Katherina Reiche – Die neue Wirtschaftsmotorin der Republik

Katherina Reiche, Bundesministerin für Wirtschaft und Energie © BMWE / Chaperon, Pressefoto Bundeswirtschaftsministerium

Katherina Reiche war lange von der Bühne der Berliner Republik verschwunden. Fast glaubte man an ein Schicksal, das sie mit vielen Ex-Staatssekretärinnen teilte, die sich in Wirtschaft und Verbände verabschiedeten und deren Namen höchstens noch in Branchen-Newslettern auftauchen. Doch nun steht sie wieder im Zentrum der politischen Macht. Als neue Bundeswirtschaftsministerin im Kabinett Merz markiert sie eine Zäsur in der deutschen Energie- und Standortpolitik – nicht nur durch ihren Lebenslauf, sondern vor allem durch ihren inhaltlichen Kurs, der sich in vielem vom Grünen-Vorgänger Robert Habeck unterscheidet.

Kind der DDR

Geboren 1973 in Luckenwalde, damals noch tief in der DDR, wuchs Reiche in einer Zeit auf, in der politische Systeme zerfielen und neue Ordnungen entstanden. Vielleicht erklärt das ihre bemerkenswerte Mischung aus Bodenständigkeit, Naturwissenschaft und politischer Ambition. Sie studierte Chemie an der Universität Potsdam, verbrachte Studienzeiten in Finnland und den USA, und kehrte dann zurück an ihre alma mater als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Ihr Weg in die Politik war kein Zufall: Schon in den 90er-Jahren trat sie der Jungen Union bei, bald darauf der CDU Brandenburg. Schnell machte sie in der Partei Karriere, 1998 wurde sie Bundestagsabgeordnete – mit nur 25 Jahren.

Wirtschaft und Ökologie gehören zusammen

Ihre politische Heimat war stets der pragmatisch-konservative Flügel der Union, wirtschaftsfreundlich, technologieoffen und zugleich stark regional verankert. In ihren Jahren als parlamentarische Staatssekretärin in Umwelt- und später Verkehrsministerium unter Angela Merkel profilierte sie sich als fachlich fundierte, aber nicht ideologisch aufgeladene Expertin. Schon damals war ihr Credo: Wirtschaft und Ökologie gehören zusammen – aber nicht um den Preis der Wettbewerbsfähigkeit.

Nach 2015 verschwand sie von der politischen Bildfläche. Der Wechsel in die Wirtschaft wirkte zunächst wie ein Abgang auf Zeit, entpuppte sich aber schnell als Aufstieg in einflussreiche Netzwerke. Als Chefin des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU) vertrat sie die Interessen der Energieversorger, Wasserwirtschaft und Stadtwerke – ein zentraler Player der öffentlichen Daseinsvorsorge. Danach wechselte sie als Vorstandschefin zur E.ON-Tochter Westenergie, einem der größten Gas- und Stromnetzbetreiber Deutschlands. Dort prägte sie die Energiepolitik jenseits des Bundestags, vor allem im Bereich Wasserstoff und Infrastruktur. Ihre Berufung in den Nationalen Wasserstoffrat der Bundesregierung unterstrich ihren strategischen Einfluss.

Katherina Reiche steht für eine energiepolitische Wende

Mit ihrer Rückkehr ins Ministerium schlägt die CDU-Regierung nun einen anderen Ton an. Reiche steht für eine energiepolitische Wende – allerdings nicht im Sinne des Kohleausstiegs oder grüner Transformation, sondern im Sinne der Rückkehr zur wirtschaftlichen Vernunft. In Interviews kritisierte sie offen die ihrer Meinung nach überzogene Klimafixierung der Ampelregierung. „Klimaschutz darf nicht über dem Standort stehen“, so ihr Mantra. Sie spricht von einer „Realitätsprüfung“ der deutschen Klimapolitik und fordert, Technologien wie CO₂-Abscheidung, Kernfusion und vor allem Gaskraftwerke als Übergangstechnologien nicht länger zu verteufeln. Während Habeck sich oft der moralischen Sprache bediente, bleibt Reiche sachlich, fast technokratisch – dabei aber nicht weniger entschieden.

Im Zentrum ihrer Politik steht der Standort Deutschland. Sie fordert eine Neuvermessung von Sozialstaat und Wirtschaft, plädiert für eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit, niedrigere Lohnnebenkosten und eine steuerliche Entlastung von Unternehmen. Ihre Devise: „Nur ein starker Industriestandort kann auch eine ökologische Transformation finanzieren.“ Das ist keine Floskel, sondern eine klare Absage an die Wachstumsskepsis, wie sie ihr Vorgänger Robert Habeck (Die Grünen=  in Teilen kultiviert hatte. Während dieser sich gerne als „Wirtschaftsphilosoph“ inszenierte, will Reiche nicht deuten, sondern gestalten.

Vollkommen anders als Robert Habeck

Der Unterschied zwischen Katherina Reiche und ihrem Vorgänger Robert Habeck ist nicht nur stilistischer, sondern vor allem inhaltlicher Natur – und könnte deutlicher kaum ausfallen. Während Habeck aus einer grünen Denktradition kam, in der Klimaschutz über allem stand, setzt Reiche auf wirtschaftliche Vernunft und Standortrealismus. Habeck wollte die Wirtschaft umbauen – transformieren, wie er es nannte –, um ökologische und soziale Ziele durchzusetzen. Reiche hingegen stellt die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands an erste Stelle und ist überzeugt, dass nur ein starker Industriestandort überhaupt in der Lage sein wird, ökologische Ziele nachhaltig zu finanzieren.

