Schilling und deren spätere Privatisierung. Aus den beiden Unternehmen wurden dann die Post zu einem der weltführenden Logistiker und die Telekom zu einem der weltführenden Telekommunikationsunternehmen vor allem in Europa und den USA. Die Deutsche Telekom ist zudem heute einer der großen „Enabler“ auf dem Weg zu einem digitalisierten Deutschland. Auch das war eine der zukunftsträchtigen Entscheidungen der Regierung Helmut Kohls für Deutschland und die Welt.

Persönlich schätze ich an Helmut Kohl seine feste Verankerung im jüdisch-christlich-abendländischen Wertesystem, seine tiefen und breiten Kenntnisse der abendländischen Geschichte, seinen Blick für das Mögliche, ohne das Wünschenswerte aus dem Auge zu verlieren, und seine Fähigkeit, Menschen für sich zu gewinnen durch seine Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit. Er war in jeder Hinsicht Humanist. Er konnte großzügig sein, aber er hatte durchaus ein starkes Ego und einen ausgeprägten Machtwillen, verbunden mit einer enormen Durchsetzungsfähigkeit. Es war immer klar, wer der Chef im Raum ist.

Das habe ich ganz deutlich erlebt bei Gesprächen nach der Wiedervereinigung mit deutschen Wirtschaftsführern in Bonn. Helmut Kohl nahm sich 70 Prozent der Zeit, um darüber zu reden, was er von der westdeutschen Wirtschaft erwarte, was sie tun solle – und dann gab es noch 30 Prozent Diskussion über das, was möglich war.

Ein gutes Beispiel für seinen Machtwillen und seine klug dosierte Durchsetzungsstärke ist sein Umgang mit seinem „Intimfreund“ Franz-Josef Strauß, dem bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Chef, der davon überzeugt war, er wäre der bessere Bundeskanzler für Deutschland.

Außerdem verstand Helmut Kohl es, sich mit äußerst fähigen Persönlichkeiten zu umgeben. Da war zum ersten der damalige Chef des Bundeskanzleramtes und spätere Innenminister der Bundesrepublik Deutschland, Wolfgang Schäuble, zum anderen waren da zwei kluge und leistungsstarke Staatssekretäre: Horst Teltschik, der großen Anteil an den außenpolitischen Leistungen und Erfolgen von Helmut Kohl als Kanzler der deutschen und europäischen Einheit hatte, und sein Wirtschaftsstaatssekretär Johannes Ludewig, der unter anderem das große Verdienst hatte, die Wirtschaft der Ex-DDR – nach vielen Schmerzen – letztlich wieder auf eine trag- und wettbewerbsfähige Grundlage zu stellen. Helmut Kohl war eine große Persönlichkeit.

Welchen Stellenwert hat Helmut Kohl in der deutschen/europäischen Geschichte?

Als Kanzler der Einheit Deutschlands – mit allen ihren weltpolitischen Folgen – hat Helmut Kohl einen festen Platz in der deutschen und europäischen Geschichte. Ihm verdanken wir die großen Fortschritte in der Einigung Europas: einmal den einheitlichen europäischen Markt mit seinen vier Grundfreiheiten, dem freien Warenverkehr, dem freien Dienstleistungswettbewerb, der Personenfreizügigkeit und dem freien Kapital- und Zahlungsverkehr. Zum Zweiten war er es, der ein Europa ohne Grenzen durch das Schengen-Abkommen und durch den Maastrichter Vertrag auch die einheitliche europäische Währung, den Euro auf den Weg gebracht hat.

Helmut Kohls so mutig begonnene Wirtschafts- und Steuerreformen dagegen versandeten im Tagesgeschäft der beiden Einigungsprozesse. Sein persönliches Interesse an Wirtschaft war auch generell relativ begrenzt – solange sie funktionierte, um seine großen Visionen zu verwirklichen.

An welche Begegnungen mit Helmut Kohl erinnern Sie sich besonders gerne?

Helmut Kohl war eine beeindruckende Persönlichkeit – schon aufgrund seiner Körpergröße. Das hat sich immer wieder gezeigt, sei es bei größeren Zusammenkünften, bei privaten Begegnungen, vor allem aber bei Staatsbesuchen.

Wo immer er hinkam, war er sofort der „Chef im Raum“, wozu auch sein besonderes Charisma beitrug. Daher waren meine relativ häufigen Besuche in Helmut Kohls Bonner Büro im Kanzleramt – alleine oder mit einem seiner Mitarbeiter oder mit Wirtschaftsführern – immer ein besonderes Erlebnis.

Ich gehörte zu jener Zeit unter der Regierung Helmut Kohl zwei Regierungskommissionen an, nämlich der zur Rentenreform unter Arbeitsminister Norbert Blüm und einer Kommission „Schlanker Staat“ zur Entbürokratisierung.

