Synodalität – das Herz seiner Kirchenvision
Synodalität ist für Franziskus kein Modewort, sondern eine theologische Grundstruktur. Kirche ist für ihn kein monarchisch regierter Apparat, sondern ein Volk Gottes auf dem gemeinsamen Weg. Das Wort „Synode“ bedeutet wörtlich „gemeinsam gehen“, und genau das will Franziskus mit Nachdruck fördern: eine Kirche, die nicht von oben nach unten spricht, sondern alle Stimmen hört, die betet, diskutiert, ringt, auch streitet – und gerade darin den Heiligen Geist wirken lässt.
Für Franziskus ist Synodalität eine Ausdrucksform der Inkarnation: so wie Gott Mensch wurde, soll auch die Kirche mitten in den Menschen sein – und das heißt zuhören, mitleiden, sich berühren lassen. Entscheidungen sollen nicht einfach verkündet, sondern gemeinsam gesucht werden. Wahrheit entsteht im Dialog, nicht im Alleingang.
Das ist ein massiver Perspektivwechsel, besonders im Vergleich zur bisherigen kirchlichen Praxis. Es geht Franziskus nicht darum, die Lehre zu ändern, sondern darum, wie Kirche lehrt, wie sie urteilt, wie sie unterwegs ist. Theologie in diesem Prozess ist kein abgeschlossenes System, sondern ein geistlicher Weg.
Evangelii Gaudium – das Manifest seiner Reform
Bereits 2013, wenige Monate nach seiner Wahl, veröffentlichte Franziskus Evangelii Gaudium („Die Freude des Evangeliums“). Es ist bis heute das programmatische Dokument seines Pontifikats. Alles, was danach kam – die Synoden, die Enzykliken, die Strukturreformen – wurzelt in diesem Text. Es ist kein systematisches Werk, sondern ein leidenschaftlicher Ruf zu einer missionarischen, offenen und barmherzigen Kirche
Franziskus formuliert hier seine Vision einer „Kirche im Aufbruch“, die lieber Fehler macht, als in bequemer Selbstbezogenheit zu erstarren. Er spricht vom Primat der Evangelisierung: Die Kirche ist nicht Selbstzweck, sie existiert, um das Evangelium zu verkünden – und zwar auf eine Weise, die verstanden wird, die berührt, die heilt. Alles, was dem im Weg steht – Klerikalismus, Zentralismus, institutioneller Narzissmus – muss hinterfragt werden.
Theologisch spannend ist dabei, dass Franziskus Evangelisierung nicht als Einbahnstraße versteht. Wer missioniert, wird selbst verändert. Die Kirche verkündet nicht von einem festen Turm herab, sondern lässt sich vom Schrei der Armen, vom Hunger der Völker, von den Fragen der Jugend selbst herausfordern. Diese Offenheit ist kein Verlust der Wahrheit, sondern Ausdruck der Demut des Evangeliums.
Der weltweite synodale Prozess – das Experiment der Kirche
Franziskus hat nicht nur über Synodalität gesprochen – er hat sie auch in Gang gesetzt. Seit 2021 läuft ein mehrjähriger weltweiter synodaler Prozess, der 2023 und 2024 in zwei großen Synoden in Rom kulminiert. Bischöfe, Laien, Frauen, Männer, junge Menschen, alte Menschen, LGBTQ+, Ordensleute – alle sollten gehört werden. Es war ein einmaliger Moment in der Kirchengeschichte: eine globale Konsultation über Fragen wie Macht, Rolle der Frau, Sexualmoral, Inklusion, Partizipation.
Theologisch ist dieser Prozess ein Zeichen der Inkarnation: die Kirche als lebendige, hörende, geistlich unterscheidende Gemeinschaft. Franziskus stellt nicht einfach neue Regeln auf. Er setzt auf einen geistlichen Prozess der Unterscheidung. Was ist der Wille Gottes für unsere Zeit? Das ist keine theoretische Frage, sondern eine Frage, die sich in konkreten Geschichten, Stimmen, Kämpfen niederschlägt.
Was ihn dabei theologisch besonders prägt, ist die Überzeugung, dass der Heilige Geist auch in Spannung und Differenz wirkt. Es ist in Ordnung, dass es keine einfachen Antworten gibt. Was zählt, ist das gemeinsame Hören – auf Gott, aufeinander, auf das Leben. Es ist ein spiritueller Lernprozess, nicht ein Machtkampf.
Frauen in der Kirche – nicht Nebensache, sondern Prüfstein
Auch wenn Franziskus beim Thema Frauenordination zurückhaltend bleibt, ist sein theologischer Ansatz deutlich: die Stimme der Frauen ist unverzichtbar, nicht aus funktionalen, sondern aus theologischen Gründen. In der Synodalität geht es um die Vollgestalt des Volkes Gottes – und die ist ohne Frauen unvollständig.
Er hat mehrere Frauen in hohe Leitungsämter im Vatikan berufen, etwa in die Bischofskongregation oder als Untersekretärinnen der Synode mit Stimmrecht. Für Franziskus ist das nicht bloß Reformkosmetik, sondern Ausdruck einer theologischen Entwicklung: die Kirche lernt, anders zu hören, anders zu denken, weil sie sich auf neue Stimmen einlässt.
Die Kirche als geistlicher Organismus
Papst Franziskus steht für eine Theologie, die nicht starr und abgeschlossen ist, sondern geistlich, prozesshaft, hörend. Für ihn ist Theologie nicht das letzte Wort über Gott, sondern der mutige Versuch, Gott im Heute zu begegnen – in den Armen, in der Erde, in der Spannung, im Dialog, im Zweifel. Seine Reform ist keine bloße Strukturreform. Sie ist eine geistliche Umkehr. Er ruft die Kirche auf, sich zu entweltlichen – aber nicht im Sinne von Rückzug, sondern im Sinne von Loslassen dessen, was sie hindert, Evangelium zu sein.