Im Zeitalter sozialer Netzwerke wird die Glückssuche nicht einfacher, sondern schwieriger

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Wir sind ständig online, chatten allgegenwärtig, als ob es kein Morgen mehr gäbe. Die Sozialen Netzwerke sind zu unserem zweiten Ich geworden, für viele zum einzig-wahren sogar. Wir definieren uns über Facebook, Twitter, Instagram und Co. Selfie-Wahn und mediale Präsenz sind uns quasi der Religionsersatz, verheißen sie uns doch eine neue „Unsterblichkeit“. Ständig liebkosen und aktualisieren wir unsere virtuelle Existenz, als sei diese die einzige Realität, die es gibt. Doch unser reales Ich verkümmert darüber. Anstatt das ewige Seelenheil und das seligmachende Glück zu finden, enden wir letztendlich in einem kollektiven Burn-out.

So sieht das zumindest das heute der Jenaer Entschleunigungspapst Hartmut Rosa. Wie der Soziologieprofessor betont, dampfen wir unsere realen sozialen Kontakte ein und die Welt außer uns wird nur noch via Bildschirm auf dem Computer oder dem Smartphone wahrgenommen. Schon der französische Philosoph Emmanuel Levinas und der österreichische Neurologe und Psychiater Victor Frankl wussten vor über einem halben Jahrhundert, dass sich Glück nur durch eine soziale und lebendige Verbindung zur Umwelt einstellt.

Wer heute daran glaubt, dass er sein Welt-Sein dadurch aufwerten kann, wenn er immer mehr Likes für seine Postings und Tweets sammelt und sich allein darüber als Mensch definiert, wird schnell enttäuscht, wenn er weniger Rückmeldungen aus dem Orbit erhält. Das kurzweilige Pseudo-Glück katapultiert sich im schlimmsten Fall zur Depression und die verweigerte Resonanz führt in eine unendliche Spirale von Unglücklichsein Wer also sein Glück außerhalb seiner selbst sucht, dem droht immer die Gefahr, sich selbst zu verlieren.

Was vielen Internet- und Handysüchtigen, gerade auch in einer pandemischen Zeit, fehlt, ist eine „libidinöse Weltbeziehung“. Bildschirme, Handytastaturen bleiben „Resonanzkiller“, weil „wir immer mehr medial und digital auf die Welt bezogen sind.“ Was wir dagegen brauchen, sind neue Oasen, wo wir uns als Einheit von Leib und Seele in der Gemeinschaft im Augenblick wieder erspüren – ganz getreu von Johann Wolfgang Goethes „Verweile doch, Du bist so schön“, wie er es im „Faust“ einst dichtete.

Doch die Idee von Resonanzräumen ist nicht ganz neu. Bereits vor über zweitausend Jahren warb einer der berühmtesten Philosophen der Römischen Kaiserzeit, der Stoiker Lucius Annaeus Seneca (4 v. Chr. – 65 n. Chr.), für mehr Innerlichkeit. „Zieh dich zurück in die Stille der Muße, aber lass auch um diese Muße selbst die Stille walten.“ Wie später bei Boethius wird für den einstigen Lehrer von Kaiser Nero für Seneca die Philosophie zum Trost.  Selbst als der legendär-berüchtigten Kaiser seinen einstigen Meister der Beteiligung an der Pisonischen Verschwörung bezichtigte und ihm die Selbsttötung befahl, bleibt Seneca stoisch gleichgültig, erschütterte ihn das Todesgebot nicht, hatte er doch gefunden, was nach seiner Meinung nach den Menschen ausmacht – die Seelenruhe.

Gegen unsere Handy-affine Zeit würde Seneca heute die heitere Gelassenheit und eben diese Seelenruhe als neue Tugenden stellen, gelten ihm doch beide als Inbegriff menschlichen Glücks. Und dieses Glück hat für den Philosophen nun rein gar nichts mit Äußerlichkeiten zu tun. ES ist rein geistiger Natur, Daher kann der wahrhaft Glückliche all das verachten, was allgemein bewundert wird. Und ganz im Gegensatz zur modernen medialen Selbststilisierung bedarf es fremder Anerkennung gar nicht zum reinen Glücklichsein.

Das klingt auf den ersten Blick ganz egoistisch, aber selbst Seneca, der für eine Individualethik plädiert, die das persönliche Glück in den Mittelpunkt rückt, lehnt eine Reduktion auf dieses Ich allein ab und betont: „Du musst für den anderen leben, wenn du für dich selbst leben willst.“  Geselligkeit und Einsamkeit, nur beides zusammen, sind die Quellen des Glücks für einen der immer noch meistgelesenen Philosophen der Weltgeschichte. Denn den „Hass auf die Masse heilt die Einsamkeit, den Verdruss gegenüber der Einsamkeit die Masse.“ Und so kann ein glückliches Leben nur der führen, der nicht nur an sich selbst denkt und alles seinem Vorteil unterordnet, sondern wahrhaftes Glück spendet die Fähigkeit zur Freundschaft mit sich selbst und anderen.

Der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, die sich im Digitalisierungswahnsinn verstrickt und in blinder Raserei durch die eigene Geschichte jettet, unruhig eine mediale Bombe nach der anderen zündet, kann Seneca nur entgegenhalten: „Nur die Ruhe ist heiter, die uns die Vernunft schenkt.“ Alles, was den Menschen aus der Ruhe bringt, gilt es zu meiden. Dazu allerdings bedarf es des wohlgeordneten Verstandes, der sich nicht durch leidenschaftliche Affekte aus der Taktung bringen lässt und die Harmonie der Seele effekthascherisch auf das Spiel setzt.

Anstelle unserer modernen Rastlosigkeit, dem ständigen Blick in das Handy und dem selbstversichernden Blick auf die soziale Anteilnahme in den virtuellen Netzen, würde uns Internetstressgeplagten der Philosoph das Innehalten empfehlen. Denn: „Wer die Einsicht besitzt, ist auch maßvoll; wer maßvoll ist, auch gleichmütig; wer gleichmütig ist, lässt sich nicht aus der Ruhe bringen; wer sich nicht aus der Ruhe bringen lässt, ist ohne Kummer; wer ohne Kummer ist, ist glücklich: also ist der Einsichtige glücklich, und die Einsicht reicht aus für ein glückliches Leben!“

Und allen, die ihre Lebenszeit in die scheinbar seligmachende Kraft der Sozialen Netzwerke investieren, würde er entgegenhalten: „Nur ein kleiner Teil des Lebens ist es, den wir leben. Die gesamte übrige Spanne ist nicht Leben, sondern Zeit.“ Darum sollten wir das Leben mit Sinn füllen, anstatt es zu verschwenden und durch Oberflächlichkeit zu zerfasern.  Wir haben, so schreibt er in einem seiner berühmtesten Schriften, „Von der Kürze des Lebens“, „kein kurzes Leben empfangen, sondern es kurz gemacht“ und gehen verschwenderisch damit um. Und in der Tat: Ein wenig mehr Besinnlichkeit, Einkehr, Ruhe und Selbstzufriedenheit statt kurzfristiger Sinnenfreude wäre auch eine Erholung für die Seele in den unendlichen Weiten und Tiefen des Internets.

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Über Stefan Groß-Lobkowicz 2126 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".