Von Karl Marx und Siegmund Freud zu Jesus
„L’État, c’est moi“ („Der Staat bin ich“) bekannte der französische Sonnenkönig Ludwig XIV. und feierte sich als monarchisch-absolutistischen Herrscher. Nicht minder von sich überzeugt, war der spanische Allroundkünstler Salvador Dalí (1904-1989). Salvator – der Retter, so hatte sich der exzentrische Paranoiker selbst gesehen, denn „wie der Name schon sagt, bin ich zu nichts Geringerem bestimmt, als die Malerei vor der Leere der modernen Kunst zu retten“. Bestbezahlt, Medienstar, lebendiges Kunstwerk mit gleich zwei Museen zu Lebzeiten – kaum einer hatte die Selbstinszenierung derartig kultiviert, wie der Mann mit dem hochgezwirbelten Schnurrbart, Gehstock und Ozelot, der von sich behauptete, der Surrealismus selbst zu sein. Das Gesamtkunstwerk, die Eitelkeiten, die Oberfläche – das alles ist auch Dalí, aber eben nur der halbe, die andere Hälfe bildete der Gottessucher und Theologe. Politisch neigte er einst zu Marxismus, Atheismus und Nationalismus, um später nur er selbst zu sein. Inspiriert war er von der Psychoanalyse Sigmund Freuds, wurde zum malenden Chronisten des Unbewussten, zeichnete den Seelengrund, die Triebstruktur von Eros und Thanatos. Seine Traumwelten setzte er ganz bewusst der Zerrissenheit der Welt entgegen. Rauschhafte Motive, zerlaufende Uhren, fliegende Elefanten, brennende Giraffen, die Welt des Surrealen feierte mit ihm ihren Siegeszug – und dennoch war er ihr entwachsen.
Biblisch inspirierte Kunst
Dem Surrealen wird er ab 1963 mit seinem „Zyklus Biblia Sacra“ eine lebendig-religiöse Welt aus dem Geist der Bibel gegenüberstellen. Entzündet hatte sich dieser Blick in die Tiefe des Menschen und die Höhe Gottes nicht zuletzt aus seinen schmerzvollen Erinnerungen an Weltkrieg und Atombombenabwurf. Diese Zeiten des Absurden hatten ihn verändert, verinnerlicht und die Brücke in den christlichen Glauben bauen lassen. Den Blick auf die Welt sah er nun durch den Gekreuzigten vermittelt. Würde Gott nicht auf Christus schauen, könnte er die Welt nicht aushalten. Katholisch war der einstige Exzentriker geworden, fasziniert von der Bildwelt der italienischen Renaissance – von Raffael, Velázquez und Ingres. Den Blick für den Glauben wollte er nunmehr öffnen. Seine Bilder erwachsen zu lebendigen Zeugnissen seiner Religiosität, werden Quellen der Inspiration, die sich mit Leben und Leid, Kreuzigung und Auferstehung so beschäftigen, dass diese Hoffnung vermitteln, dass sie den Tod als Stillstand in Bewegung verwandeln.
Mit Gott den Himmel finden
Dalí will die Welt ausloten – und wird immer wieder zu Gott kommen. „Den Himmel habe ich die ganze Zeit durch die Dichte des verwirrten Fleisches meines Lebens hindurch gesucht – den Himmel!“ schrieb er 1941 im Nachwort seiner Autobiografie. „Und was ist er? Wo ist er? Der Himmel ist weder oben noch unten, weder rechts noch links, der Himmel ist exakt mitten im Herzen des Menschen, der glaubt! ENDE“ Für den Katalanen gibt es „keine verlässliche Methode zur Erlangung der Unsterblichkeit außer einer Gnade Gottes, dem Glauben.“ Dem Leben auf den Grund gehen, die Gottesnähe – vermittelt durch die Kunst zu stiften –, den Himmel mit der Erde zu verbinden und diese Botschaft der Menschheit zu schenken, wurde zum Credo eines Menschen, der davon überzeugt war, dass das Evangelium nicht nur für den Menschen da sei, sondern ihm auch als Kraftquelle diene, der Botschaft Jesu nachzuspüren. Während Gott beständig bleibt, ist es der Mensch nicht. So bekennt Dalí, der bis „zu diesem Augenblick“ noch keinen Himmel gefunden habe, „dass ich ohne Himmel sterben werde.“ Doch gesucht hat er ihn immer – dies bleibt sein Vermächtnis an uns Heutige.