Auch hatte ich sehr intensive und häufige Begegnungen mit Wolfgang Schäuble als Kanzleramtschef. Wir sprachen über notwendige wirtschaftliche Reformen, die Helmut Kohl dann allerdings nicht umgesetzt hat. Er war einfach zu sehr von seinen außenpolitischen Verantwortungen beansprucht, denen er im besten Einvernehmen mit seinem Außenminister Hans-Dietrich Genscher erfolgreich nachkam, sowohl vor wie nach der deutschen Wiedervereinigung. Die in den Gesprächen zwischen Wolfgang Schäuble und mir geborenen Ideen waren durchaus sehr fortschrittlich und fanden sich teilweise in den Wirtschaftsreformen von Helmut Kohls Nachfolger Bundeskanzler Gerhard Schröder und seiner Agenda 2010 wieder.

Am intensivsten war die Zusammenarbeit mit Helmut Kohl, dem Kanzleramt und mir nach der deutschen Wiedervereinigung. Das begann schon damit, dass unsere Beratungsgesellschaft Roland Berger Strategy Consultants beauftragt war, eine Strukturorganisation für die noch von DDR Ministerpräsident Modrow gegründete Treuhand AG zu entwickeln, die später im Bundestag auch verabschiedet wurde.

Als Berater der Treuhand, mit deren Vorstand mich eine exzellente sachliche und persönliche Zusammenarbeit verband, spielten die Partner und Mitarbeiter meiner Beratungsgesellschaft auch eine sehr wesentliche Rolle. Dies hat letztlich dazu geführt, dass ich bei vielen Gesprächen, die Helmut Kohl und sein Staatsekretär Johannes Ludewig und gelegentlich der Vorstand der Treuhand mit deutschen Wirtschaftsführern zu den Themen rund um den „Aufbau Ost“ führten, mit dabei war.

Eine besondere Rolle fiel mir zu, als es nach der feigen Ermordung des Treuhand-Chefs Detlef Rohwedder durch die RAF darum ging, einen neuen Vorstandsvorsitzenden für die Treuhand-Anstalt zu benennen. Ich habe damals sehr dafür geworben, diese Position Frau Birgit Breuel zu übertragen, die mich schon in ihren Funktionen als Wirtschafts- und später Finanzministerin Niedersachsens und danach als Chefin des Managements zur Durchführung der Expo 2000 in Hannover sehr beeindruckt hatte. Brigit Breuel hat dann diese äußerst schwierige Aufgabe der Vorstandsvorsitzenden der Treuhand-Anstalt mit großem Erfolg – und trotz aller notwendigen und schmerzlichen Einschnitte aber auch Anfeindungen – zum Wohle der Wirtschaft der Ex-DDR gemeistert. Danach ergaben sich häufiger Gelegenheiten zu persönlichen Begegnungen mit Bundeskanzler Helmut Kohl in Bonn, auch aufgrund meiner intensiven Tätigkeit als Berater der Treuhand-Anstalt, aber auch ostdeutscher Kombinate, bei denen Staatssekretär Johannes Ludewig aus dem Kanzleramt sich große Verdienste erworben hat.

Dies führte wohl auch dazu, dass mich Helmut Kohl mit einer weiteren entscheidenden, aber auch schwierigen Suche nach einem Vorstandsvorsitzenden für die Deutsche Bundesbahn (West) und die Deutsche Reichsbahn (Ost) beauftragte, der beide zusammenführen und auf eine nachhaltige, leistungsfähige Grundlage stellen sollte. Ich sollte eine öffentlich schon bekannte und renommierte unternehmerische Persönlichkeit finden, die Erfahrungen im Umgang mit öffentlichen/politischen Aufgaben, aber auch mit der Führung großer Konzerne hatte. Allerdings mit der kleinen Nebenbedingung, dass ihr Salär in die Größenordnungen einerseits des deutschen Beamtenrechts, andererseits staatseigener Unternehmen passen sollte. Es musste deshalb eine Persönlichkeit mit finanzieller Unabhängigkeit und mit der Erfahrung Visionen zu entwickeln und umzusetzen sein. Um beide Bahnen zu restrukturieren, sollte die Persönlichkeit zudem die Fähigkeit besitzen, die betriebswirtschaftlichen und technischen Notwendigkeiten zur Restrukturierung beider Bahnen durchzuführen – und das mit aller Sensibilität, ein großes Infrastukturunternehmen mit meist noch beamteten Mitarbeitern zu führen. Und last but not least sollte der neue Vorstandsvorsitzende auch noch mit politischen Entscheidungsträgern umzugehen wissen.

Mir gelang es damals, den großen Unternehmer Heinz Dürr für diese Aufgabe zu gewinnen, der seine unternehmerischen Fähigkeiten durch den Aufbau der Dürr AG aus kleinen Anfängen zum Weltmarktführer bewiesen hatte. Als Vorstand der Daimler-Benz AG besaß er aber auch die Erfahrung einen Großkonzern zu führen. Als erfolgreicher Verhandlungsführer des baden-württembergischen Metall-Unternehmerverbands mit der IG Metall hatte er zudem seine Sensibilität im Umgang mit heiklen politischen Themen unter Beweis gestellt.