Habeck setzte in seiner Amtszeit stark auf den Ausbau erneuerbarer Energien, flankiert von massiven staatlichen Subventionen, Restriktionen für fossile Energieträger und einem konsequenten Zeitplan für das Ende von Gasheizungen und Verbrennungsmotoren. Reiche kritisiert diesen Kurs als ideologisch übersteuert. Ihrer Ansicht nach muss Energiepolitik technologieoffen gestaltet werden – das heißt: Gas, CO₂-Abscheidung, Wasserstoff und sogar Kernfusion gehören für sie selbstverständlich ins energiepolitische Instrumentarium. Sie hält nichts von dem, was sie als „Zwangsprogramme“ bezeichnet, etwa die pauschale Verpflichtung zum Einbau von Wärmepumpen oder das Aus für synthetische Kraftstoffe.

Habeck und Reiche trennen Welten

Auch im Stil trennen die beiden Welten. Robert Habeck war der intellektuelle Moralist im Wirtschaftsministerium – einer, der mit Essays, Podcasts und klugen Sprachbildern versuchte, einen emotionalen Zugang zu harten wirtschaftlichen Fragen zu schaffen. Reiche hingegen ist nüchtern, faktenorientiert, pragmatisch. Sie spricht nicht von Seelenlagen oder Transformation, sondern von Netzinfrastruktur, Industriestrompreisen und Versorgungssicherheit. Wo Habeck als Krisenkommunikator in Erscheinung trat, versteht sich Reiche als technische Managerin eines Standortprojekts.

Zudem bringt Reiche eine Nähe zur Wirtschaft mit, die Habeck nicht hatte – und auch nicht wollte. Sie kennt die Energiewirtschaft nicht aus Studien oder Verbänden, sondern aus jahrelanger Vorstandstätigkeit. Ihre Rolle als frühere Lobbyistin ist umstritten, doch sie selbst betrachtet sie als Stärke: Wer die Branchen versteht, kann auch auf Augenhöhe verhandeln. Habeck hingegen hatte in vielen Industriefragen mit Akzeptanzproblemen zu kämpfen – nicht nur wegen seiner Herkunft aus der Literatur, sondern auch wegen eines grundsätzlichen Misstrauens gegenüber Konzernen und marktwirtschaftlichen Steuerungsmechanismen.

Die Frau, die aus dem Osten kommt, ist eine Symbolfigur

Schließlich unterscheidet sich auch ihre Sicht auf den Sozialstaat. Während Habeck soziale Ausgleichsmechanismen und staatliche Eingriffe zur Abfederung von Krisen als legitim und notwendig betrachtete, plädiert Reiche für eine Revision der sozialen Sicherungssysteme. Sie spricht offen über längere Lebensarbeitszeiten, niedrigere Sozialabgaben und eine Reform der Rente – nicht als ideologisches Ziel, sondern als Notwendigkeit angesichts des demografischen Wandels.Der Unterschied zu Habeck könnte größer kaum sein. Wo der Grüne Minister auf Bürgerdialoge, Transformationsfonds und Verbote setzte, bringt Reiche die Perspektive der Energiebranche und der kommunalen Versorger ein. Ihr Nahverhältnis zur Energiewirtschaft, das ihr Kritiker als Nähe zur Lobby auslegen, wird von Unterstützern als „praktischer Realitätssinn“ gepriesen. Reiche war nie ideologisch – weder in ihrer Zeit im Bundestag noch als Managerin. Ihr Kompass zeigt stets dorthin, wo Technik, Markt und Vernunft sich begegnen.

Dass sie eine Frau ist, aus dem Osten kommt und sich über Jahre in einer männerdominierten Energiewelt durchgesetzt hat, macht sie auch zu einer Symbolfigur. Sie ist keine Quotenbesetzung, sondern eine Fachfrau mit Stallgeruch – und das spürt man bei jedem Auftritt. Ruhig, sachlich, aber durchsetzungsstark. Keine Twitter-Salven, keine Talkshow-Wellen – sondern ein Ministerinnenstil, der mehr an Angela Merkel als an Robert Habeck erinnert.

In einer Zeit, in der wirtschaftliche Realitäten die politische Agenda zunehmend dominieren, könnte Reiche genau die Ministerin sein, die der Industrie Mut macht und der Politik neuen Boden unter den Füßen gibt. Ob sie auch die Bürgerinnen und Bürger überzeugt, wird sich zeigen – aber eines steht fest: Ihre Rückkehr bedeutet ein Comeback der Vernunft – und das Ende der klimakulturellen Romantik im Wirtschaftsministerium.

In Summe steht Katherina Reiche für einen fundamentalen Richtungswechsel im Wirtschaftsministerium – weg von ökologisch geprägter Transformationspolitik, hin zu einem Kurs, der marktwirtschaftliche Vernunft, Energiesicherheit und industrielle Substanz wieder in den Mittelpunkt rückt. Das ist kein Stilwechsel, sondern eine politische Neubestimmung.

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Über Stefan Groß-Lobkowicz 2216 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".