Um die Schwierigkeit dieser Aufgabe zu zeigen, hier nur zwei Zahlen: die Deutsche Reichsbahn (Ost) beschäftigte ca. 250.000 Mitarbeiter, um die wesentlich kleinere DDR mit ihren 17 Mio Einwohnern zu versorgen. Die Deutsche Bundesbahn (West) dagegen versorgte mit ihren damals ca. 220.000 Mitarbeitern 60 Mio Bürger der Bundesrepublik Deutschland mit Personenverkehr und schulterte dazu noch das um ein vielfaches größere westdeutsche Frachtaufkommen.

Die erste Begegnung zwischen Helmut Kohl und Heinz Dürr fand in der Kanzlervilla in Berlin-Grunewald am Abend des 03. Oktober 1990 nach dem Staatsakt der Wiedervereinigung und vor dem festlichen Ball am Abend statt. Entsprechend fröhlich war die fast rheinische Karnevalsstimmung, in der diese so wichtige Begegnung von Helmut Kohl und Heinz Dürr in meiner Gegenwart stattfand. Bei dem Gespräch wurde relativ schnell deutlich, dass Helmut Kohl das Gespräch beherrschte und Heinz Dürr, der noch einige Bedingungen vor der Übernahme dieses so schwierigen und verantwortungsvollen Amts vorbringen wollte, keine andere Chance hatte als „Ja“ zu sagen. Diese Begegnung zeigt den Bundeskanzler Helmut Kohl, wie er leibte und lebte: durchsetzungsstark auf der einen Seite und menschlich gewinnend auf der anderen.

Heinz Dürr führte mit großer Energie, Geschick und Können die beiden Eisenbahnen Ost und West zur Deutschen Bahn AG zusammen, sanierte sie von Grund auf und erneuerte die Bahn in relativ kurzer Zeit auch technologisch. Heinz Dürr hat sich damit als Chef der Deutschen Bahn AG bleibende Verdienste nicht nur um die Deutsche Bahn, sondern auch um unser Land erworben.

Eine letzte Begegnung mit Helmut Kohl hatte ich schließlich noch in den Jahren 2009/2010 in seinem Haus in Oggersheim, also rund 12 Jahre, nachdem er als Deutscher Bundeskanzler abgewählt worden war.

Obwohl er damals aufgrund eines Unfalls leider große Sprachschwierigkeiten hatte und schwer zu verstehen war, durfte ich erleben, wie geistig präsent er war. Er erinnerte sich an viele kleine Einzelheiten seiner langjährigen politischen Laufbahn, insbesondere als Bundeskanzler von 1982 bis 1998. Aber auch an die Menschen, denen er in seinem Leben begegnet war, hatte er eine klare Erinnerung und eine ebenso klares Urteil über sie, ob es sich um die Präsidenten George H. Walker Busch und Michael Gorbaschow handelte oder um den einen oder anderen Kreis- oder Bezirksvorsitzenden seiner CDU. In allen unseren Gesprächen wurde immer wieder klar, dass all seine politischen Leistungen in der abendländischen Wertewelt, dem christlichen Menschenbild und in seiner tiefen und manchmal auch sehr detaillierten Kenntnis unserer Geschichte wurzelten.

Gibt es etwas was sie ihm vor seinem Tod noch gerne gesagt hätten?

Ich hätte mich ganz einfach bei ihm bedankt für seine großartigen historischen Leistungen für uns alle. Diesen Dank konnte ich Gott sei Dank durch die Verleihung des Roland Berger Menschenwürdepreises meiner Stiftung im Jahr 2010 formal zum Ausdruck bringen. Den Preis hat damals der hessische Ministerpräsident Roland Koch entgegengenommen, da dies Helmut Kohl krankheitsbedingt nicht möglich war. Die Laudationes hielten damals der Bundespräsident Christian Wulff und der ehemalige polnische Außenminister Władysław Bartoszewski. Letzterer hat nochmals Helmut Kohls Verdienste um die Aussöhnung Deutschlands mit Polen hervorgehoben. Ebenso unterstrich er seine historische Bedeutung für die speziellen Beziehungen zur Sowjetunion bzw. zu Russland, zu Polen und allen osteuropäischen Ländern, denen Helmut Kohl den Weg in die Freiheit gebahnt hatte.

 

Der heutige Zustand dieser Beziehungen läßt einen nur traurig zurückblicken: tempi passati.

Prof. Dr. Roland Berger

2015 – heute Honorarkonsul der Republik Singapur

2007 – 2014 Mitglied der Hochrangigen Gruppe im Bereich Verwaltungslasten der Europäischen Kommission

2010 bis heute Ehrenvorsitzendes Aufsichtsrates Roland Berger

2003 – 2010 Vorsitzender des Aufsichtsrates Roland Berger Strategy Consultants

1996 – 2015 Honorarkonsul der Republik Finnland in Bayern und Thüringen

1967 – 2003 CEO von Roland Berger International Marketing Consultants

Roland Berger war außerdem Mitglied zahlreicher Regierungskommissionen für die Bundesregierungen unter Helmut Kohl und Gerhard Schröder.